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Ars Electronica 2005
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Festival 1979-2007
 

 

Visualisierte Musik
Ein altes und neues Thema

'Wolfgang Winkler Wolfgang Winkler

Das diesjährige Festival Ars Electronica mit dem Thema Hybrid – living in paradox versucht den aktuellen Zustand unserer Gesellschaft nicht nur in der Kunst zu analysieren.
Die Welt ist dank moderner Medien kleiner geworden, die Gesellschaften und deren Kulturen sind zusammengerückt. Europa wähnte sich in den vergangenen Jahrhunderten als der Mittelpunkt jeglicher kulturellen Entwicklung und negierte dabei mit großem Erfolg, dass es schon lange vor Europa eine Hochkultur in China, Ägypten, Mesopotamien gegeben hat – um nur drei zu nennen. Es verschweigt in seiner Geschichtsschreibung großteils die Entwicklungsstränge, die aus diesen Kulturen nach Europa eingeflossen sind und Europa letztlich zu dem gemacht haben, was es meinte zu sein – der Mittelpunkt der kulturellen Welt.

Diese Eurozentrik hat sich bis in das 21. Jahrhundert erhalten.
An Begriffen wie „außereuropäisch“ oder z. B. „die Kulturen Südamerikas“ wird spürbar, dass Europa immer noch versucht, seine scheinbar führende Stellung innerhalb der Kulturen zu halten, ohne zu merken, dass diese Position eine mittlerweile gestrige ist. Nur beispielhaft sei auf die Ragas Indiens oder die Maquams des Nahen Osten hingewiesen, die eine Komplexität aufweisen, die ein Publikum, das einen Dreiviertel- und Vierviertel-Takt gewöhnt ist, nicht mehr nachvollziehen kann. Es ist bezeichnend für die selbstgerechte Haltung Europas, dass schon die Tanzrhythmen Bulgariens oder Rumäniens nicht mehr wirklich begreifbar sind, sie sind schon zu komplex.

Umgekehrt ist der Einfluss, den Europa z. B. in der Musik auf Teile der Welt ausgeübt hat oder noch immer ausübt, nicht gering zu achten. Er war oft genug geschmacksbildend, oft genug Basis für eine andere Entwicklung, oft aber auch Ansatz zur ästhetischen Gleichmachung. Verfolgt man diverse internationale Kompositionswettbewerbe, wie z. B. das Rostrum der Unesco, so ist leicht hörbar, dass Europa einen durchaus unheilvollen Einfluss auf gewachsene Musikkulturen in anderen Ländern ausüben kann. Letztlich klingen alle dort gehörten Werke, als kämen sie gerade aus Donaueschingen, dem europäischen Symbol für zeitgenössische Musik, das allerdings selbst Geschichte geworden ist.

Dass dieser Zustand von Eurozentrik innerhalb der Kunst nicht stimmt, ist ein Hinweis dafür, dass wir schon lange in einer hybriden Gesellschaft leben, ohne es aber zu realisieren. Musikkulturen werden schon seit jeher mit den jeweiligen Entwicklungen in der bildenden Kunst und der sozialen Struktur der Gesellschaft in Verbindung gebracht. Mozart hätte die Anschuldigung, dass er von anderen Themen oder Melodien gestohlen habe, gar nicht verstanden. Solche moralischen Unterstellungen hatten zu seiner Zeit keinen Boden. Die Vermischung verschiedener Ästhetiken geht über die Musik weit hinaus.
Musik hat sich immer schon mit dem Wort in Form des Liedes verbunden.

Es ist eine ebenso langwierige wie sinnfreie Diskussion, welche Inhalte in einem Lied von der Musik und welche vom Text transportiert werden. Es ist einfach das Lied an sich. Musik und bildende Kunst sind nicht erst seit Kandinsky und Klee eine Verbindung eingegangen, sondern waren immer schon Partner in der Rezeption von Kunst. Es ist unmöglich, hier die zahllosen Beispiele dafür anzuführen, aber es sei wenigsten auf Skrijabin und sein Farbenklavier hingewiesen, oder auf wissenschaftliche Untersuchungen darüber, inwieweit Licht- und Schallwellen miteinander korrelieren. In der Oper schließlich ist die Welt der Architektur, Musik, Literatur und der bildenden Kunst bereits zu einer eigenen Kunstform verschmolzen. Die zeremonielle Musikdarbietung in der Antike hatte meinst dieselben Partner.

Wenn also Ars Electronica und Brucknerhaus ein Schwerpunktprogramm innerhalb der beiden Festivals Ars Electronica und Brucknerfest unter dem Schlagwort „Visualisierte Musik“ initiieren, dann wollen wir nichts anderes, als auf diese Vermengung, Überlappung und auf das Zusammenwirken der Künste verweisen. Dass dazu auch noch die Technologie als Instrument hinzukommt, ist nebensächlich. Der Computer spielt heute die gleiche Rolle wie auch herkömmliche Instrumente, vielleicht mit anderen und weiteren Ausdrucksmöglichkeiten.

Roman Haubenstock-Ramati hat in seiner grafischen Notation einen klaren Entwicklungsstand visualisierter Musik gezeigt. Seine Grafiken sind Partituren im musikalischen Sinne gleichermaßen wie Grafiken im Sinne der bildenden Kunst. Jeder möge sich auf seine Weise diesen Partituren nähern. Das Pionierprojekt des Brucknerfestes 2004 – die Oper Rheingold von Richard Wagner in Zusammenarbeit mit dem Künstler Johannes Deutsch und dem Futurelab des Ars Electronica Center in eine neue Dimension zu bringen – geht ebenfalls in Richtung visualisierter Musik. Sinn dieser Entwicklung ist allerdings nicht, der bessere Regisseur am berühmten Hügel in Bayreuth zu sein, sondern es geht, unabhängig von Richard Wagner, um eine neue Dimension der Bühne und der visuellen Umsetzung.
Letztlich kann man formulieren, dass reine Musik eigentlich nur im Radio vorkommt, wo beim Hören durch persönliche Assoziationen zur jeweiligen Musik ein virtuelles Bild geschaffen werden kann. Alles andere ist letztlich visualisierte Musik. Der Fernsehsender MTV und andere leben davon, aber auch das große Orchesterkonzert im Brucknerhaus ist so gesehen ein Videoclip mit den Musikern und vor allem dem Dirigenten als Hauptdarsteller.

Die Idee hinter diesem Programmschwerpunkt des Festivals Ars Electronica und des Brucknerhauses, der sich in den nächsten Jahren weiterentwickeln soll, ist eine neue Möglichkeit der Umsetzung von Bild und Musik zu finden. Tradition auf diesem Sektor ist allenfalls Anleitung, nie aber Ziel.