Subjekt: Wissenschaft - Objekt: Frauen
'Veena Gowda
Veena Gowda
Die große Schlacht von Mahabharatha wurde zwischen den Kauravas und den Pandavas geschlagen. Die beiden Clans führen ihren Ursprung auf einen gemeinsamen Großvater, Vichitra Veerya, zurück, der impotent war. Bhishma, der Patriarch, beschloss, dass man zur Weiterführung des Geschlechts den allseits geachteten Weisen Veda Vyas bitten werde, die kinderlosen Königinnen mit seinem Samen zu versorgen. Der Legende nach fürchteten sich die Königinnen vor dem Weisen, der in seinem Äußeren einem Vagabunden glich. Die Erste schloss bei seinem Anblick die Augen und gebar in der Folge einen blinden Sohn, die Zweite erblasste und gebar einen schwächlichen Sohn, auf dem der Fluch lastete, er werde an dem Tage sterben, da er versuchen würde, sein sexuelles Verlangen zu stillen. Die dritte Königin war zu verängstigt, um den Weisen zu empfangen, und sandte ihre Dienerin hinein, die nach einer zufriedenstellenden Zusammenkunft Vidhura, dem weisen Minister, das Leben schenkte. Die Geschichte berichtet weiter, dass der zweite Sohn, Pandu, der keinen Geschlechtsverkehr haben konnte, mit Kunti verheiratet war, welche die Götter mit göttlicher Empfängnis segneten. Seine zweite Königin wollte ebenfalls Mutter werden, und so schenkte ihr Kunti eine ihrer göttlichen Gnaden. So gewannen die großen Pandavas, ausgestattet mit göttlichen Kräften von ihren himmlischen Vätern, die Schlacht gegen die Kauravas und erhoben sodann Anspruch auf den Thron ihres irdischen Vaters.
Aus dem großen indischen Epos Mahabharatha Die Struktur der angelsächsischen Jurisprudenz beruht auf der Tatsache, dass an der Fortpflanzung nur zwei Partner beteiligt sind – ein Mann und eine Frau. Daher stellen die neuesten Errungenschaften der Wissenschaft (die sich nun als multi-dimensionale Kräfte an der Fortpflanzung beteiligen) das derzeitige System vor eine neue Herausforderung. In der indischen Mythologie und der lokalen Folklore sind solche Vorstellungen jedoch in reicher Fülle vorhanden. Sex, Fortpflanzung und Vererbung sind häufig von einander abgekoppelt, und die Möglichkeit der Samenspende prägte die Vergangenheit bereits in gleichem Maße, wie sie die Zukunft prägen wird. Dennoch haben diese Entkoppelungen in keiner Weise dazu beigetragen, die Utopie von der Gleichberechtigung der Frau zu verwirklichen.
Von der modernen Wissenschaft und ihren Errungenschaften wird behauptet, sie ermöglichten es den Frauen, sich z. B. frei für Abhilfe bei Unfruchtbarkeit oder für ein Kind mit gewünschtem Geschlecht bzw. mit bestimmten Eigenschaften zu entscheiden. Weiters wird in Aussicht gestellt, dass man sich auch außerhalb des traditionellen Rahmens der heterosexuellen Ehe frei dafür entscheiden kann, ein Kind zu bekommen, und dass dieses Recht auch Alleinstehenden bzw. gleichgeschlechtlichen Paaren zugestanden wird. Doch diese „freie Wahl“ wird nicht auf neutralem Terrain, frei von gesellschaftlichen Werten und Prozessen, kontextualisiert. Sie ist innerhalb der Grenzen bestehender gesellschaftlicher Prozesse der Diskriminierung und der mangelnden Gleichstellung gefangen, die durch wissenschaftliche Errungenschaften, die diese „freie Wahl“ ermöglichen, nur noch weiter gefestigt werden.
In Indien, wie in vielen anderen Teilen der Welt, ist die Empfängnis eines Kindes nach wie vor nur innerhalb des traditionellen Konzeptes der Familie denkbar. (1) Diese Einstellung ist sogar in den sogenannten entwickelten Ländern bestimmend, die homosexuellen Paaren zwar das Recht auf offizielle Anerkennung ihrer Partnerschaft gewähren, ihnen jedoch jegliches Recht, Kinder zu adoptieren oder selbst zu bekommen, absprechen.
Dieser Beitrag soll die Entwicklungen moderner Reproduktionstechnologie mit den Versuchen von Gesetzgebung und Gesellschaft, (innerhalb oder außerhalb der Ehe) die weibliche Sexualität zu unterdrücken und die Fruchtbarkeit der Frau überzubetonen, in Verbindung zueinander setzen. Weiters werden bisherige Erfahrungen mit Fällen aufgezeigt, in denen wissenschaftliche Entwicklungen angeblich zum Wohl der Frauen so lange durch die Einstellung der Gesellschaft und die vorherrschende Rechtsmeinung sabotiert wurden, bis sie gegen die Frauen eingesetzt werden konnten.
Über Ehefrauen, Mütter und Eigentumsübertragungen: Die weibliche Sexualität in der Ehe Kontrolle des Eigentums durch Kontrolle der weiblichen Sexualität innerhalb des patriarchalischen Reproduktionsmodells scheint zentrales Thema sämtlicher Ehegesetze Indiens zu sein. So zählt etwa im Rahmen des derzeit gültigen Familienrechts Ehebruch seitens der Frau zu den schwerwiegendsten ehelichen Vergehen. Das Konzept des Ehebruchs wurde in Indien erstmals durch das 1869 erlassene sogenannte „Indische Scheidungsgesetz“ eingeführt, das nur für Christen galt. Im Rahmen dieses Gesetzes ist der Ehemann berechtigt, sich im Falle des Ehebruchs von seiner Frau scheiden zu lassen. Andererseits stellt jedoch Ehebruch seitens des Mannes für die Frau keinesfalls einen gültigen Scheidungsgrund dar. Sie muss zusätzlich nachweisen, dass sie grausam behandelt bzw. verlassen wurde, was wiederum bekräftigt, dass der Mann die völlige Kontrolle über das Sexualleben seiner Frau hat, während sie im umgekehrten Falle ihm gegenüber kein derartiges Recht geltend machen kann.
Das Eherecht treffen sich die verschiedensten Versuche, Sexualität und Eigentum einer Frau zu kontrollieren. Die Kontrolle der Sexualität der Frau wird alsbald zur Kontrolle über ihr Eigentum erweitert. Die etablierten Rechte und der wirtschaftliche Status der Frau wurden durch dauernde patriarchalische Kollusionen untergraben bzw. geschwächt. Diverse nachteilige Gerichtsurteile seitens der Kolonialherren sprachen den Frauen sogar jene beschränkten Rechte ab, die ihnen die Allgemeinheit gewährt hatte. So musste z. B. das gesamte ererbte Vermögen einer Frau auf die Erben ihres Mannes oder ihres Vaters übergehen. (2)
Beleuchtet man anhand des Ehebruchs neben der eherechtlichen auch die strafrechtliche Seite, so kann man weitere geschlechtsspezifische Einseitigkeiten feststellen. Das Gesetz schreibt vor:
Wer auch immer mit einer Person, welche die Ehefrau eines anderen Mannes ist oder von der man weiß bzw. Grund zur Annahme hat, dass sie die Ehefrau eines anderen Mannes ist, ohne Einwilligung oder Duldung dieses Mannes Geschlechtsverkehr hat, macht sich des Vergehens des Ehebruchs schuldig, insofern dieser Geschlechtsverkehr nicht den Tatbestand der Vergewaltigung erfüllt. Dieser Definition zufolge handelt es sich nur dann um Ehebruch, wenn man ohne Einwilligung des Ehemannes mit einer verheirateten Frau Geschlechtsverkehr hat. Dieser Paragraf impliziert, dass eine verheiratete Frau von ihrem Mann die Erlaubnis erhalten kann, Sex mit einem anderen Mann zu haben. Die Frau hat weder als Täterin noch als Mittäterin eine eigene rechtliche Identität. Das Delikt richtet sich allein gegen den Gatten, mit dessen Frau ein anderer Mann ohne sein Einverständnis Geschlechtsverkehr hatte. Eine Frau hingegen ist nicht berechtigt, ein Verfahren gegen einen untreuen Ehemann einzuleiten. Ihr gegenüber kann das Delikt des Ehebruchs nicht begangen werden. Die Strafbestimmung für Ehebruch stärkt daher die vorherrschende Meinung, es sei das ausschließliche Vorrecht des Mannes, das Sexualleben seiner Frau zu kontrollieren.
Dieses Konzept des Eigentums spiegelt sich auch in anderen Rechtsvorschriften der Ehegesetzgebung wider. Die „Wiederherstellung der ehelichen Rechte“ ist ein weiteres Beispiel für die gesetzliche Sanktionierung der ehelichen Knechtschaft der Frau. Dieses Rechtsmittel war zwar weder den Hindus noch den Moslems bekannt, wurde jedoch während der britischen Herrschaft allen zugänglich gemacht. (3) Hierbei steht es den Ehegatten zu, vor Gericht die Wiederherstellung des ehelichen Verhältnisses mit dem jeweils anderen Ehepartner zu erwirken, wenn sich dieser der Ehe ohne plausiblen Grund entzieht. Während Ehemänner nicht dazu gezwungen werden können, gegen ihren Willen mit einer Frau zusammenzuleben, und es daher nahezu unmöglich ist, diese Bestimmung Männern gegenüber durchzusetzen, setzt man Frauen oft unter Druck, indem ihnen das Recht auf Unterhalt seitens des Ehegatten verweigert wird, wenn sie sich der Anordnung widersetzen. Hat eine Frau in ihrer Ehe kein anderes wirtschaftliches Recht hat als das auf Unterhalt, wird dies oft zu einer Überlebensfrage.
Die Gesetze über Vergewaltigung beschneiden ebenfalls das Recht der Frau, selbst über ihren Körper zu bestimmen bzw. den Geschlechtsverkehr zu verweigern. Im indischen Strafrecht wird das Recht der Frau, dem Ehemann den Geschlechtsverkehr zu verweigern, nicht anerkannt. Indien zählt zu den wenigen Ländern, in denen Vergewaltigung in der Ehe auch heute noch nicht als strafrechtlicher Tatbestand gilt; somit hat die Frau nicht einmal das Recht, gerichtlich gegen erzwungenen Geschlechtsverkehr vorzugehen. Ihr wird also im Namen der Ehe das Recht auf ihren eigenen Körper per Gesetz verweigert. Sie wird als Eigentum ihres Gatten angesehen, der das uneingeschränkte Recht über ihren Körper hat; so ist ihr jegliches Recht auf eine freie Entscheidung genommen. Die oben genannten juristischen Beispiele zeigen, dass auch weiterhin der Mann die Macht hat. Da außerdem in den meisten Gesellschaften Besitz und Vermögen an die männlichen Nachkommen weitergeben werden, kann die Unsterblichkeit der Familie einzig und allein durch einen Sohn gesichert werden. (4) Der gesamte Druck lastet hier auf der Fruchtbarkeit der Frau und ihrer Fähigkeit, einen Sohn zur Welt zu bringen. Da sich der Beitrag des Mannes zur Fortpflanzung auf den Zeugungsakt beschränkt, ist es zum eindeutigen Nachweis der Vaterschaft notwendig, dass die Frau keine sexuellen Beziehungen zu anderen Männern als dem Kindsvater unterhält. (5) Das Eherecht ist bemüht, diesen gesellschaftlichen „Irrglauben“ aufrechtzuerhalten und weiter zu propagieren.
Frauen und ihr Recht auf Fortpflanzung: Empirische Kurve im Kontext Indien Die Themen der reproduktiven Kapazität und der Sexualität, welche im Eherecht eine so zentrale Stellung einnehmen, spiegeln sich auch in der staatlichen Gesundheitspolitik wieder. Der Gesundheitszustand von Frauen ist weitaus schlechter als der von Männern. Doch der einzige Aspekt der weiblichen Gesundheit, dem bisher Beachtung geschenkt wurde, ist die Fortpflanzungsfähigkeit.
Eine Studie über Energieverbrauch und Kalorienzufuhr zeigt, dass Frauen 53 Prozent ihrer Humanenergie für Aufgaben des Überlebens aufwenden, Männer hingegen nur 31 Prozent. Betrachtet man nur die Kalorienaufnahme, so nehmen Frauen 100 Kalorien weniger auf, als sie verbrauchen, während bei Männern ein Überschuss von 800 Kalorien zu verzeichnen ist. (6) Laut einer Broschüre des „Forum Against Oppression of Women“ mit Sitz in Bombay kam 1984 auf fünf Männer, die in Gesundheitszentren eine primäre medizinische Versorgung in Anspruch nahmen, bloß eine Frau. Weiters litten laut einem Bericht der UNICEF-WHO aus dem Jahre 1991 zwischen 40 und 50 der weiblichen Bevölkerung in den Städten und zwischen 50 und 70 Prozent der Frauen in ländlichen Gebieten an Anämie.
Im reproduktiven Diskurs dient der weibliche Körper als Basis für zwei unterschiedliche Trends: die Kontrolle der Unfruchtbarkeit und die Kontrolle des Bevölkerungswachstums. Da die Fähigkeit, einem Kind – insbesondere einem Sohn – das Leben zu schenken, dermaßen hoch geschätzt wird, werden unfruchtbare Frauen oft vom Partner verlassen und gesellschaftlich stigmatisiert. Während von Männern erwartet wird, dass sie Frauen – und die von ihnen geborenen Söhne – als ihr uneingeschränktes Eigentum betrachten, wird keine Verantwortung für den Fall übernommen, dass die Frau kinderlos bleibt oder einer Tochter das Leben schenkt. Daher werden Kinderlosigkeit bzw. die Geburt einer Tochter gänzlich der Frau angelastet, und sie hat auch die gesellschaftlichen Konsequenzen dafür zu tragen.
Andererseits zwingt man Frauen im Rahmen der staatlichen Familienplanungspolitik zur Verwendung von Empfängnisverhütungsmitteln. Seit Mitte der siebziger Jahre die Zwangssterilisation von Männern zu politischen Unruhen und letztendlich zum Sturz der Regierungspartei geführt hat, stehen die Frauen im Zentrum der politischen Bemühungen. Es wurde begonnen, Frauen von staatlicher Seite diverse Anreize zur Sterilisation bzw. zur Verwendung von Verhütungsmitteln zu bieten, wodurch sie indirekt zur Empfängnisverhütung gezwungen wurden. Vor diesem gesellschaftlichen und kulturellen Hintergrund wurde in Indien Mitte der siebziger Jahre die Methode der Amniozentese eingeführt. Obwohl es in Indien ohnehin nicht ungewöhnlich war, neugeborene Mädchen zu töten, (7) konnte man mit Hilfe dieser Methode weiblichen Nachwuchs noch einfacher – nämlich schon vor der Geburt – eliminieren.
In diesem Zusammenhang ist außerdem der Missbrauch des Abtreibungsgesetzes durch Einsatz der Amniozentese relevant. Während man in einigen entwickelten Ländern die moralischen und ethischen Fragen der Abtreibung bis zum heutigen Tag diskutiert, wurde diese in Indien schon im Jahre 1972 legalisiert. (8) Obwohl von staatlicher Seite behauptet wurde, mit diesem Gesetz solle lediglich unhygienischen und daher für die betroffenen Frauen lebensgefährlichen Abtreibungen ein Riegel vorgeschoben werden, war es in Wirklichkeit Teil der staatlichen Geburtenregelungspolitik. Dieses Gesetz erlaubte es Frauen, zum Schutz der eigenen Gesundheit/des eigenen Lebens bzw. des Lebens des Kindes einen Fötus abzutreiben. War die Empfängnis auf Vergewaltigung oder missglückte Verhütung zurückzuführen, so durften Frauen ihr Kind ebenfalls abtreiben.
Tatsächlich hieß die Amniozentese im Volksmund „Geschlechtsfeststellungstest“ und wurde alsbald zu einer boomenden Industrie, die ca. 5 bis 6 Jahre lang ohne jegliche Regulierung florierte. Studien aus dieser Zeit enthüllten erschreckende Statistiken über den Missbrauch dieser Methode. Allein in Bombay war die Zahl der Kliniken von zehn im Jahre 1982 auf 348 in den Jahren 1986-87 angestiegen. Schätzungen zufolge wurden zwischen 1978 und 1982 nach Geschlechtsfeststellungstests 78.000 Föten abgetrieben. (9) Laut einem Zeitungsbericht waren von 8.000 nach einem solchen Test erfolgten Abtreibungen 7.999 weibliche Föten betroffen. Bekannt ist auch der Fall einer Mutter zweier Töchter, die nach einem Amniozentesetest und der anschließenden Abtreibung im vierten Schwangerschaftsmonat starb.
Angesichts dieser alarmierenden Zahlen und Fakten stellte eine NGO in Bombay den schriftlichen Antrag auf Verbot des Geschlechtsfeststellungstests sowie der selektiven Abtreibung auf Grund des Geschlechts des Fötus. Unter dem Banner des „Forum against Sex Determination and Sex Pre-Selection“ protestierten Aktivisten verschiedenster Berufsgruppen gemeinsam gegen diese Praktiken. Die Kampagne galt Frauen, die für die Geburt eines Sohnes zu jedem Opfer bereit waren, ebenso wie der medizinischen Gemeinde. Obwohl Gesundheits- und Frauengruppen ein Gesetz forderten, das sämtliche gegenwärtige und zukünftige Techniken zur Feststellung des Geschlechts oder zur geschlechtsbedingten Vorauswahl verbieten sollte, verabschiedete die Regierung lediglich ein Gesetz zur Regulierung der Tests. (10) Ziel dieses Gesetzes war angeblich die Regulierung pränataler Diagnosetechniken zum Zweck der Früherkennung genetischer und metabolischer Störungen, chromosomaler Abnormitäten oder gewisser angeborener Missbildungen oder geschlechtsbedingter Störungen sowie die Verhinderung des Missbrauches solcher Techniken für die pränatale Geschlechtsbestimmung und des anschließenden Abtötens weiblicher Föten.
Das Gesetz wurde verabschiedet, doch der Kampf geht weiter. Das besagte Gesetz weist bestimmte inhärente Mängel auf, die dem Missbrauch der Amniozentesetechnik weiterhin Vorschub leisten. Hat eine Frau zu einem früheren Zeitpunkt bereits eine oder zwei spontane Abtreibungen mitgemacht oder einen Fötus verloren, so ist sie kraft dieses Gesetzes berechtigt, diese Methode anzuwenden. Viele Frauen werden zu einer entsprechenden Erklärung gezwungen, und in der Folge werden weibliche Föten letzten Endes abgetrieben. Trotz des Versuchs, mit diesem Gesetz ein Gleichgewicht zwischen dem intendierten Einsatz und dem Missbrauch dieser Technik herzustellen, konnte diese Gesetzeslücke bisher nicht geschlossen werden.
Aus dem Vorangegangenen ist klar ersichtlich, in welchem Ausmaß die Auswirkungen einer neuen Technologie von den existierenden gesellschaftlichen und kulturellen Werten, vor deren Hintergrund sie eingeführt wird, diktiert werden. Beim Versuch, dieser Technologie etwas Vorteilhaftes abzugewinnen, werden auch gesetzliche Maßnahmen auf reine Kosmetik reduziert.
Moderne Reproduktionstechnologie: Alter Wein in neuen Schläuchen Durch ihren aggressiven Eingriff in das „Leben“ selbst tritt die Wissenschaft an die Stelle der traditionellen patriarchalischen Ideologie und trägt mehr dazu bei, die weibliche Fruchtbarkeit wieder stärker in den Mittelpunkt des Interesses zu rücken als so manches Gesetz. Während das Bevölkerungswachstum als eines der größten Probleme unserer Zeit erkannt wurde, verwenden manche Länder Unsummen auf die Behandlung von Unfruchtbarkeit.
Die neue Reproduktionstechnologie konkretisiert die Bedeutung und Relevanz „eigener“ Kinder. Sie mag als Lösung für persönliche Unzulänglichkeiten erscheinen, doch ist sie im Rahmen des gesellschaftlichen Kontexts zu sehen, in dem sie in Erscheinung tritt. Bisherige Erfahrungen haben gezeigt, dass diese Techniken trotz rechtlicher Interventionen und trotz ihres wissenschaftlichen Designs unausweichlich ein neues Medium zur Festigung gesellschaftlicher und kultureller Grenzen und Kategorien liefern.
Da sie im Falle von Unfruchtbarkeit neue Optionen bieten, ohne jedoch die Erfolgsraten oder Auswirkungen zur Gänze zu offenbaren, setzen die technischen Möglichkeiten Frauen verstärkt unter Druck, Kinder zu bekommen. So unterzogen sich zahlreiche Frauen einer In-vitro-Fertilisation (IVF), ohne zu wissen, dass die Erfolgsrate bei IVF nur ca. 20 Prozent beträgt. Wie viele fehlgeschlagene Versuche hinter jeder erfolgreichen In-vitro-Fertilisation liegen, wird nirgends aufgezeichnet und gilt als irrelevant. Auf Grund der derzeit vorherrschenden gesellschaftlichen Struktur und der gesetzlichen Kontrolle der weiblichen Sexualität sind Frauen nicht in der Position, die durch die Wissenschaft gebotenen Wahlmöglichkeiten tatsächlich auszuschöpfen. Auch weiterhin werden der Einsatz und die Kontrolle der wissenschaftlichen Lösungen dieser Probleme in den Händen der traditionellen patriarchalischen Machthaber liegen.
Die Wissenschaft scheint voranzuschreiten, ohne gesellschaftliche Elemente in sich zu bergen. Während Wissenschafter davon sprechen, homosexuellen Paaren neue reproduktive Möglichkeiten zu eröffnen, wird dies weder in der staatlichen Politik noch in den gesellschaftlichen Normen reflektiert. Nicht einmal in „progressiven Ländern“ sieht die Gesetzgebung Kinder außerhalb der von Gesellschaft und Religion anerkannten Familiensysteme vor. Mutterschaft gilt nur für jene Frauen als notwendig und erwünscht, die glücklich verheiratet sind und mit ihren Ehemännern zusammenleben. Zur Wahrung ihrer weiblichen Identität ist es für Frauen unumgänglich, Mutter zu werden. Dies bestätigt die Behauptung, dass die Wissenschaft die traditionelle Betonung der weiblichen Fruchtbarkeit noch verstärkt.
Nicht einmal die künstliche Befruchtung, die für einige Feministinnen das Potenzial zur Herausforderung des Patriarchats zu bergen schien, hat die gesellschaftliche Struktur verändert. Wie wir oben gesehen haben, wurden bisher lediglich rechtliche und gesellschaftliche Mechanismen entwickelt, in deren Rahmen die Technologie so angewendet wird, dass sie die mangelnde Gleichstellung der Geschlechter weiterhin forciert.
Frauen stehen so sehr unter dem Druck, Kinder zu bekommen, dass sie bereit sind, ihren Körper für Experimente zur Verfügung zu stellen – nicht zuletzt deshalb, weil auch sie es für ihre Aufgabe halten, Männern Vergnügen zu bereiten und Kinder zur Welt zu bringen. Trotz der exorbitanten Kosten begeben sich Frauen in ärztliche Behandlung, nur um den ständigen Demütigungen und Schmähungen wegen ihrer Unfruchtbarkeit zu entgehen. Begleitet von der ständigen Unsicherheit, ob sich nun ein Erfolg oder ein Misserfolg einstellt, löst die Technik selbst eine neue Kette körperlichen Leidens aus und wird zum einzigen Lebensziel dieser Frauen. Dieses Phänomen wird durch die Aussage einer Betroffenen in We and our Fertility nur noch bestätigt.
Es sollte nur ein kleiner Eingriff sein. Auf meine Frage hin wurde mir gesagt, dass man die Eizellen entnehmen würde, die in meinem Körper reifen. Ich hatte bereits gelernt, mir jeden Tag in der Früh als erstes das Fieberthermometer in den Mund zu stecken und meine Körpertemperatur aufzuschreiben. Am zwölften Tag hatte ich leicht erhöhte Temperatur. Ich rannte sofort zum Arzt. Aber der war sehr ungehalten… „Sie kommen zu spät!“ Ich war erstaunt. Ich hatte nur getan, was man mir gesagt hatte. Was konnte ich dazu sagen? Ich hörte mir einfach die zornigen Worte des Arztes an. Ihr ganzer Zeitplan war durcheinander geraten. Ihre hilflosen, enttäuschten Gesichter verwirrten mich. Ich war dafür verantwortlich, dass sie die Hoffnung verloren hatten. Niedergeschlagen kam ich heraus.
Dann ging mein Mann hinein. Innerhalb kürzester Zeit war er wieder heraußen und zerrte mich förmlich aus der Klinik. „Mein ganzes Geld, meine ganzen Bemühungen – alles umsonst! Was bist du für eine Frau?“ Ich schwieg. Was hätte ich sagen können? Und außerdem machte es in dieser Situation nicht den geringsten Unterschied, ob ich etwas sagte oder nicht. Warum entnehmen sie meinem Körper nicht gleich die Eierstöcke selbst, die die Eizellen produzieren, und überlassen sie der sicheren Obhut der Ärzte? Was nützten sie mir? Die Tatsache, dass sie sich in meinem Körper befanden, hatte das ganze Problem ja erst ausgelöst. Ein zweites vieldiskutiertes Phänomen ist die Selektion von Spermien in Fällen, wo der Ehemann diese nicht zur Verfügung stellen kann. In Samenbanken dürfen nur bestimmte Arten von Spermien tiefgekühlt und auch nur bestimmten Paaren zur Verfügung gestellt werden. So geht die Kontrolle auf Technokraten über, die die Macht über die Samenbanken haben. Zu guter Letzt erklären sie, dass nur Ehefrauen und nicht Frauen an sich das Recht auf Mutterschaft haben. Eine solche Politik impliziert, dass einige Menschen als nützlicher, überlegener und fortpflanzungswürdiger identifiziert werden. Samenbanken bewerben ihr Spermienangebot anhand von Kategorien wie Hautfarbe, Religion, Rasse usw. Paare, die aufgrund ihrer Hautfarbe oder ihres gesellschaftlichen Status diskriminiert wurden, wählen deshalb Spermien von Spendern, die sie für bessere Menschen halten. Diese Konstruktion eines Konzeptes vom perfekten Menschen grenzt an Fanatismus. Der vor gar nicht allzu langer Zeit gestartet Versuch, mittels Auswahl/ Elimination eine perfekte Rasse zu züchten, findet somit im 21. Jahrhundert seine Fortsetzung – und dieser ist sogar noch verwerflicher, da er unter dem Deckmantel der „freien Auswahl“ auftritt.
Schlussfolgerung Wenn man den Traum von der Fruchtbarkeit verkauft, muss man dies gegen den dadurch tatsächlich ausgelösten Schaden abwiegen. Um welchen Preis sollte eine unfruchtbare Frau unter Druck gesetzt werden, auf jeden Fall – entweder mittels Sozialisierung oder mithilfe der Wissenschaft – eigene Kinder zur Welt zu bringen? Eine individuelle Wahlmöglichkeit kann sich nur aus dem Zusammenspiel individueller und kollektiver Rechte ergeben.
Auf Grund der Koppelung von gesellschaftlichen Ansichten und der herrschenden Rechtsmeinung an wirtschaftliche Realitäten sind diese Technologien für weiteren Missbrauch anfällig. In Indien kam es zu lautstarken Protesten, als Nirmala 1997 ihre Gebärmutter um 50.000 Rupien für eine Leihmutterschaft zur Verfügung stellen wollte. Diskussionen entbrannten, als in den Vereinigten Staaten junge Frauen ihre Eizellen um 30.000 Dollar für wissenschaftliche Zwecke zur Verfügung stellten, um sich so ihre Weiterbildung zu finanzieren.
Die assistierte Reproduktionstechnologie bietet Vorteile für kinderlose Menschen in der ersten und für reiche Menschen in der dritten Welt. Wenn die Bevölkerungspolitik nicht die gesamte Bevölkerung betrifft, sondern nur einige Auserwählte, so wird sich die Ablehnung weiblicher Nachkommen dahingehend weiterentwickeln, dass nur noch Nachkommen eines bestimmten Typs und einer bestimmten Kategorie erwünscht sind. Sollte man davon ausgehen, dass die medizinische Technik von Natur aus wohlwollend und progressiv ist, oder sollte man sie innerhalb des gegenwärtigen und künftigen gesellschaftlichen Kontexts beurteilen, in dem sie eingesetzt, missbraucht oder falsch verwendet werden könnte?
(1) Feministische Wissenschafterinnen wie Flavia Agnes sind der Ansicht, dass bis zur Übernahme der prüden englischen Lebensweise, die per Gesetz und Richterspruch Konzepte wie Monogamie einführte, Ehe und sexuelle Beziehungen in Indien weniger strengen Regeln unterworfen waren. zurück
(2) Flavia Agnes. Law and Gender Inequality; The politics of women’s rights in India, Oxford University Press, 1999 zurück
(3) Paras Diwan: Marriage and Divorce, Wadhwa & co. zurück
(4) Es gibt in Indien auch matrilineare Gesellschaften, die jedoch langsam untergraben werden. zurück
(5) Chanynika, Swatija und Kamaxi: We and our Fertility. The politics of technological interventions, 1999 zurück
(6) Nandita Gandhi und Nandita Shah: *The Issues at Stake* zurück
(7) Die Tötung weiblicher Neugeborener wurde durch eine gesetzliche Bestimmung der Briten 1870 verboten. zurück
(8) Gesetz zum medizinischen Schwangerschaftsabbruch, 1972 zurück
(9) Patel, Vibhuti: „Campaign Against Amniocentesis“, in Bhate K, et al (Hgs.): In Search of our Bodies Shakti, Bombay, 1987, zitiert in Nandita Gandhi: The Issues at Stake zurück
(10) Die erste gesetzliche Bestimmung war die Bestimmung von Maharashtra zur Anwendung des Gesetzes über pränatale Diagnosetechniken 1988, gefolgt von einem zentralen Gesetz über pränatale Diagnosetechniken (Regulierung und Verhinderung des Missbrauchs) aus dem Jahre 1994. zurück
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