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Ars Electronica 2005
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Festival 1979-2007
 

 

Hybridentitäten
Synkretistische Kulturen – diasporische Subjektivitäten – hybride Identitäten

'Massimo Canevacci Massimo Canevacci

Ich möchte das Thema der diesjährigen Ars Electronica, das digitale Kommunikation, kulturelle Mutationen, Techno-Synkretismus, mimetische Prothesen und hybride Identitäten (Hybridentitäten) miteinander verbindet, von einem ethnografischen Standpunkt aus beleuchten.

Hybrid
In der westlichen Tradition hat der Begriff des Hybriden zwei historische und kulturelle Matrices: eine genetische und eine mythologische. Der ersten zufolge ist das hybride Wesen steril, weil die Kreuzung von Tieren, die verschiedenen Spezies angehören, nicht reproduktiv ist: Das Hybride ist daher vor allem für Kulturen, die den Kreationismus befürworten, negativ besetzt. In der mythologischen Matrix verkörpert das Hybride das Risiko einer Rückentwicklung zu einer Mensch-Tier-Mischform (Sphinx, Harpyie, Chimären als mythologische Mischwesen): Hier ruft das unheimliche Nebeneinander verschiedener Wesenszüge die atavistische Angst hervor, der irrationalen Macht des Mythos zu erliegen, der die rein auf Vernunft gründende Identität zerstört.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Begriff des Hybriden mit Sterilität und Regression besetzt ist. Er ruft Irrationalität und Angst hervor und wird nach wie vor zur Stigmatisierung verwendet: „Du bist ein Bastard“ ist eine moralische Ereiferung gegen unreine Identität und für einen kreationistischen Imperativ.
Dieser bio-mythische Imperativ begünstigte die Hinwendung zur instrumentellen Vernunft, reinen Identität, dualistischen Logik und zum antirelativistischen Universalismus. Außerhalb dieser vier theoretischen Voraussetzungen riskiert man die fatale Aporie einer Art von Logos, der seine Ordnung gegen jeden aporetischen Diskurs, gegen fließende Identitäten, diasporische Subjekte, kulturellen Synkretismus und pluri-logische Perspektiven behaupten muss.

Der Synkretismus ist ein der Hybridität ähnliches Konzept, eine oberflächliche Mischung verschiedener Denksysteme und Verhaltensmuster, eine Mischung unvereinbarer Fragmente, die im Allgemeinen durch „große“ Philosophie zusammengehalten wird. Folglich gehen beide Begriffe – Hybridität und Synkretismus – vom Standpunkt einer reinen und universalistischen Logik aus das Risiko steriler Oberflächlichkeit ein.
Jenseits dieses traditionellen (und nach wie vor dominanten) Begriffskorsetts tauchen in den letzten Jahren andere Bedeutungen des Hybriden (und auch des Synkretismus) auf, die auf folgende Entwicklungen zurückzuführen sind:

  • bioinformatische Forschungen,

  • postkoloniale Migrationsströme,

  • das Entstehen einer digitalen Medienlandschaft und elektronischer Räume,

  • eine erotische Haltung (Erotitüde) gegenüber dem posthumanen Körper und der Nichtfortpflanzung.


  • Bioinformatik, Postkolonialismus, Technoscape, elektronische Räume und Erotitüde verbinden sich zu einer visionären, konstruktivistischen, dezentralisierten Bedeutung des Hybriden, die nicht länger mit Regressionsvorstellungen behaftet ist. Hybride Kulturen begünstigen eine libertäre „Körperlandschaft“ und die Ausbreitung synkretistischer Kulturen, diasporischer Subjektivitäten, hybrider Identitäten.
    Jenseits (nicht entgegen) der Tradition der reinen Vernunft betonen die Begriffe „hybrid“, „synkretistisch“, „diasporisch“ die mögliche Koexistenz unterschiedlicher und inkompatibler prozessualer Codes und die Befreiung fließender Bedeutungen, die lange in der Eindeutigkeit des mono-logischen Denkens gefangen waren.
    In diesem Kontext möchte ich die aporetische Dimension der unreinen Oberflächlichkeit hervorheben und darauf hinweisen, dass das Hybride – durch inkompatibles Verhalten und eine verschobene Erotitüde – einen multiprospektiven, multinarrativen, multisequentiellen Kommunikationsprozess verbreiten wird, ein Fluidum, das zwischen den ethnodigitalen Kulturen hin und her strömt. Synkretistische, diasporische und hybride Kulturen bestätigen das Verlangen nach extremen Differenzen als Basis eines neuen Egalitarismus.

    Alles Universelle ist partial – alles Singulare plural – jede Reinheit hybrid - jede Historie polyphon – jede Taxonomie anomisch

    Prothese
    Die Forschung über Web-Kommunikation, elektronische Kunst und hybride Identität könnte eine neue Ethnografie im Web und durch das Web hervorbringen. Sie begünstigt eine mehrfach kodierte, koextensive Repräsentation. Wenn ich zwei verschiedene Codes nehme – einen alphabetischen und einen ikonischen – und sie überblende, ist das Ergebnis eine alphabetisch-ikonische Verbindung. Eine Art Sprache mittels physiognomischer Codes. Eine solche physiognomische Kommunikation erschließt sich nicht dem linearen Lesen oder Verstehen im Sinne einer traditionellen interpretativen Annäherung. Es sind synkretistische und nicht synthetische Codes – Körper-Zeichen. Ich betrachte Klänge, fühle Codes und berühre Bilder. Ich füge Sensorien hinzu, wenn ich simultan Musik, Text oder bildende Kunst dekodiere: ich erfahre eine Erweiterung meiner traditionellen Sinneswahrnehmungen. Strukturalistische Regeln, semiotische Felder, binäre Gegensätze funktionieren nicht mehr.

    Fünf Engel-Körper steigen aus der Bildschirm-Flüssigkeit, versprühen Tropfen einer elektronischen Soundscape. In einer neu aufgeladenen, aufgelassenen Fabrik. (Bill Viola, Water Notes)

    Einem philosophischen Ansatz der Anthropologie zufolge, der auf fundamentalistischen, vitalistischen, objektivistischen Kriterien basiert, ist jede technologische Entdeckung des Westens ein Organersatz, um Handlungen, zu denen unser Körper „von Natur aus“ nicht fähig war, zu ermöglichen (Gehlen). In einer solchen Methodologie ist das Telefon eine Prothese des menschlichen Ohrs, der Kinofilm eine des Auges, das Auto eine unserer Beine, bis hin zur gegenwärtigen Diskussion über den PC als Organprojektion des Gehirns. In dieser Beziehung zwischen Technologie und abgetrennten Teilen des menschlichen Körpers dauert eine der bedenklichsten philosophischen Traditionen fort (die ich ungenau als „illuministisch“ bezeichne): Einerseits ist da die seit dem berühmten „kritischen Punkt“ philogenetisch konstituierte evolutionistische „Natur“ des homo sapiens; andererseits wird der „Natur“ die Technokultur hinzugefügt, die jeden einzelnen Sinn in seiner ontologischen Natürlichkeit unverändert lässt.

    Es sollte klar sein, dass ein solches Paradigma nicht funktioniert. Keine Technologie verlängert ein Organ, lässt es ontologisch intakt und getrennt vom „Rest“. Eine technologische Prothese (posthumaner Körper) ist nicht nur mit „ihrem“ eigenen Sinn verbunden, sondern – auf unterschiedliche und veränderliche Weise – auch mit allen anderen Sinnen. Jeder Sinn ist in einen Strom eingebunden, der mit allen anderen Sinnen verbunden ist. In Anlehnung an Scheper-Hugues (2000) präferiere ich in meiner Anthropologie die Perspektive des mindful body: eines Körpers, der von Geist durchdrungen ist, unterschiedliche Verkörperungen des Geistes, die im Körper kognitiv sensorisch verteilt sind. Eine pragmatische postkartesianische Methodologie jenseits jeden dualistischen Gegensatzes.

    Eine solche Sichtweise schließt die flexiblen biokulturellen Eigenschaften ein und nicht aus. Das Auge hat nichts Natürliches an sich. Das Auge hat eine erweiterte Funktion wahrzunehmen, die jener in der Vergangenheit nicht vergleichbar ist; das Auge partizipiert an den Innovationsprozessen, die durch die technologische Kommunikation um sich greifen, und seine Fähigkeit des Sehens wird kontinuierlich vor neue Herausforderungen gestellt und modifiziert. Die traditionelle Dichotomie – hier die kulturelle Prothese (Computerbildschirm), dort das natürliche Auge – ist überwunden und wird ständig remixed. Meine Wahrnehmungssysteme, mein Sehvermögen, meine Kunst des Sehens und meine Dekodierfähigkeit werden in Abhängigkeit von den neuen, durch das Web erlebten Formen dahingehend verbessert, modifiziert, pluralisiert und beschleunigt, dass sie unerforschte Verbindungen herstellen.

    Zwischen dem bio-kulturellen Auge und der Prothese ist ein mimetischer Prozess der Hybridisierung in Gange. Und ein solcher „lokaler“ hybrider Prozess vollzieht sich auch über den mindful body.
    Die Verbindung Biologie/Technologie (Bioinformatik) wird immer stärker und komplexer, weshalb der Akt des „Sehens“ zu einer Art ständiger Übung wird, die die traditionellen, Natur und Kultur trennenden Grenzen problematisiert (verändert). Die neuen anthropologischen Grenzen des Sehens sind durchlässig, sie begünstigen ein bidirektionales – bio-kulturelles und technologisch-natürliches – Fließen, das sich von einer dem Organ hinzugefügten und dieses unverändert lassenden Prothese nicht mehr unterscheidet. Für solche neue Betrachtungsweisen des Sehens innerhalb der digitalen Kommunikation wird das Prothesenmodell völlig obsolet, etwas viel stärker untereinander Verbundenes tritt in Erscheinung.

    Es ist eine wachsende Hybridisierung zwischen Körper (mindful-body) und digitalen Technologien zu beobachten. Die Frage der Identität gibt ein solches dezentriertes und flexibles Szenario vor: Unser Körper wird durch einen mimetischen Prozess hybridisiert, der sich zwischen Körpern und Schnittstellen vollzieht.
    Gehlens Organersatz haftet am illuministischen Körper wie der mindful body an der digitalen Web-Kommunikation. Vom ontologischen Objektivismus zur wandelbaren Multi-vidualität, Cronenbergs Videodrome ist das philosophische Manifest des visuellen Körpers, der Bildschirm-Maske, des TV-Auges, das in den 80ern zeitgleich mit William Gibsons Neuromancer eine neue Ära einläutete. Cronenberg und Gibson liefern eine komplexere und tiefgründigere visuelle Anthropologie und Kulturphilosophie als Gehlen (vgl. Canevacci, 2003; Marchesini, 2002)

    Multi-viduum

    Die bislang produzierten Hypertexte sind enttäuschend, weil sie auf der bloßen Aneinanderreihung verschiedener narrativer Muster basieren (Essays, Bilder, Klänge, Geschichten etc.), die durch Schlagwörter verbunden sind, um neue Bedeutungen zu generieren. Diese Montage traditioneller Sprachen begünstigte zwar gewisse Veränderungen, doch blieb der Hypertext hinter seinen Möglichkeiten zurück.
    Digitale Kommunikation, bildende Kunst und Web-Ethnografie könnten ganz andere Möglichkeiten eröffnen. Jedes einzelne narrative Geschehen sollte sich in einer dicht verwobenen, nicht linearen Repräsentation äußern: Jeder einzelne Frame kann schriftliche, akustische, ikonische, grafische Narrative beinhalten – eine semiotische Immanenz, die durch veränderte Logiken für veränderte Identitäten entsteht, und von dieser multi-linguistischen Immanenz zu einer dislozierten, beschleunigten und zufälligen Pluri-Logik übergeht.

    Dieser in seiner hybriden Immanenz alliterierte Hyxpertext hat keinen Anfang und kein Ende, vielleicht nicht einmal eine schlüssige Bedeutung; er spielt mit einer konstanten und unauflösbaren Mixtur figuraler Logiken, musikalischer Texte, einem taktilen Bildschirm, ophthalmischen Codes. Der Akt der Interpretation in Hinblick auf eine mögliche Bedeutung differiert nicht nur linguistisch, sondern auch logisch und symbolisch innerhalb desselben Subjekts. Dies ist die Erfahrung eines Übergangs vom In -dividuum zum Multi -viduum, das eine zufällige Mischung pluraler Strukturen ist.

    Das Multi-viduum mit seinen vielstimmigen und diasporischen Identitäten ist eine Herausforderung für das traditionelle In-dividuum (die lateinische Übersetzung für das griechische a-tomon ). Eine neue Subjektivität manifestiert sich, die über den Cyborg hinausgeht. Bei Haraway vermittelt der Cyborg nach wie vor ein ambivalentes Schwanken zwischen Hoffnung und Drohung gegen Dualismen. Jetzt geht es darum, sich über den Dualismus und Universalismus hinaus zu bewegen, anstatt sich dagegen zu stellen.

    Der Avatar steht jenseits des Cyborgs.
    In der Web-Kommunikation sind die ästhetischen, kognitiven, visuellen, perzeptiven, geistigen Ströme in jedem einzelnen Bedeutungssegment multilinear, multisequentiell, multiperspektivisch. Aporetische Figuren, sensorische Logiken, postdualistische Repräsentationen, veränderte Identitäten, taktile und einziehbare Körper. Diasporische Logiken. Eine diasporische Haltung durchdringt die Logiken und verwandelt sie in intelligible Sensorien.
    Orlan erschafft sich als Selbst-Hybrid/aktion und Meredith Monk singt den Scare Song.

    Multiples Selbst
    Eine mit dem elektronischen Raum verbundene bodyscape bildet ein mobiles, multiples Selbst aus. Die Beziehung zwischen bodyscape, digitaler Kultur, Webkommunikation und performativer Identität kann ein polyphones multiples Selbst und simultane Sprachen freisetzen: einen mindful body voller Selbste. Body-Selves / My-Selves (Canevacci, 2003a).
    Jedes Selbst ist eine Anhäufung von Selbsten. Durch digitales Morphing ist es möglich, eine digitale Collage zu schaffen, die über die surrealistische Collage im Sinne einer Juxtaposition zweiter (oder mehrerer) inkongruenter Codes hinausgeht. Beim Morphen wird eine figurale Transformation in eine gepixelte visuelle Landschaft eingefügt, was die traditionellen Unterscheidungen zwischen Leben und Stilleben, menschlich und tierisch, Technik und Körper, ja sogar Geschlecht und Ethnizität überschreitet und alle statischen Identitäten auflöst.

    Wenn das Pixel Teil meiner Haut ist, lässt sich nicht definieren, wo die Psycho-Materialität meines mindful body beginnt oder endet. Diese neue Ebene der Subjektivität ist mit dem Morphing verbunden:
    Vivian Sobchack zufolge „hinterfragt das Morph die herrschenden Philosophien und Vorstellungen, die unser verkörpertes Sein festlegen und unsere Identitäten als vereinzelt konstituieren, was uns an unsere wahre Instabilität erinnert: unser physisches Strömen, unseren Mangel an Selbst-Koinzidenz, unsere subatomare Existenz, die immer in Bewegung ist“ (2000, xii).
    Eine solche fehlende Koinzidenz zwischen dem Selbst und seiner subkutanen Existenz führt nicht zu einem Verlust, sondern zu einer potenziellen Vervielfältigung von Bewusstsein in einer Körperlandschaft. Diese neue imaginativ-produktive Ebene des Morphing destabilisiert die alte westliche Metaphysik und dezentralisiert jede Diskussion über Werte und Autorität.

    Der Plural von „ich“ ist nicht „wir“ sondern „Egos“. Ein Polytheismus der Egos, eus, ii, yos ist der Avatar.
    Von der Gemeinschaft zur Vernetzung.
    Wie M. Novack meint: „Die kybernetische Revolution bringt uns den Cyborg als zweite Phase der Selbstentwicklung durch technologische Erweiterung. Die dritte Phase ist eben im Cyberspace aufgetaucht: die vollständige virtuelle Verkörperung, der Avatar.“

    In Novacks liquidem Raum demonstriert die Band Pan Sonic die Physizität elektronischer Musik, einen panischen Industrial Sound: Akustische Physizität ist eine soundscape, plus ein elektronischer Raum. Eine Extrasystole des Egos.


    Heteronomien
    Die neuen figuralen und narrativen Modelle erweitern jede linguistische Kreuzung zwischen dem multiplen Selbst und anderen. Das Morphing verkörpert und entkörpert jeden möglichen Anderen. Das Morphing ist die Unruhe (desassossego) eines Subjekts, das sein Gesicht in ein anderes Visus verwandelt. Face-off: Faces-in-ein.
    In ihrer transluzenten Haut, die sich in eine unruhige Physiognomie verwandelt, wird Identität hinterfragt. Der Übergang von der Collage zum Cut-up und schließlich zum Morphing bringt durch ein Subjekt, das mit der extravaganten Pluralität von Ego-Gesichtern/Visus experimentiert, ein Maximum an Unruhe zum Ausdruck.

    In der gemorphten Identität manifestieren sich chiffre und glipho von Fernando Pessoas die Straßen Lissabons durchstreifenden Heteronymen. Ein Dichter ist eine Vielzahl. Eine Vielzahl von Heteronymen. Desassossego
    Durch digitale Kommunikation suchen er-sie-es-sie die Zerstreuung des liquiden Signifikanten, jenseits jeder versteinerten Bedeutung; sie ziehen ein Schweben und zersetzende Codes jeder universalistischen Macht der Symbole vor, eine unruhige Performance von Gedächtnis und Amnesie.

    I-skin: Avatar
    Auf der französischen Website http://www.electronicshadow.com/
    i-skin2/projeteng.htm
    nimmt eine Körperhaut – ein zusammenhängender Pixel-Körper – architektonische Körpergestalten an: Es erscheint I-skin mit all seinen perzeptiven, pervertierten, figuralen Modifikationen.
    I-skin ist das Resultat einer Zusammenarbeit von Künstlern aus unterschiedlichen Disziplinen. Die Web-Installation verfügt über visuelle Interfaces, die es den Usern/Besuchern erlauben, mit grafischen, dreidimensionalen Avataren zu interagieren; ihre formalen Aspekte werden direkt von ihnen mittels verschiedener I-skins entschieden, die die Parameter eines architektonischen Körpers verändern können.“

    „Der Avatar ist das Interface, das den Menschen in Zukunft ermöglichen wird, virtuelle Umgebungen mittels neuer Sinne und durch Ausweitung der Kommunikatonsformen zu erfahren. Der Produktionsprozess eines Avatars illustriert die Verbindung zwischen Information und Erscheinung: I-skin, eine Informationshaut.“
    I-skin kann als Ego-Haut interpretiert werden: eine generative Identität in Beziehung mit physischen Dimensionen, kulturellem Geschlecht, tiefen Sehnsüchten, Pixel-Aspirationen und Pixel-Seufzern ... Es fokussiert eine andere kybernetische Revolution: nach der Erfindung der Kybernetik (Wiener) und dem Cyborg (Gibson-Haraway) ist die dritte Revolution der Avatar. Die Verkörperung des Virtuellen – seine Somatiaktion.
    Der Avatar möchte die multiplikative Performance eines durch seine kommunikative hybride Prothese erweiterten Körpers bekräftigen. Die sich im Web herumtreibende bodyscape des Avatars ist ein somatisierter bioinformatischer Körper.
    Hybrid-Landschaft : Hybrid-Körper : Hybridentität


    Die Somatisierung erscheint zwischen transluzenten Pixeln und Häuten. Der Ausdruck „Somatisierung“ bezeichnet normalerweise eine Pathologie, die in einen Körper eindringt. Somatisierung als Symptom, das ein unheimliches Unbehagen in „Soma“ verwandelt. Aus der Sicht eines Avatars ist die Somatisierung eine Metamorphose der Haut.
    Somatisierung ist hybride Haut: hybride Informationshaut: perzeptive und kognitive Haut.
    Mike Heim:
    „Architektur wird zu Avatektur: Physische Gebäude werden durch Morphing zu virtuellen Strukturen, die Online-Avatar-Gemeinschaften bilden. Die Avatare diskutieren Prototypen in der virtuellen Realität, und die physischen Strukturen werden zu Multimedia-Visualisierungen. Die Avatektur integriert die Transformation in Gebäude, vermischt Klicks mit Ziegeln. Der Avatekt ist ein Schamane, der interaktive Visionen schafft.“

    Der Avatar taucht in meinen Forschungen über die technologische Kommunikation und die Mutation der Identität auf. Avatar bedeutet – in metaphorischem Sinn gemäß der ursprünglichen Bedeutung in der Hinduphilosophie – die Erfahrung einer multi-viduellen Subjektivität und gleichzeitig die Produktion multipler Sprachen. Diese flexiblen Konzepte befürworten eine synkretistische Kreuzung von Anthropologie, Technologien, Künsten, Kommunikation in Hinblick auf die Pluralität von Egos (= ii, eus, multiples Selbst).


  • Der Avatar ist eine Herausforderung für jeden monologischen Diskurs und jede fixierte Identität.

  • Der Avatar ist multividuelles und multivisuelles Subjekt.

  • Der Avatar ist multiseqenzielle Hybridisierung zwischen multiplem Selbst,
    Web-Ethnografie, E-Kunst.

  • Der Avatar ist jenseits jedes Dualismus, jeder unifizierten Synthese, jeder universalen Kultur oder Geschichte.

  • Der Avatar ist diasporischer mindful body: ein flüssiger Körper aus verstreuten Bewusstseinen-flexibler denkender Körper.

  • Der Avatar ist jenseits von Wurzeln und Rhizomen.

  • Der Avatar ist die Verkörperung von Alterität und Jenseitigkeit.

  • Der Avatar ist hybride Identität: Hybridentitäten.

  • Der Avatar geht von Stereotypen zu Heteronomien.


  • Die Betrachtung von Technologie, Kunst, Anthropologie aus der Perspektive eines Avatars versucht in der Medienlandschaft Stereotypenzu untergraben und Heteronomien in den Blickpunkt zu rücken. Multiple Selbste und Multi-Codes, polyphone Narrative, fragmentierte Kulturen, hybride Identitäten.
    Selbst-Darstellung ist Hetero-Darstellung, ist die Produktion einer visionären Heterologik, einer anderen Logik, einer seltsam dislozierenden Zusammenballung von Logiken. Ich möchte die Verlagerung von der Autonomie zur Heteronomie hervorheben: Sie erklärt den Gedanken, dass nomos (das Gesetz) eine Autorität besitzt, die auf der statischen Logik der Mono-Identität basiert. Nomos sollte sich daher zu der Flexibilität der anomischen „Alterität“ hinbewegen: Heteronomie: ein sehnsüchtiges Hinüberkreuzen zur Alterität.
    Die zufälligen Verbindungen von bildenden Künstlern, transversalen Musikern, leidenschaftlichen Architekten, synkretistischen Avataren, diasporischen Multividuen nehmen - durch ihre Hybridprothese – Heteronomien, Physiognomien, Somatisierungen – Hybridentitäten – ins Visier.
    Aus dem Englischen von Martina Bauer


    The Aphex Twin, Classics, Chrysalis Music, 1992
    Canevacci, M., Antropologia della comunicazione visuale, Rome 2000
    Canevacci, M., Sincretismi, Milan 2004
    Canevacci, M.,“My-selves-An avatar multi-perspective in performative mix-media fieldwork”, paper for the seminar Fieldwork: Dialogues between Art and Anthropology, Tate Modern, London, 2003a
    Canevacci, M.,“Post-media, tecno-comunicazione, mutamento culturale”, in La Nuova Scienza. vol. 3 (ed. U.Colombo, G.Lanzavecchia), Milan 2003b
    Canevacci, M. (ed.), “Avatar”, Rivista di antropologia, comunicazione e arti visive. Meltemi, Rome, 2005
    Cronenberg, D., Videodrome, 1983
    Gehlen, A., Anthropologische Ansicht der Technik, Düsseldorf, 1965
    Hamman, R., Cyberorgasm among multiple selves and cyborgs, Dissertation, Univ. of Essex, 1996
    Heim, M., www.mheim.com
    Marchesini, R., Post-human, Turin, 2002
    Monk, M., “Scare Song”, in Do You Be, 1987
    Novak: www.I-skin.com
    Pessoa, F., Livro do Desassossego por Bernardo Soares,Milan, 1986 (dtsch.: Das Buch der Unruhe des Buchhalters Soares, Zürich 2003)
    Pan Sonic, Kulma-Rude Mechanic, 2001
    Scheper-Hughes, N., “Embodied Knowledge”, in R. Borofsky (ed.), Assessing Cultural Anthropology, New York 1994
    Sobchack, V. (ed.), Meta-morphing, University of Minnesota Press, Minneapolis, 2000
    Viola, Bill, Five Angels