self-portrait with webcam
'Josef Klammer
Josef Klammer
Josef Klammer taucht das Leben in ein „Digitales Bad“(1). Dort wird es geschwemmt, durchgezogen und kommt wieder analog heraus. Das lässt sich chemisch sehen, aber auch als Filter oder Reinigung. Letztlich geht es nicht um eine Verdoppelung von Vorhandenem, sondern um Spannung und Interaktivität zwischen den Systemen, die zu neuen Definitionen führen. Oft kommen Audiospuren aus den Apparaten, diesmal sind es Bilder geworden. Bereits mit Telay (1993), in dem ein Trommelstück um die Welt telefoniert wurde, begann er große Systeme in Anspruch zu nehmen: ein Satellit als komplexes sündteures Effektgerät, für das man sich ganz einfach bedanken und loslegen kann. Klammer nutzt hoch komplexe Systeme und deren technische Standards als willkommene Effektprozessoren und zeigt dadurch die Dünnhäutigkeit ausgereifter Systeme sowie deren mythische Konstruktion auf. Durch diese Zweckentfremdung lässt sich die große Waffe der Technik gelassen entschärfen und mit den großen Projektionsflächen bodenständig umgehen. 2004 erschien in der Edition Werkstadt Graz sein erstes Webcam-Selbstporträt als Postkarte. Für Ars Electronica 2007 ging er nun auf eine kleine Reise: Analoges Netz trifft digitales Netz.Wie in aller Welt existiert in Österreich mittlerweile eine Vielzahl von Webcams im öffentlichen Raum, mit dem sich manchmal fast die Speisekarte vom Gasthaus einsehen lässt. Klammer setzt sich mit Laptop online vor die Apparate und knipst schöne Bilder von sich selbst. Es ist eine Frechheit, sich da einfach einzumischen und zu sagen: „Das gehört jetzt mir.“ Das Sich-Hineinmischen in die öffentlich-komplexen Szenarien geschieht jedoch auf unspektakuläre Weise: einfach das System mit allen dabei entstehenden Schwankungen und Unschärfen nutzen. Dabei geht es nicht um die Inszenierung eines Künstleregos – vor diesen Kameras könnte jeder sitzen. So konterkariert Klammer unpathetisch die große Tradition des okzidentalen Selbstporträts und überführt sie in das Reibungsfeld zwischen Öffentlichkeit und Privatraum. Die Re-Präsentation hingegen erfolgt auf eine explizit heimelige wie auratische Weise: Es gibt zehn Fotos auf Büttenpapier in Höchstqualität, gerahmt in klassischen Eichenrahmen, gezeigt in einer beschaulich-romantischen Situation: Man versteckt die Technik und geht in die Familiengalerie. Zusätzlich gibt's eine Serie von Postkarten, um dem Projekt wieder den öffentlich-touristischen Charakter zurückzugeben. Schicken Sie eine an liebe Menschen, die nicht im Netz sind!
Text: Marcus Maida
(1) Als „Digitales Bad“ bezeichnet Josef Klammer in seinem Projekt „ADA“ (1995) Prozesse in digitalen Systemen nach einer analogen Eingabe und vor einer analogen Ausgabe.zurück
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