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Bastard Spaces
First annual Architecture and Design Competition in Second Life

'Stephan Doesinger Stephan Doesinger

Warum sind so viele Menschen fasziniert und gleichzeitig befremdet von der virtuellen Welt in Second Life (SL)? Wird hier eine trügerische Alternative zur physischen Realität, dem sogenannten „First Life“, suggeriert? Was, wenn dieses Metaverse(1) ein unheimliches Spiegelbild zur Wirklichkeit ist?

Könnte es sein, dass folgender Kommentar Walter Benjamins von 1929 zur zentralen Metapher unserer kulturellen Grundsituation geworden ist:„Blicken zwei Spiegel einander an, dann spielt der Satan sein liebstes Spiel und öffnet die Perspektive ins Unendliche.“(2)

Ich habe diesen Architektur- und Designwettbewerb ins Leben gerufen, weil ich durch meine eigene künstlerische Arbeit (3) zu der Überzeugung gekommen bin, dass Computerspiele wie Second Life nicht mehr nur die Welt kopieren, sondern dass ein schleichender Umkehrungsprozess stattfindet. Der offene Wettbewerb begibt sich auf eine Spurensuche nach neuen Trends in Architektur und Design in Second Life.

In SL blicken wir auf einen Raum, der mehr ist als nur eine Metapher auf die Realität. Er ist beides: Metapher und Realität. Neben der Selbstinszenierung durch Avatare und Gebäude als Alter Egos geht es um Kommunikation und die Fähigkeit der sozialen Adaption. Die Verbindung zwischen Fiktion und Realität ist verwirrend und wirft Fragen auf, die elementar für die zeitgenössische Architektur sind:

Wo ist man eigentlich, wenn man mit dem Handy telefoniert? In welcher Realität befindet man sich mit dem iPod im Ohr, wenn der akustische Raum vom physischen Raum entkoppelt ist? In welchem Raum befindet man sich, wenn man ein Computerspiel spielt, sich im Internet bewegt oder SL als 3D-Telefon benutzt? Es scheint, als ob sich überall dort, wo sich physische mit medialen Räumen kreuzen, neue Räume entstehen. Es sind Räume, die mal anwesend, mal abwesend, aber meist mobil sind und in unterschiedlichen Geschwindigkeiten über die Kontinente vagabundieren, bis sie zerplatzen wie eine Seifenblase – am Ende eines Ferngesprächs auf der Autobahn. Nennen wir sie Bastard Spaces!

Selbst das, was wir den öffentlichen Raum nennen, ist ein Bastard Space. Er ist weitgehend eine Konstruktion der Medien, in der es um eine radikale Ökonomie geht, die in Kaufkraft, Auflagenzahlen und Einschaltquoten gemessen wird. Menschen werden darin zu Konsumenten, zu Zielgruppen und „Eyeballs“. Mit MySpace, YouTube und SL machen sich Einzelne nun daran, sich selbst multimedial zu inszenieren – um dadurch gleichsam eine Existenzberechtigung als Individuum zurück zu fordern ...

Im Zuge dessen entstehen nun in SL Bühnenbilder für ein absurdes Theater, die an Robbe-Grillets Letztes Jahr in Marienbad (4) denken lassen. Selbstdarstellungen in 3D, Sehnsuchtsgebäude und „Traumhäuser“ offenbaren sich, wenn man wie Jeff Bridges in The Big Lebowsky über eine Landschaft fliegt, die sich ästhetisch zwischen Bob Ross und The Sims bewegt. Eine blühende Landschaft ikonografischer Gebilde.Wer das erste Mal in der Architektur des virtuellen Exils erwacht, fühlt sich unweigerlich an David Lynch’s surreales Szenario in Lost Highway erinnert. Auf der anderen Seite des Benjamin’schen Spiegels blicken wir auf die zeitgenössische Architektur, die, wie es der Architekturtheoretiker Anthony Vidler ausdrückt (5), ein Gefühl des Unheimlichen hervorruft, ruhelos wirkt, es nicht schafft, Heimat zu stiften, in der sich die Entfremdung in der Moderne manifestiert. Wir sehen eine Architektur, die sich, wie Michel Houellebecq(6) kritisiert, damit befasst, die „Regale des sozialen Supermarktes” zu errichten. Der Wettbewerb wird zeigen, ob sich die Ideen in SL jener radikalen Ökonomie und Ästhetik entziehen können, die Excel(7) zum wichtigsten Architektur-Programm hat werden lassen.

Besonderer Dank an: Tuncay Acar, Markus Bokowsky, Helmuth Gsöllpointner, Stefan & Gisela Kaiser, Alberto Sejas, Corinne Valentin, Florian Wupperfeld, Johanna Walter, Roland Weiss sowie den Mitgliedern der Jury: Shumon Basar, Tor Lindstrand, Michael Schirmer, Pascal Schöning,Mathieu Wellner.


(1) „The term metaverse comes from Neal Stephenson’s 1992 novel Snow Crash, and is now widely used to describe the vision behind current work on fully immersive 3D virtual spaces. These are environments where humans interact (as avatars) with each other (socially and economically) and with software agents in a cyber space, that uses the metaphor of the real world, but without its physical limitations.“ (Wikipedia)zurück

(2) Walter Benjamin, Pariser Passagen, 1929; Benjamin,Walter: Gesammelte Schriften, hrsg. von Rolf Tiedemann, Bd. 5., Suhrkamp, Frankfurt am Main 1989zurück

(3) vgl. Stephan Doesinger, Learning from Sim City, Revolver Verlag Frankfurt 2007: „Die Welt ist ein Computerspiel und dein Herz pocht wie Pop-Corn“zurück

(4) vgl. Bildtexte zu Bildern aus Second Life aus „Letzes Jahr in Marienbad“ von Alain Robbe-Grillet, zitiert nach: Last Year in Marienbad, John Calder publishers, 1977, p. 50 – 51.zurück

(5) vgl. Anthony Vidler, UnHEIMlich – Über das Unbehagen in der modernen Architektur, Edition Nautilus, 2002zurück

(6) vgl. Michel Houellebecq, Die Welt als Supermarkt, Interventionen, DuMont, Köln 1999zurück

(7) vgl. „Excel has had a greater impact on contemporary architecture than Rem Koolhaas, Zaha Hadid and Frank O. Gehry have managed together.", Tor Lindstrand in „Architecture's Second Life“, Archinect, Jan 09, 2007zurück