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Gedanken bewegen


'Gert Pfurtscheller Gert Pfurtscheller

Das Gehirn besteht aus ca. 10 Milliarden Nervenzellen, die untereinander stark vernetzt und gekoppelt sind. Jeder Gedanke führt zu Aktivitätsänderungen in verteilten Neuronenpopulationen und zu entsprechenden Änderungen in der spontanen bioelektrischen Hirnaktivität, dem Elektroencephalogramm (EEG). Das EEG kann mit Hilfe von Elektroden an der intakten Kopfhaut registriert, abgetastet und mit dem Computer in Echtzeit verarbeitet werden. Mit entsprechenden mathematischen Methoden kann die gedankenspezifische Information aus dem EEG gewonnen und in Steuersignale umgewandelt werden.

Ein solches System, das EEG-Signale vom Gehirn in Echtzeit analysiert und in Steuersignale umwandelt, wird als „Brain-Computer Interface“ (BCI) bezeichnet. Als mentale Strategie für BCI-Anwendungen kann das Denken an bestimmte Bewegungsformen (motor imagery) verwendet werden, wie z. B. das Vorstellen von Hand-, Fußund Zungenbewegungen. Diese Vorstellungsprozesse aktivieren ähnliche Neuronenpopulationen im Gehirn, wie sie für die Ausführung einer bestimmten Bewegung benötigt werden. Für jede erfolgreiche BCI Anwendung ist eine Lern- oder Trainingsphase notwendig, die sich über mehrere Wochen (bei Patienten oft Monate) hinziehen kann. In der Trainingsphase muss der Proband sich bestimmte Bewegungsmuster vorstellen, und der Computer lernt die entsprechenden EEG-Muster zu erkennen. Nach Abschluss der Trainingsphase steht ein personenspezifischer Klassifikator zur Verfügung, und der Proband kann online und in Echtzeit mit der BCI-Anwendung beginnen.

Derzeitige BCI-Anwendungen sind das handfreie Schreiben mit Gedanken („Virtuelles Keyboard“) bei Patienten mit einem „Locked-in-Syndrom“ und die Steuerung von Neuroprothesen bei Patienten mit einer hohen Querschnittläsion. Das an der Technischen Universtität Graz entwickelte „Virtual Keyboard“ ist ein mentales Kommunikationssystem, das auf der Echtzeitauswertung der oszillatorischen Hirnpotenzialschwankungen beruht. Patienten, die gelernt haben, über bestimmte, beispielsweise motorische Vorstellungen detektierbare EEG-Muster zu erzeugen, können damit Buchstaben oder Wörter aus einem Computermenü direkt mit Hilfe ihrer Hirnaktivität auswählen. Das System basiert auf sukzessiven dichotomen Auswahlschritten. Beginnend mit dem gesamten Alphabet kann als Folge einer Reihe von binären Entscheidungen, unter schrittweiser Halbierung der ausgewählten Buchstaben-Untermengen, der gewünschte Buchstabe ausgewählt werden. Die derzeit erreichbare Schreibgeschwindigkeit liegt bei 1 bis 4 Buchstaben pro Minute.

Eine weitere BCI-Anwendung ist die mentale Kontrolle von Computerspielen, wie z. B. das Navigieren im virtuellen Raum. Allein durch das Denken an eine linke oder rechte Handbewegung kann die Position in einer virtuellen Umgebung entweder mehr nach links oder rechts verändert werden. Für die Realisierung einer solchen virtuellen Realität wird an der Technischen Universität Graz ein Head-Mounted Display (HMD) verwendet, bei dem zwei kleine TFT-Schirme in einer Spezialbrille direkt vor den Augen platziert sind und mit zwei getrennten Signalen angesteuert werden. Ein anderes Szenario ist das Gehen in einer virtuellen Straße. Durch das Vorstellen von Beinbewegungen kann dabei mit dem EEG-basierten BCI ein Steuersignal gewonnen werden, dass ein Navigieren in einer virtuellen Umgebung ermöglicht. (Diese Forschungsarbeiten, die im BCI-Labor der TU Graz durchgeführt werden, erfolgen im Rahmen des EU-Projektes PRESENCIA und eines FWF-Projektes unter der Leitung von Univ.-Prof. Dr. G. Pfurtscheller).

Ein BCI kann neben konkreten Steuerungsaufgaben, die möglichst schnell und fehlerfrei ausgeführt werden sollen, auch für eine direkte Online-Transformation der Hirnaktivität in Ton- oder Bildmuster verwendet werden. Dabei geht es um die Übertragung hochdimensionaler EEGParameter in dynamisch veränderbare dreidimensionale Objekte wie bewegte Gesichter oder Klangmuster. Anwendungsmöglichkeiten eines solchen 3D Feedbacks sind z. B. in der Biofeedback-Therapie im Rahmen der Rehabilitation verschiedener neurologischer und psychiatrischer Erkrankungen gegeben. Eine solche Feedback-Therapie kann zum Beispiel nachweislich zur Reduktion von Anfällen bei Patienten mit Epilepsie beitragen.

Entwickelt in Zusammenarbeit mit dem Institut für Elektronische Musik und Akustik, Universität für Musik und darstellende Kunst, Graz, Seppo Gründler Multimedia Anwendung: BCI-kontrollierte Klang- und Kubusrotation