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Ars Electronica 2005
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Die Mechanik der Emotionen


'Jean-Baptiste Barrière Jean-Baptiste Barrière / 'Maurice Benayoun Maurice Benayoun

Emotional Traffic bildet den zehnten Akt des Projekts „La Mécanique des Emotions“, das aus zumindest 13 Akten besteht.
Jeder Akt ist eine autonome Einheit: Er ist Installation, Ausstellung, Website, Performance, Konzert, urbane oder soziale Aktion. Obwohl jeder Akt autonom ist, bildet er doch ein Moment in einer narrativen Bewegung, die die Beziehungen zwischen Welt, Künstler, Werk, Publikum, Kunstmarkt, Machtstrategien und Überlebenstechniken in ästhetische Situationen verwandelt. Mit anderen Worten: Alles, was in der Arbeit impliziert ist, wird hier in einer Tragikomödie inszeniert, die ihren Höhepunkt mit Emotional Traffic erreicht. Emotional Traffic ist ein Konzert, in dem mit den Emotionen der Welt genauso gespielt wird wie mit Musikinstrumenten. Es ist gleichzeitig auch eine Performance, in der man mit den Strömen des Netzes wie mit Fäden spielt, aus denen die zwiespältige Beziehung zwischen Politiker oder Dirigent und Publikum gewebt ist: Fischernetz (das Netz ), Spinnennetz ( Web ) und die Fäden der Marionettenspielers.
Gegenstand von Emotional Traffic sind die Emotionen des Planeten. Sie werden aus dem Web extrahiert wie Mineralien aus dem Inneren der Erde, und in Form von Karten umgesetzt.
La Mécanique des émotions geht von einem Gemeinplatz aus: Das Internet bildet das Äquivalent des Nervensystems der Welt, das uns in Echtzeit den physiologischen Zustand der Welt fühlen lassen kann. World Emotional Mapping ist also eine dynamische Kartografie der Gefühle des Planeten, die aus der Analyse der Resultate von Tausenden Suchanfragen erstellt wird, wobei Ortsnamen (Namen von Städten, Ländern, Kontinenten) mit Begriffen, die ein Gefühl bezeichnen, assoziiert werden. Die Anzahl der Hits ordnet jedem Element, das auf der dynymischen Karte der Emotionen einen Ort darstellt, einen Wert, eine Intensität, eine Dimension zu.
Im April 2005 wurde bei der Ausstellung SFEAR in der Kirche St. Pierre aux Nonnains in Metz die Karte der ANGST auf einen heliumgefüllten Ballon mit 3,5 Meter Durchmesser projiziert. In derselben Kirche wurden Reliquien ausgestellt, die Frozen Feelings – die eingefrorenen Gefühle des Planeten.

Frozen Feelings
Eine Momentaufnahem der Karte der Emotionen (TERRIFIED, 29. 3. 2005, 09:31:17) verzerrt einen virtuellen Ballon, der, sobald „die Luft ausgelassen ist“, von einer digitalen „Fräsmaschine“ beschnitten wird und zum Kunstwerk, zum Objekt der Verehrung
(Reliquie) und zur Transaktion (Kunstwerk) wird.

Emotional Market
Vom Tempel zum Markt: Die Ausstellung „e-Market“ im Mai 2005 verwandelte 700 Quadratmeter der Galerie Bund 18 in Shanghai in eine Luxusboutique. Zwölf Rollbilder projizierten zwölf Gefühlskarten, während dem Publikum zwölf Frozen Feelings präsentiert wurden, begleitet von der Musik der Emotionen, die direkt aus den Karten extrahiert wurde. E-Stock zeigte auf einem LCD-Schirm in Echtzeit den Kurs der Emotionen des Planeten wie Börsenkurse an.

Emotional Traffic
Emotional Traffic präsentiert in Echtzeit den Vorgang der Interpretation und Übertragung von Information. Wenn die Karten der Emotionen wie Partituren gelesen werden, dann muss die Performance wie ein verzweifelter Versuch verstanden werden, die richtigen Filter zur Interpretation und Deutung dieser Partituren zu finden. Da die Karten selbst nur eine verkürzte Repräsentation eines Phänomens darstellen, das man zu interpretieren versucht (indem sie sich des Englischen bedienen), bzw. eine symbolische Repräsentation (da sie das Verbale bevorzugen), wird die Beziehung zum Publikum nur noch zwiespältiger.
Es könnte gut sein, dass die nicht aufeinander abgestimmten Handlungen der Besucher, die sich frei bewegen und ein- und ausgehen können, Systeme zur Aufmerksamkeitsregulierung aktivieren und so eine Möglichkeit zur Partizipation oder Manipulation entsteht, die von der Performance ausgelöst und sichtbar gemacht wird.
Da „La Mécanique des émotions“ Kontexte, Medien und Genres mischt, wird etwas deutlich, was ich „kritische Fusion“ nenne: ein Aktionsmodus, der auf Situationen fußt, in denen Fiktion und Realität, Leben und Spektakel, Virtuelles und Reales interferieren, um die Artifizien des Alltäglichen sichtbar zu machen.
Aus dem Französischen von Ingrid Fischer-Schreiber