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Festival 1979-2007
 

 

Das Denken des Sexuellen


'Marie-Luise Angerer Marie-Luise Angerer

Wenn man liebt, geht es nicht um das Geschlecht.

(Jacques Lacan)
In der derzeit aktuellen Debatte um das Politische versus die Politik, die insbesondere mit dem Namen Ernesto Laclaus verknüpft ist, werden diese beiden Ebenen folgendermaßen unterschieden: Während die Politik von Laclau als ontisch bezeichnet wird im Sinne konkreter Artikulationen und realpolitischer Antagonismen, ist das Politische ein quasi-universales Phänomen oder ein historisches Apriori vis-à-vis unterschiedlicher Gesellschaftsordnungen. Das Politische bezeichnet die Ebene der Blockade des Spiels der Differenzen durch das Reale, das heißt, das Politische ist vorauszusetzen und setzt damit immer schon, das Politische erfüllt eine „leere“ Funktion, es stellt eine „originäre Öffnung“ dar, es bezeichnet die Notwendigkeit eines vermittelnden Glieds zwischen politischer Strukturierung und der Struktur. (1)

Vor diesem Hintergrund möchte ich eine parallele Denkbewegung für Sexualität und Geschlechtsidentität vornehmen, also für das Paar Sex und Gender. Das Politische – als Ontologie des Möglichen von Laclau benannt – entspricht hierbei dem Sexuellen, als jener originären Öffnung bzw. jenes originären Spalts, der Gender – männlich und weiblich – „hervorbringt". Doch die Originalität des Sexuellen sollte nicht mit anatomischbiologischen Faktizitäten verwechselt werden. Es handelt sich nicht um den animalischen Instinkt, der den Menschen angeblich antreibt sich fortzupflanzen, sondern das Sexuelle ist immer schon im Dazwischen von Psyche und Soma – wie es bei Sigmund Freud über den Trieb heißt – verortet. Das Sexuelle ist also als eine Voraussetzung des Menschlichen zu fassen und gleichzeitig seine Setzung. Wie ist dies nun zu verstehen bzw. was bedeutet dies für das Thema Next Sex?
Sexuelle Differenz und Gender
Das Thema der Ars Electronica – Next Sex – baut implizit auf der Verzahnung von Genetik-Körperlichkeit-Identität auf. Denn es wird die Vorstellung unterstrichen, dass ein genetischer Eingriff oder die Manipulation des genetischen Materials andere Geschlechter, andere Frauen und Männer – oder eventuell keine Männer und Frauen mehr –, sondern noch nicht benennbare Wesen, hervorbringen wird. Wäre hinter dem Titel ein Fragezeichen angeführt worden, wäre er anders verstehbar, nämlich in die Richtung zielend, dass es möglicherweise keine Sexualität mehr geben wird, dass – Regenwürmern ähnlich – der Mensch sich zukünftig selbst fortpflanzt, für sein Fortbestehen also keinen anderen, nicht das andere Geschlecht, mehr benötigt. Der Titel ist also verwirrend und folgt zum einen der bekannten Vermischung von Biologie und Kultursozialem und ignoriert zum anderen jedes psychoanalytische Wissen um das Wesen des Sexuellen im Feld des Humanen.

Zum ersten Punkt der Vermischung von Biologie und Kultursozialem: Die Trennung von Sex und Gender hat in den letzten drei Jahrzehnten als unglaublicher Fortschritt gegolten, als Bollwerk gegen eine biologistische Sehweise von geschlechtlicher Identität. Man konnte den Körper als Domäne des Sex getrost von der Geschlechtsidentität, der kulturell-sozialen, abspalten und diesem sein Geschlecht – zumindest bis zu einem gewissen Grad – überstülpen. Ein Rest von Unbehagen blieb allerdings bestehen, denn Sex und Gender lassen sich nicht wirklich trennen. Spätestens Transsexualität markierte hierbei die Limitation dieses Denkens. Das Unbehagen wurde sodann Anfang der 90er- Jahre von Judith Butler als eines der Geschlechter formuliert, und in Gender Trouble (dem englischen Originaltitel von Das Unbehagen der Gechlechter) wurde die Trennung von Sex und Gender wieder rückgängig gemacht und als pure Ideologie einer heterosexuellen Gesellschaftsordnung entlarvt. Der Körper als solcher, so nun Butler, kann nur als geschlechtlich markierter in Erscheinung treten, das heißt, es gibt keinen Körper außerhalb der symbolischen Ordnung, sondern diese produziert den männlichen und weiblichen Körper als jeweiliges Geschlecht. (2) Butlers einschneidender Schritt ist in der Zwischenzeit weitergedacht worden – zum einen bezüglich des Körpers, zum anderen hinsichtlich der sexuellen Differenz.

Ziemlich schnell auf Butlers Gender Trouble (3) (1990) und Bodies that Matter (4) (1993) folgte Elizabeth Grosz’ Kritik an der von Butler favorisierten Kategorie Gender. In Experimental Desire. Rethinking Queer Subjectivity (1994) insistiert Grosz darauf, dass Körper und Sexualität in ihrem Kern zutiefst instabil wären, eine Instabilität aufwiesen, die tiefer gehen würde als die nie abgeschlossene Fixierung geschlechtlicher Identitäten. Vielmehr müsse der Körper als etwas begriffen werden, der mehr vermöchte, als ihm die Gesellschaft/ Kultur erlaube zu tun. „Isn’t it more threatening to show, not that Gender can be at variance with Sex (...), but that there is an instability at the very heart of Sex and bodies, the fact that the body is what it is capable of doing, and what any body is capable of doing is well beyond the tolerance of any given culture?“ (5) Was die sexuelle Differenz betrifft, so leitet Grosz diesbezüglich ein Denken ein, das sich mit meinem Vorschlag, wie denn das Sexuelle zu denken sei, stellenweise treffen wird. Sie fasst sexuelle Differenz nämlich als ontologisches Fundament auf, womit sie sowohl auf Derridas „neue Choreografie der sexuellen Differenz“ als auch auf die Saussur’sche Linguistik zurückgreift. Zur Erinnerung: auch Laclaus Definition des Politischen als Voraussetzung und Setzung hat ihre Wurzeln in der Derrida’schen Dekonstruktion der metaphysischen Präsenz sowie in der Differenz der Signifikanten als Bedeutungsproduzierende. Grosz bestimmt demnach sexuelle Differenz als jenen ursprünglichen Aufschub (différance), der nicht als sich selbst in Erscheinung treten kann, jedoch die Voraussetzung für männlich und weiblich bildet. Sexuelle Differenz und sexuelle Identität unterhalten hierbei ein Verhältnis wie Saussures pure Differenz die Voraussetzung und Kondition für die linguistischen Werte bildet. Sexuelle Differenz ist also jene erste Spaltung, die allerdings nicht als solche auftaucht, aber als originäre Negativität die Positivität der Geschlechter bedingt. Hier in durchaus anschlussfähiger Weise formuliert Slavoj Zizek seine Kritik an Butlers Gender Trouble und damit seine Definition von sexueller Differenz à la Lacan. Zizek stellt die „Gender Trouble“ auf den Kopf – macht aus ihnen „Body Trouble“ – denn Butler hätte wieder sexuelle Differenz mit der heterosexuellen Dichotomie ineinsgesetzt. Natürlich sei sexuelle Differenz keine Frage der Biologie und Anatomie, aber sexuelle Differenz sei auch keine soziale Konstruktion. „It rather designates a traumatic cut which perturbs the smooth functioning of the body – what renders it traumatic is not the violent imposition of the heterosexual norm, but the very violence of the cultural transsubstantiation of the biological body through its sexuation.” (6) Sexuelle Differenz ist also das, „welches das diskursive Universum ,krümmt‘, uns an der Gründung seiner Formation in der ,harten Realität‘ hindert – was bedeutet, dass jede Symbolisation der sexuellen Differenz bezüglich ihrer selbst für immer instabil und verschoben bleibt … die sexuelle Differenz ist nicht ein mysteriöses unzugängliches X, das nie symbolisiert werden kann, sondern eher das Hindernis dieser Symbolisation, der Fleck, der das Reale für immer von den Weisen seiner Symbolisation separiert.” (7) Das heißt, sexuelle Differenz ist – je unterschiedlich für männlich und weiblich – ein Versagen des/im Symbolischen. Sie ist nie hundertprozentig in die symbolische Norm/Form übersetzbar, nie von dieser einholbar, jedoch fixiert sich jede geschlechtliche Identität in ihr und durch sie. Das heißt, wir haben es wieder mit einem Realen, mit einem Außerhalb der symbolischen Ordnung zu tun, mit einer Artikulation, einem realen Antagonismus der Geschlechter. Und dies nochmals weiter, dass Frau- und Mann-Sein nicht genügt – wie dies Butler einmal formuliert hat –, jedoch nicht dahingehend, als dass jede geschlechtliche Identität ihr je homoerotisches Begehren verdrängen muss, sondern, dass es ein Mehr dieser Identitäten gibt, das diese in seinem VORAUS setzt. Lacan hat immer wieder darauf verwiesen, dass es im Unbewussten keine Repräsentation der Geschlechter gäbe, diese käme erst in und durch die symbolische Ordnung zu Stande und in dieser würden sich die Geschlechter nur als Maskerade begegnen. Eine Maskerade allerdings, die vorgibt, etwas zu verschleiern, in Wirklichkeit jedoch nur das Nichts-Dahinter verbirgt.

Wenn nun die Gen- und Reproduktionstechnologien uns glauben machen wollen, sie würde das Ganze dahingehend in den Griff bekommen, als dass sie den Ursprung der Sexualität und damit des geschlechtlichen Wesens – Mann und Frau – zu entschlüsseln im Stande seien, dann ist dies nur ein Teil der Geschichte von Sexualität und der Wahrheit (des Menschen) (8).
Die sexuelle Wahrheit des Menschen
In Butlers Ansatz, den Zizek, wenn auch auf den Kopf gestellt, letztendlich fortführt, spielt der Begriff des Begehrens eine zentrale Rolle. Ihre Kritik dabei: Dass in einer Hetero-Gesellschaft das Begehren nur dazu diene, das heterosexuelle Paar herzustellen und aufrechtzuerhalten, das Begehren also wiederum in eine eindeutige und monolineare Richtung gepresst würde. Doch begehren heißt, in viele Richtungen zu gehen und nicht nur zwischen Mann-Frau, Frau-Mann, Mann-Mann oder Frau-Frau zu oszillieren. So plausibel dies angesichts der Repression von homosexuellen und anderen queeren Orientierungen klingt, so missverständlich ist der Begriff des Begehrens hier gebraucht – nämlich nur bezüglich der jeweiligen Sex-PartnerInnenwahl. Ein ähnliches Problem haben wir mit dem Ansatz von Liz Grosz, wenn diese für das Mehr der Körper plädiert, das diese sich in alle möglichen Dimensionen hin ausdehnen lässt, wenn die Kultur dies nur erlaube. Auch hier erhalten wir außer einem Hinweis auf die kulturellen/ gesellschaftlichen Sanktionen keine weitere Explikation dessen, weshalb Körper sich ausdehnen und/oder schrumpfen.

Wenn die Gentechnologie uns derzeit überzeugen möchte, sie sei bald so weit, das letzte entscheidende Gen ausfindig zu machen, das menschliche Sexualität bedinge, dann ist dies nur für die Fortpflanzung der Fall – und auch für diese oft nur sehr zufällig, wenn man nur einmal kurz an die Widrigkeiten bei In-vitro-Fertilisationen denkt, wo ganz offensichtlich auch noch andere Gesetze gelten denn ausschließlich chemischphysikalische Reaktionen. Allein der Umstand einer Schwangerschaft – welche Frau wann unter welchen Bedingungen schwanger wird und welche Frau nicht – ist nicht nur pillenmäßig erklärbar. Eine Dimension spielt hierbei nämlich die entscheidende Rolle, die keine Erklärung im animalischen Bereich noch in der Endokrinologie findet. Wenn Unterhaltungsmagazine heute nicht müde werden, uns über Ausschüttungen im Frühling aufzuklären, auf Grund derer wir uns verlieben, oder wenn uns bestimmte Aphrodisiaka ans Herz gelegt werden, um unsere Stimulation zu vergrößern, um unsere Geilheit auf den/die jeweilige/n PartnerIn zu lenken, dann sind diese Fakten nicht falsch, ignorieren jedoch die Frage, weshalb diese spezifischen Gefühle im Frühling aufkommen – und auch nicht bei allen Menschen – und weshalb im Herbst nicht (und sich auch im Herbst Menschen verlieben). Weshalb Beziehungen so aufregend beginnen und oftmals so langweilig und trostlos enden. Weshalb ein Mensch so fantastisch und man glücklich alles mit ihm teilen möchte und nach einige Zeit jeden fantastischen Aspekt verloren hat. Weshalb die Aufregung, die einmal da war, auf einmal plötzlich verschwunden ist. Begehren und Liebe sind – ziemlich offensichtlich – keine genetischen Größen, die herstell- und haltbar sind. Dass es zwei fundamentale Variablen in Sachen Sex sind, steht außer Frage, wie diese beiden Größen jedoch in bestimmten Gesellschaftsanordnungen gehandelt werden, ist eine, die sich angesichts der biotechnischen Entwicklungen mit einiger Spannung stellt.

Michel Foucault hat in seinen bereits genannten drei Bänden zu Sexualität und Wahrheit die Erste als eine Realität bezeichnet, „die nur schwer zu erfassen ist und vielmehr als ein großes Oberflächennetz, auf dem sich die Stimulierung der Körper, die Intensivierung der Lüste, die Anreizung zum Diskurs, die Formierung der Erkenntnisse, die Verstärkung der Kontrollen und der Widerstände in einigen großen Wissens- und Machtstrategien miteinander verketten“ (9) verstanden werden muss. Sexualität ist deshalb der Name eines geschichtlichen Dispositivs, dem keine wie auch immer gestaltete Realität zu Grunde liegt. Wenn auch Foucaults Definition nicht mit meinem Vorschlag, das Sexuelle als Quasi-Universalie zu betrachten, übereinstimmt, so hat seine Genealogie von Sexualität und Wahrheit eines deutlich gemacht: Dass es keine Sexualität an sich gibt, dass Sexualität also nicht etwas ist, was alle Menschen von Geburt an haben, sondern etwas ist, in das sie eintrainiert werden. Sie ist nichts Natürliches, sondern etwas durch und durch kulturell Codiertes.

Doch während Foucault sein Augenmerk auf Institutionen wie die Familie, die Schule, die Medizin etc. richtet, die alle an der „Wahrheit“ des Menschen basteln, sein Sprechen – seinen Körper – sein Wissen untersuchen und damit als besondere Wahrheits-Quellen einrichten, möchte ich die von mir eingangs aufgestellte Gleichung an dieser Stelle nun positionieren, um die entscheidende Ver-rückung zu demonstrieren. Was Foucault hier beschreibt, sind die konkret-historischen Artikulationen, ist sozusagen die Politik, ist die Ebene der Entscheidung, die retrospektiv die Wahrheit der Sexualität entstehen lässt. Foucaults Begriff der Sexualität entspricht daher meinem Begriff von Gender bzw. ist auf derselben Ebene angesiedelt. Aber wie ist nun – nochmals – dieses Sexuelle zu denken, wenn es als leere Funktion die Produktion von Gender und damit geschlechtlicher Identität bewerkstelligt? Hierzu hat Charles Shepherdson einen interessanten Vorschlag unterbreitet. In seiner Arbeit – die sich eng an die Lacansche Psychoanalyse anlehnt – unterscheidet er nämlich zwischen dem Imperativ der sexuellen Differenz und dem Geschlecht als Rolle. Während Gender also als ein Set von Normen und Regeln zu verstehen sei, sei sexuelle Differenz keine humane Einrichtung im Sinne einer gesellschaftlichen Institution, sondern ein Imperativ, der sich nur mit Freuds Unterscheidung von Trieb und Instinkt erklären lässt. Sexuelle Differenz als Imperativ zu unterstreichen bedeute dabei auf der strukturellen Unvermeidbarkeit von Repräsentation zu insistieren, die menschliche Sexualität immer schon auszeichne. Dies wäre, so Shepherdson, alles andere als eine Rückkehr zu einer körperlichen Natur oder natürlichen Körperlichkeit, sondern wäre vielmehr ein Hinweis darauf, dass Sexualität bei Freud weder Sex noch Gender bezeichnet, woraus sich die weitere Bestimmung ableitet, dass der Körper weder eine biologische Tatsache noch ein soziales Konstrukt ist, sondern etwas konstitutiv Denaturalisiertes, „organ-ized by the image and the word“. (10)
Das Sexuelle und der Trieb
Bekanntlich hat Freud in seiner Arbeit dem Trieb besondere Aufmerksamkeit zukommen lassen, ihn dezidiert vom (animalischen) Instinkt unterschieden. John Strachey, der Übersetzer ins Englische, hat jedoch mit seiner Einführung des Triebs als instinct in den angloamerikanischen Ländern ein jahrzehntelanges fundamentales Missverständnis produziert, was sich nur mühsam und allmählich aufklärt. Hierbei sind die Lacanianer nicht unerheblich beteiligt. Doch dies nur nebenbei. Wozu brauchen wir hier nun den Trieb als unterschieden vom Sexuellen – meine Antwort: als Übersetzung. Als link zwischen dem Sexuellen und der geschlechtlichen Identität. Als, wenn man so will, jenen Ort, wo sich die originäre Spaltung (différance) einschreibt, die auch unter sexueller Differenz firmiert. Freud hat den Trieb immer – von Anfang an – als Schwellenbegriff definiert, als etwas, was die Grenze zwischen dem Somatischen und Psychischen markiert – nicht die Grenze selbst ist! Das wäre ein Unterschied! Hier taucht also wiederum das Problem der Grenze, das Problem, die Grenze zu denken, auf. Laclau hat in seinen Ausführungen den Begriff des Antagonismus eingeführt, um genau diese Grenze zu benennen, nicht als Ontisches, sondern als Grenz-Führung. Der Trieb von Freud wäre etwas Vergleichbares, der sich – wie Freud schreibt – nur als psychische Repräsentanz wahrnehmen, denken lässt. Und diese psychische Repräsentanz findet bei Lacan einen gesonderten Namen, nämlich jenes berühmt-berüchtigte objet petit a. Dieses wäre das Ontische in der Psychoanalyse, doch wie Jacques-Alain Miller betonte, wäre dies eben nicht der Weg gewesen, den Lacan eingeschlagen hätte. Lacan hätte aus diesem objet petit a, in dem der Trieb seine Befriedigung findet, und das einmal eine körperliche Konsistenz war, eine logische Konsistenz gemacht. Das heißt, dieses objet petit a benennt genau jenes Moment, wo sich Sexualität als nachträgliche in und durch die symbolische Ordnung der Repräsentation einstellt. Lacan hat die Stimme, den Blick, das Phonem, das Nichts als Möglichkeiten u. a. des objet petit a aufgelistet. Das heißt, der Trieb findet seine Befriedigung in und durch dieses kleine Objekt a, das Begehren jedoch ist ein endloses. Und beide konstituieren das, was als menschliche Sexualität sich in den jeweiligen Unterschiedlichkeiten entfaltet.
Das Begehren des Humanen
In zahlreichen Cyborg-Geschichten – angefangen von den Replicants in Blade Runner über den Terminator bis zu Marge Piercys Jod, einem männlichen Cyborg in The Body of Glass (1991), geht es um die Frage nach der Grenzziehung zwischen einer Maschine und den Menschen. Bisweilen geht es bis an die Grenze der Ununterscheidbarkeit bzw. glauben die Menschen, im Aufeinandertreffen mit der Maschine, nicht (mehr) zu wissen, was es heißt, ein Mensch zu sein. Es gibt allerdings ganz spezielle Augenblicke, wodurch sich die Wahrheit des Humanen offenbart: vergessen, lachen, weinen, lieben, Erinnerung, Blicke, Berührungen ...

Diese Momente entstammen alle dem Arsenal der menschlichen Sexualitätsentwicklung – sie verweisen auf etwas ursprünglich Körperliches, was im Prozess des Werdens sich abtrennt, dabei eine neue Dimension entstehen lässt, die diese Trennung voraussetzt und setzt: das Begehren und die Liebe. Die Grenzziehung erfolgt durch die Sprache, wodurch nicht nur der Tod der Dinge eingeleitet, sondern auch die Trennung von der ursprünglichen Einheit mit dem Mutter(-körper) erfolgt. Dieser zweite Schock, nach dem ersten der Geburt, entlässt das Individuum zunächst in die Dyade des Ich + Du, um diese sodann durch das Eintreten des Anderen, eines Dritten, die geschlechtliche Identität als Artikulation der sexuellen Differenz ins Spiel zu bringen. Judith Butler hat in diesem Zusammenhang von einem unwiderruflichen Verlust eines homosexuellen Begehrens gesprochen, das Begehren nach dem gleichen Geschlecht müsse aufgegeben werden, um in einer Hetero-Gesellschaft als Mann oder Frau zu passieren. Freud und Lacan sind hier radikaler, da sie diesen Verlust vor der Unterscheidung von Homo und Hetero ansetzen – nämlich als Verlust jener ursprünglichen Einheit, der mit dem Eintritt in die Sprache sich vollzieht, wobei die geschlechtliche Differenz hier noch keine Rolle spielt.

Doch nochmals zurück zu den arteigenen Momenten, wie lachen und weinen, vergessen und erinnern. Diese waren ursprünglich körperlicher Natur und werden sodann zu psychisch-symbolischen Artikulationen. In der Psychoanalyse fungiert hier als dominantes Beispiel die Brust, an der der Säugling saugt, um anschließend befriedigt und satt einzuschlafen. Diese Brust ist sowohl für Freud als auch für Lacan das Paradebeispiel, um zu demonstrieren, wie das Begehren und das Objekt klein a sich gegenseitig konstituieren. Bei Lacan heißt es dann: Die Brust steht nicht für Nahrung, sie hat auch nichts mit der Erinnerung an noch mit einem Widerhall von Nahrung zu tun, auch nicht mit mütterlicher Sorge. Der Trieb geht darin um, er dreht seine Runde. (11) Ziemlich ähnlich hat dies Franz Kafka in seinem Hungerkünstler beschrieben, wenn dieser – kurz vor seinem Tod – dem Aufseher in das Ohr flüstert, er hätte gegessen, wenn er die Speise gefunden hätte, die ihm geschmeckt hätte.„Hätte ich sie gefunden, glaub mir, ich hätte kein Aufsehen gemacht und mich voll gegessen wie du und alle.“ (12)

Von Beginn an ist ein Mehr in das biologisch-anatomische Aufwachsen eingeschrieben oder besser: gesellt sich hinzu. Die meisten Theorien stimmen darin überein, dass dies mit der zu frühen Geburt des menschlichen Wesens zu tun hätte. Denn bei keinem anderen Lebewesen würde mental und körperlich so sehr auseinander klaffen wie beim Menschen. Ichideal und der Blick des Anderen sind nun damit beschäftigt, diese Spalte zu schließen, das Subjekt sich halluzinatorisch einer geliebten Ganzheit vergewissern zu lassen. – Was heißt das?

Im Spiegelstadium als jener imaginären Phase, in der das Kind sein Bild allmählich entwickelt – als dieser andere – ist auch bereits der Blick des groß A (des großen Anderen) anwesend – als Blick der Mutter bzw. der ersten Bezugsperson. Dieser Blick schließt die Lücke und lässt das Kind gleichzeitig – einer Marionette ähnlich – an seinen Fäden zappeln. Die Bedürfnisse des Kindes sind immer schon Ansprüche an den Anderen. Und unter diesem Blick, der zunächst ein konkreter Blick gewesen ist, der sodann jedoch zum Blick eines anonymen Gesetzes wird, entwickeln sich Männer und Frauen, versuchen Männer und Frauen so zu sein, das zu erfüllen, was als männlich und weiblich gilt.
Fragen, auf die es (noch) keine Antworten gibt
Next Sex? Wird es – nach dem Stattfinden der gentechnischen Revolution – ein Geschlecht (noch) geben? Es wird Geschlechter geben, darüber besteht kein Zweifel. Also lässt sich Next Sex? mit ja beantworten. Und es wird auch Sexualität weiter geben: zwischen Menschen, zwischen Männern und Frauen, zwischen Frauen und Frauen und Männern und Männern, und es wird nicht nur Sexualität zwischen Kindern einen anderen Stellenwert einnehmen, sondern möglicherweise auch die zwischen Erwachsenen und Kindern und zwischen Mensch und Tier und zwischen Mensch und Maschine. Und dies nicht etwa, weil die Gen-Experten das entscheidende Gen ausfindig gemacht haben werden, sondern weil Sexualität/Liebe/Begehren zu jenen Dimensionen menschlicher Existenz zählen, die neben Nahrung überlebensnotwendig sind – für das psychische Überleben zuständig sind. Paul Verhaege hat in Love in a time of loneliness (13) auf das Paradox hingewiesen, dass unsere Zeit nicht nur alles erlaubt, sondern den Einzelnen geradezu zwingt, alles zu sein/alles zu haben – und dies alles auch genießen zu müssen. Der Imperativ „Enjoy!“ hat allerdings zur Folge, dass sich nicht nur Hobbies und Moden in Kürze abnutzen, sondern auch Beziehungen – und an Stelle der Befreiung macht sich gähnende Langeweile breit. The right here and now kills every desire! Die Gegenstrategien sind daher auch überall am Werk: Eine hysterische Suche nach neuen Verboten, nach neuen Führern, neuen Regeln und Ritualen zeigt sich ganz offensichtlich- und sei es nur die, welche Sorte von Müsli die einzig Richtige und Wahre ist. Das heißt, je vermeintlich liberaler und demokratischer eine Gesellschaft sich gebärdet, desto oberflächlicher zeigt sich die Angst vor dem Alles-ist-erlaubt = Alles-ist-egal. Je offensichtlicher sich daher die Künstlichkeit der Geschlechterrollen zeigt, desto rigoroser werden traditionelle Normen (wieder) installiert: Es wird geheiratet, auch wenn die Scheidung beinahe schon terminlich festgelegt werden könnte.

Daher ist es nicht verwunderlich, dass Diskussionen über ethische Regeln derart en vogue sind, dass über Ein- und Beschränkungen in einer wunderbar offenen Weise diskutiert wird, Diskussionen, die absolut notwendig sind, um das Ausbrechen tiefer Ängste, die das Produkt einer fanatisch betriebenen Grenzauflösung sind, zu kanalisieren. Nicht, um alte Ordnungen und Identitätssetzungen widerspruchslos zu betreiben, sondern um anzuerkennen, dass das Begehren des Ich zutiefst im Begehren des Du/des Anderen verwurzelt ist.

(1)
cf. Dyrberg, Torben Bech: Diskursanalyse als postmoderne politische Theorie. In: Das Undarstellbare der Politik. Zur Hegemonietheorie Ernesto Laclaus (Hrsg. Oliver Marchart), Wien 1998, 7–22, 23–51 back

(2)
Angerer, Marie-Luise: The Body of Gender. Körper.Geschlechter.Identitäten., Wien 1995 back

(3)
Butler, Judith: Gender trouble–Feminism and the Subversion of Identity, New York, London 1990 back

(4)
Butler, Judith: Bodies That Matter. On the discursive limits of sex, London, New York 1993 back

(5)
Grosz, Eliszabeth: “Experimental desire. Rethinking Queer Subjectivity,” in: Joan Copjec (Hg.): Supposing the Subject, London, New York, 1994, S. 133–157. Siehe auch: Grosz, Elizabeth: Volatile Bodies. Towards a Corporeal Feminism, Bloomington, Indianapolis 1994 back

(6)
Zizek, Slavoj: unpublished manuscript back

(7)
Zizek, Slavoj: Das Unbehagen im Subjekt. Wien 1998 back

(8)
Foucault, Michel: Sexualität und Wahrheit, Bd.I., Frankfurt/M 1976 (1977) back

(9)
ibid., 128 back

(10)
Shepherdson, Charles: “The Role of Gender and the Imperative of Sex,” in: Joan Copjec (Hrsg.): Supposing the Subject, London, New York 1994, 158–184 back

(11)
Piercy, Marge: The Body of Glass, London 1991 back

(12)
Lacan, Jacques: Die vier Grundbegriffe der Psychoanalyse, Das Seminar, Buch XI. Weinheim/Berlin 19964(1964) back

(13)
Paul Verhaege: Love in a time of loneliness, New York 1999 back