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Ars Electronica 2005
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Festival 1979-2007
 

 

Leere,Rauschen und Kontrolle Zu den Arbeiten von Ulf Langheinrich


'Marc Ries Marc Ries

In den Arbeiten von Ulf Langheinrich sind Kontexte, soziale Setzungen, Gesten und Bedeutungen nicht von Interesse. Den Apparaten, mit denen Bilder und Töne erzeugt werden, ist ihr Außen entzogen. Es sind Medien, jedoch ohne Auftrag, nichts wird visualisiert, nichts vertont. Im Zentrum steht das Interesse an der Materialität der Medien, an ihrer Physik. Fragen nach der Konsistenz werden wichtig, nach dem Rauschen und der Leere. Wie gelingt es, Konsistenzen und Veränderungen von Konsistenzen auf einer zeitlichen Ebene zu organisieren? Ein jegliches Medium verfügt über Stoffe, die einen Zusammenhalt – dicht, fest, zäh – definieren. Die Arbeit an dieser Stoffkonsistenz, ihre „Animation“, entbirgt Intensitäten, die sich von der naheliegenden Nutzung unterscheiden.

Eine jede künstlerische Arbeit mit Medien muss auf Vorsprung bedacht sein, muss den aktuellen technischen Stand der Apparaturen kennen, die neuen symbolischen Oberflächen erlernen. Erst im Medium kann auch mit dem Medium gearbeitet werden. Um die spezifische ästhetische Materialität, die ein Apparate-Environment erzeugen kann, zu verstehen und zu gestalten, ist die Entscheidung wichtig, sehr dicht am Medium entlang zu arbeiten, weniger Konzepten als Erfahrungen und Intuition zu folgen. Jeglicher Eingriff muss sich der Unentrinnbarkeit, zugleich der Werkzeughaftigkeit der Materialität des jeweiligen Mediums stellen. 25 Bilder in der Sekunde sind nicht 80 Bilder pro Sekunde. Die Gestaltung bewegt sich von einem technischen Wissen zu exakten Untersuchungen, die nicht an den vorgesehenen externen Anwendungen interessiert sind, sondern zunächst an so etwas wie einem Binnenbildreichtum.

„Seit fünfhundert Jahren sind die Bilder zum Bersten voll: Das ganze Universum zwängt man in sie hinein” (Sartre). Der künstlerische Umgang mit der Materialität der Medien vermag die Bilder und Töne der Übersemantisierung, die sie in ihrer alltäglichen Verwendung erleiden, zu entziehen. Die quälende Sinnfülle, die uns umgibt, der Zwang, alles Mögliche in Bildern zu erkennen oder über sie etwas mitteilen zu wollen, dies alles gilt es zu vermeiden. Reines Weiß. Reines Schwarz. Rauschen. Leere. Nichts. Ziel ist weniger Abstraktion als Auflösung. Die Abstraktion vermag zwar Dinge und Figuren kontinuierlich in formale Werte zu transformieren, Ziel ist jedoch ihre Wiederauferstehung als abstrakte Gesten in einem abstrakten Raum. Auflösung hingegen besinnt sich auf das, was bleibt, wenn alles Erkennbare und Benennbare entzogen, gelöscht ist.

Der Auflösung geht es weniger um Formenwechsel als vielmehr um Prozesse des Zerbröselns, um Fragmentierung und Entgestung, um Parameterreduktion, um ein Zum-Verschwinden-Bringen. Hohe Auflösung herrscht hier im doppelten Wortsinn: mehr Pixel und weniger Parameter. Zu sehen sind dann etwa Flächen, Streifen, Vibrationen. Primärmaterie in Bild und Ton. Der Sound wird modellhaft eingesetzt. Auch wenn es keinen gibt, klingt das Bild, weil es als Sound gedacht ist. Ihm kommt jenes Attribut zu, das den Arbeiten ihre vielleicht prägnanteste Erfahrung vermittelt: das Rauschen. Doch kann man Rauschen erfahren, also verstehen? Es gibt das weiße, helle Rauschen, das Bedeutung auflöst und auf der visuellen Ebene als weiße oder graue Fläche erkennbar ist.

In informationstheoretischer Sicht wird dieses Rauschen als Hindernis, als Störung bei der Informationsübertragung, verstanden, in ästhetischer Sicht jedoch wird die Störung konstitutiv für den Formwillen. Zum anderen gibt es ein eher schwarzes Rauschen. Rauschen hier verstanden als ein Dröhnen, als dunkle Materie, dichte Konsistenzen, Schwere, ein bereits gefiltertes Rauschen mit zerklüfteten Frequenzgängen. Für dieses komplexe, malerische Rauschen ist das Videobild ungeeignet, es bedarf eines Bildes mit einer hohen Auflösung, eines verdichteten Bildes. Erst dann wird es möglich, innerhalb des Rauschens viel zu sagen, das Rauschen also nicht mehr als kreative Störung alleine einzusetzen, sondern als gestaltbare Materie, Masse, Stofflichkeit. Das Modulieren dieser Rauschmasse passiert auf einem hohen Level gesetzter Intensitäten, auf welchem minimale Dinge verhandelt werden, kleinste Veränderungen stattfinden, vielleicht auch micro-stories sich ereignen.
Mit dem Rauschen entströmt die Leere.

Leere zum einen als komplette, als radikale Entgestung. Sie tritt dann ein, wenn alles, was mit dem Konstrukt des Ich zu tun hat, eliminiert ist, rausfällt. Das Rauschen ist insofern auch aggressiv, zumindest sehr nachdrücklich, etwas, das ursprüngliche Ich-Gesten überlagert, verdeckt und zersetzt – und es dennoch enthält, nicht mehr sichtbar und doch darin aufgelöst. Die einzig vorhandene Ordnung ist die einer übergeordneten Architektur, eine Art Meta-Vorgabe, allerdings ohne Intentionalität. Ansonsten gibt es nur die immer gleichen Oszillationen, quasi kristalline Ordnungen. Die andere Leere ist die eines neuen Mischverhältnisses, die Konsistenzen der eingesetzten Materie werden so weit verdünnt, dass sie leer erscheinen, ganz weiß oder ganz schwarz, auch kein Rauschen mehr, gar nichts mehr. Ein völlig statisches Toncluster, ohne Animation, ohne Driften und Modulation – wenn also das Erfahrene so dünn, so unscharf und fragil ist, dass es nicht mehr räumlich verortbar ist – impliziert immer noch nicht, dass gar nichts ist – es gibt immer noch die Töne.

Und es ist immer noch möglich, Amplituden von Licht- oder Tonfeldern zu verändern, man kann immer noch „etwas“ auf der Zeitebene darstellen. Das heißt, auch die Leere ist . Sie ist eine visuell-auditive Erfahrung, die nunmehr stofflich-ästhetischer Teil der anderen Existenz wird, der Außenwelt. Die Leere, gleich dem Rauschen, ist nicht Negation oder Nicht-Information, sondern Setzung eines Zustandes, einer dritten Spezifität, also eines Besonderen, eines Eigentlichen, eines entscheidend anderen Weltbezugs.
„Das moderne Kunstwerk steht im Zeichen der Vereinigung des Eigentlichen mit dem Ephemeren“ (Habermas). Der Arbeit mit Medien, mit technisch generierten Bildern und Tönen, haftet als conditio sine qua non Gegenwart an, „flüchtige vergängliche Schönheit des gegenwärtigen Lebens“ (Baudelaire), wobei dieses Schöne zumeist der Materialität der Bilder, der Farbe, der Formen im Tafelbild, der Vibrationen, der Flüchtigkeit und Schnelligkeit, der Zerstückelung und Vielheit im elektronischen Bild geschuldet ist. Zugleich vermag die ästhetische Intervention an dieser Materie ihr Unabänderliches, ja, ihre transzendenten Werte hervorzuholen. Das Rauschen, dem Leere entströmt. Tönendes und flackerndes Nichts.

Dieses Programm bedarf zum einen einer allgegenwärtigen Kontrolle. Es muss sehr viel ausgegrenzt werden, damit etwas atmen kann, damit ein wenig Eigentlichkeit möglich wird. Willkür und Zufall sind ausgeschlossen, größtmögliche Planbarkeit, Voraussehbarkeit also Steuerbarkeit der Resultate sind unhinterfragbare Ziele. Zum anderen – und als Konsequenz dieses absoluten Kontrollwillens – erwartet dieses Programm zu seiner Umsetzung eine spezifisch räumliche Vorgabe. Die des white oder black cube. Und die der Installation. Die Stätte des ersten Bewegungsbildes verlangte bereits nach einer Installation, einer räumlichen Ordnung zu seiner Wahrnehmung. Kinoräume regulieren das Verhältnis von Bild und Betrachter in äußerst präziser Weise, die große leere, weiße Fläche an der Wand kann selbst als objekthaft beschrieben werden, die Projektion auch der einfachsten Alltäglichkeit passiert unter exklusivem Ausschluss gerade dieser Alltäglichkeit.

Es bedarf eines in sich komplett homogenen, konsistenten, von aller Syntax entkeimten Raumes, in dem die Arbeit perfekt inszeniert wird, oder besser: Das IST dann die Arbeit. Das heißt, die Größe und Ubiquität der Projektion(en) schafft eine räumliche Anordnung, eine räumliche Plastizität von Ton, Bild und Betrachter, die eine Ununterscheidbarkeit von Werk, Raum und Publikum forciert. Ja, dieses Publikums selbst wird „penetriert“ zum Zwecke seiner Selbstauflösung oder eigentlich zum Zwecke seines Eintritts in einen „submedialen Raum“ (Groys).

DRIFT—live version
Eine audiovisuelle Performance. Bild- und Tonelemente in feinster Auflösung reiben, verschmelzen und brechen. Aus der Wiederholung und Dehnung aller akustischen und visuellen Eindrucke entsteht eine hypnotische Faszination.
Compositing assistance: Wolfgang Schwarzenbrunner and Tanja Tomic
Real Time playback system: Dirk Langheinrich
DRIFT is commissioned and produced by the Australian Centre for the Moving Image / Melbourne,
Curator Mike Stubbs and the Muffatwerk / Munich, curator Dietmar Lupfer.
Supported by Werkstaetten, Kulturhaus Wien and Austrian Federal Chancellery / Department for the Arts.
Special thanks to Richard Castelli & Sarah Ford, Martin Fritz



Waveform B—Installation
Zwei Ausstellungsräume sind symmetrisch aufgebaut und eingerichtet. Durch Projektionen und Stroboskope entstehen für den Besucher jedoch unterschiedliche Raumeindrücke, die sich zudem durch Flimmern und Vibrieren ständig verändern. Der Raum ist, so der Künstler, in „konstanter Oszillation“.

Ulf Langheinrich—Artist Lecture
Ulf Langheinrich berichtet in einem Vortrag über technische Hintergründe, ästhetische Ansätze und künstlerische Absichten seiner Projekte und stellt insbesondere die Arbeiten vor, die während der Ars Electronica 2005 präsentiert werden.