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Sieben Herausforderungen für hybride Ökologen


'Marko Athisaari Marko Athisaari

Neue techno-kulturelle Ökologien wie jene der Mobilfunkindustrie entstehen aus sich erneuernden Zyklen externer Innovation und interner Assimilation. Hybride Ökologen, also all jene, die unsere gemeinsame durch Mobilität gekennzeichnete Zukunft mitgestalten und reflektieren, stehen vor sieben Herausforderungen:

(1) Verbreitung
(2) Manchmal „unerreichbar“ versus „immer in Bereitschaft“
(3) Angreifbarkeit durch Hacker
(4) Soziale Grundfragen
(5) Offenheit
(6) Einfachheit
(7) Gerechtigkeit



(1) . Verbreitung

Nächstes Jahr wird es weltweit mehr als zwei Milliarden Benutzer von Mobiltelefonen geben. Die Mobilfunkindustrie verzeichnete in den letzten fünfzehn Jahren ein explodierendes Wachstum, das zum Großteil in den entwickelten Ökonomien erzielt wurde, zunehmend aber auch in den so genannten aufstrebenden Märkten erwirtschaftet wird.
Die erste Herausforderung hat mit der wachsenden Verbreitung von mobilen Technologien zu tun. Wie erlangen die nächsten zwei Milliarden Menschen Zugang zu mobilen Technologien? Die Zweifel an diesem Ziel als Selbstzweck sind legitim.

Ermöglicht man den Menschen Netzanbindungen zu erschwinglichen Preisen, führt dies nachweislich zu Wirtschaftswachstum. Neuere Forschungen haben ergeben, dass „Mobiltelefonie langfristig zu Wirtschaftswachstum führt, dass ihre wirtschaftliche Bedeutung in Entwicklungsländern doppelt so groß ist wie in entwickelten Ländern und dass zusätzliche zehn Mobiltelefone je hundert Einwohner in einem typischen Entwicklungsland das Bruttoinlandsprodukts um 0,6 Prozent steigern ... [Daher] ist die digitale Kluft, die wirklich zählt, jene zwischen den Menschen, die Zugang zu einem Mobilfunknetz haben, und jenen, die keinen haben. Die UNO hat das Ziel vorgegeben, bis zum Jahr 2015 einen Zugang von 50 Prozent zu erreichen, wobei einem neuen Bericht der Weltbank zufolge bereits 77 Prozent der Weltbevölkerung Zugriff auf ein Mobilfunknetz haben.“ ( The Economist, März 2005).

Natürlich soll Wirtschaftswachstum allein die menschliche Entwicklung weder definieren noch garantieren, doch bleibt es ein wesentlicher Faktor im Hinblick auf die Verbesserung der Lebensqualität. Die Herausforderung besteht darin, zwei weiteren Milliarden Menschen auf ökonomisch vernünftige Weise Zugang zur Mobiltelefonie zu verschaffen. Wie können wir die Kosten für Applikationen, Einsatz und Infrastrukturen senken, um die Verbreitung mobiler Technologien zu fördern?

(2) . Manchmal „unerreichbar“ versus „immer in Bereitschaft“

Zeit ist im Informationszeitalter die Ressource, die am meisten fehlt. Sie wird in unzähligen Popsongs beschworen, sei es, dass man sie zurückdrehen oder für immer festhalten möchte. Der Wunsch, die Zeit anzuhalten, begleitet uns seit jeher und die Fließband-Poesie von heute beruft sich auf eine lange Tradition. Als Beispiel ein Vers des vor kurzem verstorbenen pakistanischen Sängers Nusrat Fateh Ali Khan:

Lass die Uhren schweigen,
meine Liebe kommt nach Hause,
lass uns feiern.
Meine Liebe kommt nach Hause,
lass uns feiern.


In dieser Strophe des Lieds „Mera Pia Ghar Aaya“ („Meine Liebe kommt nach Hause“), einem typischen Qawwali, interpretiert Nusrat das Thema Zeit. Wie so oft im Qawwali, dem Gesang der Sufis, oszilliert das Objekt der Liebe zwischen Göttlichem und Menschlichem. Die Uhren haben dabei in jedem Fall zu schweigen.

Dasselbe ließe sich über die uns immer und überall verbindenden Mobiltelefone sagen. In Finnland nennt man ein Mobiltelefon umgangssprachlich kännykkä, was soviel wie „Erweiterung der Hand“ bedeutet. „Da wir unsere stets bereiten Funkprothesen ständig mit uns herumtragen, ist die Welt selbst gleichsam immer in Bereitschaft, wie Derrick de Kerckhove meint. Diese Technologien sind bereits so selbstverständlich, dass sie nahezu unsichtbar geworden sind. Und doch stören sie uns.

Sie machen uns jederzeit verfügbar. Der Drang, uns zu verbinden, ließ die Frage vergessen, wie die Verbindung abzubrechen wäre, wie wir abschalten können. Die Herausforderung hier lautet: Wie schaffen wir es, in einer Welt, die immer in Bereitschaft ist, bisweilen auch unerreichbar zu sein?

(3) . Angreifbarkeit durch Hacker

Brian Eno hat das Problem der hackability auf den Punkt gebracht: „Ein wesentlicher Aspekt von Design ist das Ausmaß, in dem der Benutzer an der Komplettierung des Objekts Anteil hat.“ Manche beklagen, dass die mobilen Applikationen nicht zu hacken sind. Dabei ist das Mobiltelefon die ideale Plattform dafür.

Man denke nur an all die individuell zu gestaltenden Accessoires, die auf der ganzen Welt verbreitet sind, wie z. B. austauschbare Gehäuse und Taschen. Diese Individualisierung dehnt sich rasch auf den Bereich der Software aus. Tatsächlich mag die Definition des Worts hacken als „unerlaubtes Eindringen in Computersysteme, um Dinge zu veranlassen, die die Designer nicht intendierten“, zu eng gefasst sein. Sie wird der Vielfältigkeit des alltäglichen Hacking-Verhaltens nicht gerecht, das die Vorstellungen der Industrie bei weitem übertrifft. Der Trend zur individuellen Anpassung wird zweifelsohne anhalten. Vielleicht hat er noch nicht einmal wirklich begonnen.

Wenn man diesem Trend folgt, stellen sich die Fragen: Wie soll das Design für eine alltägliche „Hackability“ aussehen? Wie lässt sich die Wirtschaftlichkeit der Massenproduktion mit der Flexibilität und den Kosten vereinbaren, die aufzubringen sind, damit Benutzer ihre Produkte selbst komplettieren können?

(4) . Soziale Grundbedürfnisse

Die wesentlichen Bedürfnisse und Fähigkeiten des Menschen, auf denen das Wachstum der Mobilfunkindustrie beruht, sind sozialer Art. Soziale Interaktion war nachweislich der Motor für die Akzeptanz des Internets und der mobilen Kommunikationstechnologien, angefangen von weltweiten Telefonaten, über SMS, E-Mail und Instant Messaging bis hin zu den Weblogs, die von Millionen Menschen gelesen und geschrieben werden.

Wie viele dieser Funktionalitäten wurden explizit nach Plan entwickelt? Erfolgreich waren vor allem einfache offene Funktionalitäten (z. B. SMS mit 160 Zeichen), die auf den Grundregeln sozialer Interaktion basierten und Raum für menschliche Interpretation und Erfindungsgeist ließen. Man denke nur an das fundamentale menschliche Bedürfnis, etwas zu verschenken. Hat sich die universelle Praxis des persönlichen Geschenkaustauschs wirklich bereits digitalisiert? Könnte sie es? Sollte sie es?

Die Herausforderung hat mit der nächsten Stufe der sozialen Entwicklung zu tun: Welche Formen sozialer Interaktion (online und offline) könnten sich auf eine mobile Plattform verlagern? Welche Tauschstrukturen verlangen nach besserer Organisation? Was könnten das für soziale Grundbedürfnisse sein?

(5) . Offenheit

Die Zyklen externer Innovation und interner Assimilation, die die Industrie erneuern, basieren oft auf offenen Standards und Interfaces, die den Spielraum für den Wettbewerb definieren. Wie die Balance zwischen offenen Standards und geschlossenem Eigentumsrecht gehalten wird, ist eine der Schlüsselfragen für die Zukunft der Kommunikation. Diese Balance ist nicht leicht zu erreichen.

Die verbreitetsten sozialen Applikationen im Internet oder, genauer gesagt, jene Versionen, die sich durchsetzten, basieren auf offenen Standards. Für all jene, die die Funktionalitäten und Schnittstellen der Zukunft entwerfen, lautet daher die Herausforderung: Wo haben wir es mit offener und wo mit geschlossener Architektur zu tun? Wie und wann wird der Übergang zwischen offener und geschlossener Architektur vollzogen?

(6) . Einfachheit

In einer Zeit zunehmender Komplexität und rasanter Produktentwicklung, die mehr und mehr vom inflationären Überangebot an Technologie und Funktionen gekennzeichnet ist, suchen die Menschen das Gegenteil. Sie sehnen sich nach einfachen und sinnlichen Dingen. Das Interaktionsdesign steht vor der Herausforderung, diese Komplexität – die dunklen Kanäle interaktiver Objekte – zu verbergen – das ist vielleicht die Design-Herausforderung unserer Zeit.

Mit den Worten des Bassisten Charles Mingus: „Das Einfache kompliziert zu machen, ist etwas Alltägliches, das Komplizierte zu vereinfachen, massiv zu vereinfachen, das ist Kreativität.“ Die Herausforderung bleibt: Wie verbergen wie die (irrelevante) Komplexität der Objekte, während wir gleichzeitig die Flexibilität aufrechterhalten? Wie entwerfen wir schöne Objekte, die einfach funktionieren?


(7) . Gerechtigkeit

Die letzte Herausforderung fokussiert wie auch die erste das Normative. Clay Shirky hat kürzlich über die vernetze Welt des Blogging geschrieben: „Die interessante und schwierige Frage lautet: Da es Ungleichheit anscheinend geben muss, wie geht man damit um?“ Ich denke, wir stehen vor einer explosionsartigen Zunahme an Arbeit, deren Aufgabe es ist, die Entstehung und die Auswirkungen dieser unvermeidlichen Ungleichheit zu verändern ... und ich bin optimistisch, was diese Veränderung anbelangt, da ich glaube, dass es überaus produktiv sein wird, wenn man sich darauf konzentriert, was tatsächlich möglich ist, anstatt nur utopische Erklärungen abzugeben.“ Ich kann dem nur zustimmen und bin ebenfalls optimistisch.

Innerhalb des Fortschritts müssen wir nicht nur über die Verteilungswirkungen der verschiedenen Architekturen und Tools der Systeme nachdenken, über die Rollen verschiedener Erweiterungsmechanismen, um Joi Ito zu zitieren. Wir müssen uns auch auf die schwierigen normativen Fragen konzentrieren: Welche Arrangements der Ungleichheit sind anderen vom Standpunkt der Gerechtigkeit aus vorzuziehen? Wie legitimieren wir vor einander die Regeln, Architekturen und Tools, die wir in einer Welt sich frei formierender Netzwerke akzeptieren?

Derek Parfit schreibt gegen Ende seines ambitionierten Buchs Reasons and Persons (1984): „[Unsere vielen falschen Vorstellungen über Gerechtigkeit und Ethik] haben in den kleinen Gemeinschaften, in denen der Großteil der Menschheit die meiste Zeit lebte, keine Rolle gespielt. In diesen Gemeinschaften wurde nur jenen geschadet, die anderen massiv schadeten. Die meisten leben heute allerdings in großen Gemeinschaften. Die negativen Auswirkungen unserer Handlungen können nun Tausende oder sogar Millionen von Menschen betreffen. Falsche Vorstellungen sind heute schwere Fehler.“ Fehler, die zunehmend bedrohlicher werden.

Bei der Auseinandersetzung mit diesen Themen können wir die Gegenwart im Rückblick auf die Vergangenheit verstehen. John Rawls hat es treffend formuliert: „Die Aufgabe besteht darin, eine allgemein gültige Auffassung von Gerechtigkeit zu artikulieren, mit der alle, die eine bestimmte Einstellung zu sich und ihrem Verhältnis zur Gesellschaft haben, einverstanden sein können. Und obwohl dies die Überwindung theoretischer Schwierigkeiten implizieren kann, hat die praktische soziale Aufgabe Priorität.“
Eine allgemein gültige Auffassung von Gerechtigkeit für sich frei formierende Netzwerke –dies könnte unser gemeinsames Ziel sein.

Aus dem Englischen von Martina Bauer