www.aec.at  
Ars Electronica 2001
Festival-Website 2001
Back to:
Festival 1979-2007
 

 

Beta Lounge
betalounge.com / smash.tv / betalounge.de

'Ole Lütjens Ole Lütjens

Im Beta Lounge-Team (Network Syndicate/ Smash TV) kommen Live-Performance, die Piazza Virtuale von Van-Gogh-TV, Cityspace, Hotwired, Netscape, unabhängige Medien, afro-amerikanische HipHop-Kultur, Science- Fiction-Romane, MP3 und die Fahrradboten von San Francisco direkt mit Piratenradio, Settopboxen, Entertainment à la L.A., Webcasts der Sonnenfinsternis in Afrika und der Rückkehr der DJ‘s zu den Platten tellern und seinem Web-Auftritt zusammen. Unsere Geschichte reicht von der Medienkunst der 90er und der „Internetrevolution“ bis in die Gegenwart des wirtschaftlichen Überlebenskampfes nach dem Dot-Com- Crash und der Rückeroberung des Marktes durch die „alten“ kapitalistischen Kräfte. Von per HyperCard gesteuerten Kunstinstallationen über Experimente mit interaktivem TV bis zu mehrbenutzerfähigen VR-Umgebungen und „Collaborative Web Tools“. Dem Network Syndicate ist es gelungen, ein soziales und wirtschaftliches Hybridgebilde zu schaffen, das den Spagat zwischen Kunstexperiment und technischem Industriestandard schafft, ohne dabei die konzeptionelle und finanzielle Unabhängigkeit aus den Augen zu verlieren.

Unsere Überzeugung, dass man Freiheit letztlich nur durch konsequentes Verfolgen der Dinge, an die man glaubt, erlangt, hat uns in ausreichender Distanz zu aggressiven Übernahmeversuchen von Investoren gehalten. Auch wenn die Angebote immer wieder verlockend waren – unsere Haltung hat sich angesichts des tiefen Falls der Internetarroganz als lebensrettend erwiesen.

DIE LEBENDE ZEITKAPSEL
Die Beta Lounge ist das älteste und bekannteste Angebot für elektronische Livemusik im Web. Monat für Monat wächst die Zuhörerschaft, die derzeit 450.000 treue Fans zählt. Sowohl für „Macher“ als auch für reine Konsumenten bietet die Beta Lounge ein Forum. Die erste Beta Lounge wurde im August 1996 aus einem Hinterhofstudio im Mission District von San Francisco übertragen. Von da aus hat sie sich zu einem wöchentlich Webcast aus einem Studio im so genannten „Dogpatch“-Viertel in San Francisco entwickelt. Dieser wöchentliche Web-Event ist eine Mischung aus Radioshow, Fernsehsendung und Underground-Party in einem Lagerhaus. Zuschauer auf der ganzen Welt können dank hochqualitativer Live-Video- und Audio-Feeds, eines Chatroom und Tracks zum Herunterladen mit dem Studiopublikum in San Francisco interagieren. Alle Shows werden archiviert und sind gleich nach der Show auf der Website verfügbar. Das Archiv hat seit 1996 einen beeindruckenden Umfang erreicht und ist auf rund 3.000 Stunden dokumentierter DJ- Skills angewachsen: vom Aufstieg der Drum'n'Bass in Kalifornien über Clicks'n'Cuts und Laptop- Musik bis zum aktuellen Erfolg des Nu-Jazz aus West-London. Sogar kurzlebige Stilrichtungen wie 2Step wurden auf dem Höhepunkt ihrer Popularität eingefangen.
Wir sind in erster Linie am Livecharakter der Show interessiert und waren nach den ersten paar Monaten richtig überrascht über die vielen Zugriffe auf das Archiv. Die Herausforderung war, eine sorgsam zusammengestellte Medienauswahl anbieten zu können. Das Archiv ist deswegen wichtig, weil alles EINMAL LIV E WAR und man nun jederzeit von jedem Ort mit Netzzugang darauf zugreifen kann. Das macht einen der wesentlichen Unterschiede zwischen der Beta Lounge und den meisten anderen Online-Angeboten (und auch anderen Angeboten) für Musik aus. Alle sollen das Gefühl haben, als ob sie in der Beta Lounge seien, und selbst bestimmen, wie sie mit dem angebotenen Material interagieren.

Brian Benitez


BETA LOUNGE – KONZEPT
„...live transmissions from a weekly in-studio party featuring local and international DJs...” Heute erscheint es fast schon normal: DJs, die im Internet die Musik des Dance-Underground spielen. Das war 1996 noch eine ziemlich verrückte Sache. Der Livestream hörte sich an wie Außenauffnahmen von Bluesmusikern zu Beginn des 20. Jahrhunderts ... und dann auch noch elektronische Tanzmusik? Die amerikanische Musikindustrie beschäftigte sich auch zu diesem Zeitpunkt immer noch nicht mit den Nachkommen des Discogenres, das in den Siebzigern von Amerika aus einen unbeschreiblichen Siegeszug durch alle Clubs der Welt gefeiert hatte. In den 90ern tummelte sich eine blühende DJ-Kultur fast ausschließlich im Untergrund, und nicht wenige US-Künstler zogen Richtung Europa und Japan, um nur durch ihre Musik ihren Lebensunterhalt finanzieren zu können und vor Publikum aufzutreten. Es benötigte also eine ordentliche Portion kalifornischen Pioniergeistes, um einfach mit den Live-Übertragungen aus dem Ministudio in San Francisco's Mission District zu beginnen. Obwohl es sich manchmal anfühlte, als ob man in ein Loch im Boden schreien würde, nahm die Beta Lounge schnell ihren Platz in der geschäftig brummenden Musikszene San Franciscos ein. Die wöchentliche Show im Netz, die Beiträge der Gäste im Studio sowie ein stetig wachsendes Online-Archiv der gespielten DJ-Sets wuchsen zu einem wichtigen Beitrag der US-Szene zur weltweiten DJ Kultur heran. Während sich das kommerzielle Mainstream-Radio bezüglich Musikauswahl immer mehr auf Major-Veröffentlichungen versteifte, gab es außer den klassischen College-Sendern kaum eine Alternative für die Hörer. Wer sich für elektronische Musik interessierte, konnte mit Hilfe des Internet den Klassik-Pop-Rock-R&B-Mischmasch der alten Strukturen umgehen. Heute allerdings sieht das alles schon ganz anders aus. Die Zukunftsvision des digitalen Musikvertriebs ist inzwischen nicht nur Insidern geläufig. Die Online-Musikindustrie bedient sich beinah rührender „Old School“-Methoden, um Artist- Development und Promotionaktivitäten voranzubringen. Inzwischen bedient die Dancemusic- Maschine den US-Markt mit großen Hollywoodfilmen, historischen Rundschauen, elektronischen Musikfestivals und retroperspektivischen Jahrzente-Kompilationen. Die Beta Lounge hat die Wandlung und das Wachsen des Underground im Internet von Anfang an begleitet und sich zu einem der führenden unabhängigen Sprachrohre der Szene im Netz entwickelt.
UPLINK ANYWHERE
Vielleicht übersteht die Beta Lounge das Auf und Ab des Markts deswegen so gut, weil wir als Gruppe an sich weniger an einer „Internet/Technologie-Revolution“ als vielmehr an einer „Kommunikations-Revolution“ interessiert sind. Dieser Gedanke zeigt sich in allen Projekten von Network Syndicate und Smash TV. Dabei ist jedes auf den sozialen Kontext und auf die Frage hin ausgerichtet, wie Technik zur Entwicklung der Community beitragen kann. Wir sind überzeugt, dass es letztlich gleichgültig ist, welchen Media-Player man verwendet, solange man den DJ hören und die Sonnenfinsternis sehen kann.
Wir haben die Beta Lounge nie als „Internet- Radiostation“ gesehen. Das Hauptaugenmerk lag immer auf dem Event und der Interaktion des Publikums bei der Produktion des Events. Die Lounge besteht nur innerhalb des sozialen Kontexts der DJs, Produzenten und Enthusiasten, die die Musik „leben“. Daher ist die Lounge nicht von einem bestimmten Ort, Studio oder einer bestimmten Stadt abhängig. Sie kann überall sein, wo sich Menschen Gedanken über Musik machen und Einfluss darauf haben wollen, wie sie vertrieben und dem Publikum präsentiert wird.

Ian Raikow
Der „Record Club“ ist der jüngste Spin-off der Beta Lounge, der unseren Musikgeschmack in Form von fertigen Produkten (CDs, Vinyl) an Abonnenten liefert, die somit die Aufnahmen dessen erhalten, was sie während der Show als Teil des Mixes hören. Um den „Record Club“ hat sich eine aktive Mailingliste entwickelt, die der internationalen Zuhörerschaft als tägliches Dialogforum um Themen wie neue Musik, die Beta Lounge- Archive etc. dient. Die Beta Lounge arbeitet in Europa mit einem Partner aus der Industrie an einer Reihe von Web-Events, bei denen Musiker und DJs aus der ganzen Welt zu Veranstaltungen an Orten zusammengeschaltet werden, die oft neun oder mehr Zeitzonen auseinander liegen. Dieses Experiment ist die logische Weiterentwicklung der internationalen Zusammensetzung unseres Teams (die Mitglieder stammen aus Brasilien, Irland, Schottland, Deutschland, Nordamerika, Kenia und Rumänien). Vor kurzem wurde auch die Zusammenarbeit mit einer Gruppe in Tokio aufgenommen, die die „Digital Convenience Sessions“ für die Beta Lounge produzieren und dabei die neuesten Trends aus der elektronischen Musikszene Japans präsentieren.
Wir waren bereits in drei verschiedenen Studios in San Francisco; an unserem der zeitigen Standort existieren wir eigentlich nur während der Live-Show, und wir wurden auch in den Medien (Sleazenation) als wöchentliche Clubnacht in Barcelona erwähnt. Nimmt man noch die vielen Clubs und anderen Örtlichkeiten dazu, die wir mit ISDN verkabelt haben, dann hat Beta Lounge eher Ähnlichkeit mit einem sich replizierenden Virus als mit den Verästelungen eines Baums.

David Goldberg


SMASH TV INC.

Ein Unternehmen zeichnet aus, dass man von ihm weg gehen kann und es immer noch Geld abwirft. Kann man es nicht allein lassen, dann ist es kein Unternehmen sondern ein Abenteuer.

Zane Vella
Piazza virtuale, Cityspace und Service Area a.i., um einige der wenigen Medienexperimente der Neunziger zu nennen, versuchten auf direktem Weg, Kommunikationsanäle zu öffnen, die dem Publikum Ausdrucksmöglichkeiten über andere als über die von Industrie, Regierung und Militär kontrollierten Netzwerke (TV, Vollduplexnetzwerke mit hoher Bandbreite) ermöglichten – quasi eine Zwischenstufe zwischen Public- Access-TV und Internet. Eine große Herausforderung bei der Schaffung dieser temporären virtuellen Welten bestand darin, die neuen Technologien zu beherrschen, was auch nicht zu übersehen war: Eine interessante Art der Kommunikation (nicht so sehr bei Cityspace) wurde durch den Einsatz der richtigen Technologie für das falsche Medium (z. B. Chat im Fernsehen) oftmals erschwert. Durch den Einsatz leicht verfügbarer Tools und Technologien, die praktisch kostenfrei unbeschränktes und unzensiertes Senden ermöglichten, konnte sich Beta Lounge wieder auf den Inhalt konzentrieren und beweist ständig, dass durchaus ein agiles, interessiertes Nischenpublikums verhanden ist. Und das in einem Medium, dem Zugang und Verfügbarkeit inhärent sind: dem Internet. Seitdem der Traum von freier Ausdrucksmöglichkeit, von einem chaotischen, anarchischen und sich selbst organisierenden Netz der Freien durch AOL und Ihresgleichen mit ihren „Leicht-zu-bedienenden-wenn-du-genautust- was-wir-wollen“-Lösungen wieder zu einem Traum wurde, hat sich die Aufgabe ein wenig verändert: Halten wir das Internet für jene zugänglich, die etwas zu sagen haben.

Aus den im Network Syndicate und seinen verschiedenen Spin-offs, Vorläufern und Nebenformen wie Internet Tours, The Jolly Roger, Infonauts und touchfist.com vorhandenen Fertigkeiten hat sich das Konzept zu Smash TV entwickelt. Smash TV wurde von Beta Lounge-Mitbegründer Zane Vella ins Leben gerufen und stützt sich auf dasselbe Team, das auch die Beta Lounge gegründet hat.

Ein Netzwerk von Knoten, in dem jeder Knoten ständig mit dem restlichen Netzwerk über Angebot und Nachfrage in Verbindung steht, ist nicht nur menschlich fassbarer, sondern auch als Wirtschaftsfaktor mächtiger als ein zentralisiertes System. Als Konsequenz aus dieser Erkenntnis bietet Smash TV eine Reihe kostenloser Softwaretools an. Diese Tools ermöglichen die Verwaltung von Webinhalten und erfordern lediglich ein Mindestmaß an technischem Vorwissen. Sie wurden mit der Erfahrung aus knapp acht Jahren Live-Webcasts und sechs Jahren sozialer und künstlerischer Erfahrung im Rahmen der Beta Lounge entwickelt.
Wir wollen, dass jeder, der eine Webseite gestalten oder einen digitalen Video- oder Audioclip zu produzieren weiß, seine Arbeit selbst ins Netz stellen kann. Unser Gedanke war, dass wir durch ein einfach zu bedienendes Interface Zeit und Energie sparen helfen können, da man zum Publizieren der Arbeiten oder für Änderungen an der Website nicht mehr auf Systemadministratoren angewiesen ist.

Zane Vella


THE BOTTOM LINE – BUILD IT YOURSELF
Die Generation unserer Eltern unterschied streng zwischen Arbeit und Hobby. Für uns haben sich diese Grenzen verwischt. Wenn man einen Job hat, der keinen Spaß macht, dann sollte man sich einen erfinden und sich seine Wirkungslücke im Alltag der westlichen kapitalistischen Kultur suchen. Wenn das viele tun, bekommt diese Einstellung Bedeutung und Relevanz. Unser Rezept ist es, den durch unsere Projekte ausgelösten kreativen Impuls in unsere täglichen „Arbeiten“ einfließen lassen, um uns als selbst erhaltendes Kollektiv weiter zu entwickeln. Wir sehen dies als Möglichkeit und Privileg, aber noch viel wichtiger, als unsere Verantwortung an. Abgesehen von unserer Tätigkeit selbst (Musik, Live-Event, Erziehung), hoffen wir, ein Beispiel für andere zu sein. „Build it yourself“ Wenn das nach Aktivismus klingt, gut so.

The Beta Lounge Team aka
The Network Syndicate aka Smash TV


The People / Reference
Ian Raikow, Zane Vella, Brian Benitez,
David Goldberg, Ole Lütjens, Chris Jurach ,
Susan Clark, Niels Bacher, Christian Wolff,
Jennifer Cole-Masset, Gil Barros, George Alambo,
Heiko Jahnke

Links:
www.betalounge.com
www.betalounge.de
www.smash.tv