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medialabmadrid


'Karin Ohlenschläger Karin Ohlenschläger / 'Luis Rico Luis Rico

Zwischen Grundlagenforschung und kulturellem Impakt
Wenn wir die These des nordamerikanischen Physikers William Day akzeptieren, dass Bewegung Raum und Struktur generiert, so liefert sie uns eine recht einfache Erklärung für die Entwicklung des medialabmadrid. Eine internationale Ausstellung und Vortragsreihe zum Thema Kunst, Wissenschaft und Technik (www.cibervision.org) brachte Anfang 2002 so viel Bewegung in das ansonsten sehr solide Kunst- und Ausstellungszentrum Conde Duque in Madrid, dass sich der Anspruch eines permanenten Begegnungsraumes und Programmstruktur fast von selbst ergab.

So begann es kurz darauf mit der Organisation eines kleinen, offenen Labors, das wie ein Fraktal für Produktion, Forschung, Ausbildung und Ausstellungen transdisziplinären Charakters konzipiert wurde.
Ein enger Flur, der gerade mal 50 Quadratmeter hatte, und ein Dutzend Computer, viele Ideen, Knowhow und noch mehr Enthusiasmus waren die Grundausstattung eines der inzwischen dynamischsten transdiziplinären Medienzentrens Spaniens. Getragen von der Kulturabteilung der Stadt Madrid, versteht sich der experimentelle Charakter des medialabmadrid (www.medialabmadrid.org) vor allem als Katalysator für Projekte und Personen mit lokaler Anbindung und gleichzeitig internationaler Ausrichtung. Die offene, modulare Struktur seiner Aktivitäten erstreckt sich heute auf die etwa 300 Quadratmeter großen Lounge, Workshop und Produktionsbereich, während das simultane Ausstellungsprogramm bisweilen über 3000 Quadratmeter des Centro Cultural Conde Duque verfügt, eine ehemalige Militärkaserne des 17. Jahrhundert und heute einer der größten städtischen Ausstellungsräumen.

Eines der Hauptziele dieses jungen, drei Jahre alten Medienzentrums ist die Erforschung und Sichtbarmachung der komplexen Beziehungen zwischen den biologischen, gesellschaftlichen, technologischen und kulturellen Systemen. In diesem Zusammenhang sind drei sehr verschiedenartige Entwicklungs- und Koproduktionsprojekte zu erwähnen. Das erste, Algorithmic Echolocation, ist von dem spanischen Biologen Ramon Guardans konzipiert und in seiner ersten Version gemeinsam mit dem ZKM und einer Gruppe von Informatikern und Künstlern produziert worden.

Hierbei handelt sich um die Entwicklung eines Programmes, das es erlaubt die biogeophysichen Daten von 420.000 Jahren Erdgeschichte in Bild und Sound interaktiv erfahrbar zu machen.
Auch das aktuelle Entwicklungsprojekt Gnom des jungen kolumbianischen Matematikers und Medienkünstler Santiago Ortiz ist eine Koproduktion, in diesem Falle in Zusammenarbeit mit der Protein Design Group des Nationalen Zentrums für Biotechnologie (CSIC). Hierbei geht es um die Entwicklung eines interaktiven Programmes, das die Beziehungen und Rekombination genetischer Code visualisiert, um der genetischen Sprache und seiner Variationen näherzukommen.

Ganz anderer Art ist dagegen das Beispiel von Bordergames der spanischen Künstlergruppe La Fiambrera Obrera. Hierbei handelt es sich um die Entwicklung einer Open-Source-Softwares, die es jugendlichen, oftmals illegal in Madrid lebenden Ausländerkindern möglich macht, eigene Videogames zu konzipieren. Ziel dieser Spiele ist nicht nur die Förderung autonomer Kommunikations- und Ausdrucksformen, sondern langfristig auch die soziale und kulturelle Integration von jugendlichen Ausländern.
Die Entwicklung all dieser Projekte, vor allem in den letzten zwei Jahren, wurde von einem weitergreifenden Workshop- und Vortragsprogamm, aber andrerseits auch von sehr spontanen, offenen Gesprächsrunden begleitet.

Größere Ausstellungsveranstaltungen konnten zudem auch internationale Künstler und Wissenschaftler nach Madrid kommen lassen. An der Analyse und kritischen Betrachtung von Themen wie etwa „Dinamicas Fluidas“, „banquete_metabolismo y comunicación“ oder „banquete_comunicación en evolución“ (www.banquete.org), beteiligten sich im Laufe der Jahre Wissenschaftler wie Roger Bartra, Fritjof Capra, Lynn Margulis, Otto Rössler, Dorion Sagan, Vandana Shiva oder Ingrid Volkmer, und Künstler wie Marcel.lí Antúnez, Ricardo Domínguez, Peter Fend, Daniel García Andujar, Golan Levin und Zachary Lieberman, Cesar Martínez, Neokinok TV, Platonic oder Ken Rinaldo, um hier nur einige wenige zu nennen.
Die Ausstellung und das Seminar mit dem Titel „Cibervisión_dinámicas fluidas“ schlug einen weiten Bogen von der Physik der Flüssigkeit bis hin zur Dynamik komplexer, autopoietischer sozialer, ökonomischer oder auch medialer Systeme. Kontextbezogene Überlegungen zu den Strukturen, Prozessen und Verhaltensweisen vom Denk und Wahrnehmungsfluss bis hin zum globalen Kommunikations und Kapitalfluss wurden dabei über die künstlerische Beiträge konkret erfahrbar.

Nachdem uns diese erste Veranstaltung von der Physik zur Soziologie geführt hatte, beschäftigte sich die folgende Ausstellung banquete_metabolismo y comunicación zunächst mit der Umwandlung von Materie, Energie und Information, um dann die Interaktionen zwischen Substanzen und Ideen, die Synergien von Emotionen und die Transformation oder von Bildern, Klängen und Zeichen zu untersuchen. Indem „banquete_“ den Entsprechungen zwischen den Prozessen des Metabolismus und der Kommunikation nachging, regte die Ausstellung dazu an, über unsere Konsumgewohnheiten, Kommunikationsformen und Beziehungen zur Umwelt nachzudenken.

Der Gang durch „banquete_“ beschrieb einen transdisziplinären Raum, verknüpft durch Dynamiken, die in verschiedenen Maßstäben und in verschiedenen Kontexten ablaufen: ob in einer Bakteriengemeinschaft oder im menschlichen Körper, in den Dialogen zwischen einer Küche, einer Markthalle und einem Tisch oder in den Flüssen, die ein städtisches Gewebe, ein Telekommunikationsnetz oder ein Ökosystem durchziehen. Und so könnte man sagen, dass seit dem ersten Informationsaustausch zwischen Mikrozellensystemen - in der Sprache der Chemie – bis hin zur Produktion heutiger kollektiver Bilderwelten, die Informations- und Kommunikationsflüsse auf die metabolischen Prozesse einwirken und das Verhalten der Lebewesen ständig beeinflussen.

Bei der jüngsten Auflage von „banquete_comunicación en evolución“ wurden der Ursprung und die Entwicklung des Lebens unter dem Gesichtspunkt der Kommunikation analysiert. Dabei wurde davon ausgegangen, dass die Kommunikation einem dem Leben inhärenten Prozess entspricht und somit unsere Biosphäre auch als Infosphäre verstanden werden kann, in der Signale aller Art im ständigen Austausch miteinander interagieren. Somit existiert alles Leben als Teil eines konstanten Informationsflusses, der sich durch Labyrinthe von Membranen und Projektionsflächen schlängelt. Bakterien und Bits, Samen und Neuronen, Worte, Körper und Maschinen produzieren so Morphologien und Verhalten; Kommunikationsnetze biochemischer, genetischer, verbaler oder hochtechnologischer Art, die enger miteinander verflochten sein könnten, als wir es ursprünglich annehmen wollten. Dabei sind Thesen wie die der international renomierten Biologin Lynn Margulis sicher aufschlussreich, insofern sie die anthropozentrisch orientierte Trennung von Natur und Technik in einem ihrer jüngsten Vorträge in Madrid schlechthin für überholt hielt und stattdessen behauptet, dass die technologische Entwicklung unserer Gesellschaft teil der Evolution der Lebensprozesse ist.

So stehen wir sicherlich erst am Anfang einer neuen Entwicklung die damit begonnen hat, unserem dikotomischen Wahrnehmungs und Denkensystem neue Wege in komplexe offene Strukturen zu öffnen, die uns unter anderem auch über neue Techniken und Visualisierungprozesse erfahrbar gemacht werden können.



Ecolocación Algorítmica EA05b (Algorithmic Echolocation EA05b)
Ramon Guardans, Adolf Mathias and Enrique Tomás


Schon seit jeher werden zur Beschreibung weit entfernter Ereignisse Projektionen konstruiert. Landkarten, astronomische Tabellen und zahlreiche Formen des Almanachs dienen der Menschheit dazu, Wege durch Raum und Zeit zu finden.
Die algorithmische Echolokation dient zur Erforschung der Dynamik von Signalen verschiedenster Form und unterschiedlichsten Ursprungs. Dabei wird ein Datensatz in einem mikro- und makroskopischen Maßstab, der unterschiedliche räumliche und zeitliche Größen umfasst, verarbeitet und durch harmonische Analyse transformiert.

Auf diese Weise kann ein Konnex zwischen unterschiedlichen Wissensgebieten und Kontexten hergestellt werden, wie z. B. der Reaktion von Organismen und Ökosystemen auf Verschmutzung und Umweltveränderungen, der Bindung freier Radikale innerhalb von nur Sekundenbruchteile dauernden molekularbiologischen Prozessen oder der Analyse wirtschaftlicher Daten. Die Anwendungsmöglichkeiten dieser Methode reichen von wissenschaftlicher Forschung und Visualisierung bis hin zu interaktiven VR-Installationen im Bereich Kunst und Kommunikation.

Das Projekt geht auf die Analyse wichtiger Erkenntnisse zum globalen Stoffwechsel zurück. Die Daten stammen von einem Eisbohrkern der antarktischen Forschungsstation Wostok und enthalten Informationen über die Veränderungen der chemischen Zusammensetzung der Atmosphäre während der vergangenen 420.000 Jahre.

Ramon Guardans, Adolf Mathias and Enrique Tomás. EA05 presents the current state of development of a project that was started in 2002 in a collaboration of medialabmadrid, ZKM Karlsruhe and soundplots. The first operational installation was presented in Karlsruhe and Madrid in 2003.


Bordergames
La Fiambrera Obrera


Bordergames befasst sich mit den unzähligen Problemen von Teenagern in den Immigrantenvierteln der Städte in den „Erste-Welt“-Ländern und untersucht deren Ursachen und Auswirkungen sowie mögliche Alternativszenarien.
Bordergames ist ein Arbeitsumfeld, eine Plattform, die jungen Maghrebis im Rahmen von Workshops zur Verfügung steht. Die Benutzer können selbst entscheiden, welche Geschichten sie erzählen, auf welche Ungerechtigkeiten sie hinweisen und an welchen Aspekten ihres Lebens sie künftige Spieler von Bordergames teilhaben lassen möchten.

Hauptziel des Projekts ist die Konstruktion eines Werkzeugs (im Videospiel-Format), das jungen Menschen hilft, ihre Persönlichkeit zum Ausdruck zu bringen und organisatorische Selbstständigkeit zu entwickeln. So können sie ihre eigene Lebensrealität und die ihrer Gemeinschaften in einer Umgebung darstellen, die kulturelle Traditionen mit ihrem aktuellen urbanen Lebenskontext vermischt. Zugleich wird Bordergames als Instrument zur politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Koordination und Kommunikation dienen, das es den Benutzern ermöglicht, Gemeinschaftssinn und Zusammengehörigkeitsgefühl zu entwickeln und über das Medium Spiel einen Informationspool aufzubauen.

Bordergames is a project of La Fiambrera Obrera in collaboration with medialabmadrid
Concept: La Fiambrera Obrera
Programming: Raúl Mellado
3D graphique design: Guillermo Bollaín
Educational project: Said El Azzouzzi



Q + G (Quiasma project and GNOM / genetic networks from within)
Santiago Ortiz


Von Konflikt und Zelebration zu genetischen Netzwerken
Von Kolumbien zu Escherichia coli


Q + G ist die Evolutionsgeschichte zweier Projekte, die thematisch sehr weit voneinander entfernt sind, sich aber strukturell sehr nahe stehen. Beide Installationen weisen dieselbe Konstruktion auf: zwei digitale Schnittstellen mit beinahe identischem interaktiven Verhalten. Die eine zeigt ausführlich Zelebrationsriten aus Kolumbien, durchsetzt mit Gewaltszenen, während die andere die Struktur der genetischen Interaktionen im Genom eines Escherichia coli-Bakteriums enthüllt.

Beide Projekte verwenden zwei Schnittstellen zur Erforschung des sozialen bzw. genetischen Netzes. Bei der ersten – Oracle – handelt es sich um ein rundes Interface, das einen hohen Grad an Kontrolle bei der Knotenauswahl erlaubt, sodass eine vollständige Visualisierung des Beziehungsgeflechts möglich wird. Die zweite – Landscape Interface – ist ein 3D-Tool zur räumlichen Erkundung und beruht auf der Metapher einer Reise durch eine flache, endlose Landschaft zwischen untereinander verbundenen Knoten.

www.moebio.com/santiago/gnom

Q: Quiasma project
Clemencia Echeverri, artist and lecturer, National University of Colombia
Bárbara Santos, artist
Andrés Burbano, cinema and television producer, lecturer, University of the Andes, Colombia
Santiago Ortiz, mathematician, artist, programmer

G: GNOM / genetic networks from within
Co-produced by medialabmadrid and the Protein Design Group from the Centro Nacional de Biotecnología
(CBN / CSIC) at the Universidad Autónoma de Madrid in collaboration with Pedro Ortiz from the Institute for Nanoscale Science and Technology at the University of Newcastle Upon Tyne
Pedro Ortiz, Institute for Nanoscale Science & Technology
Santiago Ortiz, mathematician, artist, programmer
Luis Rico, co-director medialabmadrid.
Alfonso Valencia, Protein Design Group