Artistic Molecules
'Joe Davis
Joe Davis
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'Katie Egan
Katie Egan
Mit Molekularbiologie begann ich mich während eines Projekts zur Kommunikation mit Außerirdischen zu befassen, das ich in den frühen achtziger Jahren mit Kollegen von Harvard und MIT organisierte. Es trug den Titel Poetica Vaginal und war darauf ausgerichtet, zum Zweck der Kommunikation mit außerirdischen Wesen menschliche Vaginalkontraktionen in die Weiten des Weltalls zu übertragen. Fragen der interstellaren Radarübertragung und die Suche nach außerirdischer Intelligenz lenkten meine Aufmerksamkeit automatisch auf die „universale“ Sprache der Biologie: die praktische, ökonomische Produktion einer astronomischen Anzahl individueller Entitäten (Botschaften) und robuste Medien (bakterielle Sporen und Viren), die sowohl die unwirtlichen Umweltbedingungen des Weltraums als auch mehrere, für eine „Reise ins Weltall“ erforderliche „geologische Zeitspannen“ überleben würden.
Im Rahmen der Ars Electronica präsentiere ich ein neuartiges Instrument, das ich kürzlich entwickelt habe, sowie einige Beispiele meiner Arbeiten mit synthetischen DNAMolekülen. Das erste dieser künstlerischen Moleküle, Microvenus, enthält ein codiertes optisches Icon, das die äußeren weiblichen Genitalien darstellt, und – zufälligerweise – eine altgermanische Rune für die „Erde“ in Frauengestalt. Im Alexander Rich Laboratory am MIT lernte ich später mit Shuguang Zhang und Curtis Lockshin, DNA-Moleküle (einschließlich des obengenannten) zu sequenzieren bzw. „rückzulesen“. Techniken zur Verschlüsselung visueller Botschaften für intelligente außerirdische Wesen umfassten zusätzlich die Codierung der grafischen Information von Microvenus sowie eine kurze Decodieranleitung in einem 28-mer DNA-Molekül.
Ein weiteres im Rahmen des Ars Electronica-Festivals präsentiertes molekulares Kunstwerk ist Riddle of Life, der Endpunkt einer interessanten, doch weitgehend unbekannten Episode aus der Geschichte der Wissenschaft. Im Herbst 1958 sandte der Biophysiker Max Delbrück ein mysteriöses Telegramm an George W. Beadle, der zur Verleihung des Nobelpreises in Stockholm weilte. Die Art und Weise, wie Delbrück sein Telegramm verfasst hatte, reflektierte einige neue, aufregende Ideen über das Wesen der DNA und die Funktionsweise des genetischen Codes. Gleichzeitig wurde hier erstmals die Idee vorweggenommen, dass extrabiologische Information – in diesem Fall die englische Sprache – in einer genetischen Form enthalten sein könnte. Das Telegramm bestand aus einem durchgehenden „Wort“ aus 229 Buchstaben:
ADBACBBDBADACDCBBABCBCDACDBBCABBAADCACA BDABDBBBAACAACBBBABDCCDBCCBBDBBBAADBADA ADCCDCBBADDCACAADBBDBDDABBACCAACBCDBABA BDBBBADDABDBBDABDBACBADBBDBACBBDCBBABD CACAB BACDAACADDB BDB B BADDBADAXBBADDBA DAACBCDCACABBABCABCBBDBACBDDACDBDDCBDC
Zur Entschlüsselung der Botschaft musste man erkennen, dass sie der Funktionsweise von DNA-Tripletts nachempfunden war. Beadle gelang es noch in Stockholm, Delbrücks Code zu knacken und folgenden englischen Satz zu entziffern:
BREAK-THIS-CODE-OR-GIVE-BACK-NOBEL-PRIZE-LEDERBERGGO- HOME-MAX-MARKO-STERLING. Beadle antwortete mit einem eigenen, leicht abweichenden Triplett. Sein Antworttelegramm wurde in Delbrücks Labor bei Caltech wie folgt entziffert:
GWBTOMDIMSUREITSAFINEMESSAGEIFICOULDDOTHEFINALSTEP Offensichtlich waren Delbrück und seine Kollegen bei Caltech jedoch nicht bereit, dem frischgebackenen Nobelpreisträger das letzte Wort zu lassen, denn sie revanchierten sich mit einer weiteren geheimnisvollen Nachricht: Bei einem offiziellen Vortrag nach der Nobelpreisverleihung in Stockholm wurde Beadle ein Molekularmodell aus Zahnstochern überreicht (Delbrück hatte es dem Vorsitzenden per Luftpost zukommen lassen). Jeder Zahnstocher war in einer von vier Farben gekennzeichnet. Wie die verschlüsselten Telegramme enthielt auch das Zahnstochermodell eine Botschaft in englischer Sprache, allerdings mit einer Codierung aus Farben statt Buchstaben. Diesmal hatte Delbrück eine poetische Botschaft codiert, die ein wichtiges Thema sowohl der Wissenschafts- als auch der Kunstgeschichte ansprach. Das Modell enthielt die Botschaft:„I am the riddle of life. Know me and you will know yourself.“
Delbrück und Beadle lieferten zwar geniale Einfälle dafür, wie sich menschliche Sprache in Form von DNA ausdrücken lässt, doch gab es 1958 noch keine synthetischen bzw. künstlich konstruierten Nucleinsäuren. Um eine Max Delbrücks Zahnstochermolekül entsprechende DNA zu erzeugen, organisierte ich ein Projekt in Zusammenarbeit mit dem Laboratory of Molecular Structure am MIT Biology (Alexander Rich Laboratory) und dem Burghardt Wittig Laboratorium am Institut für Molekularbiologie und Biochemie der Freien Universität Berlin. So wurde Max Delbrücks vor mehr als 40 Jahren erstmals konzipiertes RIDDLE OF LIFE-Molekül im Zeitraum Dezember 1993/Januar 1994 erstmals ins Leben gerufen.
Das dritte Molekül, Milky Way DNA, ist ab Seite 236 in diesem Buch beschrieben.
Die Vorbereitungsarbeiten für die Installationen im Rahmen der Ars Electronica werden teilweise vom MIT Council for The Arts unterstützt.
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