www.aec.at  
Ars Electronica 2000
Festival-Website 2000
Back to:
Festival 1979-2007
 

 

Nature?


'Marta de Menezes Marta de Menezes

Jüngste Fortschritte in der Entwicklungsbiologie ermöglichen die Einflussnahme auf normale Entwicklungsabläufe und damit die Schaffung neuer lebender Organismen. In den Forschungslabors ist es nichts Ungewöhnliches mehr, Tiere mit in der Natur noch nie gesehenen Eigenschaften hervorzubringen. Meine Arbeit lotet dieses Potenzial aus, um Schmetterlinge mit künstlerisch veränderten Flügelmustern zu schaffen. Obwohl das Muster künstlich bestimmt ist, besteht es aus normalen lebenden Zellen und ist somit ein Beispiel für etwas völlig Natürliches und doch nicht von der Natur Entwickeltes.

Die Natur wird täglich in den Forschungslabors neu erfunden: Drosophila-Fliegen mit Gliedmaßen anstelle der Antennen; Würmer (Caernorrabditis elegans) mit der doppelten Lebenserwartung; Hühner mit zusätzlichen Flügeln oder Beinen und Tausende von Mäusen, denen Gene hinzugefügt oder entfernt wurden, die menschliche Krankheiten simulieren, grün fluoreszieren oder scheinbar ganz normal sind. Solche Experimente sind von enormer Bedeutung dafür, besser zu verstehen, wer wir sind. Klonen, Transgenese und Genomik sind einige Beispiele für die jüngsten Ängste und Hoffnungen unserer Gesellschaft. Wir treten in eine post-naturale Ära ein. Eine Zeit, in der die Menschheit die Fähigkeit erlangen wird, das Leben neu zu schaffen.

Nature? bedient sich der Erkenntnisse moderner Entwicklungsbiologie zur Neugestaltung lebender Schmetterlinge.

Ich habe in Paul Brakefields Labor in Leiden in den Niederlanden gearbeitet, wo die Entwicklung von Flügelmustern bei Schmetterlingen und deren evolutionäre Bedeutung erforscht werden. Dazu werden der Bicyclus anynana, ein brauner Schmetterling aus Malawi mit auffallenden Augenflecken, und der Heliconius melphomene, eine leuchtend bunte Spezies aus Lateinamerika, herangezogen. Während der Verpuppung ist es möglich, Einfluss auf die normale Entwicklung des Flügels zu nehmen. Kauterisiert man bestimmte Bereiche, die den Flügel bilden werden, lassen sich beim Bicyclus-Schmetterling Augenflecken entfernen, verändern oder neu erzeugen, während man beim Heliconius das Flügelmuster modifizieren kann. Es ist auch möglich, Gewebeteile an eine andere Stelle des zukünftigen Flügels oder sogar an den eines anderen Schmetterlings zu transplantieren. Ich möchte ausdrücklich festhalten, dass ich mich bei meinem Vorgehen streng an die Laborregeln gehalten und das Wohlbefinden der Schmetterlinge stets respektiert habe. In den Flügeln gibt es keine Nerven, weshalb das Verfahren keinen Schmerz verursacht. Der Eingriff erfolgt auf Zellebene (unterscheidet sich völlig von unserer makroskopischen Verletzungserfahrung), weshalb sich das Gewebe völlig regeneriert und keine toten Zellen oder Narben zurückbleiben. Abgesehen vom neuen Muster sind modifizierte Flügel selbst auf Zellebene nicht von unveränderten zu unterscheiden. Die veränderten Schmetterlinge haben eine normale Lebenserwartung und ein normales Paarungsverhalten.

Meine Absicht war es auch zu zeigen, dass die Zusammenarbeit von Künstlern und Wissenschaftlern für beide Seiten gewinnbringend sein kann. Arbeitet ein Künstler in einem Labor, hat er Zugang zu neuen Technologien, zu Wissen und zu vielen anderen Dingen. Genauso kann der „künstlerische“ Umgang mit experimentellen Systemen bei konsequenter Erforschung neuer Möglichkeiten zu neuen Fragestellungen und gut durchdachten wissenschaftlichen Experimenten führen. Die gesamte Gesellschaft kann von dieser Art der Interaktion durch ein gesteigertes Bewusstsein und Verständnis für wissenschaftliche Probleme profitieren.

Für Nature? habe ich nur das Muster eines Flügels beim Bicyclus- und Heliconius-Schmetterling verändert. Infolgedessen haben alle diese Schmetterlinge einen natürlich gemusterten Flügel und einen mit meinem Design. Mittels dieser Asymmetrie habe ich versucht, die Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen dem Nicht-Manipulierten und dem Manipulierten, zwischen dem Natürlichen und dem neuen Natürlichen herauszuarbeiten.

Ich habe versucht, auf den Schmetterlingsflügeln Ideen über unsere Gestaltwahrnehmung zum Ausdruck zu bringen. Das Hinzufügen, Ändern und Löschen von Augenflecken und Farbtupfen ermöglicht es unserer Vorstellungskraft, unseren Sinnen vertraute Formen und Rhythmen erkennen. Eine andere Variante besteht im Betonen einzelner Aspekte des natürlichen Flügels – z. B. das Entfernen der äußeren Augenringe, sodass bloß noch das weiße Zentrum sichtbar ist. Es ist nicht meine Absicht, die Gestaltung der Natur in irgendeiner Weise zu verbessern. Noch habe ich vor, etwas Schönes noch weiter zu verschönern. Ich möchte lediglich die Möglichkeiten und Grenzen des biologischen Systems ausloten, indem ich (soweit eben möglich) unterschiedliche Muster schaffe, die nicht das Ergebnis eines evolutionären Vorgangs sind.

Ich wollte auch einmalige Schmetterlinge schaffen. Die Veränderungen finden nicht auf der genetischen Ebene statt und die Erbinformation bleibt unberührt. Folglich werden die Modifikationen auch nicht an die Nachkommen weitergegeben. Jeder veränderte Schmetterling ist anders. Die neuen Muster sind etwas, das die Natur noch nie gesehen hat und auch bald wieder auf Nimmerwiedersehen aus ihr verschwindet. Diese Art der Kunst hat eine Lebensdauer – die Lebensdauer eines Schmetterlings. Es ist eine Form der Kunst, die buchstäblich lebt und stirbt. Sie ist Kunst und Leben zugleich. Kunst und Biologie.

Die Arbeiten wurden am Institute of Evolutionary and Ecological Sciences an der Universität Leiden in den Niederlanden ausgeführt.