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Ars Electronica 2007
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Code of Creativity


' Ars Electronica Futurelab Ars Electronica Futurelab

Now people use computers as a kind of office for handling documents or as a media terminal. I would like to propose that computers should be designed for organizing events for the emerging self in real-time, as a reflection of our lives and an aid in finding a reason for our existence.

Masaki Fujihata, TAKEOVER. Who is doing the art of tomorrow,
Ars Electronica 2001


Quell.Code, die bislang größte Auftragsarbeit und Eigenproduktion in der elfjährigen Geschichte des Ars Electronica Futurelab, steht in Konzeption, Planung und Realisierung prototypisch für das Inhalts- und Betriebskonzept des Atelier-Labors für Medienkunst. Das Projekt ist als interaktives Besucherleitsystem konzipiert, das als Implantat und organischer Bestandteil der Architektur des Neubaus des Auftraggebers, der SAP Deutschland(1), einen individuellen künstlerischen Zugang zu den abstrakten und komplexen Geschäftsprozessen des international agierenden Konzerns öffnet. Die dem Ars Electronica Futurelab als Labor-Atelier zugrundliegende transdisziplinäre Arbeitsweise und die daraus resultierenden Emergenzeffekte in Kreativitätsprozessen haben Quell.Code in der Reihe von Auftragsprojekten verortet, die gerade aufgrund ihrer konzeptionell-künstlerischen Herangehensweise und Ausführung Zugang zu internationalen Märkten gefunden haben. Das Bewusstsein, moderne Informationstechnologien paradigmatisch für die Rolle der Kunst als wesentlichen Faktor gesellschaftlicher Innovation anzuerkennen, spiegelt sich in den Bedarfen von Unternehmen wie Kulturinstitutionen.

Quell.Code – Emergenzeffekte aus dem Atelier-Labor

KünstlerInnen arbeiten in Ateliers, ForscherInnen in Laboratorien? Das Inhalts- und Betriebskonzept des Futurelab, Forschungs- und Entwicklungslabor für Medienkunst der Ars Electronica, vereint diese beiden Konzepte in einem Arbeitsumfeld, das das Analytische und Experimentelle eines Labors mit dem Künstlerisch-Kreativen eines Ateliers zusammenführt. Ergebnis ist ein von transdisziplinären Teams bestimmter Handlungsraum, der sich je nach Anforderungen als Labor-Atelier oder Atelier-Labor immer wieder neu formiert. Dabei verschmelzen diese beiden Pole zu einer von klassischen Arbeitsmodellen dezidiert unterschiedenen Herangehensweise an Projekte. Der konzeptionelle Ansatz ist im künstlerisch-kreativen Umgang mit substanziellen Verknüpfungsmöglichkeiten von Technologien und Inhalten zu suchen, der aus der Vielfalt an involvierten Knowhow-Trägern resultiert, die vor allem auch noch nicht institutionalisierte Synergien von Fachdisziplinen herbeiführen. Derzeit arbeiten ca. 50 KünstlerInnen und ForscherInnen auf 750 Quadratmetern Atelier-, Labor- und Werkstattfläche an der Konzeption, Planung und Realisierung von internationalen Kooperations- und Auftragsprojekten, darunter ComputerkünstlerInnen, InformatikerInnen, PhysikerInnen, Medien- und ProduktgestalterInnen, ArchitektInnen, Game-EntwicklerInnen, TelematikerInnen, SoziologInnen, KunsthistorikerInnen, Kultur- und KommunikationswissenschaftlerInnen.

Aus der den gesamten Arbeitsprozess kennzeichnenden Methodik der shared creativity entsteht die für die Kreationen des Atelier-Labors typische Emergenz: Inspirationen, Blickrichtungen und Herangehensweisen werden in Phasen intensiver multidirektionaler Austauschprozesse zu inhaltlicher und gestalterischer Konzeption verdichtet. Die Idee aus dem Atelier wird zum Prototypen im Labor, der Prototyp im Labor zur Idee; das Ergebnis sind Lösungsansätze, die gemäß den Eigenschaften von Emergenzeffekten irreduzibel auf ihre Ausgangseinheiten – mehr als die Summe der eingeflossenen Inputs – sind. Eine weitere Eigenschaft ist die Unvorhersagbarkeit, die in diesem Zusammenhang die Originalität der Lösungsansätze beschreibt, da sich diese sowohl in der inhaltlichen wie auch in der gestalterischen Konzeption aus den – oft nur vage formulierbaren – Anforderungen eines Auftraggebers und den individuellen Rahmenbedingungen für die Spezifikation des Projektergebnisses ableiten. Dabei arbeitet das Ars Electronica Futurelab eigene Typologien von Projekten aus, die aufgrund der auf den Vermittlungsprozess fokussierten Herangehensweise an die Mensch-Maschine-Interaktion im Realraum, im schirmbasierten Medium und im 3D-Raum den Begriff des Human Computer Interface nicht von der Kontaktstelle aus denken, sondern von den sich in der Interaktion entwickelnden ästhetischen, inhaltlichen und funktionalen Dramaturgien.

Die Schwerpunktverschiebung von der Kreation interaktiver Installationen für das Ars Electronica Center zu Projekten für und mit externen Auftraggebern zeigt eine deutliche Marktöffnung für diese Art von künstlerischem Knowhow. Die Anwendungsbereiche haben eine Spannweite von Kultur und Bildung bis Industrie und Wirtschaft. Die Bespielung von internationalen Konzertsälen auf der einen, die innen- wie außenarchitektonische Gestaltung von Gebäuden auf der anderen Seite sind Ausdruck einer veränderten gesellschaftlichen Wahrnehmung gegenüber dem Einsatz von Medientechnologien, den durch sie erschließbaren Wegen der Vermittlung von Inhalten sowie den Inhalten selbst. So zeigt die Reihe von Projekten wie Apparition(2), Das Rheingold Visionized,Vision Mahler. Live-Visualisierung der II. Sinfonie, Le Sacre du Printemps. An Interactive Music, Dance and 3D Project(3) und die geplante Visualisierung einer chinesischen Kunqu-Oper den Ansatz, durch die Verbindung klassischer Werke mit computertechnisch gestützten Ausdruckmitteln neue Aufführungspraktiken von Bühnenproduktionen zu erarbeiten. Die Wahrnehmungsebenen eines Werks werden seit Apparition – aufbauend auf der Entwicklung von medientechnologischen Werkzeugen der künstlerischen Darstellung – sukzessive erweitert. Mit der Ausarbeitung interaktiver Visualisierungen werden die spezifische Erzählstruktur, der ästhetische Anspruch und der kulturhistorische Kontext jedes Stoffs neu erschlossen. Die Erarbeitung visueller Interpretationsmodi für Musik, Gesang und Tanz führt über eine Erweiterung klassischer Genrebegriffe zur Ausformulierung neuartiger Kunstformen, deren Spezifika sich gleichermaßen in Produktion, Darbietung und Rezeption niederschlagen.

Parallel dazu fördert die Re-Definition von „Kunst am Bau“ durch den Einsatz interaktiver Medien als Elemente der Architektur eine konzeptionelle Herangehensweise zutage, auf deren Basis Medienkunst zum ästhetischen, semantischen und funktionalen Komplement der Architektur wird. Das bedeutet, Kunst am Bau jenseits von Dekor als Schnittstelle zwischen Architektur, Mensch und Umgebung zu begreifen, sodass Kommunikation und Interaktion zwischen diesen möglich wird. Eine Reihe von Projekten mit je spezifischen konzeptuellen und gestalterischen Ausprägungsformen zeigt auch hier Emergenzeffekte in der Weise, wie die individuellen Anforderungen der Bauobjekte mit dem Medienkunst-Ansatz des Atelier-Labors zu Prototypen kontextsensitiver Architektur zusammengeführt werden und dies als visueller Ausdruck der Corporate Culture von Unternehmen in Verknüpfung mit funktionalen Ansprüchen genutzt werden kann. So stellt das Medienkunst-am-Bau-Projekt für die Geschäftsstelle SAP Berlin Hidden Worlds(4), das 2004 vom Ars Electronica Futurelab realisiert wurde, radikal andere Anforderungen an den Einbezug der Umgebungsbedingungen als das jüngste Projekt Quell.Code. Geplant in einem Stadtviertel, das durch eine lebhafte Kunstszene gekennzeichnet ist, bringt die Errichtung des Bürokomplexes in der Rosenthaler Straße in Berlin die Provokation eines Fremdkörpers im urbanen Umfeld mit sich. Deshalb zielt das medienkünstlerische Inszenierungskonzept auf die Verbindung von Außen und Innen des Gebäudes; die visuelle Welt im Inneren ist die emotionale Übersetzung und künstlerische Interpretation des akustisch wahrnehmbaren urbanen Lebens (dr)außen. Durch multimodale Interfaces wird die transparente Archiktektur für die Interaktion mit PassantInnen und MitarbeiterInnen geöffnet. Die intuitiv manipulierbare virtuelle Szenografie schaltet sich als Echtzeit-Schnittstelle zwischen Bausubstanz und kulturellem Leben im Stadtviertel und transformiert das Gebäude vom Fremdkörper zum organischen Bestandteil seines unmittelbaren stadträumlichen Umfelds. Es wird ein Link sowohl zwischen virtuellem und physischen Raum als auch zwischen der Philosophie der SAP und ihrem lokalen Standort kreiert. Ein weiteres Projekt unter dem Vorzeichen des Medienkunst-am-Bau-Verständnisses des Ars Electronica Futurelab ist Unit M – User Sensitive Information Architecture, der Prototyp eines auf Sensordaten der Hausleittechnik aufgesetzten intelligenten Gebäudekonzept für das Wirtschaftsförderungsinstitut WIFI der Stadt Linz. Ereignisse innerhalb des Gebäudes, die Aktivität seiner BenutzerInnen, Daten seiner unmittelbaren Umwelt und Aktionen von InternetbesucherInnen werden erfasst und durch Medienimplantate als visuelle Eigenschaften der Architektur interpretiert. Architektur wird zum Ereignis ihrer Nutzung, indem die mit dem WIFI in Verbindung stehenden Menschen sowohl aktiv als auch passiv ihr Erscheinungsbild im zeitlichen Verlauf beeinflussen.

Dagegen geht es bei Quell.Code darum, die Verbindung zwischen dem funktionalen Anspruch eines Besucherleitsystems und dem künstlerisch-ästhetischen Anspruch einer Selbstdarstellung der SAP herzustellen. Quell.Code ist in seinen Facetten aus der Architekturplanung und den Umgebungsdetails des viergeschossigen, sternförmigen Hauptsitzes der SAP Deutschland, deren Geschäftsaktivität und den Eckpfeilern der Firmenphilosophie hergeleitet. Hierfür ist der Ansatz gefunden worden, ein Leitsystem nicht als konventionelles Beschilderungssystem, sondern als für Menschen aller Nationen intuitiv funktionierendes Gebäudeimplantat zu begreifen, das modernste Technik und eine der ältesten kulturgeschichtlichen Navigationshilfen ineinander blendet.

Quell.Code – Kunst am Bau als interaktives Besucherleitsystem

Mit rund 40.500 Mitarbeitern ist SAP weltweit größter Anbieter von Unternehmenssoftware. Komplexe und abstrakte Geschäftsprozessbeschreibungen prägen ihr Handlungsfeld und ihre Kommunikationslandschaft. Um diese begeh- und erlebbar zu machen, beschreiben die dramaturgischen Elemente des interaktiven Besucherleitsystems Evolutionsschritte im Biotop der Geschäftsprozesse.Währenddessen (beg)leiten sie die BesucherInnen symbolisch oder spielerisch vom Besucherparkplatz in das vierte Obergeschoss des Neubaus, die Visitor’s Lounge.

Source
Die symbolische Übersetzung der schon in den Einladungen an die SAP-KundInnen formulierten Aufforderung „Folge dem Wasser!“ übernimmt die im Boden des Besucherparkplatzes eingelassene offene Wasserquelle, aus der – bei Nacht beleuchtet – das Quellwasser sprudelt. Es setzt seinen Weg in einem künstlichen Bachlauf (Water Flow) fort. Der Startpunkt des Leitsystems mit der Metapher der Quelle ist von der gesamten Parkplatzanlage aus sichtbar und erfüllt den Anspruch des Bauherrn, intuitiv den Weg zum von dort aus nicht einsehbaren Haupteingang zu weisen.

Water Flow
Klares Wasser fließt – leicht bergauf – von der Quelle bis zum Haupteingang des Gebäudes unter einer Glasabdeckung. Luftblasen machen die Wasserbewegung wellenförmig sichtbar. Der Scheitelpunkt des insgesamt 160 Meter langen Wasserlaufs zum Haupteingang hin wird von einer interaktiven Stele markiert. In der Abenddämmerung verleiht eine spezielle Lichtinszenierung dem Gesamtsystem eine weitläufige Fernwirkung.

Interaktive Stele mit Puls Interface
Eine fast 30 Meter hohe Stele mit einer Grundfläche von nur 65 mal 65 Zentimeter bildet die Landmarke der SAP Walldorf. Ihr Design wurde im Dialog mit der Architektur des sternförmigen Gebäudes entworfen und aufgrund der ungewöhnlich hohen Anforderungen zur Erreichung der Schwingungsresistenz speziellen baudynamischen Prüfungen unterzogen. Ein Berührungssensor erlaubt den BesucherInnen, mit der Architektur in Interaktion zu treten. Sichtbar gemacht durch Lichtimpulse, die von den Elementen der Installation ausgesendet werden, wird deren Herzschlag in Echtzeit auf das Gebäude und die Umgebung übertragen. Außerdem aktiviert das Auflegen der Hände an der Stele eine Audioverbindung zur SAP Geschäftsstelle Berlin, die ebenfalls ein Pulse Interface aufweist.

Data Flow
Mit Passieren des Haupteingangs, zu dem der Wasserlauf die BesucherInnen leitet, vollzieht sich ein Medienwechsel, welcher die Dualität von Innen- und Außenraum widerspiegelt: Der Wasserlauf verwandelt sich in einen Daten-/Informationsfluss, der sich über eine lineare Anordnung von LCD-Displays im Fußboden erstreckt und den Wechsel von Natur zu Kultur signifiziert. Mannigfaltige lebende Kreaturen bevölkern die Architektur aus Displays und realisieren die Narration durch Interaktion mit dem/der BesucherIn. Sie sind sensuelle Interpretationen von tatsächlich stattfindenden Geschäftsaktivitäten der SAP – Ereignisse und deren Prozesseigenschaften, die selbst Gestalt annehmen, indem sie sich in lebende Chiffren, codierte Persönlichkeiten verwandeln. Ein komplexes AI-Modell haucht den Kreaturen Leben und Persönlichkeit ein – ihr Erscheinungsbild, ihre Bewegung, ihre Stimmung und die Art und Weise, wie sie sich dem/der BesucherIn nähern und sie überzeugen, ihnen zu folgen – neugierig, ängstlich, majestätisch gleichgültig, überwältigend euphorisch. 26 Kameras und eine Computer-Vision-Software ermöglichen den persönlichen Kontakt: Die physischen und intelligenten Eigenschaften der Wesen werden in Abhängigkeit von den Geschäftsereignissen der SAP und dem Verhalten der BesucherInnen in Echtzeit synchronisiert.

Data Wheel und Datapool
Das Datenrad ist die technoide Interpretation von von Menschen erzeugten Ereignissen: Das Leben der abstrakten Kreaturen im Datenfluss, also die Summe der Aktivität der MitarbeiterInnen der SAP weltweit, setzt es in Bewegung und ist Regulativ für seine Rotationsgeschwindigkeit. Das Datenrad greift auch die Dualität von Wasser und Daten, Natur und Kultur wieder auf, indem es die mechanischen Funktionsprinzipien eines Wasserrades auf den virtuellen Datenkreislauf überträgt und in der Innovationsmetapher des Datenrades verdichtet: Der innere Ring rotiert physisch, während der eigentliche Prozess der Erzeugung kinetischer Energie auf den Displays in der Bewegung des virtuellen Materials simuliert wird. Im Datenpool, einer Matrix aus acht mal drei LCD-Displays, sammeln sich die aus den Geschäftsprozessen generierten Kreaturen; Arten einer Familie nähern sich einander allmählich an, bilden lose Formationen und sind hier – im Wartebereich des Aufzugs – besonders kontaktfreudig.

Elevator
Unterschiedliche Arten einer Prozessfamilie folgen den BesucherInnen in die Liftkabine und begleiten diese auf dem Weg nach oben entlang der vertikalen Anordnung von Displays. Die lose Formation von Kreaturen entwickelt sich während der Fahrt zu einer selbstorganisierten Gemeinschaft. Die transparente Liftarchitektur unterstützt die Narration von der Entstehung der Kreaturen über deren individuelles Verhalten bis hin zur Gruppierung während der Liftfahrt.

Code Diffusion
Am Ende der Liftfahrt, mit dem Öffnen der Lifttür, diffundiert der Zusammenschluss von Kreaturen über die Displays im Boden zur sieben mal zwei Displays großen Matrix in der gegenüberliegenden Wand, um sich dort zu brechen und den dahinter verborgenen Geschäftsprozess freizugeben. Was die BesucherInnen bislang als künstlerisch-visueller Code begleitet hat, wird zu lesbarer Information. Nach der Identifikation des spezifischen Geschäftsprozesses ist dieser (und andere) im Aquarium, der nächsten Station, auch inhaltlich explorierbar.

Aquarium
Im Aquarium erscheinen die virtuellen Kreaturen stellvertretend für den dazugehörigen Geschäftsprozess in einem nach vorne geöffneten Spiegelquader, der durch quasi unendliche Replikation nicht nur zum Spiel mit der visuellen Wahrnehmung und ihrer Täuschung einlädt. Das berührungslose Interface erlaubt die direkte Interaktion mit den Inhalten; die mannigfaltigen Kreaturen führen ihren ästhetischen Tanz unter Direktion des Besuchers und der Besucherin aus und erzeugen auf der Grundfläche des Quaders ein ungewöhnliches Spiegelbild:Unter der lebenden Kreatur erscheint in Textform die hinter ihr verborgene inhaltliche Beschreibung des Geschäftsprozesses.Auf diese Weise können die Lösungen und Services der SAP exploriert werden.

DataFall
Die letzte Station, realisiert vom Medienkünstler Zachary Lieberman, visualisiert das Ausgangsmaterial der generischen Einheiten aus den SAP-Geschäftsprozessen: den Binärcode. Dieser fließt unmittelbar zurück in den Data Flow und bildet das Medium für die neu entstehenden Geschäftsprozesse. Reagierend auf die Bewegungen der BesucherInnen und deren Interaktionen untereinander ist die Bespielung der Displaywand visuelle Übersetzung des sozialen Geschehens in der Visitor’s Lounge.

Die spezielle Inszenierung der Liftkabine, die Code Diffusion, das Aquarium und der DataFall führen die BesucherInnen, nachdem sie „räumlich“ ihr Ziel – die Visitor’s Lounge – erreicht haben, näher an die Inhalte der Geschäftsprozesse heran. Die Ansprüche des Bauherrn aufgreifend, wird die Medienkunst visueller Ausdruck für Transparenz und Agilität. Beide werden reflektiert durch die natürlichen Eigenschaften von Wasser und deren Übertragung auf die personalisierte Form von Code. Quell.Code setzt auf diese Weise den Ansatz um, jedes Element der Gesamtinstallation sowohl mit der Architektur des Gebäudes als auch mit den kulturellen und inhaltlichen Maßstäben eines gesellschaftsprägenden Softwareriesen, der SAP, zu verschalten.

Das Display als Architektur und Zeichen

Quell.Code setzt den Gedanken fort, Kunst am Bau als Implantat und organischen Bestandteil der Architektur zu begreifen. Dies impliziert, die Konzeption der Installation bereits in die Architekturplanung des Gebäudes einzubeziehen. Unter Einsatz künstlerischer Mittel wird die Bausubstanz zur Schnittstelle zwischen Umgebung und Menschen – und zwar durch die Verwendung von interaktiven Medienelementen als Architektur. Horizontale und vertikale Bildflächen sind Extensionen des geometrischen Raums; sie öffnen virtuelle Fenster in das sonst Verborgene. Als physische Komponenten sind sie nicht Medienmöblierung, sondern konstitutiver Bestandteil des Raums.Wesentlich bei Quell.Code ist das dabei auf besondere Weise gestaltete Verhältnis von Form und Inhalt. Die formalen Zeichen – Datenfluss, Datenrad und Datensee aus Displays – sind Taktiken der semantischen Codierung von Hardware; die Form wird vom Inhalt auf unerwartete Weise in Besitz genommen, wird selbst Zeichen.

Die Verwendung von Medientechnik als Architektur und Zeichen führt zu einer Neudefinition der Bildfläche. Diese Neudefinition überschreitet klassische Formen der screenbasierten Darstellung visueller Informationen, indem die Hardware und die Art und Weise ihrer Bespielung, als Ableitung aus ihrer zeichenhaften Verwendung, selbst Baukunst und materialisierte Information in Form eines intuitiven Leitsystems sind. Die Displays bilden das Leitsystem als Szenografie – nicht als Mittel, sondern als Installation und Performance.

Narration durch Interaktion

Hardware als formale Zeichen einzusetzen, ermöglicht den Einbezug derselben in einen Prozess des Interactive Storytelling, auf dessen Basis die BesucherInnen nicht nur den Weg vom Besucherparkplatz in das Besucherzentrum, sondern auch von der Entstehung eines Geschäftsereignisses zum Verstehen eines Geschäftsprozesses finden. Durch die narrativ-visuelle Verbindung des Startpunktes Besucherparkplatz und des Zielpunktes Besucherzentrum werden „fließende Räume“ geschaffen, deren Dramaturgie sich vom bergauf fließenden Bachlauf über dessen Scheitelpunkt an der emporstrebenden Stele, der Transformation an der Schwelle zwischen Innen und Außen, der Steigerung des Energieniveaus am Datenrad und der Vertikalisierung der Fließrichtung in den vierten Stock steigert. Zunehmend übernehmen die abstrakten Wesen mit ihren spezifischen Charaktereigenschaften die Direktion.

Die Interaktionsmöglichkeiten sind vielschichtig; die Mikrogeschichten zwischen BesucherIn und Prozesswesen entwickeln sich systemisch unter Beeinflussung verschiedener Zustände im Biotop der Geschäftsprozesse. Ein komplexes AI-Modell ermöglicht wechselseitigen und individuellen Kontakt. Die Herausforderung ist die Gleichzeitigkeit von Narration und Interaktion.Wie Autoren, die an der Schnittstelle von Interactive Storytelling und Artificial Intelligence arbeiten, herausstreichen, gelten Narration und Interaktion als nahezu widersprüchliche und damit unvereinbare Pole(5), (6). Dies zu gewährleisten, ist aber gerade die Herausforderung des interaktiven Leitsystems für die SAP; im Wesentlichen liegt hier der Anknüpfungspunkt für die Umsetzung des Mission Statements. Durch die Kopplung des Verhaltens der BesucherInnen im Realraum und des Verhaltens der abstrakten Kreaturen im virtuellen Raum wird die Narration aufrechterhalten; die Botschaft der SAP vermittelt sich über das intelligente Verhalten der Wesen. Auf diese Weise vollzieht sich bei Quell.Code ein Großteil der Narration tatsächlich durch Interaktion.

Werden bereits die abstrakten Kreaturen mit ihren spezifischen Eigenschaften in visueller Repräsentation und Intelligenz nur in Abgängigkeit von den Aktivitäten der MitarbeiterInnen der SAP generiert, entwickeln diese den Enterprise Services entsprechend und auf der Basis bestimmter Aufenthaltsparameter im Datenfluss ein eigenes Sozialverhalten untereinander (Schwarmbildung, Ausweichen, Beeinflussung der Stimmung). Die Stimmung einzelner Wesen oder loser Artenfamilien beeinflusst das Verhaltensdesign, mit welchem sie die BesucherInnen konfrontieren. Sie „suchen“ und „sehen“ diese, wecken Neugierde durch distinktes Verhalten (interactor awareness). Die Position, Bewegungen und Körperhaltung einzelner BesucherInnen sind ebenfalls Parameter zur Beeinflussung des Modus der Kontaktaufnahme. Spielerisch treten die SAP und die BesucherInnen in wechselseitige Interaktion. Das zugrundeliegende AI-Modell gewährleistet die narrative Visualisierung des Workflows der SAP unter Einbezug von Evolutions- und Lernprozessen.

Der dramaturgische und der räumliche Umkehrpunkt fallen schließlich zusammen: Die Entladung der gesammelten Energie des virtuellen Materials durch den zweiten Wechsel des Aggregatzustands der Information vollzieht sich unmittelbar nach der Öffnung der Lifttür – also in dem Augenblick, in dem der/die BesucherIn die Visitor’s Lounge erreicht hat. Mit der „Zähmung“ der Kreaturen im Aquarium und schließlich der Sichtbarmachung des Binärcodes und seiner Rückkehr in den Datenfluss über den Data Fall schließt sich der Zyklus von sich abwechselnden Spannungs- und Irritationsmomenten, die Stimulatoren einer sukzessiven Aneignung des SAP Environments sind. Die Neudefinition der Bildfläche lässt sich auch an deren Inhalt ablesen: Sie ist performativer Bestandteil der Architektur in einem narrativen Bedeutungssystem statt Infrastruktur zur Anzeige eines festgelegten Inhalts.

Das Unternehmen als Performance

Die Aktivitäten der MitarbeiterInnen der SAP sind nicht nur dynamischer Inhalt von Quell.Code (repräsentiert durch den von in Echtzeit generierten Systemereignissen bevölkerten Datenfluss), sondern werden zum künstlerischen Gestaltungselement und zum Bestandteil der Architektur. Der Decodierungsprozess der chiffrierten Persönlichkeiten, der Prozesswesen, ist Bestandteil der Dramaturgie – über die mehrfachen Aggregatzustandswechsel der Information sowie die (beg)leitende Interaktion mit den Wesen vollzieht sich die intuitive Führung der BesucherInnen. Die SAP als Performance drückt sich in der Verkettung von Aktionen, Bewegungen und Prozessen aus, die im Zusammenspiel der von den SAP-MitarbeiterInnen ausgeführten Geschäftsaktivitäten, der Architektur und den BesucherInnen entsteht. Quell.Code versteht die Hauptgeschäftsstelle der SAP nicht als Lokation, sondern als Prozess – dies impliziert zugleich den konzeptionellen Ansatz der Übertragung der Künstlerautorität auf das Unternehmen und seine BesucherInnen;„das Werk“ entsteht erst durch die zeitgleichen Aktivitäten beider.Wesentliche Merkmale des Performance-Charakters sind damit die ständige Veränderung des Werks, die Untrennbarkeit von Schöpfer, Teilnehmer und Beobachter und das Zusammenspiel der Grundelemente Zeit, Raum, Körper (in Form von virtuellen und physischen Charakteren) sowie der unauftrennbaren Beziehung zwischen Performance und Rezeption. So wird der Weg des Besuchers und der BesucherIn vom Durchgangsraum zu einem Ort des persönlichen Erlebens umgeschrieben. Quell.Code schafft einen zeitgemäßen Ort der Begegnung und Übersetzung – zwischen den Codierungssystemen der Kunst und Wirtschaft, zwischen dem Selbstverständnis des Unternehmens und der Wahrnehmung seiner BesucherInnen.

Text: Horst Hörtner, Daniela Kuka

(1) SAP Deutschland AG & Co. KG Walldorfzurück

(2) Schöpf, Christine / Stocker, Gerfied (Hg.): Ars Electronica 2004: Timeshift. Die Welt in 25 Jahren, Ostfildern, Hatje Cantz 2004, 317–318zurück

(3) Schöpf, Christine / Stocker, Gerfied (Hg.): Ars Electronica 2006: Simplicity. The Art of Complexity, Ostfildern, Hatje Cantz 2006, 293–295, 298–299, 301, 305–307zurück

(4) Leopoldseder, Hannes / Schöpf, Christine / Stocker, Gerfied (Hg.): 1979 – 2004 Ars Electronica, Ostfildern, Hatje Cantz 2004, 198-199zurück

(5) vgl. z. B. Shaw, David: Aspects of Interactive Storytelling Systems. Master Thesis, Department of Computer Science and Software Engineering, University of Melbourne 2004, und Mateas,Michael: Interactive Drama, Art and Artificial Intelligence. Ph.D. Thesis, School of Computer Science, CMU-CS-02-206, Computer Science Department, Carnegie Mellon University 2002zurück

(6) “I won’t go so far as to say that interactivity and storytelling are mutually exclusive, but I do believe that they exist in an inverse relationship to one another. […] Interactivity is almost the opposite of narrative; narrative flows under the direction of the author, while interactivity depends on the player for motive power.”, so Adams, Ernest:“Three Problems for Interactive Storytellers. Designer’s Notebook Column”, Gamasutra, December 29, 1999zurück


Idea & Concept: Horst Hörtner, Stefan Mittlböck-Jungwirth, Peter Freudling, Christopher Lindinger, Martin Honzik
Creative Director: Horst Hörtner
Project Management: Stefan Mittlböck-Jungwirth, Michael Badics, Yvonne Hauser, Daniela Kuka, Jutta Schmiederer
Architecture & Design: Horst Hörtner, Peter Freudling, Andreas Jalsovec, Stefan Mittlböck-Jungwirth, Gerald Priewasser
Hardware Engineering: Manager: Rudolf Hanl, Crew: Erwin Reitböck, Jürgen Nussbaummüller, Robert Abt
System Engineering: Manager: Alexander Kneidinger, Crew: Erwin Reitböck, Bianca Schober
Technical Consultant: Jakob Illera, Scott Ritter
Software Engineering: Manager:Matthias Bauer, Crew: Dietmar Suoch, Nina Valkanova, Jakob Sebastian Doppler, Doris Zachhuber, Roland Haring, Tiago Martins
3D Computer Graphics: Florian Berger
AI-Design & Development: Carl Johan Rosen
Computer Vision: Katharina Nussbaumer, Kevin Quennesson
DataFall: Zachary Lieberman
Visuals & Rendering: Andreas Jalsovec, Peter Freudling, Michael Lankes, Daniel Fellsner
Documentation & Video: Ramsy Gsenger
Special Thanks: Karsten Koch, Nadine Heitlinger, Tiziana Ricci, Betina Beck, Miriam Schöfer, Norbert Menges, Emil Schweizer, Ernst Filbert, Klaus Nadler, Axel Stehrenberg, Albrecht Diener, Jörg Milde, Klaus Ketterer, Hannes Schreiner