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Die schöne Kunst des Spiels


'Karin Bruns Karin Bruns

„Wer nichts als die Chemie versteht, versteht auch die nicht recht!“(1)
– Waren Kulturtechniken des Spielens, der manuellen Produktion, der Nachahmung, Serialisierung und Imitation, der wissenschaftlichen und philosophischen Praxis in der Vormoderne noch keine getrennten Register, so nimmt die Moderne hier Differenzmarkierungen vor und bringt uns – forciert seit Entstehen des Computerspiels – als medienpädagogischen Gestus die gewaltsame Trennung von E und U (Ernster und Unterhaltungskunst), von Medienkunst und dem „industriellen Produkt“ Spiel. Tatsächlich sind Games und e-Toys nicht pures Spiel (hat es ein solches jemals gegeben?), sondern schreiben sich in den Kontexten der Machttechnologie, des Leistungsdispositivs, der Arbeitswissenschaften, Militärstrategie, des Kognitionstrainings und szientifischer Evaluierungsverfahren fort. Kunstspiele wie die Painstation von Volker Morawe und Tilman Reiff (2001) beziehen sich darauf. Sie entwerfen in diesem Rahmen die schon im Film- und Fernsehschauen eingeübten perzeptiven und rezeptiven Register des View, Gaze, Watch, Observe etc. neu. Und in dieser Sinnenschulung überleben auch althergebrachte Skills des Spiels wie Reaktionsgeschwindigkeit, manuelle Geschicklichkeit oder Täuschungsvermögen.

Was aber verbindet Kunst und Spiel? Was sind die neuen Aspekte und Intensitäten, die Final Frontiers der digitalen Spielkultur? Vielfach ist behauptet worden, die Medien- und Netzkunst betreibe pure Appropriation der Spielematrix und bearbeite sie mit den ihr eigenen Verfahren: der ästhetischen oder kontextuellen Verfremdung, der Sinnentleerung, Überzeichnung oder Paradoxierung. Auf den ersten Blick scheint dem so zu sein. Das visuelle Eindringen in den Bild-, Ton- und Zeichenraum, das Surfen in Bild und Text, Aktivieren von Earcons und Icons wird in den meisten Künstler/innen-Games tatsächlich reduziert oder konvertiert. In der Nybble Engine (Margarete Jahrmann / Max Moswitzer, 2002) werden Bots, Texturen, Avatare und schließlich die Essenz des Spielgenres selbst, des Ego-Shooter, umcodiert und in ihr Gegenteil verkehrt. Das Herunterbrechen der üppigen optisch-grafischen Spielumgebungen und Landscapes, die Reduktion auf simple basale Formen / Farben, das konsequente Entleeren der Bildund Erzählinhalte sind bereits Mediengeschichte: Jodi fuhren in Sod (1999) die Oberflächentexturen der Game-Engine bis auf ein aus Linien bestehendes Schwarz-Weiß-Format herunter, Milton Manetas, Arcangel Constatini oder Vuc Cosic substituierten die Game-Texturen durch Text und / oder Typografie. Doch stellt(e) dies historisch nur eine der vielen virtuellen Strategien künstlerischer Aneignung dar: Arcangel Constatini, Lars Zumbansen, Cory Arcangel, Tom Betts und viele andere mehr knüpfen in ihren Arbeiten programmatisch an repetitive und modifizierende Kulturtechniken an, die im westlichen Gesellschaftstyp grundsätzlich als sekundäre Bearbeitungsverfahren gelten, indem sie Wiedererzählen, Wiederholen und variierende Wiederaufführung zum Gesetz erheben. Gespielt wird hier sozusagen nach anderen Regeln. Wir müssen uns daher fragen, ob es sich tatsächlich und ausschließlich um das Verfahren der Zitation oder der Pastiche, der Stilanlehnung, handelt, wenn Yan Zhenzhong dokumentarische Kamerabilder als Game-Szenario deklariert (Rice Corns, 2000), die Stadtwerkstatt ihre Rolling ArtTM-Kegelaktion als politisch intervenierendes Spiel zwischen Real- und Bildschirmraum oszillieren lässt und SF Invader die Figürchen des legendären Spiels an Häuserwänden und Straßenecken wieder auftauchen lassen, oder ob sich nicht Spiel und Kunst als die großen und gesellschaftlich legitimierten Kontrapunkte zum verinstitutionalisierten Alltag verstehen lassen, und genauer gesagt: auf dasselbe politische Feld beziehen, aus demselben Fundus speisen. Auch für den Aspekt der Aktion und Interaktion stimmt der Vergleich zwischen Spiel und Kunst, wenn man Spielen als einen subjektiven Akt des Kreierens versteht („Erschaffe Welten!“, lautete schon der Slogan des Spiels Black & White). Denn den Gestus des Spielens und des künstlerischen Produzierens charakterisiert ein Vorgehen, das in Anlehnung an den Entwurf Levi-Strauss’ wohl als „Bricolage“ bezeichnet werden kann. Das Kompromisslose, Unerschrockene, nicht auf Medienherkunft oder Materialität schielende Kombinieren und Kollagieren, Basteln, Ausprobieren, Hobbyismus und Amateurtum sind als künstlerischer Habitus zwar keineswegs neu (man denke z. B. an Maya Derens oder Jean-Luc Godards programmatisches Bekenntnis zum Amateurformat), aber in dem Ausmaß und mit dem gleichzeitigen Rückbezug auf Kollektivität/Konnektivität, wie es die Hacker-, Cracker- und Gaming-Szene betreibt, ist es ein vollständig neues Phänomen. Sogar die Festlegung durch die Modi und Raumdimensionen der Game-Engine kann in dieses Surplus an Spiellust und Spielerfahrung eingeschlossen werden, wie u. a. die Space Invaders erklären: „Vereinfacht gesagt, ist die Game-Engine die Festlegung der Welt eines Computerspiels in all ihren körperlichen Aspekten“. (2)

Die Game-Patch-Art (Brody Condon, Joan Leandre, Anne-Marie Schleiner und andere) dehnt dieses Prinzip auf die in den MOD- und Machinimas-Communities geläufigen Praktiken des Sammelns, Tauschens und Neumontierens aus und konstituiert einen auf Zirkulation, Austausch und Kommunikation setzenden Erarbeitungsprozess virtueller Texturen und Räume (3) – ganz in der Tradition jenes Prinzips des Sammelns und Kompilierens von Texturen, Objekten, Ideen und Texten, wie es auch in einigen Kunstrichtungen und -szenen der Moderne zu finden war und in der Praxis der Bricolage zusammengefasst ist.

Dass das Ergebnis die Zeichen des Produktionsprozesses selbst und die Ästhetik des verwendeten Materials bzw. der adaptierten Engines noch in sich trägt, stört niemanden, sondern wird – ganz im Gegenteil – in die Produktionspraxis einbezogen und ironisiert. Dies entspricht dann jener „postmodernen“ Haltung, die Umberto Eco unter dem Stichwort „Serialisierung“ als eine an die Moderne geknüpfte Kunstform der Wiederholung beschreibt, deren Kennzeichen als werkinterne Koexistenz von Wiederaufnahme (Repetition, Iteration) und Innovation (Differenzqualität) zu definieren sei. (4) Vergnügen generiert sich demnach nicht nur durch das Spiel von Wiederholung und Verfremdung, sondern insbesondere auch dadurch, dass der Rezipient dieses Spiel und seine Regeln durchschaut und selbst genießt. „Trau keiner Game Engine! Es könnte sich um einen Meta-Level handeln, der vielleicht noch nicht vollständig editiert ist, oder um ein Fake, der nur versucht, sich als Virus in dein System einzuschleusen, um deine eigenen spielerischen Energien zu binden und umzulenken! Sie ist letztlich ein nicht-spielbarer Level zu einem rekursiven Labyrinth.“ (5) Künstlerinnen und Künstler wie Margarete Jahrmann, Max Moswitzer oder Heiko Idensen beziehen sich explizit häufig auf den Begriff der Kopplung, der u. a. durch die Verwendungskontexte in den Schriften Norbert Wieners für Netzkünstler attraktiv ist. „Der Begriff der Koppelung“, so schreiben Jahrmann / Moswitzer im Textbuch zu ihrem Nybble-Engine-Project z. B., „hat mit der Kybernetik zweiter Ordnung, der allgemeinen Systemtheorie und dem Radikalen / Neuen Konstruktivismus enorm an Komplexierung und Differenzierung dazu gewonnen“. (6)

Die Independent-Game-Szene, die sich für eine neue Ästhetik, multimodale Narrationsoptionen, Mixed-Reality-Konzepte und die Herauslösung des Spiels aus industriellen Verwertungs- und Erzählkontexten interessiert, hat wiederum in einer Fülle von Ausschließungen (teils ernsthafter, teils ironischer Natur) Konventionen jenseits der Konventionen formuliert: 3Dgrafikkarten sind verboten, die üblichen Genres und Techniken (wie Cut Scenes) untersagt, der simple Gegensatz von Gut und Böse aus der Spielerzählung ausgeschlossen, usw. (7) Mitglieder dieser Community wie Dreaming Media verstehen sich zwar in der Regel nicht als Künstler, doch zielen ihre Interventionen in dieselbe Richtung wie die Art Games.

Dass auch einige der kommerziellen Spiele selbst in Komplexität, Optik, Polyvalenz und Verfremdungsgrad durchaus in den Kategorien „hoher Kunst“ beschreibbar sind, verdeutlichen Games wie XIII (Ubi Soft, 2003) oder Silent Hill (Konami, 1999ff.), die ich hier exemplarisch und auf Grund ihrer konträren Visualisierungsstrategien anführe. Während XIII, ein klassischer Shooter in Cell-Shading-Optik, auf optische und narrative Parameter des Comics rekurriert und Filmkonventionen zitiert, aber in die Panel-Struktur und onomatopoetischen Dramaturgien der Bilderstories rücküberträgt, erfindet die Silent-Hill-Serie narrative und ästhetische Szenarien, das ganz offensichtliche Anleihen bei der schwarzen Romantik (H. P. Lovecraft), dem Surrealismus, Splattermovie, Avantgarde- und Undergroundfilm gleichermaßen macht. Beide Games sind mit Anspielungen auf Kunst- und Mediengeschichte gesättigt, sowie mit Referenzen auf produktions- und rezeptionsästhetische Elemente bzw. die digitale Kultur versehen. Silent Hill 2 operiert beispielsweise mit der lange Zeit technisch nicht realisierbaren, von der Game-Community aber immer wieder eingeforderten Option des virtuellen Spiegel-Blicks. Auch in ihren Raumstrategien verfahren beide Games konträr. Wirft XIII uns immer wieder aus dem Bildraum heraus, indem es in die klassische Form des Comis oder Cartoons, seine Flächigkeit, seine Fragmentierung und plane Verknüpfungsästhetik zurückspringt, so verwickelt die neueste Silent-Hill-Version die Spielenden in immer undurchsichtiger werdende und verschachtelt-zitierende Closed-Circuit-Konstellationen und Erzählfragmente, die auch die Figur des Avatars selbst angreifen. Eins schließlich kommunizierten Computerspiele schon immer: die Kunst der Kommunikation und die Produktivität von Fehlern, schenkte uns doch der Klassiker Zork gleich zu Beginn der digitalen Spielkultur etwa folgende Dialoge: „You are in the kitchen of the white house. A table seems to have been recently used for the preparation of food ... On the table is an elongated brown sack smelling of peppers. A bottle is sitting on a table …“ User: „Pick up“. Programm: „Pick up, what?“ User: „All but the sack“. Programm: „Kitchen table: an interesting idea … Bottle: Taken“.

(1)
Georg Christoph Lichtenberg zurück

(2)
Mertens, Matthias; Meißner, Tobias O., Wir waren Space Invaders. Geschichten vom Computerspielen, Frankfurt a.M. 2002, S. 162. Eine umfassende Kollektion künstlerischer Spiele ist dokumentiert und kommentiert in: Games. Computerspiele von KünstlerInnen (hrsg. von hartware / Tilman Baumgärtel), Duisburg 2003 zurück

(3)
„A ring is a circular collection of sites all focused on a related topic. Each member of the ring typically displays a graphic, called a ring fragment, that will allow visitors to move forward and backward through the ring“; Definition aus: Quake Engine Skin Artist ring site. zurück

(4)
Eco, Umberto, „Serialität im Universum der Kunst und der Massenmedien“; in: Ders.: Streit der Interpretationen, Konstanz 1987, S. 49–65. zurück

(5)
Idensen, Heiko: „Theorie Engines / Game Engines / Theorie Games“, in: Jahrmann / Moswitzer, Nybble-Engine-Project, S. 22 – 24, hier: 24. zurück

(6)
Jahrmann, Margarete; Moswitzer, Max: Nybble-Engine-Project, Textbuch 2002, S. 6. zurück

(7)
Ernest W. Adams: Dogma 2001, zit. nach: Games Odyssey, TV-Feature, Teil 4, D 2002, Regie und Konzept: Carsten Walter. zurück