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Ars Electronica 2004
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Cheese


'Christian Möller Christian Möller

Wie sich herausgestellt hat, ist das Sehen quasi eine Form von Intelligenz. Ein Roboter, den man auf den Mars schickt, wird z. B. nicht von der Erde aus ferngesteuert, sondern ist intelligent genug, das Gelände des Planeten selbstständig zu erkunden. Als wichtige Voraussetzung dafür besitzt diese Maschine höchst komplexe visuelle Wahrnehmungsfähigkeiten; sie verfügt etwa über einen Bildsensor, der einem Autofokus oder automatischen Belichtungsmesser weit überlegen ist. Der Roboter ist außerdem intelligent genug, seine Umgebung zu erfassen und zu entscheiden, welches Motiv ein interessantes und wertvolles Bild abgibt.

Cheese ist ein Experiment, das die Architektur der Aufrichtigkeit untersucht. Die Arbeit basiert auf den Forschungen zum Thema Emotionserkennung der Machine Perception Laboratories der University of California in San Diego. Die Anregung zu Cheese lieferten die allgegenwärtigen, freundlich lächelnden Gesichter der Unterhaltungsindustrie Hollywoods. Am Beginn stand ein Inserat in einer Fachzeitschrift der Unterhaltungsbranche – „Schauspielerin gesucht, Marke Nachrichtensprecherin, für Videoporträts“ –, auf das mehr als 800 junge Schauspielerinnen antworteten. Cheese inszeniert eine Mensch-Computer Interaktion, in der der Computer den dominanten Part übernimmt. Vor laufender Kamera versuchen sechs Schauspielerinnen, so lange wie möglich zu lächeln – bis zu eineinhalb Stunden lang. Jedes dieser Dauerlächeln wird vom Wahrnehmungssystem des Computers geprüft, und sobald die zur Schau gestellte Freundlichkeit unter ein bestimmtes Niveau absinkt, werden die Schauspielerinnen mittels Alarmsignal aufgefordert, größere Aufrichtigkeit an den Tag zu legen.

So entsteht eine zunehmend beängstigende Situation, in der das reale emotionale Unbehagen der Schauspielerinnen, das sie durch ihre überzeugende schauspielerische Leistung verbergen, nur während der zeitweiligen Pausen durchbricht, die notwendig sind, um die angestrengten Gesichtszüge zu entspannen.

In der Galerie wird das Stück auf sechs nebeneinander angeordneten Flachbildschirmen gezeigt. Es erzeugt ein Konzert von Warnsignalen in einem Umfeld erzwungener Freundlichkeit und irritierender Melancholie.

Die Darstellung von Aufrichtigkeit ist wirklich Schwerarbeit.

Aus dem Englischen von Susanne Steinacher

Programming: Sean Crowe (US)
Models: Melissa Berger (US), Laura Clumeck (US), Natasha Desai (US), Kyra Locke (US),
Susan Marshall (US), Cameo Cara Martine (US).
Others include Pierre Moreels (FR), Pietro Perona (I), Javier Movellan (ES), Marni Bartlett (US), CALTECH, California Institute of Technology, Center for Neuromorphic Systems Engineering, Pasadena and the Machine Perception Laboratory at the University of California San Diego’s Institute for Neural Computation.