Situational Awareness
'Marko Peljhan
Marko Peljhan
… Die Welt ist so verderbt, Zaunkönige hausen selbst dort, wo der Adler sein Nest hat … William Shakespeare, Richard III.
Das Hirn der Menschen hüpft auch heute noch auf drei Beinen herum (die drei Achsen des Raums)! Wir, die Pflüger, die das Hirn der Menschheit bebauen, kleben diesem jungen Hund ein viertes Bein an, nämlich – d i e A c h s e d e r Z e i t .
Lahmes Hündchen! Nun wirst du unser Ohr nicht länger mit deinem häßlichen Gebell martern. Die Menschen vergangener Zeiten dünkten sich klug, wenn sie meinten, man könne Staatssegel nur aus den Achsen des Raumes hissen.Wir, gekleidet in einen Mantel aus lauter Siegen, gehen an den Bau eines neuen Bundes mit dem Segel um die Achse der Z e i t, und teilen schon im voraus mit, daß unser Maß größer als Cheops, die Aufgabe kühn, erhaben und hart ist.Wir die rauhen Zimmermänner, werfen erneut uns und unsere Namen in die Kessel herrlicher Aufgaben ... DIE MILCHSTRASSE SPALTE SICH IN EINE MILCHSTRASSE DER ERFINDER UND EINE MILCHSTRASSE DER ENTDECKER.(1)
Viktor Chlebnikov, Marija Sinjakova, Bozidar, Grigorij Petnikov Nikolaj Asejev, 1916 Die im Rahmen der Reihe Situational Awareness präsentierten Arbeiten verstehen sich als Versuch, die Geisterwelt kartografisch zu erfassen, die durch die Angreifer, die Angegriffenen und die Konsequenzen ihrer Aktivitäten im Bereich des Netzwerk-Zentrismus definiert wird. Drei Veränderungen(2) sind für das Verständnis dieser neuen Situation wesentlich und stehen im Zentrum meiner Interessen: die Verlagerung des Schwerpunkts von der Plattform hin zum Netzwerk, die Verschiebung von unabhängigen Einzelakteuren hin zu Akteuren, die Teil eines sich laufend anpassenden Ökosystems sind, und die Bedeutung strategischer Entscheidungen, um sich diesen sich adaptierenden Ökosystemen anzupassen oder in ihnen zu überleben.
Bei dieser kartografischen Erfassung wurden bei der Erstellung und Konstruktion in erster Linie die Methode der „Umwandlung“(3) verwendet – die Umwandlung vom Abstrakten zum Materiellen, vom Militärischen zum Zivilen, von Dunklen zum Hellen, vom Geschlossenen zum Offenen, vom Knoten zum Netzwerk, vom Alten zum Neuen und umgekehrt.
Die Übertragung abstrakter Datenfelder in nützliche vernetzte Informationen ist eine der wesentlichen Aufgaben, die sich aus dem Output der Sensoren im Rahmen des Projekts Makrolab (1997–2007) ergab. Eine ähnliche Aufgabe wird sich uns nach Einrichtung der Interpolar Transnational Art Science Constellation(4)-Systeme in der Arktis und Antarktis stellen. Das Verständnis und die Übersetzung der komplexen Wechselbeziehungen zwischen den global wirksamen Kräften von Telekommunikationssystemen, Migrationen und Klimasystemen stehen im Zentrum dieser Forschungen, die der Neudefinition dessen, was eine „dritte Kultur“ sein könnte, interessante Möglichkeiten erschließen. Meiner Definition zufolge wäre eine dritte Kultur als Landschaft zu betrachten, die ich zwischen der Kunst der Kunst, der Kunst der Wissenschaft, der Situationskunst, der Kriegskunst, der Kunst der Forschung und jener der Erfindung angesiedelt sehe.
Technik und Wissenschaft einerseits und die kreativen Künste und Geisteswissenschaften andererseits leisten einen wesentlichen Beitrag, um den Weg für die Evolution des Wissens zu ebnen. Sie alle befriedigen die menschliche Neugier und fördern Visionen. Als Synergie vereint, ergäben sie jedoch eine ungewöhnliche planetarische evolutionäre Kraft, eine „dritte Kultur“, die an die Erfahrung und das Wissen der Visionäre vergangener Jahrhunderte anknüpfen muss und von Neugier und Verantwortung getragen wäre.
Marko Peljhan at Ars Electronica 2007 Situational Awareness Die Projektserie umfasst eine Ausstellung, eine Live-Sound/Signal-Performance sowie die Flugdemonstration eines unbemannten Luftfahrzeugs.
Die Ausstellung Situational Awareness zeigt das Ladomir-Überwachungssystem, eine Präsentation verschiedener mit Sensoren ausgestatteter Vehikel, die im Rahmen des Projekts seit 1997 entwickelt wurden, sowie Modelle der Architektur polarer Systeme und das dazugehörige Dokumentations- und Referenzmaterial.
Weiters ist ein Dokumentarfilm über die Arbeit am Projekt Atol (Regie: Zemira Alajbegovic) zu sehen sowie Dokumentarfilmmaterial von den ersten I-TASC-Expeditionen in die Arktis und Antarktis 2006/2007 von Saso Podgorsek, Amanda Rodrigues Alves und Thomas Mulcaire.
SPEKTR ist eine dreistündige Performance rund um das Abfangen und die Manipulation von Audio- und Videosignalen im HF-,VHF-,UHF- und Mikrowellenbereich, die mit Sensoren aus dem Makrolab (Radar, automatischen Überwachungsempfängern, Transponder-Empfängern und anderen exotischen Black-Box-Systemen) empfangen wurden. Eine Kooperation von Aljosa Abrahamsberg alias Nullo,Matthew Biederman alias DelRay und Marko Peljhan alias MX.
Die C-ASTRAL CCR Flight Demonstration wird die erste Flugdemonstration eines unbemannten Flugsystems zur zivilen Gegenüberwachung in Österreich sein. Nach dem Erfolg der System- 77CCR-Experimente, die 2004 in Wien gezeigt wurden, nimmt das unbemannte Flugobjekt C-ASTRAL Kurs über die Donau. Präsentiert vom C-ASTRAL-Team: Marko Peljhan, Samo Stopar und Nejc Trost.
Aus dem Englischen von Martina Bauer
Weitere Informationen über die Arbeiten von Marko Peljhan und Texte über Marko Peljhan von Brian Holmes und Natasa Petresin finden sich auf der Website der Ars Electronica: www.aec.at/privacy/topics
(1) Chlebnikov, Velimir: Werke : Poesie, Prosa, Schriften, Briefe (hrsg. von Peter Urban), Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1985, S. 249zurück
(2) Arthur K. Cebrowski und John J. Garstka: Network-Centric Warfare: Its Origin and Future, U.S. Naval Institute Proceedings, Annapolis, Maryland 1998zurück
(3) David Holloway,William Perry, James Goody,Michael Intrilgator,Ward Hanson, Jonathan Tucker: The Anatomy of Russian Defense Conversion, Vega Press, Kalifornien 2000zurück
(4) http://www.i-tasc.org, http://www.interpolar.org, http://makrolab.ljudmila.orgzurück
|