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Ars Electronica 2005
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HYBRID - living in paradox


'Gerfried Stocker Gerfried Stocker / 'Christa Sommerer Christa Sommerer

Hybrid – living in paradox, mit diesem Thema widmet sich die Ars Electronica 2005 den implosiven Tendenzen, die, von den digitalen Technologien in Gang gesetzt, unsere Welt verändern. Kulturen werden überlagert und stürzen ineinander, Grenzen werden aufgebrochen – nationale ebenso wie materielle, technologische, psychologische.
Hybride Kreationen und Kreaturen, Identitäten und Kulturen entstehen aus den Rekombinationen unserer grundlegenden Codes – den digitalen, den genetischen und den atomaren. Letztlich ist digitale Medienkunst selbst ein Hybrid aus den Verbindungen von Kunst und Technologie. Sie akkumuliert das gesamte Spektrum an Ausdrucksformen und erfordert ein außergewöhnliches Crossover von Expertenwissen und Kompetenzen.
Hybrid – kein anderes Wort könnte die charakteristischsten Bedingungen unserer Zeit besser beschreiben.

  • Die treibenden Kräfte und Muster der Hybridisierung

  • Hybride Formen in Wirtschaft und Politik

  • Hybride Kulturen und Identitäten

  • Hybride Kreaturen und Ökologien

Hybrid – kein anderes Wort beschreibt den aktuellen, vielfach paradoxen Zustand unserer Welt treffender und umfassender – einer Welt, die gekennzeichnet ist von mitunter höchst widersprüchlichen und dennoch höchst wirkungsvollen Verbindungen:
  • von Entgrenzungen, Verschmelzungen und Crossovers, neuen ökonomischen und politischen Koalitionen und Allianzen ebenso wie interdisziplinären Kooperationen in Kunst und Wissenschaft

  • von globalen Kultur-Amalgamen, die aus der weltweiten Zirkulation von Menschen und Waren, von Zeichensystemen und Informationen erwachsen

  • vom symbolischen wie physischen Eindringen der Maschinenwelt in unseren Körper -von bionischen Prothesen, Neuroimplantaten, Cyborgs und transgenetischen Chimären

  • von Sampling, Collage und Re-Mix, von konsequenter Cross-Kompilation und Rekontextualisierung künstlerischer Ausdrucksmittel, -formen und -genres

  • von eskalierenden Kämpfen gegen die Kontamination des Eigenen durch das Andere.

Das Hybride ist die Signatur unserer Zeit, der Gelassenheit, mit der wir uns in real physischen ebenso wie digital virtuellen Habitaten eingerichtet haben, der Selbstverständlichkeit, mit der wir kulturelle Differenzen und Antipoden verhandeln und neu konfigurieren, der beunruhigenden Routine, mit der wir mit den Bausteinen des Lebens spielen.
Hybridisierung – von den Züchtungen und Kreuzungen von Pflanzen und Tieren über die mechanische, elektrische und digitale Simulation und Nachbildung der Natur bis zum Hochmut der modernen Gentechnik – ist immer auch Ausdruck der archaischen Sehnsucht des Menschen, über sich hinauszuwachsen und die Natur zu verändern, zu korrigieren.
Und so wie jeder Organismus seine Immunkräfte gegen Eindringlinge und Fremdkörper mobilisiert (selbst wenn es sich um lebensrettende Organtransplantate handelt), weckt auch jede kulturelle oder soziale Hybridisierung Widerstand und Abwehr: fundamentalistischer Purismus, eine Abgrenzung aus Angst vor Assimilation oder eine Skepsis, die hinter der „neuen“ Verbindung doch nur andere Artikulationen der gleichen alten Trennkräfte verborgen sieht.
Hybridisierung als kultureller Prozess ist in den seltensten Fällen steuer- und kalkulierbar, ihre Produktivkräfte entspringen meist dem Zufall, mitunter sogar dem Wunsch nach Differenzierung, oft sind sie auch Nebenprodukte subversiver Aktion. Dies zeigt sich besonders im erfolgreichen Culturejamming der Jugendkultur und Popmusik, gilt aber auch für viele Anwendungen digitaler Medien: Niemand hatte SMS geplant, und das machtvolle Aufkommen eines Citizen Journalism mit Blogging, RSS-Feeds und Podcasting ist ein Hybrid, dessen Entstehen wohl von visionären KünstlerInnen und KulturtheoretikerInnen vorhergesagt wurde, nicht aber von den Marketinggurus der New Economy.
Dass am Ende doch immer ein Weg gefunden wird, die so entstandenen Derivate kommerziell zu nutzen, tut der Lust und Energie, mit der weiterhin gesampelt, remixed, verunreinigt und missbraucht wird, keinen Abbruch, bestenfalls provoziert es dazu.

Gerfried Stocker / Christine Schöpf


Das erste Hybridwesen ist der Mensch. Und er lebt in einem Paradoxon. Als Mischung von Geist und Materie, als Transmission und Handschlag zwischen Geist und Materie und vice-versa lebt der Mensch bewusst oder unbewusst in einem permanenten Zustand der Hybridisierung.
Wozu also soll man sich mit einem so allgegenwärtigen Zustand befassen? Weil sich neue Triebkräfte der Hybridisierung herausgebildet haben, die den hybriden Zustand immer deutlicher – und für einige immer unangenehmer – zutage treten lassen. Mit der Globalisierung kommt die Implosion, in der alle Kulturen aufeinanderprallen und sich die Zeitzonen überlagern. In dieser Implosion integrieren sich die Dinge oder sie zerbrechen. Ein weiterer Faktor ist die Digitalisierung, die einen steten Fluss von immer neuen Kombinationen hervorbringt – alles Hybride, sorgfältig mit Software kultiviert, wie Blumen.
Wir leben im Paradoxon, in einem argwöhnischen Schwebezustand, der fortdauern wird, bis sich der Staub setzt und die Widersprüche zwischen dem Selbst und dem Anderen, zwischen Nationalismen und Globalismus, zwischen Demokratie und staatlicher Kontrolle gelöst sind. Und dann sind da die Widersprüche zwischen der Macht der Medien und jener des Staates. Und die Widersprüche zwischen Wissenschaft und Wirtschaft, die alle möglichen Hybridformen hervorbringt mit der klaren Priorität des Profits vor dem Dienst an der Menschheit. Und die Widersprüche ...
Kunst ist die Nahrung der Hybridisierung. Sie übersetzt und transportiert die Formen einer Kultur in die einer anderen, indem sie Teile von beiden hervorhebt und mischt.
Sampling ist nicht nur eine der digitalen Techniken, sondern hat sich zu einem Lebensstil entwickelt. Und so gibt es DJs der Kulturen, wenngleich diese in langfristigeren Rhythmen arbeiten. Was bleibt uns anderes als zu sampeln, in einer Umwelt, in der alles immer verfügbar ist?


Derrick de Kerckhove