www.aec.at  
Ars Electronica 2001
Festival-Website 2001
Back to:
Festival 1979-2007
 

 

electrolobby (next-level attitude)




=====================================================================Tina Cassani/Bruno Beusch (TNC Network) =====================================================================Tina Cassani/Bruno Beusch (TNC Network) electrolobby (next-level attitude)Die electrolobby ist der Festivalbereich für Digital Culture & Lifestyle. Vor dem Face2Face-Treffen mit dem Festivalpublikum bekennen die electrolobby-Residents in einem Kickoff-Chat mit den Kuratoren Beusch/Cassani schon ein erstes Mal Farbe. Die Entwicklung des Internet hin zur "Top Level Domain des Lebens"1 hat in den vergangenen Jahren vielen Next-Generation-Creatives First-Hand-Erfahrung in der Arbeitswelt der New Economy verschafft. Ob als visionäre Pendler oder durchtrainierte Spagatkünstler, sie sind unterwegs zwischen Subkultur und Corporate-World, ständig auf der Suche nach dem kreativen Kick. Das bleibt nicht ohne Auswirkung auf ihr Selbstverständnis und lenkt die Energie, die an den produktiven Schnittstellen von Entertainment, Design, Gaming, Open Source, E- und M-Business freigesetzt wird, immer wieder in erfrischend neue Richtungen. In einem stimulierenden Environment, einem Mix aus Dayclubbing, informeller Medienkonferenz und vernetztem Showroom inszeniert die electrolobby das elektrisierende subdigitale Klima, in dem die gegenwärtig smartesten Hubs, Hacks & Killer-Apps rund ums Internet entstehen und gedeihen. Dieses Jahr empfängt die electrolobby Profi-Gamer, Game-Designer, Renegade-Programmierer, Wireless-Experten und Open-Law-Anwälte. Was sie alle miteinander verbindet, ist ein neues Set von Einflüssen, Werten und Vorstellungen – ein Referenzfeld, für das wir den Begriff „Internet-driven digital culture & lifestyle“2 geprägt haben. Da sind zum Beispiel die Bad Boys von der jungen New-Media-Agentur Kerb aus Brighton. Ihr Treibstoff: ein fun-orientierter, respektloser Approach. Warum? KERB: Weil die meisten alles viel zu ernst nehmen! Chill out! TNC: Ihr betont, dass bei Kerb noch nie jemand ausgestiegen ist. Warum ist es so cool, bei euch zu arbeiten? KERB: Wir sind lauter junge Creatives, denen die Arbeit unheimlich Spaß macht. Wir basteln funkige Spiele und Websites und haben mächtig Freude dran. Außerdem hat es seine Vorteile, in Brighton zu arbeiten: Man ist am Meer, in einer Stadt, in der viele junge Leute leben. Die Atmosphäre hier ist super angenehm. Und wir schieben alle den Tag hinaus, an dem wir einen „richtigen“ Job annehmen werden! TNC: Ihr seid auf Youth Marketing und Design spezialisiert. Wie haltet ihr euch über die aktuellen Trends auf dem Laufenden? KERB: Wir wissen immer, was gerade angesagt ist, weil wir selbst Teil unserer Zielkultur sind! Die Szene in Brighton ist ziemlich hip und immer up to date, und das hilft natürlich sehr. Wenn uns etwas gefällt, dann gefällt es mit größter Wahrscheinlichkeit auch anderen. Einer der wichtigsten Faktoren bei Kerb ist, dass wir uns bei unserer Arbeit nichts vormachen. Wir sind absolut ehrlich zu uns selbst, und wenn wir merken, dass etwas nicht einschlagen wird, dann landet es im Trash und wir fangen was Neues an, auch wenn wir schon eine Menge Zeit investiert haben. TNC: Der Erfolg von Kerb zeigt, dass kleine, innovative Agenturen, wie ihr sagt, „den großen Firmen in den kollektiven Hintern treten“ können. KERB: Bei Kerb kann und soll jeder seine volle Kreativität in die Projekte einbringen. Das zeigt sich auch im Umgang mit den Kunden. Wenn wir bei einem potenziellen Kunden zum Beispiel für eine Viral Marketing Campaign pitchen, dann sagen wir ihm bestimmt nicht einfach das, was er von uns hören will. Wir gehen den Job ganz individuell an und überlegen uns wirklich, was in diesem spezifischen Fall am besten funktionieren könnte – auch wenn dabei etwas Abgefahrenes rauskommt! Deshalb sind Agenturen wie Kerb so populär – thinking outside the box ... KERB (www.kerb.co.uk) Die Bad Boys von der New-Media-Agentur aus Brighton designen krude Online- Spiele für Viral Campaigns im Internet. Mit ihrem ausgetüftelten System für die Cross-Media-Nutzung von Flash-Animationen gehören die Spezialisten für funkiges Youth Marketing zu den Pionieren der aktuellen Annäherung von New-Media- und TV-Kultur. Feat: Jim McNiven, Pete Barr-Watson, Sermad Buni, Dylan Van Loggerenberg TNC: Ihr habt kürzlich die ersten TV-Werbespots in Flash produziert. Ein wichtiger Schritt in eurer Entwicklung. KERB: Auf jeden Fall. Unser traditioneller Markt löst sich langsam auf, rundherum werden Stellen abgebaut und Firmen geschlossen. Wir gingen ganz natürlich in Richtung TV-Animation, weil unser Firmenstil gut zu diesem Medium passt. Momentan laufen zwei TV-Werbespots von uns, und unsere Cartoon-Serie ist in Entwicklung. Wir wollen verstärkt in diesem Bereich tätig werden. Im letzten Jahr wurde viel über kerb.co.uk 03_electrolobby 02.08.2001 11:59 Uhr Seite 193194 Konvergenz diskutiert, und jetzt findet sie bereits auf allen Ebenen statt. Die TVCompanies wollen in die Neuen Medien einsteigen – und umgekehrt. TNC: Games sind aus eurem Alltag nicht wegzudenken. KERB: Ja, Spiele sind für Kerb-People sehr wichtig. Wir sind Console-Kids: Fast jeder von uns hat eine ganze Sammlung von Konsolen, vom ersten Atari bis zur neuesten PS2. Heute sind die Games im Web besser als die meisten Konsolenspiele der ersten und zweiten Generation, und das darf man natürlich nicht vergessen, wenn man fürs Netz produziert. Die Spieler stellen hohe Ansprüche an das Gameplay, und unsere eigene Erfahrung hilft uns, das in allen unseren Spielen zu berücksichtigen. TNC: Was reizt euch daran, beim electrolobby Game Jam mitzumachen? KERB: Wir finden es schade, dass Großbritannien in der europäischen Szene nicht wirklich mitmischt, und das möchten wir ein bisschen zurechtrücken. Außerdem schätzen wir die anderen teilnehmenden Agenturen sehr und freuen uns, mit ihnen zusammenzuarbeiten. TNC: Wir sehen den Game Jam als ein Beispiel für „coopetition“ – Zusammenarbeit zwischen Konkurrenten. Einige der teilnehmenden Agenturen sind im Geschäftsleben Konkurrenten – und doch nützen sie die Chance, während dieser vier Tage mit anderen Ideen und Know-how auszutauschen. KERB: So etwas hätte es vor dem Entstehen unserer Branche bestimmt nicht gegeben. Es macht richtig Spaß, die Reaktionen unserer Kunden zu beobachten, wenn sie uns mitteilen, wer unsere Konkurrenten bei einem Projekt sind, und wir antworten: „Hey, das sind coole Typen! Die kennen wir bestens!“ Einer der größten Vorteile unserer Branche ist, dass die einzelnen Agenturen zusammenarbeiten und ihr Wissen auch austauschen. Events wie der Game Jam können diese Kooperation nur stärken. Ich glaube, dieses einzigartige Verhalten ist möglich, weil unsere Branche zugleich auf Kreativität und Technik setzt. Letztendlich geht es um die kreative Verwendung von Technologie, und darin unterscheiden wir uns alle voneinander. Deshalb sind die Leute auch bereit, ihr Wissen mit anderen zu teilen. Raw Gaming Energy Die Mission der electrolobby besteht darin, die aktuellen Kreativitäts- und Innovationsschübe rund ums Internet im Frühstadium aufzuspüren und in einem relaxten, produktionsorientierten Setting, das dem Lebensgefühl der Digital Generation entspricht, zu präsentieren. Ein ganz besonderer Akzent wird denn auch auf Games gelegt. Sie stehen im Kreativ- Ranking ganz oben. Zum einen wegen ihrer zunehmenden kulturellen, gesellschaftlichen und ökonomischen Relevanz. Aber auch, weil im Produktionsprozess von (Online-)Games alle Aspekte eines kreativen, innovativen Umgangs mit dem Netz konvergieren – und weil Games ganz einfach Spaß machen! Als Besucher in der electrolobby ist man zum Beispiel vier Tage lang live mit dabei, wenn junge Designer und Programmierer aus verschiedenen internationalen Agenturen zum Creativity-Check einlaufen und gemeinsam eine Online-Gamehall entwickeln, von der Konzeption des Gameplay über Characterund Sound-Design bis hin zur Programmierung. Der electrolobby Game Jam gibt Einblick in die Arbeitsweisen der Next-Generation-Creatives und macht Digital Culture aus dem Kontext heraus verständlich, in dem sie entsteht. Das französische Team cHmAn zeichnet zusammen mit TNC Network verantwortlich für das Konzept dieser Marathon-Extravaganza. CHMAN: Wir konzipieren im Vorfeld zum Game Jam das Interface für ein Multi-Level- Spiel. Jedes Spiel, jedes Level wird dann von einem Team mit Teilnehmern aus den verschiedenen Agenturen realisiert und soll jeweils ein Gameplay repräsentieren, das die Computergame-Geschichte seit 1972 geprägt hat – von Pong bis zu den heutigen vernetzten Playgrounds. TNC: Wäre ein Event wie der Game Jam, wo internationale New-Media-Agenturen zusammenarbeiten, vor dem Internet denkbar gewesen? CHMAN: Das Internet hat viel frischen Wind in die Sache gebracht, und keine der teilnehmenden Agenturen würde ohne das Netz überhaupt existieren. Die Charakteristiken des Internet (offenes System, Informationsaustausch) inspirieren zweckfreie, kreative Aktionen wie den Game Jam. Die Message: Gerade jetzt, angesichts ökonomischer Imperative, darf die Jagd nach Profit nicht auf Kosten eines hyperkreativen Elans und technologischer Innovation gehen. Nur so werden wir interaktiven Content hinkriegen, der das Potenzial der Maschinen voll nutzt und dem Community-Spirit des Internet treu bleibt. GAME JAM Die electrolobby als internationales Gamelabor: In einem viertägigen Challenge programmieren junge profilierte Next-Gen-Creatives gemeinsam eine Online- Gamehall. Die einmalige Gelegenheit, den Entstehungsprozess von Online-Games vom Gameplay über Character Design bis hin zur Programmierung live mitzuerleben. Feat: Team cHmAn, Sulake Labs, Kerb, Moccu, Lippe, Kaliber10000, mach5design und Praystation. Eine Ko-Produktion von Vectorlounge (www.vectorlounge.com) und TNC Network (www.tnc.net). TNC: Der electrolobby Game Jam ist zugleich die dritte Etappe der Vectorlounge, einer Serie von Web-Events mit internationalem Lineup. Was ist das Interesse von Team cHmAn an diesen Jams?CHMAN: Wir wollen zusammen mit anderen Akteuren aus dem Bereich Grafik und Internetgame unsere Skills im interaktiven Online-Design teilen und verbessern – für einmal außerhalb der Zwänge, die unseren Alltag bestimmen, für einmal ausschließlich im Einklang mit der Inspiration des Moments. Aber Vectorlounge verfolgt auch ein aktivistisches Ziel. Alle Jammer wurden beeinflusst von diversen Grafikszenen – Graffs, Videogames, Werbung, Videoclip, Film. Wir sind die kreative Generation, die aus der Internetrevolution hervorgegangen ist, wir sind aber auch mit den klassischen Medien aufgewachsen, als kritische Konsumenten und (einige von uns) auch als aktive Produzenten. Die Jams geben uns die Möglichkeit, uns auf allen diesen verschiedenen Ausdrucksebenen zu bewegen. TNC: Euer Online-Game-Environment Banja gehört zu den drei Projekten, die für die Goldene Nica in der Kategorie Net Vision des Prix Ars Electronica 20013 nominiert wurden. Ebenfalls nominiert wurde Sonic Team’s vernetztes Konsolenspiel Phantasy Star Online (PSO) für Sega Dreamcast. Wo seht ihr die aktuellen Entwicklungslinien im Online-Game-Sektor CHMAN: Die Game-Industrie floriert, aber sie ist auch absolut hardcore. Sega ist da ja ein gutes Beispiel: Sie stoppen die Produktion der Dreamcast, obschon diese Konsole im Bereich Konnektivität revolutionär war, was gerade PSO beweist. Wir glauben, dass sich Videogames und das Web in die gleiche Richtung entwickeln. Videogames nutzen das Netz, um Core-Gamers zusammenzubringen, das Web bringt die Dimension des Mediums und der Community ein, was ein breiteres Publikum anspricht. Und alle bereiten sich vor auf die Breitband-Zukunft. TEAM CHMAN (www.teamcHmAn.com) Die Kreativ-Schmiede aus dem Norden Frankreichs hat sich mit ihrem bahnbrechenden Online-Game-Environment Banja weltweit einen Namen im Umgang mit vektorbasierten Animationstechnologien gemacht. In der electrolobby zeichnet Team cHmAn verantwortlich für die Programmierung des Game Jam- Interface. Feat: Sébastien Kochman, Olivier Janin, Damien Giard, Sébastien Jacob, Stéphane Logier, Alexandre Guesnerot, Gaël Cecchin, Denis Bonnetier, Rodolphe Bonvoisin, Gauthier Havet, Gunther Welker. TNC: Team cHmAn hat den letzten TV-Spot für Fatboy Slim in Frankreich produziert. Zeichen für den zunehmenden Erfolg eines Flash- Style? Suche nach neuen Märkten angesichts der aktuellen Krise? CHMAN: Ein Zeichen dafür, dass das Fernsehen sich neuen Kreativitäts- und Produktionssektoren öffnet. Was die Krise des Web angeht: Wir sehen das schlicht als makroökonomische Entwicklung zur Klärung der Marktsituation. Das sind (fast schon) normale Turbulenzen im Zuge der Etablierung von neuen Kommunikationsmitteln. Bleibt einfach zu hoffen, dass die Wirtschaft dieses außerordentliche Potenzial nicht zu früh formatiert. TNC: Eure Crew ist im letzten Jahr enorm gewachsen (mittlerweile über 30 Mitarbeiter). Ihr befindet euch an einem entscheidenden Punkt in eurer Entwicklung. Wie schafft ihr es, eurem Spirit treu zu bleiben und gleichzeitig weiter zu wachsen? CHMAN: Mit unserer Equipe wächst auch unsere Reife ... Wir arbeiten weiterhin in kleinen kreativen Teams, sei es für die Realisierung von Banja oder für die Entwicklung neuer Konzepte. Innerhalb der Teams sind die Aufgabenbereiche immer noch durchlässig und der Dialog ist permanent. Jeder hat bei seiner Tätigkeit einen kreativen Spielraum. Und der Game Jam ist auch ein Ventil, um sich einmal gehen zu lassen. Gaming your Way to Work Spiele sind feine Sensoren für die Veränderungen im sozialen Umgang mit Medien und Technologie. Die erfolgreiche, junge Web-Entertainment-Agentur Moccu aus Berlin führt in ihren Projekten vor, wie neue Spiel- und Wahrnehmungskulturen Old-School-Strategien auch in der Wirtschaft zunehmend den Rang ablaufen. Wie setzt sie ihre Visionen in einem Corporate- Umfeld um? MOCCU: Ein Rezept gibt es nicht – auch wenn das platt klingt. Wir arbeiten mit dem Corporate Design des Kunden und versuchen, so viel als möglich Moccu hineinzubringen, sprich eine Anwendung durch spielerische Elemente, spezielle interaktive Features und ein gesundes Rahmenkonzept aufzuwerten und dem Inhalt eine Klammer zu geben. TNC: Moccu war massgeblich an Challenge Unlimited beteiligt, einem Rekrutierungsspiel für Siemens, das u. a. in Zusammenarbeit mit Psychologen von der Ruhr-Uni Bochum entstanden ist. MOCCU: In Challenge Unlimited ging es darum, ein neuartiges Instrument zu entwickeln, über das potenzielle Bewerber auf spielerische Weise mit Siemens Kontakt aufnehmen können. Gleichzeitig eröffnete sich für Siemens die Chance, die Mitspieler, deren Profil sich am besten mit den Anforderungen der Firma deckte, gezielt anzusprechen. Zu diesem Zweck wurde ein E-Cruiting-Tool mit eingebetteten psychometrischen Tests entwickelt, an welchem die Interessenten über das Internet teilnehmen konnten. Die Resonanz war groß, viel größer als ursprünglich angenommen, und herausgekommen ist das größte datenbankbasierte Personalmarketing-Programm weltweit. TNC: Spielend zum Job: Wie beurteilt ihr die Stellung von Games in der Gesellschaft? MOCCU: Wir glauben, dass die Stellung von Spielen unterschätzt wird. In der heutigen Informationsgesellschaft herrscht an vielen Stellen Orientierungslosigkeit, Menschen sind gezwungen, sich mit neuartigen Medien, Informationen und dergleichen auseinanderzusetzen. Spielerisch Inhalte nahe zu bringen und so einen leichteren Zugang zu ermöglichen halten wir für eine sinnvolle Methode. Auch bei diesem Projekt hat sich gezeigt, dass eine unterhaltende Erzählung das beste Mittel ist, Interesse zu wecken und die Interessenten zu motivieren. Die Geschichte, die Moccu in Challenge Unlimited erzählt hat, lässt sich wie folgt zusammenfassen: In einer Stadt der Zukunft – Nouvopolis – wird der einzelne Teilnehmer – der CyberConsultant – mit verschiedenen Herausforderungen konfrontiert. So gilt es, auf der Reise nach Nouvopolis verschiedene Abenteuer zu bestehen – vom Flug durch einen Asteroidengürtel bis hin zur Bedrohung der Stadt durch einen Meteoriten ...MOCCU (www.moccu.com) Die junge Berliner Web-Entertainment-Agentur hat zusammen mit Psychologen von der Ruhr-Uni Bochum ein Online-Recruiting- Spiel für Siemens designt, mit dem kreative Nachwuchskräfte aufgespürt und getestet werden. Unterwegs zwischen kommerziellen Großaufträgen und unabhängigen Projekten im Unterhaltungsbereich nutzt Moccu das Potenzial von Games als effektives Kommunikationsinterface. Feat: Jens Schmidt, Björn Zaske. TNC: Ihr pendelt zwischen persönlichen Projekten und Corporate-Aufträgen. MOCCU: Moccu arbeitet einerseits an Corporate-Aufträgen, entwickelt eigene Projekte und versucht auch in anderen neuen Bereichen Knowhow zu erlangen. Wichtig für die Funktion des Prinzips Moccu ist die absolute Synthese aus Kreativität und Kompetenz in einer Harmonie aus Design und Technik, bei der Gleichzeitigkeit von Ideenfindung und -prüfung. Für eigene Konzepte im Unterhaltungsbereich entwickeln wir zurzeit z. B. ein Konzept für einen mehrteiligen Internetfilm mit Userinteraktion. Außerdem versuchen wir natürlich auch in neue Bereiche vorzudringen und beschäftigen uns aus diesem Grund in letzter Zeit auch wieder vermehrt mit 3D. moccu.com 03_electrolobby 02.08.2001 12:00 Uhr Seite 197198 TNC: Moccu nimmt auch am electrolobby Game Jam teil. Was reizt euch daran? MOCCU: Am interessantesten dabei ist für uns sicherlich der Austausch mit anderen: Man lernt andere Leute aus dem gleichen Umfeld kennen, erfährt, wie sich die Marktsituation in deren Herkunftsländern verhält, gewinnt neue Ideen, bildet Freundschaften, und eventuell kommt es sogar zu einer weiteren Zusammenarbeit. Daneben spielt natürlich auch der PR-Erfolg, der mit einer solchen Veranstaltung einhergeht, eine große Rolle. Es profitieren auf jeden Fall alle irgendwie davon, sei es wegen dem Spaß, dem Austausch oder dem Zustandekommen von neuen „Partnerschaften und Anknüpfungspunkten“ – oder durch das Kennenlernen von potenziellen Kunden. Cu-u-ute! Die freie Sicht auf die Donau wird jeweils am Nachmittag für eine Stunde verhüllt, wenn die electrolobby zur Screening Zone mutiert – Console- Drinks und 3D-Trinkhalme inklusive. Im Begleitprogramm zum Game-Schwerpunkt, bestehend aus vier Compilations, dokumentieren Introsequenzen, Trailer, exklusive Previews und unveröffentlichtes Material aus den vergangenen vier Jahren die spektakuläre Entwicklung im Bereich der Computeranimation. Games bekommen immer aufwändigere Introsequenzen verpasst, die Hollywood-Kinofilmen in nichts nachstehen – und die einst so klaren Trennlinien zwischen passivem und interaktivem Storytelling verschwimmen auch hier. Wie verlockend ist die Arbeit in diesem Sektor für Next-Generation-Creatives? Die junge österreichische Designerin Barbara Lippe hat kürzlich ein paar Monate bei der japanischen Design-Company FuriFuri gearbeitet und dabei auch Einblick gehabt in den Alltag japanischer Game-Firmen. LIPPE: Der Job als Kreativer in einer japanischen Spieleschmiede ist meiner Erfahrung nach knochenhart und hat nicht unbedingt viel mit Freiheit zu tun. Trotzdem können sich die Künstler im Rahmen der Unterhaltungsmaschinerie verwirklichen und sind stolz, dass ihre Kreationen einem breiten Publikum zugänglich sind. Ob es sich nun um Designer, Autoren oder musikalische Genies handelt, dort werden alle Kräfte mobilisiert, um ein anspruchsvolles multimediales Gesamtkunstwerk von unglaublicher Qualität zu schaffen. Tei-san, der Gründer der FuriFuri-Company, war (bevor er die Laufbahn als selbstständiger Designer einschlug) ebenfalls Künstler und arbeitete dann in der Compterspiele-Industrie. Ich habe viele Leute kennen gelernt, die im Laufe ihrer Karriere schon einmal bei Sega, Nintendo, Namco oder Square gearbeitet haben. TNC: Games haben in Japan einen ganz anderen Stellenwert als in Europa.LIPPE: Neben der „Übermutter Firma“ einen unglaublich hohen. Ich bin mir fast sicher, dass ein „Schrein“ aus Videospiel-Hardware jedes japanische Wohnzimmer schmückt, genauso wie unzählige Game-Centers die Straßen säumen, Spielemessen auf immenses Interesse stoßen und jede Altersgruppe und soziale Schicht mit elektronischer Unterhaltung (seien es nun Computerspiele, Roboterfreunde oder Karaoke-Einrichtungen) in Berühung kommt. Computerspiele werden nicht als kindische oder pubertäre Zeitverschwendung angesehen. LENS FLARE SCREENINGSDie vier Compilations zeigen Game-Animationen (Introsequenzen, unveröffentlichtes Rohmaterial sowie exklusive Previews und Trailers) aus den letzten vier Jahren. Das Begleitprogramm zum electrolobby-Game-Schwerpunkt illustriert die spektakuläre Entwicklung im Bereich der Computergrafik und macht klar, warum die Game-Industrie Hollywood die Vorherrschaft in der Unterhaltungsbranche streitig macht. Mit Beispielen aus Wipe Out (mit Graphics von Designers Republic), Tekken, Final Fantasy, Tomb Raider u. v. a. Zusammengestellt von Onedotzero, LondonTNC: Du nimmst auch am Game Jam teil. Was interessiert dich daran? LIPPE: Es ist einfach toll, mit interessanten Menschen von überall auf der Welt etwas zu kreieren, das mir selbst Spaß macht und wiederum anderen Menschen Freude bereitet. Genau das ist das Schöne daran, wenn man etwas Unterhaltsames schafft. Darum hat für mich „unterhaltsam“ auch nicht den geringsten Touch des Minderwertigen. Es ist ein wichtiger Motivationsfaktor. TNC: Wie siehst du deine Rolle in diesem großen Team? LIPPE: Ich bin die, die motivieren, beruhigen, Süßholz raspeln, flirten und das Spiel mit irren, fiktionalen Lebewesen „voll stopfen“ wird. Außerdem freue ich mich auf die ausgelassene Partystimmung, die wir beim Game-Jammen haben werden. Wir wollen Spaß! TNC: Du bist im Game Jam fürs Character Design zuständig. In diesem Bereich hast du auch bei FuriFuri gearbeitet.LIPPE: FuriFuri ist eine junge, kleine, aber äußerst ehrgeizige und idealistische Firma, die auf Character-Design spezialisiert ist, denn gezeichnete Figuren haben in Japan bekanntlich einen immensen Stellenwert. Doch bei FuriFuri entstehen auch Websites, Videos, Spiele, Bücher, Posters, T- Shirts, Spielzeug und selbst ganze Marketing- Konzepte. Ich habe bei FuriFuri zahlreiche Websites und Character-Animationen (u. a. für japanische Fashion-Brands und für ein auf MTV Japan ausgestrahltes Promotion-Video für ein Computerspiel) kreiert – und habe bei den monatlichen FuriFuri-Partys die ausgelassenen japanischen Gäste mit einem echt österreichischen Tiramisu (plus einer Extraportion Rum) erfreut. TNC: Wie hast du die japanische Designerszene im Vergleich zu Europa erlebt?LIPPE: Es war für mich in der ersten Zeit sehr schwierig zu verstehen, dass auch eine Gruppe aus jungen Kreativen eine so innige, konservativ-verbissene Beziehung zu einer Firma aufbauen kann, welche absolute Priorität in ihrem Leben hat. Es ist auch interessant, wie sehr das Farb- und Typografieverständnis japanischer Designer von unseren schulmeisterlichen Theorien abweicht. Obwohl Japaner für mich manches vielleicht einen Hauch zu verbissen sehen, habe ich doch die Erfahrung gemacht, dass es dort sehr wichtig ist (im Design wie in der Musik), Menschen emotional anzusprechen. Die Komponente der „cuteness“ scheint den Japanern unglaublich essenziell. Nicht umsonst ist der ekstatische Ausruf kawaii!!!! (süß!!!) einer der am häufigsten verwendeten Ausdrücke im Wortschatz eines modernen, jungen Japaners. TNC: Für jemanden wie dich, mit einer großen Liebe für Virtual Characters, ist Japan ja das Paradies. LIPPE: Japaner umgeben sich sehr gerne mit virtuellen Gestalten, sie infiltrieren ihr reales Leben selbst mit erfundenen, gezeichneten Figuren. Fiktionale Kreaturen sind fest in der japanischen Kultur verankert, und sämtliche Altersschichten stehen in innigster Beziehung zu unrealen Wesen (wie z. B. Pikachu), die bei uns ja meistens nur als Kleinkinderkram abgetan werden. Man hat immer seine elektronischen animierten Begleiter (auf Mobiltelefonen oder Handhelds) mit dabei. Ich finde es sehr schade, dass europäisches Design eher einem trockenen rationellen oder einem undurchschaubar-intellektuellen Anspruch als viel mehr einem sinnlich-emotionalen gerecht werden will. Genau darum hatte ich das Gefühl, dass viele Japaner sehr schnell ihr Interesse an europäischem Design verlieren. TNC: Wie siehst du die an der diesjährigen Ars Electronica thematisierte Tendenz, wonach Young Creatives eher in Bereichen wie Medien, Unterhaltung, Werbung als in der Kunst tätig sind? LIPPE: Es könnte sein, dass viele dem künstlichen, trockenen Überbau von dem, was sich heute Kunst nennt, überdrüssig geworden sind. Ein Werbeclip zum Beispiel ist ein kleines Kunstwerk, ein kreatives und ästhetisches Feuerwerk, das manchmal mehr Konzept und vor allem viel mehr emotionale Wirkung haben kann als so manches Werk der gegenwärtigen Kunst. Außerdem sind Medien, Unterhaltung und Werbung Stränge in einem globalen Netzwerk, die es für die Young Creatives möglich machen, überall auf der Welt mit Gleichgesinnten schöpferisch tätig zu sein. Ich bin unheimlich dankbar, dass es das Internet gibt. Mobile Stickiness Die electrolobby – Inselgruppe des netzinspirierten Lifestyles – ist konzipiert als eine Location, wo sich Neugier und Social Pleasure, spontane und organisierte Aktivitäten beliebig kombinieren lassen. Sie ist übersichtlich genug, um direkte Kontakte zu ermöglichen, divers genug, um zahlreiche Andockpunkte zu bieten. Wer sich an den Game-Animations satt gesehen hat, wer an den electrolobby-Bars seinen Blutzuckerspiegel mit Gummibärchen stabilisiert hat, wer die Game-Jammer angefeuert, in einem Deathmatch ums Leben der Pro- Gamer gezittert und im Lobby-Halbschatten seiner kommunikativen Lust freien Lauf gelassen hat (wo sonst kann man ungehemmt und ungestraft 40 Young Creatives eine Woche lang von ihrer Arbeit abhalten?) – der kann in einem der moderierten Instant-Panels (Digital Instinct, Games Unlimited, Kännykka Quick Lunch) mehr über zentrale Tendenzen rund um den Innovationsmotor Internet erfahren. Da geht es natürlich um vernetzte Games, aber auch um die Evolution des Internet weg vom Desktop zur Ubiquität. Die in Japan lebende Wireless-Expertin Andrea Hoffmann präsentiert M-Toys und Hintergrundinfo, ausgehend vom japanischen i-mode-Service. Eine der brennendsten Fragen an sie ist natürlich jene, wie viele Mobiltelefone sie mit sich herumträgt. HOFFMANN: Ich habe derzeit nur zwei mobile Phones, i-mode und ezweb (=WAP). Ich nutze vor allem das i-mode-Handy, für 1) E-Mail, 2) i-Mode-Inhalte und 3) Anrufe. TNC: Du lebst in Japan. Was fehlt dir, wenn du in Europa unterwegs bist? HOFFMANN: Wenn ich in Europa unterwegs bin, fehlt mir mein i-mode-Handy an allen Ecken und Kanten. Die Wahrheit ist, dass ich es sogar meistens dabei habe (Amputierten- Syndrom), aber es funktioniert natürlich nicht. Wie eine entwöhnte Raucherin versuche ich dann etwa alle 20 Minuten vergeblich, meine E-Mails auf meinem i-mode-Handy abzurufen oder mal schnell die täglichen Headlines zu checken. TNC: In Keitai Zone beschreibst du die Kultur, die in Japan rund um Mobile Phones, Handy- Tuning und das mobile Internet entstanden ist. HOFFMANN: I-mode-Handys sind ein Fashion Statement und ein sehr persönliches Tool für Japans Teenager. Bunte Phone-Straps mit Figuren hängen an fast jedem Handy, Aufkleber machen das Handy unverwechselbar und täglich neue Klingeltöne sowie Hintergrundbilder werden zu Tausenden via i-mode heruntergeladen. Mobile E-mails werden für private Konversationen genutzt, selbst wenn ein Computer oder ein Telefon in der Nähe ist und praktischer wäre. Angestellte benutzen i-mode-Handys, um private Mails von ihrem Arbeitsplatz aus zu senden und zu empfangen. Da i-mode- Phones immer „online“ sind, werden E-Mails immer sofort an den Adressaten ausgeliefert, was die Kommunikation noch direkter werden lässt und mehr schon an Chat erinnert.KEITAI ZONE Nach der Eroberung des Cyberspace in den 90er-Jahren wird der reale Raum, besonders der urbane, dank mobilem Internet für New-Media- Creatives wieder interessant. Die M-Toy-Show verschafft Einblick in die allgegenwärtige Wireless-Kultur, die rund um den i-mode-Standard in Japan entstanden ist. Feat: Andrea Hoffmann TNC: I-mode ist ein großer kommerzieller Erfolg. Ist es auch mehr? Eine Revolution, wie es in Europa häufig dargestellt wird? HOFFMANN: I-mode ist keine Revolution, weder technologisch noch kommerziell. Das Revolutionäre daran ist mehr das intelligente Business-Modell, das eben genau nicht eine Revolution ausrufen wollte, sondern bewusst auf bereits bestehenden und weit verbreiteten Technologien (HTML, HTTP, GI F) aufbaut und seine Inhalte von Anfang an vor allem von großen und etablierten Unternehmen in Japan bezogen hat. Neu ist, dass diese Inhalte und deren Nutzung auf das mobile Medium zugeschnitten sind und dem Benutzer genau das bieten, was er sucht, genau dann, wenn er es braucht. Das wird überall auf der Welt funktionieren, vielleicht wird es sich nicht so schnell entwickeln wie in Japan (d. h. in Tokio), aber es wird funktionieren. TNC: Was unterscheidet Japan und Europa in Bezug auf mobile Kommunikation? HOFFMANN: Oh, das ist ein weites Thema. Japan ist Europa in Bezug auf das mobile Internet weit voraus, technologisch (vor allem die Handsets) und in Bezug auf die Vielfalt der Inhalte und die Anzahl der Nutzer. Ganz grob könnte man sagen: Europa hat mit WAP einen neuen technologischen Standard entwickelt (der sich nicht durchgesetzt hat) während Japan mit i-mode einen neuen mobilen Service entwickelt hat (etwas, das die Konsumenten am Ende weitaus mehr interessiert als die blanke Technologie dahinter). TNC: Der Begriff „mobiles Internet“ ist nicht unumstritten. HOFFMANN: Interessanterweise sprechen Vielnutzer und auch die Erfinder von i-mode selber nicht von Internet (und sie haben auch recht, es ist es ja auch nicht, zumindest nicht das Web, wie wir es kennen). Sie nennen es i-mode, oder j-sky oder ezweb etc. Das mobile Internet wird das Desktop-Internet nicht ersetzen. Es sind verschiedene Tools mit unterschiedlichen Zwecken und unterschiedlichen Charakteristiken. Im mobilen Internet browst man nicht wie im fixen Web, man klinkt sich ein und will das, was man sucht, sofort erhalten. In der Regel verbringt man damit nicht mehr als zwei Minuten. TNC: Welches sind die aktuellen Trends – einmal abgesehen von 3G-Services? HOFFMANN: Der absolute Trend in Japan geht Richtung Mehrkanal-Zugang für alle Teile der Bevölkerung: Desktop/Web-Zugang im Allgemeinen, mobiler Zugang für junge Leute, Zugang über Multimedia-Towers in Convenience Stores und bald Zugang über Faxmaschinen und Heimtelefone (L-mode) für die ältere Generation. TNC: Nach der Eroberung des Cyberspace wird der reale Raum, besonders der urbane, für Creatives und Entwickler dank mobilem Internet wieder interessant. Erhält das Lokale in einer Welt in der sich dank permanenter Konnektivität feste Bezugsgrenzen zunehmend auflösen eine neue Qualität? HOFFMANN: Ja natürlich, gerade lokale Gegebenheiten sind im mobilen Internet besonders wichtig. Der örtliche Bezugsrahmen des mobilen Internet hat zwei verschiedene Aspekte: A) ich kann mobile Inhalte und Dienste ortsunabhängig benutzen, wo immer ich gerade bin. Ich kann mit Leuten per E-Mail kommunizieren, wo immer ich bin und wo immer meine Kommunikationspartner sind. B) Ich kann mobile Inhalte und Dienste ortsabhängig benutzen, wie zum Beispiel den Kino-Guide, der mir genau sagt, welche Filme laufen, wo ich mich gerade befinde, oder den S-/ U-Bahn Dienst, der mir sagt, wie ich von meinem momentanen Aufenthaltsort (z. B. Shibuya in Tokio) zu meinem gewünschten Aufenthaltsort (z. B. Shinjuku in Tokio) gelange. Mit dem Handy ist man nie woanders – man ist erreichbar oder nicht. Softlinking Digital CultureEverything lässt das Herz höher schlagen (bpm > 200). Für solche Dinge ist das Internet erfunden worden. Während wir in der electrolobby Protagonisten der Digital Culture mit teilweise sehr unterschiedlichen Backgrounds softlinken (vom Bioinformatiker, der Napster-Technologie zum Verbreiten von Human-Genome-Daten nutzt ,4 über Experimental-Entertainer und Info-Broker bis hin zu Food-Jockeys und professionellen Gamern), hat sich ein 23-jähriger Datenbank-Aficionado zum Ziel gesetzt, schlicht das gesamte Wissen des 21. Jahrhunderts zu verlinken. Tag für Tag arbeiten rund um die Welt Tausende gemeinsam an einer informellen Echtzeit-Enzyklopädie, inszeniert im Stil der Digital Generation: schnell, frech, dynamisch. EVERYTHING: Das ist eine echt gute Beschreibung von Everything. TNC: Everything ist ein faszinierendes Projekt. Respect! Was macht es so unterhaltsam? EVERYTHING: Naja, ein paar hundert Leute versuchen, unterhaltsam zu sein – und ein paar schaffen es dann auch immer wieder ... Ich glaube, es liegt am Witz, den die Teilnehmer in ihre Write-ups einfließen lassen – es ist eine ständige Gratwanderung zwischen informativ-trockenen und humorvoll-geschmacklosen Beiträgen, und einige Noders kriegen das mittlerweile echt gut hin. TNC: Es ist euch gelungen, eine riesige Community mit einer starken emotionalen Bindung zum Projekt aufzubauen. EVERYTHING: Wir haben 34.400 User (Stand vom 25. Mai 2001) und täglich kommen etwa 100 neue Accounts dazu. TNC: Wir glauben, dass Everything vor allem deshalb so kickt, weil es keinen zentralen Topic hat. EVERYTHING: Stimmt sicher – man trifft bei Everything auf Menschen, die an den obskursten Themen interessiert sind. So ziemlich alles, worauf man selbst abfährt, kann man da schon finden. Ich glaube, die Faszination liegt auch in der ständigen Erweiterbarkeit von Everything – wenn jemand an Punkbands aus den 80er-Jahren interessiert ist und findet, dass der „X-Ray Specs“-Node nervt, dann schreibt er halt selber einen, um sein (vermeintlich) besseres Hintergrundwissen einzubringen. TNC: Everything hat seinen ganz spezifischen Jargon. Was ist ein Node, was ein Write-up? EVERYTHING: Ein Node besteht aus einer Gruppe von Write-ups – Nodes sind der „Einstieg“ in die Datenbank und sind durch Links miteinander verbunden. Wenn ein Benutzer zu einem Node geht, kann er diesem selbst ein Write-up hinzufügen – eine Art Essay, der mit Reputation Points bewertet wird. Die Nodes gehören niemandem, die Write-ups – der eigentliche Inhalt der Nodes – werden von den jeweiligen Autoren kontrolliert. TNC: Was sind Experience Points? EVERYTHING: Wenn man ein Write-up schreibt, beginnt man bei Reputation 0. Die übrigen User können nun aber Votes abgeben. Mit jeder abgegebenen Stimme steigt die Chance, dass der Autor einen Experience Point (XP) erhält. Sobald ein Autor genug Write-ups erstellt und genug XPs gesammelt hat, erreicht er das Level 2, wo man einer täglichen Bewertung unterzogen wird. Auf Stufe 4 wird eine neue Bewertungskategorie eingeführt: „cool“ – man beginnt mit einem „cool“ pro Tag, und jeder Node, an den man ein „cool“ vergibt, erhält einen (temporären) Link auf der Front Page, was dem Autor 10 XPs einbringt. Je höher das Level, umso mehr Stimmen bzw. „cools“ kann man sammeln. EVERYTHING (www.everything2.org) Everything ist eine kollaborative Real-Time-Enzyklopädie für die Digital Generation: schnell, frech, dynamisch – eine attraktive Alternative zu Old-School-Wissenssammlungen. Sie ist vor zwei Jahren im Slashdot-Dunstkreis entstanden, nutzt das Internet raffiniert als Knowledge Backbone und enthält bereits über eine Million Einträge – von „String Theory“ über „Cheats“ bis „X-Men“ findet man so ziemlich alles. Feat: Nathan Oostendorp & the Everything-Noders TNC: Bei der Entwicklung von Everything spielten auch Games eine wichtige Rolle.EVERYTHING: Ich stehe auf Games, wo man so etwas wie virtuelles Geld verdienen oder mehr Punkte sammeln, sprich mächtiger werden kann – insbesondere, wenn es andere Mitspieler gibt, mit denen man sich misst. Das Level/ Experience-System ist im Prinzip nichts anderes als eine Weiterentwicklung des traditionellen Rollenspiel-Stils (R PG), außer dass es bei uns nicht Waffen und Monster gibt, sondern Essays – und die Popularität eines Essays bestimmt, wieviel Power man im System hat. Everything startete ohne das XP-Bewertungssystem, aber inzwischen ist es wahrscheinlich das beliebteste Feature. TNC: Mit dem Rating/Voting-System und seinen verschiedenen Benutzerkategorien erreicht Everything eine spannende Balance zwischen zentraler und dezentraler Organisationsform. EVERYTHING: Bei Everything gibt es eine Reihe verschiedener „Clans“, die durch Zuteilung von Softwarefunktionen formalisiert sind: 1) Gods – das ist die Klasse der Game- Master. Sie genießen völlige Handlungsfreiheit innerhalb des Systems und können z. B. Write-ups nuken, also löschen, Write-ups wieder herstellen, Trolls oder Bots ausschliessen und (wenn sie Perl beherrschen) neue Features hinzufügen. Gods werden von unserem Editor-in-Chief persönlich bestimmt. 2) Content Editors – diese User können vorschlagen, welche Write-ups genuked werden sollen. Ihre Aufgabe besteht nicht nur darin, die Spreu vom Weizen zu trennen, sondern auch neue User in die abgefahrene Everything-Kultur einzuführen. 3) Edev – eine Usergruppe mit Read Access auf den Everything-Code. Ihre Funktion ist hauptsächlich die eines Sounding Board für neue Featurevorschläge oder Interfaceverbesserungen. Sie können aber auch Fehler reparieren. Jeder, der sich für den Code interessiert, kann bei Edev einsteigen. TNC: Ein besonders nettes Feature sind die Softlinks. EVERYTHING: Softlinks bilden die Navigationsmuster der Benutzer ab, die einen Node besuchen und wieder verlassen. Je öfter ein Link genutzt wird, umso höher rangiert er in der Liste der Softlinks. Softlinks sind außerdem bidirektional und vermitteln so eine Vorstellung davon, welche Nodes einen Link zum aktuellen Node enthalten und welche Links vom aktuellen Node wegführen. TNC: Das Core-Team von Everything ist eng mit dem Kernteam von Slashdot verbunden. Welche anderen Einflüsse waren für den Aufbau von Everything von Bedeutung? EVERYTHING: Eine essenzielle Rolle in der Entwicklung von Everything spielte Open Source – wegen der Gratis-Tools zur Einrichtung von Web-Datenbanken, aber auch wegen dem damit verbundenen Konzept von Zusammenarbeit. Auf mich persönlich hatten BB Ses großen Einfluss, weil sie die ersten Multi-User-Environments waren, die ich je erlebt hatte. Die Struktur der Site leitet sich direkt aus der Graphentheorie der Computerwissenschaften ab. Als ich die erste Version von Everything codete, besuchte ich gerade eine Vorlesung zu diesem Thema. Außerdem hat Everything Usenet sowie Online-Message-Boards wie Slashdot, Everquest und IRC/Instant Messaging eine Menge zu verdanken. TNC: Wie siehst du die Zukunft von selbstorganisierenden Content-Datenbanken in den nächsten Jahren? EVERYTHING: Ich glaube, wir müssen noch jede Menge darüber lernen, wie man Leute dazu bringt, elektronisch zu kommunizieren, und wie man Online-Communities aufbaut. Ich denke, das ließe sich durch eine größere Code-Literacy enorm beschleunigen, da sich dann solche Organisationen viel rascher bilden würden. Schon jetzt wissen weitaus mehr Leute, wie man Blogger- oder Slash-Sites erstellt als noch vor zwei Jahren. Und ich glaube, dieser Trend wird anhalten. Target Audience Wie konzipieren Vertreter einer Generation, für die Video-Games und Mobiltechnologie ganz natürlich zur kulturellen Ausstattung gehören, heute ein Multi-User-Environment? Die Antwort liefert Habbo Hotel, ein virtuelles Fünf-Sterne-Hotel für Teenager. Der Habbo-Room- Service umfasst zum Beispiel eine integrierte Konsole für mobile Kommunikation, über die sich die Gäste nach Herzenslust ansimsen können. HABBO: Die Konsole von Habbo Hotel ist ein Instant-Messenger-Tool. Wenn du in Habbo jemanden triffst, kannst du ihn fragen, ob er dein Freund werden will, und wenn er damit einverstanden ist, wird er auf die Liste deiner Freunde gesetzt. Wenn man sich mit jemandem in Habbo wirklich gut anfreundet und ihn nicht aus den Augen verlieren will, dann macht es schon Sinn, wenn man nach Lust und Laune jederzeit miteinander kommunizieren kann. Deshalb kann man über die Konsole SMS oder E-mails an seine Habbo-Freunde versenden. Die gesamte Kommunikation läuft über deine Habbo-Identität, ist also sicher und anonym. TNC: Habbo entstand als ein Ort, an dem Kids abhängen und Spaß haben können. Ausgangspunkt waren eure Erfahrungen mit Mobiles Disco. HABBO: Mobiles Disco begann im Herbst 1999 als Hobbyprojekt. Einer meiner Freunde bat mich, eine Website für die finnische Rapband Mobiles zu gestalten, und so fing alles an. Die Band selbst löste sich bald auf, doch die Site – eine Netz-Disco im Retro-Gaming-Stil – begann ihr Eigenleben. TNC: Dann kam Hotelli Kultakala, die finnische Originalversion des späteren Habbo Hotel. Wie kam es zur englischen Version? HABBO: Hotelli Kultakala war wirklich ein Hit, und wir haben rasch erkannt, dass dieses Konzept auch im Ausland erfolgreich sein könnte. Also machten wir uns auf die Suche nach Investoren, um in Großbritannien eine Firma zu gründen, die Habbo Hotel herausbringen sollte. Im Jänner 2001 war es dann so weit.HABBO HOTEL (www.habbo.com) Ein Social Entertainment Environment in Form eines virtuellen Fünf-Sterne- Hotels, konzipiert von Vertretern einer Generation, für die Games und Mobiltechnologie längst zur kulturellen Ausstattung gehören. Im Habbo-Room Service inbegriffen ist ein Kommunikationstool, das es den Teenage-Gästen erlaubt, auch per WAP und SMS in Kontakt zu bleiben und miteinander zu kommunizieren, wann immer sie dazu Lust haben. Feat: Sampo Karjalainen, Aapo Kyrölä & the Habbo-Guests TNC: Der entscheidende Schritt in der Entwicklung von Habbo war die Ausrichtung auf ein Zielpublikum. HABBO: Mobiles Disco war ein reines Kulturprojekt. Wir hatten es nur aus Spaß entwickelt und die Hosting-Gebühren selber bezahlt. Habbo Hotel soll natürlich auch Fun sein, aber gleichzeitig will es eine rentable Dienstleistung anbieten. Unsere Erfahrungen mit der finnischen Urversion von Habbo Hotel haben uns gezeigt, dass Jugendliche (die 14- bis 18-Jährigen) die naheliegendste Zielgruppe sind. Sie haben Zeit und sie kehren immer wieder ins Habbo Hotel zurück. Vielleicht haben sie im wirklichen Leben noch keine eigene Wohnung und können sich nun eine virtuelle Wohnung einrichten. Oder sie finden es einfacher, Vertreter des anderen Geschlechts in einer virtuellen Umgebung kennen zu lernen. TNC: Wie viele Gäste logieren im Habbo Hotel? HABBO: Jetzt, Anfang Juni 2001, sind über 190.000 Habbos im Hotel registriert. Die durchschnittliche Besuchsdauer beträgt derzeit 27 Minuten. TNC: Vor Habbo Hotel habt ihr mit der Werbeagentur Taivas ein Multiplayer-Game für den finnischen Mobiltelefonbetreiber Radiolinja entwickelt. Wie hat diese Erfahrung eure Entwicklung beeinflusst? HABBO: Das war ein sehr gutes Start-Environment. Aber es zeigte sich bald, dass unsere Projekte sich stark voneinander unterscheiden. Das Gute daran war, dass wir uns dank Taivas voll und ganz auf die Entwicklung konzentrieren konnten: Wir hatten Räumlichkeiten, Computer, finanzielle Absicherung, Rechtsanwälte etc. Und es war eine sehr inspirierende Umgebung mit vielen kreativen Designern. TNC: Ist Finnland allgemein ein inspirierendes Land?HABBO: Momentan geht in Finnland in Sachen Kultur, Musik, Design und Technologie ziemlich die Post ab. Finnland ist ein kleines Land und es ist relativ einfach, Leute kennen zu lernen und soziale Netzwerke aufzubauen. Und im Vergleich zu London ist es auch relativ billig, eine Firma zu betreiben. Finnland ist ein ideales Test-Environment, insbesondere was mobile Dienstleistungen angeht, da hier fast jeder ein Mobiltelefon hat und die Leute die mobilen Services tatsächlich auch verwenden. TNC: Ihr nehmt am electrolobby Game Jam teil. In eurer Firma Sulake Labs spielen Games offensichtlich ebenfalls eine große Rolle. HABBO: Mobiles Disco wurde am stärksten von Playmobil-Figuren oder alten Commodore 64- und Spectrum-Spielen beeinflusst. Eigentlich ist fast jeder hier bei Sulake irgendwie Retro-Gaming-orientiert. Wenn man beim Spielen kurzfristige Ziele verfolgt, vergisst man für kurze Zeit die großen, verwirrenden Fragen des Lebens. Spielen machen das Leben sinnvoll! Bedroom Gods Die im Rahmen der diesjährigen E3 (Electronic Entertainment Expo) in Los Angeles angekündigte Integration von Flash- und Real-Player in die PlayStation2 ist nur eines von vielen Beispielen für die aktuelle Annäherung von Internet und Game-Industrie, wo Aspekte wie vernetztes Spielen und Community, besonders im Konsolenbereich, eine zunehmend wichtige Rolle spielen. Doch die Beeinflussung beginnt nicht erst heute. In From Bedroom Programmers To Media Gods erzählt der Game-Designer Simon Carless die Geschichte der subkulturellen Demo-Szene als Talentschmiede für viele der heutigen Top-Shots der Game-Branche. CARLESS: Demos sind vielleicht überhaupt die erste Kunstform des digitalen Zeitalters. Hier ist eine Definition, die ich ursprünglich ca. 1995 für die FAQ-Datei geschrieben habe: „Demos (kurz für „demonstrations“) sind ausführbare Programme, die nur um der Kunst willen geschaffen werden und beeindruckende, spektakuläre Audiovisuals enthalten. Die Leute machen Demos, weil sie etwas programmieren wollen, das über die ganze Welt verbreitet wird, das viele Menschen sehen und wegen des raffinierten Designs schätzen. Man kann sich ein Demo als Musikvideo am Computer vorstellen, bei dem auf visuelle Effekte, die Musik und den Code gleich viel Wert gelegt wird. Etwas zum Anschauen und Genießen, man bewundert die Kreativität, die darin steckt. Demos können wirklich schön sein :)" TNC: Wann erreichte die Demo-Szene ihren Höhepunkt? CARLESS: Die ersten Demos gab es wohl schon Mitte bis Ende der 80er-Jahre am C64 und auf anderen frühen Computern: Das waren damals „Crack-Intros“, bei denen man den Kopierschutz von Spielen entfernte und eine kleine eigene Promo-Message hinzufügte. Demos entwickelten sich dann zu einer eigenen Kunstform, die in den frühen 90er-Jahren in der Amiga-Szene gipfelte: Nun war es möglich, auf jedem beliebigen Computer die beeindruckendsten Echtzeiteffekte zu erzeugen – programmiert von Teenagern in ihrem Schlafzimmern, weltweit verbreitet über Snail- Mail und BB Ses (denn das war ja noch in der Zeit vor dem Internet). TNC: Die Demo-Szene war ein Underground-Phänomen. Wo ist der Link zur heutigen Game- Industrie? CARLESS: Musiker, Grafiker und vor allem Coder sind massiv aus der Demo-Szene Richtung Games abgewandert, und in den meisten großen Game-Firmen – sogar in Amerika, wo sich die Demo-Szene nicht so durchgesetzt hat – sind diese Top-Spezialisten (oft Skandinavier, durchwegs Europäer!) zu ganz wichtigen Pfeilern geworden. Dieser Abwanderungstrend begann Mitte der 90er-Jahre und ist wahrscheinlich einer der Hauptgründe für das starke Nachlassen der Demo-Szene. Passiert ist das alles, weil die Bedroom-Coder der Demo-Szene schlicht die ultimativen Programmier-Genies sind. TNC: Welches sind ihre besonderen Skills? CARLESS: Viele von ihnen können Assemblersprache programmieren. Das war die Methode, wie man sehr direkt auf Hardware zugreifen und die schnellste Performance erzielen konnte. Sie wird auch heute noch verwendet, um die schnellsten 3D-Engines für Konsolen wie z. B. die PlayStation zu programmieren. Selbst wenn Games-Programmieren an den Universitäten gelehrt würde (und nur wenige zeigen Ansätze dazu), braucht man immer noch Leute mit einer Menge Erfahrung, die wissen, wie man effizient Game-Code schreibt und mit Sachzwängen umgeht – und mit einer Kickass-Engine hat man nun mal die Nase vorn. FROM BEDROOM PROGRAMMERS TO MEDIA GODS (mono211.com/ars-electronica-2k1) In einer Serie von Micro-Lectures zeigt ein Ex-Demo- Scener und Game-Designer, warum die Computerdemo-Subkultur zur Talentschmiede für die Game-Industrie wurde, und enthüllt die Verbindungen zu aktuellen Blockbuster-Spielen wie Black & White. Feat: Simon Carless, aka hollywood TNC: Ein paar Beispiele? CARLESS: Prominente Ex-Scener arbeiten zum Beispiel für Firmen wie Core Design (die Väter von Tomb Raider), Shiny (die Earthworm Jim programmiert haben und nun an einer Videogame-Version von The Matrix arbeiten), aber auch für Lionhead (Peter Molyneux'' neue Firma, bekannt für Black & White) etc. ... TNC: Die Lens Flare-Screenings zeigen, dass sich das Verhältnis zwischen der Hollywood- Filmindustrie und der Game-Industrie verändert hat. Wohin geht der Trend – wenn man an Film-to-Game- oder Game-to-Film-Beispiele (wie etwa The Matrix) denkt? CARLESS: Games mit ausgeprägten Storylines sehen heutzutage oft schon wie Spielfilme aus. Vor zehn Jahren war das bestimmt noch nicht der Fall. Die Dinge entwickeln sich sehr rasch weiter. Ich glaube, die beiden Genres können sich gegenseitig mächtig beeinflussen. Die Medien sind jedoch sehr verschieden, weshalb man Crossovers mit einer gewissen Skepsis begegnen sollte. Es ist gut, dass heute nicht mehr alle Game-Versionen von Filmen schrecklich sind, und bei einigen sieht man sogar einen kreativen Ansatz. Aber hier geht es derzeit nur um die Übersetzung von Themen, mehr nicht. Tomb Raider ist z. B. ein Film über Characters aus einem Videospiel. Dinge wie das interaktive Web-Puzzle für den Kinofilm Artificial Intelligence, ähnlich wie das Spiel Majestic, erweitern hingegen die Handlung des Films und kreieren Suspense, schon bevor man ihn sich ansieht – das ist doch schon ganz nett. TNC: Bei der diesjährigen Milia in Cannes bedauerte Philippe Ulrich von der Game-Firma Cryo Interactive, dass die investierten Mittel auf Grund der erhöhten Produktionskosten zur Zeit hauptsächlich in Mainstream-Produktionen fließen. Eine völlig andere Situation als bei seinen Anfängen in den 80ern ... CARLESS: Das mag in gewisser Weise stimmen, und dann auch wieder nicht. Man ist immer versucht, die „gute alte Zeit“ heraufzubeschwören, wo man tun und lassen konnte, was man wollte. Aber das war in einer Zeit, wo man in ein paar Wochen für fast kein Geld ein ganzes Spiel selbst programmieren konnte (da fällt es leichter, nochmal von vorne anzufangen!), und das Publikum bestand vor allem aus Hardcore- Gamern, die auch repetitives, einfaches Gameplay bereitwillig akzeptierten (welches natürlich auch heute noch seine Berechtigung hat, nur dass die Erwartungen halt gestiegen sind). Für individualistische Spiele ist immer noch Platz, zweifellos. Aber die Game-Industrie gehört heute nun mal zum Mainstream, daher müssen wir Phänomene wie Multi-Millionen-Dollar-Projekte und komplexe Zeitpläne akzeptieren und dazu nutzen, üppigere und verspieltere Erfahrungen möglich zu machen. Wenn man mehr Zeit bzw. Ressourcen zur Verfügung hat, haben die Spiele oft mehr Tiefgang und machen mehr Spaß. Und das ist gut so. TNC: Welche Rolle spielen unabhängige Game-Produzenten wie etwa Eric Zimmerman, Creator von Sissy Fight, der letztes Jahr in der electrolobby war 5? CARLESS: Ich glaube, kleine unabhängige Studios sind sehr wichtig. Für Web-Games (wie Sissy Fight), kann man in einer sehr kleinen Gruppe arbeiten, weil solche Spiele noch relativ simpel gestrickt sind – oft auf dem Bedroom-Coder-Level, wenn man so will. Und für kleine Gruppen oder Firmen wird es immer genug zu tun geben – WAP und Mobiltelefone sind wahrscheinlich die Bereiche, in denen Games als Nächstes erfolgreich sein können, und natürlich Gameboy Advance. Low-Tech Mindset Den Kontrast zu den State-of-the-Art Game-Animations in den Lens Flare-Screenings setzen die Trackmaster von Micromusic mit ihren Game-Soundbytes aus Retroland. Sie bewegen sich dabei locker zwischen Pop, Game-Kultur und Digital Lifestyle – und schaffen in der electrolobby ein 8-bit-Ambiente zum Abhängen. Ist Micromusic ein Internet-Label, eine Retrogaming- Community, eine Selfpromotion-Plattform oder ein Experimental-Entertainment-Interface? MICROMUSIC: Im Grunde all das ;) Am Anfang war Micromusic.net ein rein virtuelles Projekt. Erst im vergangenen Jahr haben wir damit angefangen, unsere Aktivitäten auch außerhalb des Cyberspace zu suchen und zu entfalten. Mit der Veröffentlichung der micro superstarz2000-CD-Compilation warfen wir erstmals ein reales Produkt auf den realen Markt. TNC: Wie groß ist die aktive Community im Moment? MICROMUSIC: 5 Prozent der rund 4.000 Leute umfassenden Community können als aktiv bezeichnet werden. Wir arbeiten momentan mit rund 200 Musikern, Grafikern, Künstlern und Kreativen zusammen. Die restlichen 95 Prozent bestehen aus Leuten, die sich in erster Linie für die von uns präsentierte Musik interessieren und ihre Interessen mit Gleichgesinnten teilen möchten: Webdesigner, Journalisten, Game- Freaks und Kinder. Wir bieten den Leuten verschiedene Kommunikations-Optionen. Durch die Möglichkeit der direkten Kommunikation, gepaart mit dem audiovisuellen und redaktionellen Content, der von uns zur Verfügung gestellt wird, entsteht ein Club-Feeling unter den Leuten. TNC: Es besteht ja mittlerweile auch Interesse von bekannteren Leuten aus dem Umfeld der elektronischen Musik. MICROMUSIC: Zu Beginn haben bei uns ausschließlich unbekannte Künstler ihre Musik veröffentlicht und zum Download bereit gestellt. In der Zwischenzeit sind mehr und mehr bekannte Leute dazu gestoßen. Besonders im Londoner Rephlex-Umfeld findet Micromusic viele Freunde. Lektrogirl, Ed DMX (DMX Krew), Global Goon, Bodenständig 2000 und auch Cylob gehören in der Zwischenzeit zur Community und stellen unveröffentlichtes Material zum Download bereit. MICROMUSIC.NET (www.micromusic.net) Eine Digital Lifestyle-Plattform für Screen-Kids, Joystick-Lovers und Audio-Nerds, auf der sich nach dem Motto „Low-Tech Music for Hi-Tech People“ alles um Computergame-Sounds dreht. Das Label schlägt spielerisch Brücken zwischen der aktuellen Internet-Musikwelt und früheren Szenen und Tools. Feat: Paco Manzanares (aka wanga), Mike Burkhardt (aka superB), Gino Esposto (aka carl) In der electrolobby 2000 war mit Monotonik (Mono211) ein Trackerlabel eingeladen6. Ihr seid ja breit mit diesen Szenen vernetzt. Habt ihr auch Connections in Japan? MICROMUSIC: Wir interessieren uns sehr dafür, was in Japan produziert wird, weil wir wissen, wo die meisten Low-Tech-Geräte herkommen. Nendo Ani und dtj moodibbo sind unsere ersten japanischen Microartists, mit denen wir zusammenarbeiten, und wir hoffen, dass wir so irgendwie einen Fuß in die japanische Szene kriegen. Wir gehen davon aus, dass es sich dabei nur noch um eine Frage der Zeit handelt und entwickeln, optimistisch wie wir sind, bereits jetzt schon ein Micromusic-Logo mit japanischen Schriftzeichen.TNC: Die hohen Hard/Softwarekosten waren mit ein Grund für das Entstehen der Low- Budget-Trackerscene. Heute sind die Kosten allgemein gesunken. Stehen der Spirit, das Mindset im Vordergrund? MICROMUSIC: Die Leute, die heutzutage mit Low-Budget-Tools arbeiten, machen das meist aus der Einsicht heraus, dass nicht das Werkzeug einen guten Track ausmacht, sondern der darin enthaltene Spirit, das Mindset, welches sich im Track widerspiegelt. Ziel eines Low-Tech-Produzenten ist es, mit minimalem Equipment ein Maximum an Flavour zu erzeugen. Der spielerische Aspekt spielt dabei eine wichtige Rolle. Der Humor und die Lust auf Reduktion. Wer auf einem Gameboy einen Track programmieren kann, der in der Community gut ankommt, steigert seine Credibility, was das Ego stärkt und die Kreativität ankurbelt. Und natürlich ist es eine riesige Herausforderung, coole Tracks aus Elektroschrott rauszukitzeln. TNC: Ihr habt klare Aufnahmebedingungen für die Tracks, die ihr auf Micromusic featured. MICROMUSIC: Im Gegensatz zu den großen MP3-Portalen wie mp3.com oder Vitaminic.com, wo jedermann seine Musik zum Download bereitstellen kann, arbeiten wir mit einem Filtersystem. Uns werden monatlich rund 100 Tracks zugespielt. Aus diesen Tracks versuchen wir die interessantesten Beiträge herauszufiltern. Dazu haben wir ein Voting-Tool programmiert, welches von der Micromusic-Crew und unserem direkten Umfeld bedient wird. Wir nehmen dieses Auswahlverfahren sehr ernst: Die Tracks werden mehrmals durchgehört, bewertet und in verschiedenen Situationen getestet bevor sie schließlich aktiviert werden. Bei jährlich rund 1.000 Titeln eine nicht einfache und zeitraubende Arbeit, die wir aber leisten und für die uns unsere Mitglieder lieben. Law of Creativity Besonders die Musikindustrie wurde durch die Entwicklungen im Internet (Napster, MP3 & Co.) in den letzten Jahren arg durcheinander geschüttelt. Die Gegenattacke ließ nicht lange auf sich warten. Nutzer sehen sich mehr und mehr mit technischen Blockaden konfrontiert, mit denen der Zugang zu digitalen Film- und Musikdateien stark eingeschränkt wird. Eines der Ziele des von Juristen initiierten Openlaw-Projekts ist es, die Interessen der Allgemeinheit gegenüber jenen der Unterhaltungsindustrie zu wahren und den Usern ihre angestammten Rechte im Umgang mit Informationsgütern zu garantieren. Warum ist das heute wichtiger denn je zuvor? OPENLAW: Gesetze zum Schutz geistigen Eigentums sollen nicht nur sicherstellen, dass jemand mit origineller, kreativer Arbeit Geld verdienen kann, sondern auch, dass die Allgemeinheit diese Arbeit anerkennt und darauf aufbauen kann TNC: Was ist schief gelaufen? OPENLAW: Es scheint, als hätten wir diese Balance verloren; wir haben uns zu wenig Gedanken darüber gemacht, ob die Öffentlichkeit von immer stärkeren Monopolen geistigen Eigentums wirklich profitiert. Copyrightgesetze wurden bisher von denen gemacht, die am Verhandlungstisch sitzen – Firmen, die ihre Lobbyisten ins Kapitol nach Washington schicken, wie es Jessica Litman in ihrem neuen Buch Digital Copyright formuliert. Doch nachdem im Internet jeder zum Verleger werden kann und so neue Verwendungsmöglichkeiten für urheberrechtlich geschützte Arbeiten entstehen, bekommt die Allgemeinheit die restriktive Wirkung dieser Gesetze direkter zu spüren. Openlaw will dieser öffentlichen Besorgnis eine Stimme verleihen. TNC: Wie groß ist die Auswirkung dieser Gesetze auf die Kreativität in den digitalen Medien? OPENLAW: Gesetze zum Schutz geistigen Eigentums sollen Innovation und Kreativität fördern. In den USA zumindest gestattet die Verfassung dem Kongress, Gesetze spezifisch zu dem Zweck zu erlassen, „den Fortschritt der Wissenschaften und der nützlichen Künste zu fördern, indem Autoren und Erfindern über einen beschränkten Zeitraum hinweg das Exklusivrecht auf ihre jeweiligen Schriften bzw. Entdeckungen gewährt wird“. Durch den Schutz der Urheberrechte soll das Gesetz den jeweiligen Autor in seiner Kunstproduktion unterstützen. TNC: Das funktioniert nicht immer so ... OPENLAW: Das Gesetz kann der Kreativität auch im Wege stehen, z. B. indem es für einen Künstler zu schwierig wird, auf Arbeiten eines anderen aufzubauen, oder indem Kritiker daran gehindert werden, in ihren Rezensionen Ausschnitte aus dem jeweiligen Werk zu zitieren. Das Gesetz kann auch die Verbreitung von Kunst auf übertriebene Weise einschränken, wenn etwa zu strenge Schutzmaßnahmen dazu führen, dass das Werk sein Publikum nie erreicht. Manche Menschen reagieren auf die Möglichkeiten der digitalen Medien – breitere und billigere Distribution – mit Angst und haben deshalb die Regierungen davon überzeugt, dass die Medien durch Gesetze in die Schranken gewiesen werden müssen, wodurch deren Verwendung und Verbreitung in einem Maße eingeschränkt wird, als wäre das Publikum der Feind. Wir haben das Augenmaß verloren und vergessen, dass der Schutz geistigen Eigentums eigentlich das Interesse der Allgemeinheit an Kreativität schützen sollte. Und so ermutigen, gerade zu einem Zeitpunkt, wo Kunst breiter vertrieben werden könnte, neue Gesetze – wie die WIPO-Verträge, die EU-Richtlinie zum Copyright, der Digital Millennium Copyright Act in den USA – technologische Restriktionen. 03_electrolobby 02.08.2001 12:01 Uhr Seite 211212 OPENLAW PROJECT (www.openlaw.org) Angesichts der kontroversen Gesetzgebung rund um Urheberrecht und Informationsnutzung entwickelt Openlaw innovative Strategien zur Sicherung der Interessen der Allgemeinheit gegenüber jenen der Unterhaltungsindustrie. Anwälte und Laien erarbeiten nach dem Open-Source- Modell gemeinsam Argumentationsstränge, zum Beispiel für den DeCSS-Prozess rund um die Entschlüsselung des DVD-Kopierschutzes. Feat: Wendy Seltzer TNC: Das sind die Schlüsselfragen in einem der bekanntesten von Openlaw unterstützten Fälle: DeCSS. OPENLAW: DeCSS wurde von einem norwegischen Teenager und anonymen Kollegen entwickelt; es ist ein Programm, das den Kopierschutz von DVD-Filmen entschlüsselt und es ermöglicht, diese auf nicht lizenzierten Geräten abzuspielen, wie z. B. auf Computern mit dem GNU/Linux-Betriebssystem. 2600 Magazine hat den DeCSS-Code auf seiner Website veröffentlicht und wurde prompt von acht großen amerikanischen Filmstudios verklagt – und zwar unter Berufung auf eine Bestimmung im Digital Millennium Copyright Act (DMCA), die die Verbreitung von Tools untersagt, mit denen man Kontrollmaßnahmen für urheberrechtlich geschützte Werke „umgehen“ kann. Diese Bestimmung orientiert sich an ähnlichen Formulierungen in den internationalen WIPO-Verträgen. Dem setzte 2600 entgegen, der DMCA könne nicht die Verwendung urheberrechtlich geschützter Werke unter Kontrolle stellen und „faire Verwendung“ untersagen – etwa indem man verhindert, dass man DVDs auf jedem beliebigen Gerät abspielt oder Werkausschnitte in Kritiken verwendet. TNC: Openlaw verfolgt einen radikal neuen Ansatz, Rechtsinstrumente zu schaffen, die den Rechtsprozess gegenüber einem kollaborativen Environment öffnen. OPENLAW: Openlaw verwendet Free-Software- und Open-Source-Methoden, um Rechtsausführungen im Interesse der Allgemeinheit zu entwickeln. Wir laden jeden ein, sich uns bei der Verteidigung der Public Domain anzuschließen: durch das Ausarbeiten von Ausführungen, das Sammeln von Beweisen, das Verfassen von Gerichtsberichten und das Informieren der Öffentlichkeit. Das Projekt will Gesetze einem breiteren Publikum zugänglich machen und von der umfassenden Zusammenarbeit profitieren. Beim Open-Source-Programmieren sagt man sinngemäß, „je mehr Augen, desto weniger Fehler“ – je mehr Personen sich mit einem Problem befassen, umso intensiver die Fehlersuche und umso erfolgreicher die jeweilige Lösung. Openlaw tauscht die Diskretion einer geschlossenen Diskussion gegen eine offene, breite Beteiligung und verwendet dabei die über das Internet verfügbaren verteilten Ressourcen der Teilnehmer zur Lösung von Rechtsfragen. TNC: Wie sind die bisherigen Erfahrungen? OPENLAW: Ich würde das Experiment als erfolgreich bezeichnen. Wir haben ganz eindeutig einen Beitrag zu den bearbeiteten Fällen geleistet, und wir haben Rechtsausführungen veröffentlicht, mit denen wir – wie ich hoffe – andere für unsere Sache gewinnen werden. Doch wir arbeiten an schwierigen Fällen, und der Kampf um die Public Domain wird bestimmt nicht in dieser Runde entschieden. TNC: Was ist dein Background? OPENLAW: Ich bin Anwältin und führe Urheberrechtsprozesse als Partner von Kramer Levin Naftalis & Frankel in New York. Diesen Herbst werde ich außerdem an der juridischen Fakultät der St. John''s University eine Lehrveranstaltung über Internet-Recht abhalten. Zum Schlafen komme ich kaum. Gourmet MushroomsDie electrolobby, Sinnbild des emotional aufgeladenen Netzwerks, ist der ideale Umschlagplatz für hyperaktive Link- und Info-Dealer. Unterwegs ist auch die berühmt-berüchtigte Crew von Kaliber10000, aka The Designer’s Lunchbox. Das funkige E-zine wirkt wesentlich an der permanenten Weiterentwicklung des Mediums mit, indem es Tag für Tag Creatives weltweit zum gegenseitigen Austausch motiviert und mit seiner No-Bullshit-Haltung die Qualitätsstandards erbarmunslos nach oben jagt. K10k beschreibt sich selber so: „Our mission is to put the focus on design, on the whole creative experience, and show people out there that not everything has to be streamlined, menu-to-the-left, make-it-looklike- Amazon.“ K10K: Ich weiß, das klingt ein bisschen nach „zurück zur Natur“, aber ihr könnt uns glauben, wir sind nicht wirklich darauf aus, Bäume zu umarmen. TNC: Gut zu wissen ;) Toke, du arbeitest für Wallpaper*, Michael, du warst Creative Director bei ELK UK. Braucht es viel Kreativität, um in einem Corporate Environment kreativ zu sein?K10K: Einige traditionelle Künstler werden wahrscheinlich behaupten, dass Kreativität in einem kommerziellen oder Corporate-Umfeld gar nicht gedeihen kann. Andere werden den Mythos vom am Hungertuch nagenden Künstler kultivieren, Sklave seiner Emotionen und unfähig, auf seinen künstlerischen Output Einfluss zu nehmen. Einige Digital-Designer würden wohl dasselbe behaupten. Wir glauben, das ist falsch. TNC: Wie seht ihr die Dinge? K10K: Kreativität ist eine launische Sache, das stimmt. Aber sie kann auch verschiedene Formen annehmen und man kann sie durch äußere Einflüsse – z. B. durch eine gute Atmosphäre im Unternehmen – pushen. Ich habe schon Arbeiten von Firmen gesehen, die weit besser waren als die persönlichen Projekte aller Beteiligten, weil die Firma die Angestellten optimal motiviert und ihnen (in punkto Kreativität) weitaus mehr abverlangt, als sie alleine leisten könnten. Ein gutes Corporate-Environment fördert die Kreativität der Designer und motiviert sie zur Zusammenarbeit, wodurch sie als Gruppe Leistungen erbringen, zu denen der Einzelne nicht in der Lage wäre. Ein schlechtes Corporate-Environment steckt die Angestellten in kleine Arbeitskojen und lässt sie zehn Stunden am Tag Banklösungen entwerfen. k10k.net 03_electrolobby 02.08.2001 12:01 Uhr Seite 213214 TNC: Es gibt eine ganze Reihe Design-Zines im Web. K10k ist für seinen Stil und seinen High-Quality-Ansatz bekannt. K10K: Als Toke und ich anfingen, uns mit HTML, Webdesign usw. herumzuschlagen – das war im „goldenen Zeitalter“, also 1995/96 –, hatten wir beide das Gefühl, dass im Web an der Stelle ein riesiges Loch klaffte, wo Design hätte sein sollen. Zeldman gab es zwar schon, und Hotwired auch, aber die „wirklichen“ Design-Sites waren dünn gesät. Wir warteten ein bisschen ab, lernten das Medium besser kennen und beobachteten, wie andere Design Playas, z. B. SHI FT, DigitalThread und Born Magazine wie Gourmetpilze aus dem Boden schossen. Alle diese Sites wurden aber nur monatlich bzw. im Zwei-Wochen-Rhythmus aktualisiert; das war dann doch zu lang für unseren Kreativitäts-Schuss, und so sprangen wir ins kalte Wasser und schufen unsere eigene Site, Forum und Spielwiese zugleich, ein kreatives, funkiges Inspirations- Hub, bestehend aus einer wöchentlichen Ausgabe und einem permanenten Newsfeed rund um Design – eine Site, die es uns allen ermöglichen würde, in diesem bösen, seelentötenden Geschäft weiterzuarbeiten, ohne völlig auszubrennen und durchzudrehen. TNC: In euren „weekly issues“ habt ihr eine Reihe bekannter Designer gefeatured. K10K: Seit dem Start von Kaliber10000 hatten wir das große Glück, mit einer breiten Palette an hochtalentierten, engagierten Menschen zusammenzuarbeiten, die unser Leben mit viel Designerglück erfüllt haben. Die Liste unserer Contributors ist meilenlang; derzeit halten wir bei Ausgabe Nr. 112. Deshalb wäre es nicht fair, irgendjemanden explizit hervorzuheben. In unseren kleinen glatzigen Köpfen sind sie alle etwas Besonderes. KALIBER10000 (www.k10k.net) Das funkige E-zine, auch bekannt als The Designer''s Lunchbox, ist zu einem der attraktivsten Hang-Outs für die internationale Design-Community geworden. Mit ihrer No-Bullshit- Haltung motivieren die hyperaktiven Link-Dealer Kreative rund um die Welt zum gegenseitigen Austausch – und jagen die Qualitätsstandards erbarmungslos nach oben. Feat: Michael Schmidt, Toke Nygaard, Per Jørgensen TNC: Ihr versorgt die Digital Generation auch mit so lebenswichtigen Dingen wie Moodstats ™. K10K: Moodstats™ ist eine Anwendung, mit der man eine Menge persönlicher Daten – wie z. B. Stimmungen, Stress, Fitness, schlechte Angewohnheiten, Sex, Popularität, Kung-Fu-Kenntnisse usw. – verfolgen und überwachen kann. Außerdem kann man die eigene Statistik mit der seiner Online-Freunde vergleichen ... Es ist echt faszinierend, wenn man beobachtet, wie die eigene Stresskurve rasant ansteigt, während die Origami-Kenntnisse absacken. Das verrät einem so einiges über sich selbst. Ich habe festgestellt, dass (überraschenderweise) starker Alkoholkonsum und darauf folgende Verkaterung in engem Zusammenhang stehen. TNC: Kaliber10000 klingt irgendwie nach Clint Eastwood ... K10K: Obwohl sich Kaliber auf Clint Eastwoods Schießeisen vom Kaliber 44 zurückführen lässt, möchten wir betonen, dass wir keine Waffen-Freaks sind. Wir sind friedliche Menschen. Wir fanden diesen Namen schlicht grandios – und dass wir K statt C verwenden, verweist auf unsere dänischen Wurzeln. Es hat nicht wirklich etwas zu bedeuten. Bei der Ausarbeitung des Konzepts für Kaliber10000 waren auch andere Namen im Gespräch, etwa Duck Driver, Urban Donkey, Tanker und Two Guys Named Joe (was wir verwarfen, weil keiner von uns Joe heißt) ... TNC: :)) K10K: ... aber schliesslich blieben wir bei Kaliber10000, weil es dunkel und irgendwie mysteriös klang, und weil es nett aussah, als wir es auf K10K abkürzten. Unser Ansatz ist sehr persönlich: Wir laden Leute ein, die wir mögen, ohne Kompromisse. Und ich glaube, das ist es, was man an uns schätzt: den No-Bullshit-Approach. Gaming goes Pro Wir kennen alle das vielzitierte Bild von Computern und Games als „Trainingsfeld“ für die Informationsgesellschaft. Und jetzt kommen Leute, nehmen das beim Wort und treiben mit Computern Sport, und zwar professionell. Eine Entwicklung, die im electrolobby-Game-Schwerpunkt natürlich nicht fehlen darf: Pro-Gamers erhalten erstmals eine Plattform an einem internationalen Medienfestival. E-Sport, Digital Sport, Cyber-Athletics – verschiedene Bezeichnungen, die alle einen neuen Trend im Bereich der Digital Culture umschreiben. Worum geht es? KAMBIZ: Wettkampforientiertes Computerspielen. Ein neues Zeitalter des Gaming, in dem man sein strategisches Können und seine Geschicklichkeit mit anderen misst – und zwar rund um den Globus. Experten schätzen sogar, dass zukünftig der größte Nutzen des Internet in diesem Markt liegt. TNC: Kambiz, du bist Gründer und Leiter von Progaming.de, einer Plattform für Pro-Gamer mit internationaler Erfahrung. Dominik, du bist einer von Deutschlands besten Gamern, im Moment Halb-Profi und Student der Philosophie und Mathematik in Oxford. Du bist international bekannt, auch durch deine Arbeit als Team-Captain der deutschen Broodwar-Nationalmannschaft. Was hat Gaming mit Sport zu tun? KAMBIZ: Eine Parallele zum konventionellen Sport zu ziehen ist nicht abwegig. Computerspieler wollen, wie Hochleistungssportler, für Ihre Bemühungen und Leistungen anerkannt werden – schließlich trainieren sie dafür. DOMINIK: Für mich ist Gaming absolut gleichzusetzen mit einer Sportart. Bevor ich intensiv mit dem Spielen angefangen habe, war ich ein relativ erfolgreicher Handballer. TNC: Was spielst du? DOMINIK: Ich spiele ausschließlich Starcraft/Broodwar, weil es das Spiel im Pro-Gaming- Bereich ist, das die höchsten Anforderungen an strategisches Verständnis und motorische Fähigkeiten stellt und somit über sehr sehr lange Zeit eine Herausforderung darstellt. Selbst nach drei Jahren intensiven Spielens lernt man immer noch dazu, kein Spiel ist wie das andere. TNC: Ausgegangen ist diese Entwicklung von Korea, wo es bereits eine massive professionelle Gamer-Szene gibt. KAMBIZ: Korea ist nach wie vor in diesem Sektor wegweisend. Dort werden bereits Turniere live im Fernsehen übertragen. Pro-Gamer werden dabei gefeiert wie hier zu Lande Hochleistungssportler. Sie sind bei Firmen wie NTT oder Samsung unter Vertrag und beziehen traumhafte Gehälter. Welchen sozialen Stellenwert sie in Ost- Asien bereits genießen, zeigt sich etwa daran, dass respektable Firmenchefs mit gebeugter Haltung auf Pro-Gamer zugehen, um ihre Anerkennung zu signalisieren. DOMINIK: In Korea hat Gaming einen Stellenwert wie Tennis oder Fußball in Deutschland. Das heißt: Quasi jede Bevölkerungsschicht in Korea kennt Starcraft/Broodwar. Fast alle Leute unter 40 Jahren haben es bereits gespielt. Und die Jugend interessiert sich brennend für Pro-Gaming, d. h. sie verfolgen Spiele im TV, schreiben Fanpost, fragen Pro-Gamer nach Autogrammen usw. – ich weiß, es ist schwer zu glauben, wenn man es nicht selbst gesehen hat. TNC: Computerspiele-Turniere werden in Korea auch vom Kultur- und Wissenschafts-Ministerium unterstützt. Das dürfte für die meisten Europäer einigermaßen überraschend sein. KAMBIZ: „Spielen macht gesund“ – im Gegensatz zur hiesigen Einstellung, dass Computerspielen „dumm“ macht, haben Koreaner erkannt, welch positiven Einfluss Gaming auf die Jugend hat. Das Erlernen von strategischem Denken, reaktionsschnellem Einsatz und Teamgeist sind neben dem Kennenlernen von anderen Menschen und Kulturen ausschlaggebende Argumente für die Bemühungen des Koreanischen Kultur- und Wissenschafts-Ministeriums. E-SPORT: GAMING GOES PRO (www.progaming.de) Digital Culture in voller Aktion: Im Dezember 2001 finden in Korea die ersten World Cyber Games statt, so etwas wie die Olympischen Spiele der Computergames. Die Protagonisten des von Asien ausgehenden Trends zur Professionalisierung im Game-Bereich, die so genannten ProGamers, erreichen bereits den Bekanntheitsgrad von Top-Stars. Feat: Kambiz Hashemian, Ana Vranes, Dominik Kofert. In Zusammenarbeit mit Programing.de TNC: Warum hinkt Europa der Entwicklung in Korea hinterher? KAMBIZ: Die Entwicklung hier wird durch Vorurteile der europäischen Entscheider sowie durch taube Ohren der Industrie gebremst. TNC: Es ist ja auch an der Zeit, mit dem klischierten Bild vom Durchschnitts-Gamer aufzuräumen. DOMINIK: Das Bild, das ein Großteil der europäischen Gesellschaft lange Zeit hatte und zum Teil leider noch hat, ist sehr negativ geprägt und wird auch von den Medien immer wieder bestätigt, auch wenn Fakten deshalb verdreht werden (was ich schon mehrfach persönlich erfahren musste): Der „typische Gamer“ sei sozial isoliert, kontaktscheu, gewaltbereit, hässlich, langweilig und lebe in einer Traumwelt. TNC: Ana, du bist 16, eine der aktivsten Gamerinnen in Deutschland. Warum spielen weiterhin viel weniger Frauen? ANA: Hm, ich denke man kommt einfach nicht unbedingt alleine auf die Idee zu spielen, man müsste es den Frauen einfach mehr nahe legen und es ihnen zeigen. Ich habe auch immer mehr dazu gelernt, und dazu gekommen bin ich auch nur durch meinen Bruder. In meinem Freundeskreis wird logischerweise akzeptiert, dass ich spiele. Ich habe keine Freundinnen, die auch Ego-Shooter spielen (wobei ich viele der Mädels, die im Internet spielen, auch im Real-Life kenne). DOMINIK: Ich denke, das hat auch mit der Überzahl der Männer in den Natur- und Computerwissenschaften zur Anfangszeit dieser Entwicklung zu tun. Deshalb wurden die ersten Computerspiele auch größtenteils von Männer gespielt, und die Industrie entwickelte demnach auch Computerspiele für die Interessen von Männern. TNC: Ende 2001 gehen in Seoul die ersten World Cyber Games (www.worldcybergames.org) – so etwas wie die ersten Olympischen Spiele des E-Sport – über die Bühne. Du warst auch schon zweimal in Korea. Wie bereitest du dich auf die WCG vor? DOMINIK: Mit drei bis vier Stunden Training pro Tag. TNC: Gespielt wird in verschiedenen Kategorien. KAMBIZ: Es werden sechs Games aus den Genren 3D-Shooter, Strategie und Sportsimulation vertreten sein. Dabei treten sich über 400 Cyberathleten aus insgesamt 25 Ländern gegenüber. Ich konnte mich bereits letztes Jahr beim Testlauf vom Ausmaß dieses Spektakels überzeugen: Olympischer Geist einer neuen Generation im neuen Gewand ... TNC: ... und Digital Culture & Lifestyle in voller Aktion. electrolobby-Konzept, Programmgestaltung und Project Management: Tina Cassani/ Bruno Beusch (TNC Network/F – www.tnc.net) Raumgestaltung: Scott Ritter Special Thanks an die electrolobby-Residents und an TNC''s Kim Danders, Christina Clar, Sabine Wahrmann, Marco Repetto und DJ Swo. 1 s. Beusch/Cassani: „electrolobby – the top level domain of life“, in: NEXT SEX, Ars Electronica 2000, S. 325–371 2 ibid., S. 348 3 s. Beusch/Cassani: „Respect! – Statement of the Net Vision/ Net Excellence Jury“, in: Cyberarts 2001, International Compendium Prix Ars Electronica, S. 184 s. Beusch/Cassani: „electrolobby – the top level domain of life“, in: NEXT SEX, Ars Electronica 2000, S. 3665 ibid., S. 3646 ibid., S. 348