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Karma


'Kurt Hentschläger Kurt Hentschläger

Karma ist der Name des Physik-Moduls in der Unreal Tournament Game Engine (UT). Dieses Modul simuliert physikalische Phänomene in der Spielumgebung, wie etwa die Schwerkraft. Ein physikbasiertes Subsystem kommt im Moment des „Todes“ der Protagonisten zur Wirkung und lässt die „sterbenden“ Spielcharaktere auf realistischere Weise ihren Tod finden – sie schlittern über Abhänge oder stürzen über Wände, bis ihre kinetische Energie erschöpft ist und sie an ihrem letzten Ruheplatz zum Stillstand kommen.

Anders als bei prozeduralen Keyframe-Animationen oder Motion-Capture-Animationen ist die physikalische Simulation ein dynamischer Prozess, der auf der Umsetzung von Eigenschaften beruht, die in der realen Welt mit physikalischen Phänomenen assoziiert werden. Diese Methode erlaubt eine naturalistische Darstellung, vergleichbar vordergründig mit der Character-Darstellung durch Motion-Capture-Animation, bei der die Bewegungen lebender Wesen als 3D-Datensatz aufgezeichnet werden und lineare Samples wie bei klassischen Video- oder Audioaufzeichnungen generiert werden. Dynamische Simulation ist hingegen das Ergebnis einer Synthese, die auf Berechnungen eines vorgegebenen Sets von Parametern basiert und somit einen Handlungsrahmen generiert, anstatt einen Pfad oder eine Sequenz zu definieren. In Echtzeit-Computer-Engines erlaubt Karma (innerhalb einem Grenzen setzenden Regelwerks) die Animation einer potenziell unendlichen Zahl organischer, lebensechter Charaktere. Physiksimulation wird in UT (oder anderen Game-Engines) eingesetzt, um die virtuelle Realität überzeugender zu gestalten und eine möglichst getreue Abbildung der uns bekannten Wirklichkeit zu erreichen.

Bei genauer Analyse der physikalischen Elemente in UT sticht die morbide Dramaturgie des Todeskampfs der Spielprotagonisten ins Auge: Durch physikalische Simulation wird etwa der Körper der Spielfiguren von epileptischen Krämpfen geschüttelt, kurz bevor er sich in einem Schauer rasch zerfallender Partikeln auflöst. Anders als bei den Jagd- und Tötungsritualen birgt ein physikalisch modellierter Todeskampf eine seltsame Ambiguität, die es verdient, näher untersucht zu werden. Es bleibt unklar, ob die Gewalt, der eine Spielfigur ausgesetzt ist, dem Körper selbst entspringt oder durch einen unsichtbaren dritten Angreifer herbeigeführt wird.

Es scheint, als ob die 3D-Charaktere im Augenblick ihres vermeintlichen Todes tatsächlich lebendig würden. Der Eindruck entsteht, dass ein menschliches Wesen sich in Not befindet oder Schmerz erleidet,während das Gefuehl Marionetten zu betrachten in den Hintergrund tritt. Man identifiziert sich in diesem Augenblick plötzlich stärker mit dem Spiel-Alter-Ego und verspürt potenziell Empathie, was es erschwert, intellektuelle Distanz zu bewahren. Karma – für den CAVE entwickelt – beginnt im Augenblick eines unwirklichen Tods und wird von dort, gewissermaßen post mortem, zu einem ziemlich leeren Ort der Untoten, einem Vergnügungspark im Dunklen, einem Ort des Verhaltenstrainings, in dem die Charaktere in einer ständigen Spirale des Kontrollverlusts gefangen sind, was ein unangenehmes Gefühl der Verbundenheit mit ihnen heraufbeschwört.

Der Zuseher kann sich im Spiel bewegen und die Szenen beobachten oder eingreifen, indem er die Charaktere angreift, stößt oder gar durch die Luft schleudert. Manchmal wird man plötzlich an einen anderen Ort versetzt und verliert so die Kontrolle über sich selbst. Die Spielgeschwindigkeit ändert sich in Karma in den verschiedenen Terrains kontinuierlich; sie wird sowohl bei der Navigation in der Spielumgebung als auch im Wiederholmodus schneller und langsamer.

In Karma lösen sowohl die Bewegungen der Charaktere und der Zuseher als auch der Kamera und der Leuchten Klänge und Musik aus, die synthetisiert werden und dadurch ad hoc einen dynamischen Soundtrack generieren. Karma ist eine nichtlineare Spielumgebung. Die Besucher bestimmen individuell die Dauer des Spiels. Die vorgeschlagene Spieldauer beträgt 15 – 20 Minuten.

Karma ist ein Work-in-Progress und wird im Lauf der Zeit erweitert und modifiziert werden.

Aus dem Englischen von Sonja Pöllabauer


Produktionsteam:
Friedrich Kirschner – Unreal-Engine-Programmierung und Mise-en-Scène
Claudia Hart – 3D-Technischer Direktor und Figurdesign (Leitung)
Josh Bapst – 3D-Characterdesign
Richard le Bihan – Zusätzliches 3D-Characterdesign & Rigging (in Zusammenarbeit mit Mike Saffiano)

Dank an Claudia Hart – für die Beratung in 3D-Fragen, für die unendliche Unterstützung und Liebe, Friedrich Kirschner – für die großzügige Unterstützung auf allen Ebenen und seinen Optimismus, Ballet Preljocaj – Karma entwickelte sich aus meiner Mitarbeit an „N“, einem zeitgenössischen Ballet (Kooperation zwischen Angelin Preljocaj, Ulf Langheinrich und Kurt Hentschlager), Lotte Hentschläger, Ursula Hentschläger, Zelko Wiener, Ulf Langheinrich, Richard Castelli, Florence Berthaud, Sarah Ford, Carl Goodman, Gerfried Stocker, Horst Hörtner, Michael de la Pena, MEDA™ – Neuer Sinn Neue Kraft