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Mongrel Methods


' Mongrel Mongrel

Mongrel ist eine gemischte Künstlergruppe, die seit nunmehr über 20 Jahren an ihrem Zugang zu Kunst, Medien und sozialem Engagement arbeitet. In unserer Medienarbeit stellen wir eine Reihe von Situationen her, durch die Medien den BetrachterInnen fremd werden, so dass sie zu einem Raum des Vergnügens und Experimentierens, des erweiterten Denkens und Handelns werden können. Es geht uns darum, das gesamte Potenzial der Medien freizusetzen: Signale, Dinge, Themen, Menschen, Handlungen frei untereinander zirkulieren zu lassen; die implizite Bedeutung der Medien selbst aufzudecken – nicht durch Steuerung und Regulierung des Sag-, Zeig- und Hörbaren zu mediieren, sondern dadurch, dass man Mittel bereitstellt, um Zugangskanäle zu öffnen, Energieströme freizusetzen und die Randzonen des Fühlbaren, Wahrnehmbaren, Denkbaren und Vorstellbaren zu enthüllen.

Mongrel arbeitet häufig mit und über marginalisierte Bevölkerungsgruppen, die über wenig Einkommen verfügen, sozial ausgegrenzt sind oder kulturelle Minderheiten darstellen. Unsere Arbeit besteht darin, dass wir die Leute dabei unterstützen, selbst etwas zu tun, soziale Software produzieren und digitale Kunstprojekte durchführen, denen wir dank unserer Verbindungen im Kunstbetrieb zu großer Aufmerksamkeit verhelfen können. Derzeit haben wir Projekte mit der kongolesischen Community in London sowie dem Container Project in Jamaika laufen. Außerdem haben wir Gruppen in südafrikanischen Townships, das Sarai Centre in New Delhi und die surinamische Community in Amsterdam unterstützt.

Mediensysteme

„Mediensysteme“ sind für Mongrel nicht nur Kommunikationsmethoden, für die man eine ein 500-seitiges Handbuch lesen und einen Fünfjahresvertrag unterzeichnen muss. Um das zu verstehen, muss man Mediensysteme (insbesondere „Neue Medien“) zunächst einmal von neuen Technologien trennen. Ein Mediensystem ist lediglich ein Verfahren zur Kodierung von Inhalten zu dem Zweck, sie von einem Ort zum anderen zu befördern. Ein Medium kann zum Beispiel ein Platz auf einem Bahnhof sein, wo man Bücher tauschen und in den ausgeborgten Büchern Kommentare hinterlassen kann („Bookcrossing“). Es kann mit leicht zugänglichen technischen Komponenten operieren und sie auf neue Weise kombinieren, etwa indem es mittels einfacher Streaming-Techniken eine Reihe internationaler Kulturräume in einer gemeinsamen Musiksendung vereint (Skintstream 2005, www.mediashed.org/?q=skintstream). Oder es kann sich an ein bestehendes Netzwerk wie das öffentliche Telefonsystem andocken und eine neue Applikation für eine vorher schwer erreichbare Community entwickeln (Telephone Trottoire 2006, http://www.mediashed.org/?q=trottoire).

MediaShed und Free-Media
Free-Media von der Themsemündung

MediaShed ist eine Mongrel-Intitiative, die im Gefolge unseres Umzugs nach Southend- on-Sea an der Themsemündung entstand. Sie wurde Ende 2005 gegründet und hat ihren Sitz im Victoria Ward-Viertel, einem der sozial schwachen Gebiete der Stadt, das gezielt gefördert wird. MediaShed veranstaltet Kunstprojekte, über die Angehörige der lokalen Community Zugang zu informeller IKT-Ausbildung, Medienproduktion und Distribution lokaler Kunstaktivitäten erhalten. MediaShed ist der erste „Free- Media“-Space im Osten Englands. Es ist ein Ort, an dem man mit Public Domain, Free- und Open- Source-Software, recyceltem Equipment und Enthusiasmus für wenig Geld oder überhaupt umsonst Kunst oder andere Dinge produzieren kann – oder auch einfach nur sagen kann, was man will. Es ist ein Ort, an dem man „frisch von der Leber weg“ reden kann, weil er mit leicht zugänglichen Mediensystemen arbeitet, die ohne unnötige Beschränkungen und Kontrollen auseinander genommen und wieder verwendet werden können.

Video Sniffin’ – ein Free-Media-Projekt (2006)

Video Sniffin’ war das erste von MediaShed vollendete öffentliche Projekt. 2006 begannen MediaShed-Mitglieder mit Video Sniffin’ – dem Auffangen öffentlicher Signale von drahtlosen Überwachungskameras – zu experimentieren. Junge Leute u. a. vom örtlichen YMCA „erschnüffelten“ mit einem billigen Videoempfänger aus einem normalen Elektronikladen Überwachungskameras auf den Straßen.
„Heute beobachten uns Überwachungskameras auf Schritt und Tritt; sie verfolgen, was wir tun und wie wir es tun. Sie sind dermaßen alltäglich geworden, dass wir sie nicht einmal mehr registrieren.“

„Ich fand bei Maplins (einer Elektronikkette) ein billiges Empfangsgerät, verband es direkt mit einer Videokamera und – es FUNKTIONIERTE, es bekam ein Signal!“

„Samstags mache ich mich mit dem Rad auf den Weg, um zu sehen, ob ich was aufspüren kann.“

„Hab jetzt 24 Hotspots.“

Nachdem sie 24 Kameras ausfindig gemacht hatten, fragten sie die Ladeninhaber, ob sie davor mit handgemachten Plakaten, auf denen „CAN’T PAY“,„WON’T PAY“ stand, auf- und abgehen und die Aufnahmen mitschneiden dürften. Die Ladenbesitzer waren angenehm überrascht, dass die jungen Leute auf diese Art einen Film machen wollten, wurden dadurch aber auch genötigt, den Umstand zu überdenken, dass wir ständig unter Überwachung stehen – etwas, das sie bis dahin für selbstverständlich gehalten hatten. Nach Fertigstellung des Films überlegten sich einige der Ladenbesitzer, auf verdrahtete Systeme umzustellen, andere hingegen wollten ihre Kameras neu positionieren.

Netmonster: Bomb Blast und The Duellists – zwei
Free-Media-Projekte für urbane Räume (2007)

Im Mai 2007 wurden Harwood(1) und MediaShed von Futuresonic mit einer Auftragsarbeit für „Art For Shopping Centres“ betraut, womit das Manchester Festival sein Schwerpunktthema, Kunst von der Galerie in den öffentlichen Raum zu verpflanzen, fortführte. Die Auftragsarbeit sollte zehn Tage lang im Arndale Shopping Centre gezeigt werden.

NetMonster ist ein Programm zur Generierung, Montage und fortwährenden Aktualisierung eines aus Internetsuchresultaten bestehenden Bildes. Es ist eine Art Live-Fotomosaikpuzzle, bei dem sich das aus zahllosen Einzelbildern und Texten zusammengesetzte große Bild mit den aktuellen Suchergebnissen verändert.

Bei NetMonster: Bomb Blast nutzte Harwood seine Software, um in einem sich kontinuierlich entwickelnden „Netzwerkbild“ vergessene Zusammenhänge aufzudecken; er zeigte, wie das Arndale- Zentrum und das Stadtzentrum von Manchester aus den Trümmern eines IRA-Bombenanschlags im Jahr 1996 erstanden sind. Die Arbeit fiel rein zufällig mit dem Termin zusammen, an dem Ian Paisley und Gerry Adams eine historische gemeinsame Regierung in Nordirland bilden sollten, und setzte sich kritisch mit den Folgen der bekanntlich unweit des heutigen Einkaufszentrums detonierten Bombe auseinander. Harwoods akribische Untersuchung des Erbes der Zerstörungen von 1996 ergab, dass im Zug der 600 Millionen Pfund teuren Revitalisierung große Teile des einstigen öffentlichen Raums in Privateigentum umgewandelt wurden.

Dies bildete die Basis für die Popintervention von MediaShed in das Videoüberwachungssystem des Einkaufszentrums.Unter der Regie von David Valentine machten wir einen Film mit dem Titel The Duellists, der ausschließlich mit den 250 Kameras der hauseigenen Videoüberwachung gedreht wurde. Der Film entstand unter Mitwirkung von James Hall und Joe Livermore von der Parkourgruppe Methods of Movement; der Soundtrack stammt von Stuart Bowditch von Hybernation. Parkour ist flüssige, ununterbrochene Bewegung, die sich an die Hindernisse in ihrer Umwelt anpasst. Das schien uns die perfekte Möglichkeit zu sein, den privatisierten Raum des Arndale-Einkaufszentrums neu zu imaginieren, ihn zu einem Raum des Vergnügens und Experimentierens zu machen.

The Duellists war auch die erste Anwendung des in Kooperation mit den Eyebeam Studios aus New York entwickelten „Free-Media-Videowerkzeugkastens” gearbox.mediashed.org.

Aus dem Englischen von Wilfried Prantner

www.mongrel.org.uk
www.mediashed.org

(1) Harwood ist künstlerischer Leiter von Mongrel.zurück