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Privatangelegenheiten


'Shu-Min Lin Shu-Min Lin

Während sich unsere Privatheit auflöst, wächst der Wunsch, den Werten unserer Ära neue Bedeutung zu verleihen. „Aufholen“ ist eine Möglichkeit, mit den Veränderungen klar zu kommen, die man ohnehin nur akzeptieren kann.Wir denken viel zu oft an die gute alte Zeit und brauchen viel zu lang dafür, Neues anzunehmen.

In einem chaotischen Kampf verteidigen wir unser Privatheit. Es ist zwar schon eine stabile digitale Welt entstanden, doch ist es fast noch zu früh dafür, verbindliche Gesetze für diese Welt zu erlassen. Die neue Technologie hat Gesetze und Bestimmungen weit hinter sich gelassen. Unser Konzept der Privatheit ist ein Kompromiss zwischen kollektiven gesellschaftlichen Werten und persönlichen Rechten. Was passiert z. B. bei einem Interessenskonflikt, etwa nach dem Muster Exekutive gegen persönliche Freiheit bzw. Schutz der Privatsphäre gegen Redefreiheit?

Neudefinition der Privatheit
Der Feind Nummer 1 der Privatheit ist die Regierung.Mehr Privatheit erfordert weniger Intervention durch den Gesetzgeber. Dieses Paradoxon muss uns bewusst sein, wenn wir von der Regierung mehr Schutz für die Privatheit fordern.Welche Rolle soll die Legislative also beim Schutz der Privatheit spielen? Auch wenn die persönliche Privatheit ein Menschenrecht ist, kann sie im Interesse der Allgemeinheit beschränkt, ja sogar geopfert werden. Aber wer legt die Grenze zwischen Privatheit und öffentlichem Interesse fest?

So wie revolutionäre Technologien unsere Denkweise grundlegend geändert haben, werden im Lauf der Jahre neue Werte die alten ablösen.Wie können wir jedoch in einer sich ständig verändernden Welt flexibel und anpassungsfähig bleiben, ohne unsere bisherigen Prinzipien über Bord zu werfen?

Herzeigen und Hingucken
Besonders komplex sind Belange der Privatheit im Hinblick auf das Internet. Informationen, die zuvor nur mächtigen Institutionen zugänglich waren, können nun von jedermann übers Internet abgerufen werden; und viele ambitionierte Amateure haben Geschmack daran gefunden, Informationen zu ergattern, zu kontrollieren und zu manipulieren. Auch kann man in der virtuellen Welt eine Vielzahl von Identitäten annehmen. Bis zu einem gewissen Grad werden Beschränkungen scheitern, während andererseits die Online-Rollen unterdrückten, unterbewussten Emotionen Luft machen. Für aktive Teilnehmer ebenso wie für passive Betrachter hat sich der Internet- Voyeurismus zur neuen Gruppentherapie entwickelt.

Keep smiling und stell dich den Herausforderungen
Der enorme städtische Bevölkerungszuwachs geht mit zunehmenden Restriktionen einher, die uns die moderne Städteplanung auferlegt. Das Ergebnis sind eingezäunte Siedlungen und gefängnisgleiche Umgebungen.Wir wissen weder,welchen Lebensstil wir wählen sollen bzw. wie wir mit dem Rest der Welt in Konkurrenz treten oder kooperieren sollen. Auf ironische Weise beschreibt Scott Adams in seinem Buch Dilbert Future – Der ganz normale Wahnsinn geht weiter eine halbwegs nette Welt.Überall sind Kameras. Jeder kann sich in eine davon einklinken und aus der Vogelperspektive einen wundervollen Blick auf die Stadt genießen. In dieser Stadt sind wir sicher, denn das Auge des Gesetzes wacht über jeden unserer Schritte und sieht jedes Verbrechen. Die rigide Überwachung in dieser Stadt bedeutet aber auch, dass jeder – sogar jeder Polizist – wie ein potenzieller Verbrecher behandelt wird. Oder genießen wir sogar diese Publicity, die früher den Superstars vorbehalten war? Am besten lächeln wir also recht freundlich, während wir den roten Teppich des Ruhms entlangschreiten.

Aus dem Englischen von Michael Kaufmann