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Ars Electronica 2001
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Green oder wie ein Licht die Welt verdreht


'Reinhard Nestelbacher Reinhard Nestelbacher

Die Wissenschaft hat ihre eigenen Regeln. Regeln, die nicht unbedingt der Sichtweise eines Laien folgen. Mit Hilfe des Moleküls GFP (green fluorescence protein) zum Beispiel sind in letzter Zeit ungewöhnliche neue Geschöpfe kreiert worden: leuchtende Mäuse, Fische oder Pflanzen. Das Projekt Green trägt für den Wissenschafter Gewöhnliches in Form einer vorsichtigen Ausstellung aus dem Labor hinaus und macht es allein dadurch ungewöhnlich bis bizarr. Organismen als bilderzeugende „Apparate“.
Eine grün leuchtende Maus ist ungewöhnlich. Auch das Bild von sich aus leuchtender Hefe ist kein Bild aus dem Alltag. Und doch sind dies nicht Fantasie-Erfindungen, sondern Alltagsbilder für eine Gruppe von Menschen: die Molekularbiologen. Denn die leuchtenden Geschöpfe sind Produkte ihrer gentechnischen Forschung; das Leuchten wird durch ein besonderes Protein, GFP genannt, verursacht und wurde mit wissenschaftlicher Absicht in das Erbgut der Organismen integriert.
DIE KUNST ALS MITTLER
Die Biowissenschaft ist inzwischen nicht nur Werkzeug für den Menschen, sondern auch Herausforderung für unsere Gesellschaft. Die Konsequenz einer genetischen Modifizierung von Leben ist noch nicht annäherungsweise erörtert. Viele herkömmliche Begriffe und Festlegungen aus der Ethik erweisen sich bei der Diskussion zunehmend als ungeeignet oder zumindest unzulänglich. Das Nachdenken über die Wirkung der Biowissenschaften, die Diskussion über eine Ethik des 21. Jahrhunderts und damit das Definieren von Grenzen für die Forschung bergen zudem ein weiteres Problem: Durch die rasante Entwicklung der Forschung hinkt die gesellschaftliche Diskussion stets weit hinterher. Es wäre an und für sich auch Aufgabe der Wissenschafter, über ihr Tun kritisch und mit notwendiger Konsequenz zu reflektieren. Aber von den meisten Forschern wurden die Aufgaben der Auseinandersetzung mit den neuen Wissenschaften an die nicht-wissenschaftliche Gesellschaft und damit auch an die Künstler weitergereicht. Dies wirft allerdings das Problem auf, dass zwar eine Kritik der Technik eine umfassende Kenntnis derselben erfordert, das Einarbeiten in diese komplizierte Materie einem Laien aber fast unmöglich ist. Ein Grund, warum die wenigen Denker, die sich des Themas annehmen, sehr wohl aus dem wissenschaftlichen Bereich stammen – Maturana, Chargaff, Monod um nur einige zu nennen. Auch in der künstlerischen Auseinandersetzung stellt sich im Grund das Problem des fehlenden wissenschaftlichen Hintergrundes. Erst das Herauskristallisieren von Künstlern aus dem Bereich Wissenschaft oder die Zusammenarbeit zwischen Forschung und Kunst liefern eine akzeptable Auseinandersetzung. Ein Prozess, der auch durch die Arbeiten der Ars Electronica in den Jahren 1999 und 2000 gefördert wurde. In Symbiose können sich Künstler mit dem nötigen Hintergrund der Thematik stellen und beginnen, die neue Gesellschaftsstruktur, durchtränkt von der wissenschaftlich reduktionistischen Denkweise, angemessen zu beschreiben und zu hinterfragen.
DAS BILD IN DER WISSENSCHAFT
Die neuen Technologien geben aber nicht nur das Thema vor, sondern ermöglichen auch den Einsatz neuer Materialien und Methoden. Auch dies ist nur durch die starke Annäherung von Wissenschaft und Kunst möglich. Lebende humane Zellen, Bakterien, Viren, Embryonen oder ganze Organismen werden Teil einer neuen Kunst. Dies geschieht zum Beispiel durch Verwendung von Zellgewebe zur Formung von kleinen Puppen und Figuren. Oder die Verwendung eines Bakteriums als Träger und Veränderer einer eingebrachten genetischen Information. Oder zum Beispiel durch die Ankündigung und Planung einer genetischen Veränderung eines Hundes mit der Hilfe des GFP.

Einer der Aspekte, mit dem sich das Projekt „Green“ auseinandersetzt, ist die Hinterfragung der wissenschaftlichen Bilder und ihrer Wirkung auf die Gesellschaft. Denn die Biowissenschaft kommuniziert sich und ihre Ergebnisse vor allem über die Medien. Vieles wird dabei vor allem über symbolische Bilder der Wissenschaft transportiert: Bilder von Mäusen, die menschliche Ohren tragen, oder von Labors, die an die saubere Atmosphäre eines Krankenhauses erinnern. Die meisten Menschen kennen auch die Barcode-artige Darstellung des Erbmaterials, doch die allerwenigsten können nachvollziehen, was sie bedeuten oder wie diese Bilder entstehen. So auch bei der Darstellung der genetischen Information: Die vier „Buchstaben“ A,C,G und T, Symbole für die vier chemischen Basen der DNA, stehen inzwischen symbolhaft für die Entschlüsselung des genetischen Codes von Lebewesen. Ein Gen wird so in einer Sprache dargestellt, die dem binären Code des Computers nicht unähnlich scheint. Damit verbunden ist bei Laien inzwischen die Ansicht, dass mit Entzifferung der „Datenbank des Menschen“, also des Genoms, auch der Begriff des Lebens in technisch digital-ähnlicher Weise erklärbar sei. Eine reduktionistische Sicht, die den Gedanken an die wissenschaftliche Allmacht stärkt. Ein Grund für die missverständliche Wirkung der Bilder ist auch, dass weder Medien noch Wissenschafter deren Wirkung ernsthaft reflektieren. Mit diesem Phänomen spielt Green, indem mit den präsentierten Organismen zwar die Fähigkeit der biologischen Wissenschaft demonstriert, aber gleichzeitig auch das Nachdenken über diese Arbeit eingemahnt wird – mit einem einfachen Mittel: Es zeigt ein Bild aus der Wissenschaft ungeschminkt – zum Beispiel die grün leuchtende Maus.

Der zweite Aspekt der künstlich fluoreszierenden Lebewesen ist die Auseinandersetzung mit dem lebenden System Zelle oder dem Organismus als „bilderzeugender Apparat“. Die Lebewesen sind damit nicht Ziel der Kunst, sondern Zweck und Material. Nicht, dass es neu wäre, Organismen als Teil eines Kunstwerkes zu „verwenden“, erreicht es doch eine völlig neue Dimension. Die Tiere, Pflanzen und Bakterien sind zwar Produkt einer wissenschaftlichen Fragestellung – aber vor allem lebende Systeme. Per Definition heißt dies, dass sie über einen unabhängigen Stoffwechsel verfügen, dass sie die Fähigkeit haben, sich selbst vervielfältigen zu können, und dass sie die Möglichkeit haben, ihr Erbgut zu verändern. Dies impliziert zwar, dass sie als abgeschlossenes System gelten, aber selbstverständlich auch die Fähigkeit besitzen, auf Signale aus der Umwelt mit einer ihrem Wesen entsprechenden Reaktion antworten können. Sie können dabei von externen Faktoren variiert werden, nicht allerdings in ihrem Wesen umgepolt, und folgen in ihrer Reaktion quasi nicht dem Signal der Umgebung, sondern letztendlich nur ihrer eigenen Konsequenz, initiiert durch das Signal. Es sei denn, die Veränderung ist eine Veränderung des Systems, also ein Eingriff in die Genetik des Lebewesens, eine Möglichkeit, welche die molekulare Biologie seit Mitte der 70er-Jahre bietet. Aber auch da muss der genetische Rahmen im Toleranzbereich bleiben, den die genetische und biochemische Struktur vorgibt. Kippt seine Organisation, wird das Lebewesen de facto getötet oder erheblich beeinträchtigt.

Da der Mensch nun die Möglichkeit hat, mit Hilfe der molekularen Biologie Veränderungen zu provozieren, werden nun lebende Systeme noch schneller an die Bedürfnisse und Vorstellungen des Menschen angepasst.

Das Ergebnis des Eingriffes entzieht sich allerdings dem Willen des Menschen. Die Lebewesen, deren Erscheinungsbild zum Beispiel durch die Verwendung des GFP ungewöhnlich verändert wurde, werfen folgende Frage auf: Was ist Handlung des Forschers (oder Künstlers) und was Ausdruck des verwendeten Systems (Maus, Hefe oder Mensch)? Die Muster der Bilder werden zwar von den Menschen initiiert, aber ihre Ausprägung, also die entstehende Struktur, lässt sich nicht ohne Weiteres steuern. Durch die Verwendung von Farbstoffen für das lebendige System können die an und für sich schematisch beschriebenen Vorgänge in einer Zelle in eine neue Bildwelt gerückt werden. Damit werden dem Phänomen „Leben“ auf ungewöhnliche Weise ein Gesicht und Bilder gegeben, die nicht mehr so abstrakt sind wie die Buchstabenabfolge des genetischen Codes oder die Bilder eines Biochips, deren Entstehung aber in einen diffusen wissenschaftlichen Bereich abgleitet – damit auch die Bildwirkung. GFP und Green stehen dabei nur symbolisch für die Verwendung von Methoden, um lebende Systeme zu verändern. Auch die Lebewesen bei Green sind Ergebnisse der Wissenschaft, irritieren aber in gleicher Weise die Öffentlichkeit, wie so manches Kunstwerk, regen zur Diskussion über Gesellschaft, Werte und 21. Jahrhundert an.

Bei dem Projekt Green werden einige Organismen als Beispiel präsentiert, die mit GFP genetisch modifiziert wurden – ungewöhnliche Boten aus der wissenschaftlichen Welt. Das „Green Fluorescence Protein“ – kurz: GFP – ist streng genommen das bislang einzig bekannte fluoreszierende Protein (Eiweiß), bei dem das Leuchten tatsächlich von einem Teil des Proteins verursacht wird. Entdeckt wurde das ungewöhnliche Molekül in den 60er- Jahren in der lumineszierenden Qualle Aequorea victoria. Auffällig war auch damals bereits die Eigenschaft des Proteins, unter UV-Licht intensiv grün zu fluoreszieren.

Eine der wichtigsten zellbiologischen Anwendung von GFP in den molekularen Wissenschaften ist der Einsatz als Reporter-Gen oder Marker. Dabei wird das GFP-Gen an ein zu untersuchendes Gen gekoppelt. Da dies in vielen Fällen das Hauptprotein nicht stört, kann nun das Anhängsel als „molekulare Lampe“ gesehen werden. Dort, wo sich das untersuchte Protein befindet, kann man mit geeigneter Methodik auch das Leuchten erkennen. Somit wird es möglich, den Wirkungsort eines Proteins und dessen Konzentration festzustellen. Weiters können damit neue „Schalter“ für Gene, die sogenannten Promotoren, und ihre Aktivierung in Organismen analysiert werden. Durch diese interessanten Eigenschaften wurde das Protein inzwischen zur Beantwortung vieler Fragestellungen verwendet. Man kann inzwischen durchaus von einer „wissenschaftlichen Mode“ beim Einsatz dieses Werkzeuges sprechen: leuchtende Bilder in allen Facetten. Dadurch wurde inzwischen in zahlreichen Labors auf der ganzen Welt eine umfassende Menagerie von für den Laien bizarre Lebewesen geschaffen. Green möchte nicht nur auf die Verwendung von Lebewesen als bilderzeugende Apparate hinweisen, sondern auch ein Aufbrechen der wissenschaftlichen Welt und ihrer Bilder erreichen. Die Gegenüberstellung der wissenschaftlichen Welt und der Welt der Laien zeigt in diesem Fall, wie groß die Lücke in Wirklichkeit ist, wie losgelöst die Forschung inzwischen ist und wie notwendig es ist diese Lücke endlich auszufüllen.

Das Projekt wird verwirklicht unter anderem in Zusammenarbeit mit Dr. Fatima Ferreira, Schwerpunkt Allergie der Universität Salzburg, Prof. Mathias Müller, VU Wien, Dr. Thomas Kolbe der I FA Tulln und Dr. Bernd Fleischmann der Universität Köln.