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Kulturelle und linguistische Kompetenzen der Bonobos


'Susan Savage-Rumbaugh Susan Savage-Rumbaugh

Der Great Ape Trust für Bonobos (Zwergschimpansen) befindet sich auf einem achtzig Hektar großen Grundstück, das die Stadt Des Moines im US-Bundesstaat Iowa gestiftet hat. Der Great Ape Trust ist als Forschungs- und Bildungseinrichtung sowie als Schutzraum für alle vier Menschenaffenarten gedacht ist. Für sämtliche Tiere, die hierher kommen, sowie für ihren Nachwuchs wird ihr Leben lang gesorgt. Das Zentrum zeichnet sich durch seinen einzigartigen Schwerpunkt auf Sprache und Kognition aus sowie dadurch, dass keine invasive Forschung an Menschenaffen betrieben wird. Die Einrichtung des Great Ape Trust widmet sich der generationenübergreifenden kulturellen Forschung über den gesamten Lebenszyklus hinweg.

Die Entwicklung dieser einzigartigen Bonobo-Kolonie wurde durch nachhaltige finanzielle Forschungförderung ermöglicht. Der Forschungsschwerpunkt liegt dabei auf dem Verständnis der Entstehung von Sprache und anderen, im Allgemeinen den Menschen vorbehaltenen kognitiven Prozessen. Die Kolonie ist heute so weit, dass sich die kulturelle Stimulierung durch den Menschen potenziell selbst fortsetzt, wenn den Bonobos geeignete neue Technologien, Freiheiten und Lebensräume im Freien zur Verfügung gestellt werden. Dieses langfristige Projekt könnte uns einzigartige Erkenntnisse darüber vermitteln, wie menschliche Fähigkeiten auf Tiere übertragbar sind und sich dabei verändern bzw. auf welche Weise sie sich im Laufe der Zeit wandeln und weitergegeben werden. Die Geschichte dieser Affen wird seit 1975 auf Video dokumentiert. Im Rahmen eines Begleitprojekts wird dieses Material für andere Wissenschaftler archiviert, da die Kolonie und ihre Geschichte insofern nicht replizierbar sind, als außerhalb des Kongo keine Bonobos für Forschungszwecke zur Verfügung stehen.

Die Kolonie hat sich durch natürlichen Nachwuchs (und Import eines Männchens aus Japan) von einem auf zwölf Exemplare, die zwei verschiedenen Arten angehören, vergrößert. Die Bonobo-Gruppe ist seit Ankunft der Matriarchin Matata aus der Demokratischen Republik Kongo im Jahr 1975 Teil des NICHD-Forschungsprogramms. Derzeit sind die acht Bonobos auf zwei Gruppen aufgeteilt. Gruppe A besteht aus einem Weibchen (Panbanisha) und einem Männchen (Kanzi), die beide in Gefangenschaft geboren wurden, sowie Panbanishas Jungen Nyota (fünf Jahre) und Nathan (drei Jahre), deren Vater P-Suke ist.
Die Forschungsmethode bestand bisher im Wesentlichen darin, dass die Bonobos in zwei Gruppen gehalten und in unterschiedlichem Maß gefördert wurden.

Gruppe A wurde mit einer Vielzahl menschlicher Aktivitäten konfrontiert, wie etwa Ausflügen zu diversen Futterplätzen, Spielen, sozialem Verhalten und Umgang mit menschlichen Artefakten und Aktivitäten. Gruppe B war in diese Aktivitäten nicht direkt eingebunden, sah sie aber auf Video und kam durch die Pfleger, die sie außerhalb des Geheges betreuten, auch mit Sprache in Berührung. Darüber hinaus hatten die Mitglieder der Gruppe B die Möglichkeit, Tiere der Gruppe A dabei zu beobachten, wie sie eine spezielle Tastatur bedienten, Werkzeuge aus Stein herstellten, schrieben, Musik machten oder anderen vergleichbaren menschlichen Tätigkeiten nachgingen.

Dem grundlegenden Paradigma unserer Forschung entsprechend konzentrierten sich die Aufzeichnungen eher auf die Kompetenzen der Gruppe A als auf die mangelnden Fähigkeiten der Gruppe B. Dies ist teilweise darauf zurückzuführen, dass Gruppe B weniger an den Kontakt mit Menschen oder an Tests gewöhnt ist und sich daher nur widerwillig dazu bewegen lässt, sich an Aufgaben zu versuchen, die Gruppe A problemlos bewältigt. So weigert sich P-Suke nach wie vor, Steine zu bearbeiten oder auch nur einen Stein in jede Hand zu nehmen, obwohl über hundert Versuche unternommen wurden, es ihm beizubringen.

Linguistische Fähigkeiten

Was ihr Verständnis von gesprochenem Englisch und ihre Versuche anbelangt, sich mit Menschen in einer der Sprache ähnlichen Kommunikation zu verständigen, sind die Bonobos der Gruppe A einzigartig. Kanzi und Panbanisha verstehen komplexes gesprochenes Englisch und sogar ungewöhnliche Sätze, die unterschiedliche syntaktische Konstruktionen aufweisen. Sie verwenden eine Lexigramm-Tastatur und stellen Steinwerkzeug her. Sie verstehen einfache Geschichten, die ihnen vorgelesen werden, und schauen sich begeistert Filme an, wobei sie eindeutig Lieblingsfilme haben und sogar bestimmte Szenen deutlich bevorzugen. Kanzi kann Material sammeln, Feuer machen und dieses auch wieder löschen. Er war auch rasch imstande, Futterpflanzen anzubauen und zu betreuen.

Gruppe B besteht aus einem Weibchen (Matata) und einem Männchen (P-Suke), die beide in der Wildnis gefangen wurden, und zwei Jungtieren. Keiner dieser Bonobos ist fähig, gesprochenes Englisch zu verstehen, die Tastatur zu benutzen, Steinwerkzeug herzustellen, Futterpflanzen anzubauen oder Feuer zu machen. Vier Jahre lang hat man vergebens versucht, Matata Lexigramme beizubringen. Drei Jungtiere aus Gruppe B kamen außerdem im Alter von drei Jahren in die Gruppe A, an deren Aktivitäten sie zwei Jahre lang teilnahmen. Keines dieser drei Tiere hat auch nur eine der Fähigkeiten erlernt, die Gruppe A beherrscht, wie gesprochene englische Worte zu verstehen, Lexigramme zu erkennen, Steine zu bearbeiten, zu zeichnen oder Feuer zu machen. Einzelne Tiere der Gruppe B versuchen zwar, die Tastatur zu verwenden, doch besteht kein Zusammenhang zwischen den Symbolen, die sie auswählen, und den Gegenständen, zu denen ein Bezug hergestellt werden soll.

Es wurden auch zahlreiche Versuche unternommen, ihnen die Bearbeitung von Steinen beizubringen. Obwohl schon über hundert Versuche unternommen wurden, P-Suke dazu zu bewegen, Steine zu bearbeiten, ist er höchstens bereit, die Steine kurz in die Hand zu nehmen. Es scheint demnach ein kritisches Alter zu geben, in dem die kulturelle Prägung erfolgt – und zwar durch Aktivitäten, die das Jungtier während der pränatalen und postnatalen Ontogenese erfährt. Diese Prägung bereitet das Tier darauf vor und sensibilisiert es dafür, später komplexe Fähigkeiten leichter zu erlernen.
Da Kanzi und Panbanisha außergewöhnlich gut Englisch verstehen, überrascht es nicht, dass sie zu sprechen versuchen.

Darüber hinaus weist eine informelle Evaluierung der archivierten Bänder darauf hin, dass dieses Phänomen, obwohl es schon seit längerer Zeit zu beobachten ist, heute häufiger auftritt als vor sechs bis zehn Jahren. Das wichtigste Ereignis in dieser Zeitspanne ist das Heranreifen eines zweiten Tieres, das mit der Tastatur umgehen kann und ein hohes Verständnis des Englischen aufweist. Zu Beginn des Projekts hatten wir den Eindruck, dass Kanzi versuchte, zu seinen Pflegern zu sprechen, und wir konnten zeigen, dass er eine Reihe von Lauten produzierte, die bei Bonobos in einer vergleichbaren Kolonie in Gefangenschaft nicht zu hören sind. Kanzi hat nicht nur mit seinen Betreuern in dieser Lautsprache kommuniziert, sondern auch mit Matata, seiner Adoptivmutter. Matata hat ihre Lautsprache allerdings im Kongo erworben und ist mit menschlicher Sprache nicht vertraut. Auch wenn Kanzi im Rahmen der anatomischen Gegebenheiten seines Stimmtrakts zu sprechen versuchte, war es unwahrscheinlich, dass seine Mutter diese Versuche verstand.

Bei Panbanisha verhält es sich anders. Als sich Panbanishas Sprachverständnis zunehmend verbesserte, begann sie, wie Kanzi den Pflegern mit Lauten zu antworten, und erstmals haben zwei Bonobos, die in einer intellektuell stimulierenden Umgebung aufwuchsen, über eine Lautsprache miteinander kommuniziert. Die Laute, die Kanzi und Panbanisha austauschen, klingen mitunter wie eine Nachahmung menschlicher Sprache und dann wieder wie eine Imitation der Lautsprache Matatas – als ob sie zweisprachig wären. Natürlich wuchsen sie in einer von zwei Arten geprägten Kultur auf und waren ständig mit zwei Sprachen konfrontiert. Wären sie Menschen, hätten sie in einem solchen Umfeld auch zwei Sprachen erlernt. Es könnte also durchaus sein, dass hier ein ähnlicher Fall vorliegt.

Wenn Kanzi und Panbanisha mit einem Menschen kommunizieren, wandert das „Gespräch“ hin und her, wie es in einer Konversation üblich ist. Das heißt, Rede und Gegenrede wechseln sich ab, wobei dieser Wechsel zeitlich und in Bezug auf den Informationsgehalt koordiniert zu sein scheint. Dieses Phänomen ist so verlässlich zu beobachten, dass man Transkriptionen von diesen „Konversationen“ anfertigen kann, aus denen klar hervorgeht, dass der menschliche Gesprächspartner ein bestimmtes Wort gehört und darauf geantwortet hat, als ob die Konversation auf Englisch geführt würde. Darüber hinaus weisen vorläufige Tests darauf hin, dass mehrere ausgebildete Beobachter beim Verständnis zahlreicher Äußerungen einen hohen Grad an Übereinstimmung erzielen können.

Eine Übersetzung nach dem Gehör ist nicht die einzige Methode, um die Mitteilungen von Kanzi oder Panbanisha zu entschlüsseln. Man kann die Tiere dazu motivieren, gewisse Wörter zu sagen, und wenn sie in Stimmung sind, kommen sie dieser Bitte auch nach. Wie ihre Zeichnungen sind auch ihre Antworten manchmal sehr klar und dann wieder etwas undeutlich; Tatsache ist aber, dass man sie dazu auffordern kann, bestimmte Worte zu sagen.
Beide Gruppen wurden regelmäßig auf Video aufgenommen und die Bänder wurden archiviert. Die Mitglieder der Gruppe A erkennen die mangelnden Fähigkeiten von Gruppe B und versuchen mitunter, diese zur Benutzung der Tastatur zu ermutigen, indem sie ihnen die Symbole zeigen.

So verwenden sie die Tastatur zum Beispiel, um für die Mitglieder der Gruppe B ein bestimmtes Futter zu erhalten. In vielen Fällen hat es den Anschein, dass Mitglieder der Gruppe A die Informationen für die Mitglieder der Gruppe B in Laute übersetzen. So kann man beispielsweise Kanzi oder Panbanisha dazu auffordern, Matata von einem bestimmten Futter zu erzählen, ihr zu sagen, wohin sie gehen werden oder dass Besucher kommen. Erfolgen diese Aufforderungen auf Englisch, werden sie von Kanzi und Panbanisha für Gruppe B „übersetzt“, die daraufhin antwortet. Manchmal lassen sich Mitglieder der Gruppe A auch dazu bewegen, Mitgliedern der Gruppe B mitzuteilen, dass sie sich in gewisse Käfige begeben oder benötigte Gegenstände zurückgeben sollen.
Immer wieder behaupten auch andere Forscher und Betreuer von Affen, dass ihre Tiere Englisch verstünden. Affen lernen rasch, auf routinemäßige Abläufe zu reagieren.

Werden bestimmte Äußerungen immer wieder wiederholt, kann es den Anschein haben, als würden sie das Gesagte verstehen. Es lässt sich allerdings nur durch Tests mit unterschiedlichen Gegenständen, Untersuchungen neuer Äußerungen und Dialogsstudien exakt ermitteln, wie weit das Verständnis der englischen Sprache im konkreten Fall geht. Es bestehen deutliche, anhaltende und profunde Unterschiede zwischen Affen, die gewisse Handlungen durch Routinen lernen, und jenen, die auf neue Weise kommunizieren, auf neuartige Aufforderungen eingehen, Dinge aufschnappen, die nicht für sie bestimmt waren, und die wissen, was sie tun sollen, wenn ihnen eine neue Aufgabe verbal erklärt wird.

Weiterführende Forschung

In Zukunft wird sich unsere Forschung auf eine umfassendere Dokumentation und Erläuterung der Fertigkeiten von Gruppe A konzentrieren. Dies wird durch neue Technologien ermöglicht, die im IPLS (Iowa Primate Learning Sanctuary) zur Anwendung kommen. Wir werden dabei auf einige Computertechniken des so erfolgreichen Lana-Projekts zurückgreifen. Sämtliche Äußerungen Lanas wurden, wie auch jene anderer Affen, vom Computer aufgezeichnet. Bei mehr als einem Affen waren unsere Computer bisher jedoch technisch nicht in der Lage zu bestimmen, welcher Affe jeweils die Tastatur verwendet hatte. Da viele Kommunikationen der Tiere in einem spezifischen Kontext stattfanden, war es darüber hinaus schwierig, ohne Kontext die Intention des Gesagten zu bestimmen. Die heutige Technik ist so weit entwickelt, dass diese Probleme rasch beseitigt werden können.

Viele neue technische Aspekte des Zentrums müssen in das Leben der Bonobos integriert werden: neue Tastaturen mit zusätzlichen Möglichkeiten, automatische Türen, verschiedene Raumgestaltungen, unterschiedliche Reinigungs- und Bewegungsabläufe sowie Unterkünfte, Futterplätze mit Zeitschaltung auf dem gesamten Areal, die Installation von Tastaturen an zahlreichen Standorten, um mit vielen Tieren kommunizieren zu können, regelmäßige Besucher im Zentrum, Zugang ins Freie ohne Leine, Zugang zu großen Wasserstellen mit leichtem Gefälle, elektrische Zäune, große jahreszeitliche Unterschiede, die Möglichkeit, „warme, sichere Orte“ aufzusuchen, wenn es draußen sehr kalt ist, Zugang zu Gewächshäusern mit qualitativ hochwertigem, kalorienarmem, frischem Futter und viele andere Spezialeinrichtungen.

Im Unterschied zu heute, wo nur eine einzige Tastatur zur Verfügung steht, werden in Zukunft in der gesamten IPLS-Einrichtung zahlreiche Tastaturen zur Verfügung stehen. Sie werden eine Kommunikation zwischen Bonobos und Menschen ermöglichen, die sich an unterschiedlichen Orten befinden. Der Computer wird die einzelnen Benutzer auch identifizieren und ihre jeweilige Äußerung sowie den Zeitpunkt aufzeichnen können. Dies erfolgt durch die Implantation eines kleinen Chips oder das Tragen eines leichten Halsbands. Eine fix installierte Videokamera, die vom Experimentleiter eingeschaltet werden kann, wird den Kontext für jede Äußerung beisteuern. Der Zeitpunkt der Äußerung wird mit der Zeitangabe auf dem Videoband koordiniert, sodass eine spätere Zuordnung problemlos möglich ist.

Weiters wird der Computer über einen „experimentellen Modus“ verfügen: Wenn der Experimentleiter die Tastatur außerhalb des Bereichs der Bonobos verwendet, werden die Tasten, die er berührt, auf der Tastatur der Bonobos aufleuchten und auf einen größeren Monitor projiziert. Dies ermöglicht dem Bonobo, das vom Experimentleiter verwendete Symbol und die Stelle, an dem es sich befindet, zu registrieren. Ein solches System ist erforderlich, weil die Äußerungen per Tastatur ungeplant erfolgen und nicht vorweggenommen werden können. In unerwarteten Situationen verwenden die Bonobos außergewöhnliche Lexigramme und Lexigramm-Folgen, die dokumentiert und nicht nur beschrieben werden sollten.

Neuere genetische Forschungen lassen zunehmend den Schluss zu, dass sich Umweltvariable ab dem Zeitpunkt der Empfängnis stark auf die Ausprägung von genetischen Variablen auswirken. Leichte Änderungen der Zeitabläufe, eventuell als Folge von Umweltvariablen, können sich direkt auf den Phänotyp auswirken. Wir glauben, dass wir diesen Effekt bereits bei Jungtieren sehen, deren Mütter eine unterschiedliche Entwicklung hinter sich haben. Dass Matata in der Wildnis aufgewachsen ist, hat zu kürzerer Trächtigkeit, kleineren Jungen, kürzeren Wehen und einer rascheren Milchbildung nach der Geburt geführt. Dass Panbanisha in menschlicher Obhut aufgewachsen ist, hatte längere Trächtigkeit, höheres Geburtsgewicht, längere Wehen und eine später eintretende Milchbildung nach der Geburt zur Folge. Da Matata Panbanishas Mutter ist, ist sehr wahrscheinlich, dass diese Veränderungen die Folge von Umweltvariablen sind, die sich in einer einzigen Generation direkt auf den Phänotyp ausgewirkt haben.

Aus dem Englischen von Martina Bauer