Metaphern der Partizipation
'Rafael Lozano-Hemmer
Rafael Lozano-Hemmer
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'Heimo Ranzenbacher
Heimo Ranzenbacher
Heimo Ranzenbacher: Dieses Interview erscheint im Kapitel „Egineers of Experience“. „Engineers of Experience“ könnte im Grunde eine allgemeine alternative Bezeichnung für KünstlerInnen sein, schwingen doch im Ingenieur-Begriff als Benennung für Fachleute, die auf Basis natur- und technikwissenschaftlicher Kompetenz Werke planen und ausführen, mit dem lateinischen „ingenium“ Begabung und Erfindungsgeist mit. Welche Bedeutung hat für Sie der Rekurs der Künste auf Naturwissenschaft und Technik?
Lozano-Hemmer: Wie die meisten Menschen lebe ich gerne stellvertretend durch die Technologie. Verstärkung, Simulation, Telematik und Dinge, die abstürzen, haben etwas Verführerisches für mich. Ich arbeite mit Technologie, weil das unvermeidlich ist. Technologie ist eine der Sprachen der Globalisierung. Ich nenne sie gern eine Sprache, weil damit zwei signifikante Attribute verbunden sind: Erstens, dass Technologie nicht zu trennen ist von zeitgenössischer Identität – dass es nichts gibt, das wir „vor aller Technologie lieben“–, und zweitens, dass Technologie nichts Erfundenes oder Engineertes ist, sondern vielmehr etwas, das sich durch ständig wandelnde soziale, ökonomische, physische und politische Kräfte entwickelt hat. Ich glaube, Künstlerlnnen verwenden Technologie explizit, um einige der Paradoxa unserer Kultur von innen heraus zu kritisieren. Wie kann Medien-Kultur tatsächlich zu Mediationsverlust führen? Wie kann ein Zustand der Ortslosigkeit zu einem Multi-Ort werden? Wie kommt es, dass die Telematik die Peripherie noch einmal marginalisiert? Andererseits gibt es, wie der Kunstkritiker Lorne Falk sagt, eine Tendenz zu „technologisch korrekter“ Kunst, wo sich Künstler, Museen und Galerien der Technologie nicht zur Schaffung neuer, für die neuen Medien typischer Erfahrungen bedienen, sondern vielmehr um ihr metakulturelles Sammelsurium aufzuwerten. Es ist bezeichnend, dass die aufeinanderfolgenden Wellen der Multimedia-, VR-, Internet- und nunmehr allgegenwärtigen Computing- Hypes zumeist mit klischeehaften Bezugnahmen auf die Renaissance kommentiert wurden, als träten wir in einen neuen Humanismus ein, in dem der User „der Mittelpunkt der digitalen Welt“ ist. Der Mensch steht heute im Mittelpunkt von nichts anderem als einer Herde oder Masse. Könnten wir uns von außen betrachten, würden wir wahrscheinlich sehen, dass wir relativ geläufigen, unvermeidlichen Mustern oder Gruppenverhaltensweisen wie der Teilnahme an der Konsumkultur folgen. Der ganze humanistische Ansatz, bei dem Kunst und Wissenschaft so tun, als wären sie ein- und dasselbe, ist bestenfalls Nostalgie und schlimmstenfalls Nekrophilie. Ich halte es für bezeichnend, dass die ersten realistischen Computermodelle des Menschen (Synthespians) zur genau der Zeit gemacht wurden, in der auch Formen von Herdenverhalten (Partikelsysteme) in High-End-Animationspaketen implementiert wurden. Vor vielen Jahren schrieb ich einen Essay für Leonardo mit den Titel „Perverting Technological Correctness“; darin skizzierte ich einige der Strategien, die Künstler anwenden, um die Unvermeidlichkeit industrieller Technologien zu unterlaufen. Dazu zählte ich auch die Simulation der Technologie selbst, die Verwendung von Schmerz, kurzlebige Interventionen, den Missbrauch von Technologie, nicht-digitale Herangehensweisen an Virtualität und Widerstand gegen den „Effekt“-Effekt, wie ich das nenne.
Für die so genannte Medienkunst sind die engagierten Medien nicht nur Mittel zum Zweck (der Vermittlung einer Erfahrung), sondern immer auch Referenzsystem (der Erfahrung). Darin gleicht sie im Grunde einer Kunst, die außerhalb eines Technik-Kontexts entsteht. Im Unterschied etwa zur Farbe Blau eines Bildes, die primär auf Kunstimmanenz referiert, stellt Technologie jedoch ein intersubjektiv verbindliches Referenzsystem dar. In dem einen begründet sich der Autonomie-Anspruch der Kunst, im anderen der Verzicht auf Autonomie. Wie sehen Sie die Position des Künstlers innerhalb dieses Spannungsfeldes?
Lozano-Hemmer: Ich glaube, jede Kunst, ob technologisch oder nicht, definiert ein „intersubjektiv bindendes Referenzsystem“. Meiner Meinung nach stellt gute Kunst jegliche „Autonomie“, die dieses Bezugssystem für sich in Anspruch nimmt, in Frage. Autonom wovon? Mit seiner Maxime „Le regard fait le tableau“ („der Blick macht das Bild“) brachte Duchamp die Unmöglichkeit künstlerischer Autonomie auf den Punkt. Alles hängt von Beziehungen ab. Einige dieser Beziehungen werden ad hoc hergestellt, andere sind sorgfältig choreografiert. Für mich persönlich sind die Spannungen und das Wechselspiel, die sich aus der Verbindung fremder Gedächtnisse, der Verknüpfung extrem disparater Erfahrungsebenen ergeben, sehr motivierend. Und ich denke, sie lassen sich sowohl mit als auch ohne explizite technologische Abhängigkeiten herstellen.
Heimo Ranzenbacher: Der Name Rafael Lozano-Hemmer ist (u. a.) mit der Projektreihe „Relational Architecture“ verbunden; mit Projekten, in denen das Publikum in zunehmendem Maß involviert wird. Was bedeutet es für Sie/Ihre Arbeit, die Realisierung von der Teilnahme-Bereitschaft anderer abhängig zu sehen. Gibt es Strategien, die Teilnahme-Bereitschaft zu erhöhen?
Lozano-Hemmer: Die Abhängigkeit von Mitwirkung macht bescheiden. Meine Arbeiten existieren gar nicht, wenn ihnen nicht jemand etwas Zeit widmet. Die meisten Menschen, mit Ausnahme von Kindern, nehmen lieber nicht an einer Installation im öffentlichen Raum teil – was seltsam erscheint, wenn man bedenkt, dass wir im Zeitalter von Reality-TV und in einer Gesellschaft des Spektakels leben. Zum Teil sind die Ursachen dafür Schüchternheit und die Tatsache, dass unsere Kultur von Regeln wie „Nicht berühren!“ bestimmt ist, aber ich bilde mir gerne ein, dass es noch zwei weitere Gründe gibt. Der eine ist ein politischer: Die Menschen zweifeln an der Neutralität des öffentlichen Raums; niemand will bei einer Überwachungskultur mitmachen, auch wenn er weiß, dass sie unausweichlich ist. Der andere ist ein ästhetischer: Manche Menschen ziehen die chaotischen Ansichten und Geräusche der Stadtlandschaft oder auch die Stille irgendwelchen vorfabrizierten Multimediainterventionen vor, die sie zwingen, sich auf ein Ereignis zu konzentrieren – meistens, um ihnen etwas anzudrehen. Die Abhängigkeit von der Teilnahme ist für mich eine Möglichkeit, der Installation „Bodenhaftung“ zu geben, und das hilft mir bei der Entwicklung von Interfaces und Strategien, die das Spektakuläre entmystifizieren. Der Schlüssel dafür ist die Entwicklung von Arbeiten, die trotz einschüchternder Dimensionen eine gewisse Intimität erzeugen. Wichtig ist auch, relativ vertraute und selbstverständliche Metaphern für die Partizipation zu finden. Und schließlich kommt es darauf an, eine große Fülle von Eintrittspunkten in die Arbeit anzubieten, in dem man die Unvollständigkeit, die Nutzlosigkeit und Unbestimmtheit der Initiative betont.
Betrachtet man Projekte, die eine kollektive Partizipation anbieten, so findet man gewöhnlich zwei Strategien: eine, die den Einzelnen anspricht, und eine, die den Durchschnitt erfasst. Die erstere ist die häufigere; sie beschränkt die Interaktion auf ein, zwei Personen, die die Kontrolle über die Installation haben, während die anderen zuschauen müssen. Displaced Emperors funktioniert z. B. so, weil immer nur eine Person das Trackingsystem halten konnte. Das Erfassen des Durchschnitts ist die Strategie bei Game-Shows oder einigen Varianten des interaktiven Kinos, wo es Sensoren gibt, aus deren Signalen der Durchschnitt errechnet und dann statistisch auf ein paar mögliche Handlungsverläufe umgelegt wird. Ich finde diese zweite Strategie extrem frustrierend und demokratisch; sie ermöglicht keine exzentrischen oder perversen Lesarten des Kunstwerks, die meiner Ansicht nach gefördert und nicht behindert werden sollten.
Für meine jüngste Arbeit Body Movies verwenden wir eine kollektive Interface- Strategie, die in keine der beiden oben genannten Kategorien fällt. Wir projizieren die Schatten der Passanten, die von einer einzigen Kamera erfasst werden. Wir können so viele Menschen miteinander interagieren lassen, wie auf den öffentlichen Platz passen, und benötigen dafür keinerlei Interface-Apparat. Jeder Einzelne bringt mit seinem Schatten bereits ein hoch komplexes Interaktionsvokabular mit, sodass keinerlei Medien erklärt werden müssen. Aus der Schattengruppe kristallisieren sich kollektive Verhaltensweisen heraus – vor allem die Selbstorganisation der Größenverhältnisse nach den sozialen Beschränkungen. Gleichzeitig aber hat auch jeder Einzelne eine gesonderte, direkte Teilnahmemöglichkeit, da die jeweilige Silhouette erkennbar die seine ist.
Heimo Ranzenbacher: Das Moment des Politischen – sowohl im Sinne des Politisch-Ideologischen, der gesellschaftliche Gestaltungskräfte, als auch der Polis – gewinnt in ihren Arbeiten [z. B. Re: Positioning Fear] oder nicht zuletzt dadurch an Bedeutung, dass der öffentliche Raum „Schauplatz“ ist. Wie wichtig ist Ihnen der politische Aspekt in ihrem Schaffen? Hat die vernetzte Arbeitssituation Ihr Verständnis des „Politischen“ verändert? Wenn ja, wie hat sich das auf Ihre künstlerische Arbeit ausgewirkt?
Lozano-Hemmer: Alles, was im öffentlichen Raum stattfindet, hat politische Dimensionen. Meine Präferenzen manifestieren sich gewöhnlich in gewissen Entscheidungen, aber im Großen und Ganzen glaube ich, dass es in der Kunst weniger darum geht, moralische Kommentare zu liefern, sondern vielmehr Partizipationsräume zu schaffen, in denen vielerlei Positionen zutage treten können. Die Partizipation selbst ist ein starkes politisches Element, zumal dabei der öffentliche Raum zunehmend die Legitimation verliert, die Menschen, die sich darin aufhalten, zu „repräsentieren“. Partizipation transformiert „Special Effects“ zu spezifischen Ursachen-und-Wirkungen, was politisch gesehen wesentlich interessanter ist.
Ich hege sehr viel Respekt und Bewunderung für die Arbeiten von Krzysztof Wodiczko, Hans Haacke und anderen Künstlern, die äußerst kreative Strategien entwickelt haben, um die Machtnarrative gewisser öffentlicher Situationen bloßzustellen und zu verspotten. Gleichzeitig versuche ich meine Praxis weit abseits der in diesen „ortsspezifischen“ Arbeiten angewandten Dekonstruktionstechniken anzusiedeln. Ich nenne meine Arbeit gerne „beziehungsspezifisch“, insofern als der Schwerpunkt nicht auf den wesentlichen oder sogar „bedeutenden“ Eigenschaften bzw. den Narrativen, die ihnen die Machteliten zumessen, liegt, sondern auf den neuen temporären Beziehungen, die sich aus fremdartigen Interventionen ergeben können.
Heimo Ranzenbacher: „Relational Architecture“ haben Sie einmal definiert als „the technological actualisation of buildings and public spaces with alien memory.“ In dieser Definition wird der Topos Architektur (der – im Sinne einer manifest bzw. „concrete/Beton“ gewordenen Vorstellung von Sinn und Zweck – immer ein retrospektives Statement bezeichnet) durch Eigenschaften, die weniger eindeutig sind und sich eher durch Erfahrung und Analyse erschließen, ersetzt. Unterscheiden sich daher Strategien und die Praxis eines „relational architect of alien memories“ von jenen eines Engineer of Experience (etwa durch den Einsatz der Mittel) oder sind das nur zwei Seiten einer Medaille?
Lozano-Hemmer: Ich weiß nicht so genau, ob mir der Ausdruck „Engineer of Experience“ gefällt. Er klingt wie eine Jobausschreibung für einen Themenpark. Aber ich vermute, die meisten Museen wollen heute ohnehin Themenparks sein (was sie meinetwegen sollen). Eine interessante Frage wäre für mich z. B.: „Was ist das ,Thema‘ hinter der Marke Guggenheim?" Was ich auch nicht mag, ist, dass sich „Engineer of Experience“ so „top-down“ anhört. Als ginge es darum, alle möglichen Folgen einer Situation zu gestalten, sie zu berechnen und säuberlich zu verpacken. Die meisten Elektronikkünstler streben ein Außer-Kontrolle-Geraten an, also dass ihre Arbeit wirklich Ergebnisse zeitigt, die sie nicht vorhergesehen haben. Wenn eine Arbeit ihren Autor nicht irgendwie überrascht, ist sie meiner Ansicht nach nicht wirklich erfolgreich.
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