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Ars Electronica 2001
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Festival 1979-2007
 

 

Was ist mit den Institutionen der Kunst los?
Vorläufige Anmerkungen zum Stand der Dinge

'Andreas Hirsch Andreas Hirsch

Die Ars Electronica 2001 stellt in ihren Thesen zum TAKEOVER den Kunstinstitutionen und -betrieben die Überlebensfrage. Was ist los mit Institutionen, denen die Vordertür von immer breiteren Gruppen der Bevölkerung eingerannt wird, während ihnen möglicherweise durch die Hintertür neue Kunst und KünstlerInnen abhanden kommen? Welche Chancen haben Kunstbetriebe, die – oftmals frisch in privatwirtschaftliche Rechtsformen entlassen – nun lernen, nach den Spielregeln der Kulturindustrie zu funktionieren und ihre Angebote als Erlebnisse zu inszenieren, um sich in einer Ökonomie der Aufmerksamkeit zu behaupten? In welcher Situation befinden sich solche Institutionen, wenn sie gleichzeitig darum ringen, der Kunst ihre Fluchtlinien und damit der Gesellschaft Räume für Schwieriges und Widerständiges zu wahren?

DEMATERIALISIERUNG VON KUNST UND WERTSCHÖPFUNG
Befunde einer „Dematerialisierung“ von Kunst und von Tendenzen zum Prozesshaften in der Kunst sind nicht neu, eine Vielzahl von Kunstinstitutionen tut sich aber nach wie vor schwer, auf diese und andere gravierende Veränderungen im Werkbegriff der Kunst adäquat zu reagieren. Ein Umstand, der wiederholt kritisiert wurde, jüngst auch von Timothy Druckrey, der beschreibt, welche Probleme sich ergeben, wenn Medienkunst in Institutionen präsentiert werden soll, die mit deren Geschichte und komplexen Erscheinungsformen nicht vertraut sind.

Solche Phänomene sind Teil umfänglicher Adaptierungsprozesse als Reaktion auf eine weit reichende Entmaterialisierung der Wertschöpfung generell, wie sie auch Georg Franck in seinen Arbeiten zu einer Ökonomie der Aufmerksamkeit festgestellt hat.

Die Copyright-Wars der letzten Jahre bieten einen ersten Eindruck von der Macht der hier treibenden Kräfte, die sich rund um die Entmaterialisierung der wirtschaftlichen Wertschöpfung organisieren. Prozesse, die mit dem Schwinden des herkömmlichen, mit einem physischen Objekt verknüpften Werkbegriffes einerseits und dem Auftreten digitaler Technologien andererseits anhoben und sich nicht auf Musik und Film beschränken werden.
NETZKULTUR UND VERLUST DES VERMITTLUNGSMONOPOLS
Die herkömmlichen Kunstinstitutionen haben sowohl im Bereich der Präsentation als auch im Bereich der Produktion das Vermittlungs- und Zugangsmonopol zur Kunst verloren. Die leichte Verfügbarkeit von Reproduktionen und der Zugang zu digitalen/digitalisierten Werken via Internet haben einen Erosionsprozess eingeleitet, der von Formen der Kunst verschärft wird, die herkömmlicher Ausstellungsräume als Präsentationskontext längst nicht mehr bedürfen.

Mit Netz und digitalen Tools sozialisierte Produzenten von Kunst – wie sie in den „Observations about the TAKEOVER“ und den TAKEOVER-Interviews behandelt wurden (siehe www.aec.at/takeover) – bemühen sich nicht mehr um den Künstlerstatus und die Rituale des Zugangs zu den Institutionen der Kunst, da sie sich davon keine Vorteile mehr erwarten dürfen und ihr Agieren längst in anderen Modellen organisiert haben. Konsequenterweise haben mittlerweile Bemühungen der mobileren Kunstinstitutionen eingesetzt, das kreative Potenzial des TAKEOVER in ihre Präsentationen zu integrieren.
KULTURINDUSTRIE UND ÖKONOMIE DER AUFMERKSAMKEIT
Institutionen der Kunst finden sich als Teil einer Kulturindustrie, die ihre Produkte über globale Medienlandschaften verteilt und nach deren Gesetzlichkeiten zu agieren lernt. Nach dem Modell dessen, was Kevin Kelly als „Self-Reinforcing Success“ beschrieben hat, folgen sie – in einem Szenario globaler Mobilität von Kapital und Ressourcen – allgemeinen Konzentrationstendenzen. Die solchermaßen professionalisierten Kunstinstitutionen agieren auf Märkten, wo die Ressource Aufmerksamkeit das knappe Gut darstellt und nicht die – im Überfluss vorhandene – Information. Für die Kunst, deren Rezeptionsbedingungen stets als spezielle verhandelt wurden, hat es nun auch spezielle Bedeutung, wenn zutrifft, was Stuart Brand feststellte: „Die Zivilisation steuert mit Hochgeschwindigkeit auf pathologisch kurze Aufmerksamkeitsspannen zu.“ Innerhalb dieser Aufmerksamkeitsspannen operieren die Medien und mit ihnen auch Formen der Kunst, die an den Übergängen von Motion Graphics, Film und Webdesign entstehen.

Das Wesen der Kulturindustrien ist, dass sie nicht im eigentlichen Sinne ihrer irreführenden Bezeichnung „Kultur industriell erzeugen“, sondern vielmehr Kultur, die sich im Geflecht der Beziehungen kultureller Subjekte stets neu bildet und reformiert, als „Rohstoff“ benutzen, den sie ausbeuten, wie die Industriegesellschaften – die doch längst zu Informationsgesellschaften mutiert sind – es mit den Weltvorräten an fossilen Brennstoffen tun. Vielleicht entsteht hier Raum für eine „kulturelle Ökologie“, die sich der Fragen der komplexen Rückwirkungen und systemischen Zusammenhänge der Exploitation durch die Content- Industrien annimmt.
SHOPPING UND FLUCHTLINIEN
Es ist Teil einer „fortschreitenden Ökonomisierung des Gesellschaftsprozesses“, wenn die Institutionen der Kunst sich heute als Teil der Kulturindustrie und diese als Zulieferer der internationalen Content-Industrien darstellen.

Im Phänomen des „Shopping“ treffen Medienkompetenz und Ökonomisierung des Gesellschaftsprozesses aufeinander. Rem Koolhaas – der Prada ebenso wie Guggenheim berät – hat Shopping als „a primary mode of urban life“ bezeichnet. Dieses Phänomen – längst auch Gegenstand der Reflexion an Kunstorten – macht nicht nur nicht vor der Konzeption von Kunstinstitutionen halt, es verweist auch auf deren veränderte Rolle: „Die Arbeit der Museen wird für die Volkswirtschaften im Zeitalter der Globalisierung wichtiger, als sie es je zuvor war, weil nur noch kulturelle Unterscheidungsfähigkeit Präferenzen im Warenangebot ermöglicht“, stellt Bazon Brock fest, dem folgend „ ... inzwischen alle Waren den Charakter von Konsumgütern auszuweisen haben, [und daher] auch alle kulturellen Produktionen zu Waren [werden].“

Mit dieser veränderten Bedeutung der Kunsteinrichtungen geht eine veränderte Rolle der Kunst in der Gesellschaft einher, die nicht zuletzt auch mit einer Krise der Politisierung der Kunst verknüpft ist. Je umfassender die Ökonomisierung und ihre Effekte erscheinen, desto wesentlicher wird der Hinweis auf Bedeutung der Fluchtlinien, die Kunst aufzumachen vermag. Der Designer Bruce Mau stellt dazu fest: „Für eine Kultur ist es absolut unerlässlich, einen Raum für Schwieriges abzustecken. Einen Ort zu schaffen, der sich nicht nach dem Diktat des Marktes richtet,“ der Gedanke der Fluchtlinien findet sich bei Gilles Deleuze: „Gesellschaft definiert sich nach Deleuze und Guattari nicht durch Widersprüche, sondern durch ihre aktiven Fluchtlinien. Die Geschichte verläuft also nicht über die Negation der Negation, sondern über die Entscheidung der Probleme und die Bejahung der Differenzen: Der Widerspruch ist nicht die Waffe des Proletariates, sondern eher die Art, wie sich die Bourgeoisie verteidigt und bewahrt. (Deleuze, Differenz und Wiederholung)“.
DAS KULTURELLE MODELL „MUSEUM“ UND DER HANG ZUM ERLEBNIS
Victoria Newhouse hat dargelegt, dass sich seit dem Auftreten von Installationen, Video und Performance in der Kunst das Museum dem Theater annähert und spricht daher vom „Museum als Unterhaltung“. Nach Newhouse schließt sich hier ein langer Kreis, der heutige Formen von Kunstpräsentation wieder näher an die Sammlungen der Renaissance und die Frühzeit des kulturellen Modells „Museum“ heranrückt.

Kunstinstitutionen näherten sich der Event-Culture; Spektakelhaftes wird in Museumskontexte integriert, die Museografie von Ausstellungen erfolgt nach Kriterien der Erlebnisorientierung, und die Gestaltung von Kunst-Orten folgt Überlegungen architektonischer und urbaner Inszenierungen, die aus diesen Orten – nicht nur unter dem Imperativ, touristische Attraktoren zu schaffen – Landmarks und in der Folge „Destinations“ machen. Diese Funktionen verweisen auch auf ein vernetzter angelegtes Verständnis der Rolle von Kunsteinrichtungen im urbanen Kontext und auf eine weitergehende urbanistische Verflechtung der Orte der Kunst.

Was Christian Mikunda in seiner Theorie zum Konzept des „Third Place“ beschreibt, referiert auf Strategien der Konstruktion, wo – nach dem Verschwinden des Originalkunstwerkes – auch der Originalschauplatz in der Bedeutung zurücktritt und die inszenierte Rekonstruktion oft besser lesbar ist als die bisweilen nur mehr rudimentären Originale.

Unter anderem sind es auch diese Strategien der Konstruktion, die nunmehr die Orte der Kunst in strukturelle Vergleichbarkeiten mit Shopping Malls und Urban Entertainment Centers bringen. Während Kunstinstitutionen hier vielfach heikle Balanceakte zwischen dem gefürchteten „Kaufhauscharakter“ und den bisherigen Konzepten einer „Abgehobenheit“ der Kunstpräsentation vollführen, so wenden sie doch zunehmend bestimmte Methoden aus der Welt des Shopping und des Entertainment an, nicht zuletzt, weil sie in Zeiten schwindender öffentlicher Subventionen wirtschaftlich ohne Deckungsbeiträge aus Shops, Gastronomie, Vermietungen und Sponsorships nicht mehr lebensfähig wären.

Der Direktor des kürzlich eröffneten Museumsquartiers in Wien, Wolfgang Waldner, legt Wert auf die Abgrenzung zur Welt der Shopping Centers und des Entertainment: „Wir dürfen das nicht mit Entertainment verwechseln, denn das ist tatsächlich etwas anderes. Hier ist sicher nicht das Areal für seichtes Entertainment. Es ist aber ein erweiterter Kulturbetriff, der hier vertreten wird. ... Dem Betreiber einer Shopping City ist egal, wer der Mieter ist, solange die Miete gezahlt wird. Hier besteht die Aufgabe aber nicht darin, Geld herauszuquetschen, sondern den Charakter des Kulturareals immer im Auge zu behalten. Entertainment aber im Sinne eines breiten Angebotes und eines Areals, wo man sich wohlfühlt, ist selbstverständlich angestrebt.“

Da greift auch jene Formel, die dem Direktor der Guggenheim-Museen, Thomas Krens, zugeschrieben wird, der von vier Erfolgskriterien für ein Museum sprach: Sammlung, Wechselausstellungen, Architektur und Shops samt Gastronomie. Der große Wert, der dabei auf spektakuläre Architektur gelegt wird, hat – mit dem von Frank O. Gehry entworfenen Guggenheim Bilbao als markantem Beispiel – bereits zu Diskussionen über die möglichen negativen Auswirkungen einer Konkurrenz von Architektur und Kunst geführt.

Bazon Brock sieht in gewissen Maßnahmen der Museen zur Steigerung der Attraktivität ihrer Angebote eine Bedrohung ihrer selbst: „Das geschah durch die kontraproduktive Ausrichtung auf Erlebnis und Ereignisqualitäten des Museumsangebots. Kontraproduktiv war die Orientierung an Erlebnis und Ereignishaftigkeit, weil sich die Veranstalter so gezwungen sahen, ihre eigene Arbeit ständig durch spektakuläre Überbietung der vermeintlichen Attraktivität zu entwerten.“
MEDIA LITERACY UND „KULTUR FÜR ALLE“
Während den Kunstinstitutionen möglicherweise die KünstlerInnen abhanden kommen, strömen manchen von ihnen die Besucher zu, bisweilen weit mehr – wie Bazon Brock hingewiesen hat – als den Sporteinrichtungen.

Bisher oft elitär und an relativ kleinen Zielgruppen orientiert agierende Institutionen der Kunstwelt entwickeln sich zu offenen Orten, die ihre Aufgaben in der Schaffung eines niedrigschwelligen Zuganges zur Kunst für möglichst breite Gruppen der Bevölkerung sehen. Wolfgang Waldner fordert in diesem Zusammenhang, „dass man versuchen muss, Kultur vielfältiger anzubieten, auch für breitere Schichten verständlicher und populärer zu machen. Das heißt: auch das Unangenehme, das Sperrige populärer zu machen, nicht jedoch populistisch vorzugehen.“ So werden nun primär mit Kunst aufgeladene Kontexte bereitgestellt und auch die Kunst selbst nach anderen Kriterien präsentiert, als dies bislang üblich war. Kunsteinrichtungen finden sich hier oftmals in einem Dilemma, das der Direktor von Tate, Nicholas Serota, als das Dilemma von „Experience or Interpretation“ charakterisiert. Christian Mikunda hat auf die „zunehmende ,Media Literacy‘ nicht nur der Konsumenten, sondern auch der Kunst- und Kulturschaffenden“ hingewiesen, die einen „gemeinsamen ästhetischen Pool“ entstehen ließ. Konsumenten mit höherer Medienkompetenz sind anspruchsvollere und kundigere Besucher von Kunsteinrichtungen, in denen sie auch wieder jenem „Rohstoff“ begegnen, aus dem auch die allgegenwärtige Werbung und die Medien ihren „Content“ schöpfen.

Die neuen, zur Massenkultur hin offenen Kunsteinrichtungen wirken wie eine späte Einlösung alter Forderungen linker Kulturpolitik, nun allerdings – welch seltsame Ironie – verwirklicht unter den Bedingungen eines rabiaten und globalisierten Kapitalismus.