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Ars Electronica 2005
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Hybrid Creatures and Paradox Machines




„Neue Kreaturen zu entwerfen ist einfach witzig“
Die Amazon.de-Redaktion in ihrer Wertung des Anfang 2003 erschienen
Computerspiels „Impossible Creatures“


Als eine der ersten Motive prägen hybride Kreaturen in der frühgriechischen Kunst die unterschiedlichsten Objekte. Die Kunstgeschichte interpretiert diese Mischwesen als Gegenentwürfe zur Kultur der Griechen, als Inbilder für die barbarische Peripherie der Welt. Hier siedeln auch die absonderlichen, aus der Antike bekannten Mischwesen in Umberto Ecos Roman Baudolino, auf die die Titelfigur während ihrer langjährigen Suche nach dem sagenhaften Reich des Priesters Johannes stößt.

Bei diesen Kreaturen handelt es sich nicht um Erfindungen Ecos, sie haben ihre Quelle u. a. in dem im Mittelalter weit verbreiteten Reisebericht von Johannes von Mandeville (14. Jahrhundert) – einem Bestseller seiner Zeit. Wie Baudolino hält Johannes von Mandeville die Fiktion authentischer Reiseerlebnisse aufrecht; realiter ist das Werk fast zur Gänze aus den Bibliotheken der Reise-, Legenden- und historiographischen Literatur kompiliert.
Heute findet die symbolische Konfrontation des Monströsen, der imaginierten Welt, mit den– nicht nur in der Antike – meist mit Überlegenheit assoziierten Vorstellungen vom Realen sein Pendant in den gesellschaftlichen Problemen im Gefolge der Hybridisierung globalisierender Kulturen. Wobei die semantische Verwandtschaft von „hybrid“ und „Hybris“ nach wie vor bezeichnend zu sein scheint.

Denn die als real angenommene Vorstellungswelt wurde zwar sukzessive und relativ rasch durch Naturbeobachtung korrigiert, an der Dominanz von Realität durch majoritäre Annahmen und die Dünkel der Prävalenz hat sich in den Epochen weniger geändert.
In Umkehrung der antiken Bedeutung hybrider Kreaturen hat Donna Haraway genau dieser Kultur der prävalenten Dichotomien mit ihrer Cyborg-Metapher wiederum eine hybride Kreatur entgegen gestellt und damit das utopische Potenzial eines Denkens postuliert, das sich von überkommenen mechanistischen Prinzipien und Kategorisierungen abwendet.

Haraways Gegenentwurf konzentriert sich exemplarisch auf die Schnittstelle Geschlecht – ein Motiv, das beispielsweise der australische Sciencefiction-Autor Greg Egan in seinen Romanen Qual und Diaspora zur Schilderung gesellschaftlicher Szenarien aufgreift, die einer Hybridisierung zu einem dritten Geschlecht erwachsen.
Popularkultur und Kunst sind für solche metaphorischen Mischwesen und „Junggesellenmaschinen“ schon seit geraumer Zeit ein höchst attraktiver Tummelplatz, wenn auch überwiegend einer der Mahnung und des Schreckens.

Die Besetzung reicht von der ins Leben erwachten Skulptur des Bildhauers Pygmalion über den Golem der jüdischen Mythologie und die unheimliche Puppe Olimpia aus E. T. A. Hoffmanns Novelle Der Sandmann bis hin zu Mary Shelleys von Dr. Frankenstein erschaffenen Monster, von Villiers de l’Isle Adams Eve future über die monströse Menagerie aus H. G. Wells Roman Die Insel des Doktor Moreau und die Roboterfrau Maria aus dem Film Metropolis von Fritz Lang bis zu Phillip Dicks Replikanten in seiner Novelle Träumen Roboter von elektrischen Schafen und deren Verfilmung durch Ridley Scott, Blade Runner.

Im Alltag setzte 1996 mit dem von der von der japanischen Erfinderin Aki Maita entwickelten Tamagotchi eine Art Domestizierungseffekt in der Rezeption von künstlich geschaffenen Lebewesen ein. In deren Traditionslinie sind unterdessen diverse Computerspiele zu sehen (die Rolle der Tamagotchis haben gegenwärtig wohl Mobiltelefone übernommen); und während sich in der Plage der zur Reproduktion und Mutation fähigen Computerviren eine neue Schreckensfunktion (mit politischen Implikationen) realisiert hat, wurde auf den Bildschirmen das zur Unterhaltung, wovon der politisch und sozialkritisch engagierte Wells nach warnend erzählt hat: Seien es in Gestalt der Norms aus dem Spiel Creatures, seien es die Impossible Creatures aus dem gleichnamigen Echtzeit-Strategiespiel, in dem die DNS verschiedener Tiere gesammelt und im Labor kombiniert wird.

Die vermutlich avanciertesten, zugleich umstrittensten Beispiele der zeitgenössischen Kunst zu diesem Thema stammen von Eduardo Kac. Nach Alba, einem durch die Implantation eines Gens grün fluoriszierenden Kaninchen, entstand die Installation The Eighth Day– ein ganzes Ökosystem mit transgenen Amöben, Fischen, Mäusen, Pflanzen und einem so genannten Biobot (Bioroboter), dessen Aktivität vom Wachstum der Amöben einerseits und durch Beobachter via Internet abhängig war.

Heute sind Robotik, Bionik, Bio-Engineering Dauerbrenner auf dem Markt der Techno-Hypes– obwohl hoch geschraubte Ankündigungen und sichtbare Ergebnisse meist noch immer sehr weit auseinanderliegen. Es sind aber auch Begriffe, die nach wie vor eng mit archaischen Vorstellungen von der Imitation und Verbesserung der Natur verknüpft sind und in einem Zusammenhang Befürchtungen und Hoffnungen gleichermaßen stimulieren.

Die Ausstellung Hybrid Creatures and Paradox Machines zeigt aktuelle Annäherungen von KünstlerInnen an diese Thematik: kunstvoll konstruierte Apparate, erfrischend ironische Paraphrasen und poetisch-nutzlose Maschinen, Verbindungen von realen und virtuellen Erscheinungsformen, pseudo-intelligente Software-Agenten, aufmüpfige Digital Characters.
Das Konzept von Hybrid Creatures and Paradox Machines entstand im Austausch und in Kooperation mit der e-Golems-Biennale.


Die e-Golems-Biennale
Juan E. Fleming


Die Figur des Golem, eines mit dem Prager Rabbi Loew aus der Zeit Rudolfs II verbundenen homunculus, der auch die Titelfigur des Gedichts Der Golem von Jorge Luis Borges ist, stand Pate für die Biennale. Dem Kabbalisten Gerschom Scholem zufolge ist er metaphorisch mit dem Computer und dessen wissenschaftlichen und technischen Entwicklungen verbunden. Darüber hinaus ist der Golem ist auch mit dem „Roboter“ – einem Begriff, den Karel Capek in seinem 1922 uraufgeführten Stück R.U.R. („Rossum Universal Robots“) prägte – verbunden, genauso wie mit künstlicher Intelligenz und Realität, Kybernetik, Nanotechnologie und dem Internet.

In diesem Kontext ist auch das Buch God and Golem, Inc. von Norbert Wiener, dem „Vater“ der Kybernetik, von Relevanz. Die Bezeichnung e-Golems verweist also auf die „elektronischen Golems“, die aus dem Einsatz und den Anwendungen von Computern entstanden sind.
Die erste Ausgabe der e-Golems- oder electronic-Golems-Biennale fand vom 2. bis 5. Juli 2005 in Prag statt.

Das Hauptthema der Diskussionen drehte sich um die „Interdisziplinären Aspekte der Koexistenz und Kooperation von Mensch und Maschine“.
Die Biennale entstand aus einem Vorschlag Argentiniens an die Tschechische Republik, die bilateralen Beziehungen zwischen den beiden Staaten durch eine Veranstaltung zu einem Themenbereich zu fördern, der von beiderseitigem Interesse wäre. Gleichzeitig sollte sie auch einen Beitrag zum Fortschritt auf kulturellem, wissenschaftlichem und technischem Gebiet leisten und für interessierte Wissenschaftler, Forscher, Intellektuelle und Künstler aus der ganzen Welt zugänglich sein.