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Ich telefoniere, also bin ich


'Aminata Traoré Aminata Traoré

Seit Beginn des 21. Jahrhunderts ist unsere Welt globalisiert und dennoch zersplittert. Die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien, die in hohem Maße dazu beigetragen haben, Grenzen und Distanzen aufzuheben, müssten gleichzeitig Völker und Kulturen einander näher bringen und eine neue, offene und bessere, weil gerechtere und tolerantere, Welt fördern. Dem amerikanischen Vizepräsidenten Al Gore zufolge, für den die Informations-Highways u. a. Ersparnisse im Gesundheitswesen und auf dem Ausbildungssektor sowie Leistungssteigerungen bewirken werden, ist das bereits Realität.
Für viele Adepten dieser neuen Informations- und Kommunikationsstechnologien kann Afrika in dieser neuen Phase des wissenschaftlichen und technologischen Abenteuers nur gewinnen.

Tatsächlich ist es aber so, dass der Diskurs über diese Technologien das herrschende wirtschaftliche System stützt und die kulturelle Entfremdung der Afrikaner verstärkt. Wird etwa durch die Verbreitung des Mobiltelefons wirklich der Wohlstand in Mali erhöht und gerechter verteilt, gibt es dadurch tatsächlich mehr soziale und wirtschaftliche Gerechtigkeit und Freiheit?
„Der afrikanische Mobiltelefonmarkt hat sich im Vergleich zu anderen Regionen seit fünf Jahren am schnellsten entwickelt“, meint José Do-Nascimento,(1) indem er sich auf die UIT (Indicateurs des Télécommunications Africaines, Ausgabe 2004) beruft. Die Anzahl der Mobiltelefon-Kunden hat sich zwischen 1998 und 2003 um mehr als 1000 Prozent erhöht.
Die Firmen haben ihre Produkte an die Bedürfnisse und Mittel der jeweiligen Bevölkerung angepasst, die sich zum Kauf dieser Produkte verleiten lässt, während sie gleichzeitig die Kosten für den Schulbesuch ihrer Kinder, für die Gesundheitsversorgung und das tägliche Essen nicht aufbringen kann.

Die afrikanischen Länder waren die meiste Zeit gezwungen, den Telekommunikationssektor für die Konkurrenz zu öffnen und mussten die Unternehmen auf Druck des IWF, der Weltbank, der WTO und der UIT manchmal unter ihrem Wert verschleudern.
Der afrikanische Telekommunikationssektor hat im Jahr 2002 die Schwelle von zehn Milliarden US-Dollar (2) überschritten. Davon profitierten neben den Staaten, „die durch Gebühren und Lizenzen mehr als vier Milliarden US-Dollar eingenommen haben, die Hersteller, die dank der in Afrika seit 2000 abgeschlossenen Verträge mehr als fünf Milliarden US-Dollar verdient haben“.(3)

Niemand bestreitet die Nützlichkeit der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien, man sollte aber bedenken, dass die Mobiltelefonie in Afrika durch mangelhafte Ausstattung und beträchtliche Kommunikationsschwierigkeiten gekennzeichnet ist. Es ist aber trotzdem deutlich einfacher und günstiger, einen Gesprächspartner anzurufen, als ihn zu treffen und so den Stau und Stress in den städtischen Straßen zu vergrößern.

„Es gibt zahlreiche mittellose Benutzer, durch die das Mobiltelefon bereits entmystifiziert wird. „Leih mir dein Handy, ich möchte eine SMS verschicken“ ist immer öfter von Handybesitzern zu hören, die zwar schreiben können, aber nicht genug Geld haben, um sich regelmäßig eine Wertkarte zu kaufen. Bei den Analphabeten, für die eine SMS nicht in Frage kommt, lautet die Bitte: „Leih mir eine Gesprächseinheit!“(4)

Afrika muss der Welt zweifelsohne seine Präsenz demonstrieren und vermitteln, indem es sich diese neuen Technologien aneignet. Doch sollten wir versuchen, die kommerziellen und finanziellen Interessen der multinationalen Konzerne von den wirtschaftlichen, sozialen und politischen Rechten der Afrikaner und Afrikanerinnen zu trennen. Wir müssen die Funktionen dieser neuen Informationstechnologien angesichts der Herausforderungen, vor denen wir stehen, neu überdenken.
Eine echte Partizipation aller Bürger an diesem Abenteuer verlangt eine andere Gestaltung der Beziehung zwischen Zivilgesellschaft, öffentlicher Hand und Privatsektor. Sie hat folgende Herausforderungen zu bewältigen:

Freier Zugang der Afrikaner zu Informationen, vor allem über den wahren Zustand ihres Kontinents und die Implikationen der wirtschaftlichen Öffnung;
Bildung einer informierten Öffentlichkeit und Förderung des autonomen Denkens, das uns ermöglicht, den neuen Informationstechnologien selbst einen Inhalt zu verleihen;
tatsächliche Partizipation der Bürger mittels Informations- und Kommunikationstechnologien an der Analyse ihrer Situation sowie an den Entscheidungsmechanismen, auch an jenen, die sich auf die Politik dieser
Technologien beziehen.


„Unser Credo müsste lauten: In Würde leben, indem wir untereinander und mit anderen kommunizieren können, indem wir Energien mobilisieren und Talente fördern, denen der gleiche Stellenwert zuerkannt werden sollte wie den Neuen Informations- und Kommunkationstechnologien … Die Beziehung zwischen diesen Technologien und Kultur beschränkt sich, so gesehen, weder auf geliehene Technologie und Technologietransfer, noch auf die Marktpräsenz, die sie talentierten Unternehmern garantieren kann, auch wenn diese Implikationen von großer Bedeutung sind.

Das Vertrauen in uns selbst und in unsere Ressourcen muss sich in der Art der Investitionen manifestieren, in der Art und Weise, wie wir Hersteller und afrikanische Wirtschaftreibende ermutigen und unterstützen und ihre Werke und Produkte fördern, die wir vor allem selbst konsumieren sollten.“(5)

Aus dem Französischen von Martina Bauer



(1) Do-Nascimento, José: Société numérique et développement en Afrique. Usages et politiques publiques mit Beiträgen der Mitglieder des CSDPTT. http://www.csdptt.org/article349.html
(2) Ibid.
(3) Ibid.
(4) Traoré, Aminata D: Accès, être et paraître. La connectivité: Vrais et faux défis en Afrique (in Druck)
(5) Ibid.