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Festival 1979-2007
 

 

Sozial Club
at Next Sex Nights



Intro
Für die Reproduktion gibt es bereits andere Wege als sich begegnende Leiber. Körper, die mit Hilfe von Maschinen und Algorithmen erzeugt werden. Sauberer Sex, klinische Intelligenz und „fehlerlose“ Schöpfung. Der Mensch im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit. Der Körper als Rechenspiel. Das Individuum als wissenschaftliche Kreation. Next Sex. Treibt man die Gentechnologie auf die Spitze, heißt das eine Gleichschaltung von Menschen. Das Streben nach dem Perfekten, das Beseitigen von „Fehlern". Dies mag seine Berechtigung haben, um unheilbaren Erbkrankheiten entgegenzuwirken. Aber wohin führt das in Bezug auf Vielfalt, Differenz und Entwicklung? Im sozialen Kontext bleibt unwiderruflich: Wir stecken in unseren Körpern, existieren mit diesen, denken und empfinden mit diesen. Stärken, Schwächen und „Fehler“ sind Bestandteil unserer unterschiedlichen Persönlichkeiten und Voraussetzung für Weiterentwicklung. Perfektion heißt Stagnation. Und die Lust an der körperlichen Begegnung oder an der Erfahrung mit dem eigenen oder dem anderen Körper? Wer braucht was zur Stimulation und zur sexuellen Befriedigung? Für viele erfüllt ein einfacher ASCII-Porno seinen Zweck zur Lust. Andere gehen in die Peepshow oder sehen sich einen Striptease an oder gehen ins Pornokino. Mittlerweile ist der Sex im Netz am leichtesten konsumierbar – zuhause, alleine mit sich und der erotischen Frau, dem Mann, der Fantasie vor der Webcam. Die Sicherheit der Distanz und trotzdem die Macht, das gewünschte Geschehen zu bestimmen. Dennoch wird immer nur ein Teil unserer Sinne befriedigt – es braucht reale Menschen. Aussehen, Körpersprache, sexuelle Merkmale, Exotik oder Gerüche sind für die Partnerwahl entscheidend. Verbliebene Instinkte aus der Evolution sind mitverantwortlich für unsere Suche nach möglichst unterschiedlichen Genen zur optimalen Reproduktion, bestimmen mit, für wen wir uns entscheiden … und das in einer Zeit, wo es gar nicht mehr um Fortpflanzung geht. Der Körper ist nicht zuletzt auch Repräsentationsfläche kultureller Prägungen und soziokultureller Statements. Sprache, Bewegung, Kleidung, Verhalten sind Ausdruck kultureller Sozialisation. „Körper ist kein Seiendes, sondern eine variable Begrenzung, eine Oberfläche, deren Durchlässigkeit politisch reguliert ist, eine Bezeichnungspraxis in einem kulturellen Feld.“ (1) Das Bekannte und das Fremde, das Eigene und das Andere, das in einer Kultur Normierte und das die Normen Überschreitende werden in einem Körper sichtbar. Hautfarbe und Aussehen setzen das Schubladisierungs-Archiv der menschlichen Wahrnehmung in Gang. Daraus ergeben sich die Kategorien des Anderen/Fremden, die in der Psyche der Menschen oftmals Unbehagen auslösen. Eine latente Angst, der durch Machtausübung, Ausgrenzung, Ablehnung begegnet und aus der politisches Kapital geschlagen wird.
Social Club
Stadtwerkstatt kreiert in ihren Räumlichkeiten ein Ambiente, das die reale Begegnung zu einem kommunikativen Akt stimuliert. Einen Social Club. Einen Ort der Begegnung, der sozialen Interaktion, der Kommunikation mit Specials an vier Abenden, die unterhalten und Fragen aufwerfen.

Der Social Club in der Stadtwerkstatt beschäftigt sich mit dem Körper in verschiedenen Variationen und thematisiert ihn als Objekt der Wissenschaft, als Objekt der Begierde, als kulturelles Produkt und als Körper mit seiner „Sprache“.

Der Social Club wird in Zusammenarbeit mit der Migrantinnenorganisation MAIZ durchgeführt. Aus diesem Grund gilt unser besonderes Augenmerk der Thematisierung von „Anderssein“ und von der Wahrnehmung und „Katalogisierung“ des Fremden, dessen Reiz, aber auch der Angst davor. Rassismus, Ausgrenzung und Sprachlosigkeit im Social Club. Wer passt hinein und mit welchen Erwartungen? Wie gehen wir miteinander um? Wer ist schön, was ist natürlich und was künstlich, welche Rolle spielen wir im Social Life? Ist exotisch gleich erotisch? Wer ist begehrt, aber nicht erwünscht? Welche Rollen werden den Migrantinnen im Social Life zugeschrieben? Wer verfügt über die hegemoniale Stellung, die Rollen zu bestimmen? In welchem Zusammenhang stehen Rassismus und Sexismus, Rassismus und Exotik? Der Körper in seiner individuellen Prägung als Repräsentant der soziokulturellen und ökonomischen Bedingungen einer Kultur.
Die Events
1. oi doçura!
85 Prozent der Sexarbeiterinnen in Österreich kommen aus dem Ausland. Frauen, die im Kontext einer ungleichen wirtschaftlichen Entwicklung auf der Welt den Weg der Migration als Überlebensstrategie und Widerstandsmechanismus einschlagen. Sie sind zum Großteil unserer Sprache nicht mächtig. Umso mächtiger ist der Ausdruck ihres Körpers und das Wissen um die körperliche Sprache der Lust. Eine Sprache, die viele dieser Frauen im Lauf ihres Migrationsprozesses erwerben müssen, denn sie haben nichts als ihren Körper, den sie verkaufen können. Der Körper wird professionalisiert, um damit unter dem Deckmantel von „Künstlerinnen“ oder „Tänzerinnen“ ein Schlupfloch in den Einwanderungsbestimmungen des Landes zu finden. Denn Migrantinnen werden oft nur über den Körper wahrgenommen und stehen dann als Sexarbeiterinnen oder Ehefrauen für den sexuellen Konsum bereit. Und sie sind hier. Oft unsichtbar, oft doch spürbar.

2. Beauty Contest 90-60-90/17-24/172
Was ist Schönheit? Wie wird Schönheit definiert? Bei den Misswahlen gibt es international festgelegte Kriterien, was als schön zu gelten hat. So sind die Maße für Frauen 90–60–90, die Mindestgröße 1,72m und das maximale Alter 24. Frauen haben in erster Linie nur schön zu sein, Männer sollen auch bestimmte Fähigkeiten oder Talente unter Beweis stellen. Bei der Beurteilung des Gesichts ist Schönheit schon schwieriger mit Maßen zu bestimmen. Ist es die Farbe, die Schrägstellung oder der Abstand der Augen? Der westliche Einfluss scheint sein Schönheitsideal über das der restlichen Welt zu stülpen. Anziehend wirkt aber auch das Exotische. Nicht überall wird mit demselben Maß gemessen. Dass das Schönheitsideal ein sehr relatives ist, kann schon anhand der Missen der letzten 40 Jahre ermessen werden. Dabei ist es nur folgerichtig, dass in den kargen Nachkriegsjahren der 50er- und 60er-Jahre noch gewichtigere und rundere Mädels das Rennen um die Schönheit für sich entschieden. Wie fatal wäre es doch, würde man jetzt Babys mit dem derzeitigen Schönheitsideal „künstlich erschaffen“, um dann in der Zukunft lauter makellose Schöne der Vergangenheit zu erzeugen! Wie bei Rassemerkmalen von Tieren wird möglicherweise bei den Menschen in erster Linie auf äußere Merkmale gesetzt. Kranke, gebrechliche oder blinde Tiere sind die Folge – auf Grund von Über- und Fehlzüchtungen. Wer soll also in Zukunft entscheiden, was schön ist und welche Körper- und Charaktermerkmale wert sind, genetisch weitergegeben zu werden? Im Vorfeld des Schönheitswettbewerbes werden die TeilnehmerInnen bestimmt. Zehn Männer und zehn Frauen werden auf Webpages präsentiert, wo eine Vorbewertung erfolgt. Während des Bewerbes werden die BewerberInnen von einer Fachjury nach unterschiedlichsten Kriterien beurteilt: Alltagsrassismus und die Schönheitsideale.

3. PeepShow & LatinParty
Schnelle Befriedigung, Voyeurismus und Distanz. Die PeepShow ist realer als ein Video oder Netsex. Die Show ist aber inszeniert, befriedigt in erster Linie das Auge und regt so die Fantasie an. Ähnlich wie beim Video ist eine klare Trennlinie gezogen, doch ist die Erotik durch die Kabine spürbar. Körperliche Nähe oder Berührung ist kaum möglich. Die Szene ist theatralisch und bekommt durch die Trennscheibe fast etwas Pantomimenhaftes. Die Frau wird zur Ware, zur begehrenswerten Oberfläche zur sexuellen Lustbefriedigung des Mannes. Je besser die Show, desto länger wird der Voyeur verweilen (und sich begeilen). Ein Schauspiel wird gezeigt. Wer ist die sexy Lady nachher, wenn sie aus ihrer Rolle schlüpft? Wo kommt sie her, wie lebt sie? Es gibt sie noch, die Überraschungen, wenn man jemand doch näher kennen lernt, ob durch Sprache, Gesten oder durch Berührung. Sehr oft lebt sie aber auch im „normalen“ Leben wie hinter verschlossenen Türen, Gefangene eines Systems, das die Gesellschaft vorgibt.

4. wo man
Schenkt man den römischen Chronisten Glauben, so war das Römische Reich von Zwittergeschöpfen, Homo- und Bisexuellen sowie von angesehenen Eunuchen überflutet. Caligula trug Frauenkleider, Nero zelebrierte zwei homosexuelle Parodien auf die Ehe, indem er den Knaben Sporus kastrierte, ihn in Frauenkleider steckte, mit ihm eine förmliche Ehe schloss und ihn als Ehefrau behandelte. In der zweiten homosexuellen Ehe übernahm Nero die Rolle der Braut. Commodus trat als Merkur und transvestitischer Herkules auf. Heliogabals lebenslange Leidenschaft war sein Verlangen, Frau zu sein. Mit einer Perücke betätigte er sich in echten römischen Bordellen als Prostituierte.

Rollentausch, Homosexualität, Transvestitentum gab es schon immer. Je nach Moral und Zeit konnten sexuelle Vorlieben mehr oder weniger stark ausgelebt werden. Zehn Prozent der Menschen sind homosexuell. Auf Grund langjähriger Untersuchungsergebnisse in der Feminismusforschung über Geschlechteridentität wurde festgestellt, dass das Geschlecht sich nicht über die rein biologischen Merkmale definiert, sondern über soziale und kulturelle Prägung = Gender.

Das Geschlecht wird dadurch bestimmt, dass Frauen zwei X-Chromosomen haben, Männer nur ein X- und ein Y-Chromosom. Das Y-Chromosom verhindert die Bildung der weiblichen inneren Organe. Wenn aber Frauen ein funktionierendes Y-Chromosom haben, bilden sich keine inneren weiblichen Geschlechtsorgane aus und eine Abnormität des X-Chromosoms kann keine externen männlichen Geschlechtsorgane ausbilden. Die Natur hat sich alle möglichen Varianten ausgedacht: Frauen in Männerkörpern, Männer in Frauenkörpern oder ein Mischung von beidem. Wie fühlen sich diese Menschen? Denkt er/sie männlich oder weiblich? Oder offenbart die Zweigeschlechtlichkeit ein universelles Empfinden, jenseits codierter Normen?

Wenn sich Frauen mit weiblichen Geschlechtsorganen als Männer fühlen oder Männer als Frauen, hat sich dann die Natur einfach nur im körperlichen Geschlecht „geirrt“? Dieser „Fehler“ kann auf verschiedenste Weise korrigiert werden: Entweder indem wir uns „genderkonform“ als anderes Geschlecht kleiden, bewegen, sprechen etc. Noch einfacher ist es, im Internet die Rollen zu tauschen. Um völlig dem gewünschten Geschlecht zu entsprechen, ist fast jede Form von Operation möglich, um auch körperlich dem richtigen Geschlecht zugeordnet zu werden. Durch unseren oberflächlichen Blick beurteilen wir meist nur das Aussehen. Und sind fasziniert von der Andersartigkeit zweigeschlechtlicher Menschen, welche oft ähnlich den früheren Side-Shows auch heute noch ihr Freak-Sein zur Schau stellen. Stellen Sie sich also zehn Prozent der Menschen vor, die sich alle outen. Oder alle sexuell nicht der Norm entsprechenden Menschen, die unseren Alltag bereichern. In der Stadtwerkstatt.

porn-o-mat TM
http://entertain.ment.org

ein projekt von servus.at
team: idee, konzeption:
markus seidl
techn. konzeption: jaromil denis rojo, august black, mexx
server coding: jaromil denis rojo
interface coding: august black, mexx
grafik: uschi reiter, kerosin, herbert maikel schager


Porno als visionärer Motor der Entwicklung des Internet, als Mittel, das die Akzeptanz des Mediums als Massenmedium begründet. Schon Ende der 70er-Jahre, als Videorecorder die Haushalte zu erobern begannen, waren 75 Prozent aller bespielten Kaufkassetten sexuellen Inhalts. Sex ist nicht nur ein technologischer, sondern auch ein ökonomischer Faktor im Internet. 1998 waren die Umsätze im NetSexBiz 20 Mal so hoch wie die in allen anderen Content-Verkaufsbereichen zusammen. Diese Schere ist jetzt natürlich nicht mehr so groß, nichtsdestotrotz erzielt das NetSexBiz nach Online-Trading und E-Handel, der ja Computer, Unterhaltungselektronik und andere hochwertige Wirtschaftsgüter umfasst, die drittgrößten Umsätze. Die Angebote im Netz nehmen dem „realen“ Prostitutionsgewerbe Geld weg, seit der weiten Verbreitung sind Umsatzeinbrüche bemerkbar. Dies ist nicht nur eine lokale Beobachtung in Linz, sondern auch international ein „Problem“: Porn sites undermine Paris brothels! … Jean-Claude, doorman at the Pussy Club 187: „The Internet has been bad news for us, with all its pornography sites. I have lost at least ten of my best customers – guys who used to pay FF 2000 for a girl. Now, they just have virtual sex on the Web.“
(aus: theregister. 14.2.2000)


Cybersex ist auf der Suche nach neuen Werkzeugen und Schnittstellen. Der Consumer befindet in der Sicherheit des trauten Heimes, der Abstand zum Objekt der Begierde, das herhalten muss für die Illusion der Lust, ist in weiter Ferne. Es stellt sich die Frage: Inwieweit spielt sich Sex im Kopf ab? Inwieweit braucht man für die Lust ein reales Gegenüber? Wo bleibt der Körper?

Der porn-o-mat™ sucht mit satirischen Mitteln eine kritische Auseinandersetzung mit der Tatsache der Massenverbreitung der Pornografie. Was sind die Mechanismen, die gerade pornografische Inhalte zu den erfolgreichsten machen? Warum scheint nach der Homevideo-Technologie (VHS vs. Beta vs. Video2000) das Internet schon das zweite Medium zu sein, das erst durch pornografische Inhalte den breitenwirksamen Durchbruch schafft? Diese und andere Fragen sollen erforscht werden. Wie? der Rezipient/User wird mit Werbung/spam, die sich nicht von normaler Porno-Ästhetik unterscheidet, auf den Server gelockt. Dort werden vorgeblich Wünsche erfüllt, doch es passiert anders …

Konzept: Stadtwerkstatt in Kooperation mit MAIZ
Gabriele Kepplinger, Markus Seidl, Elfi Sonnberger, Gitti Vasicek (Stadtwerkstatt) Kooperation: Rubia Salgado, Tania Araujo (Autonomes Zentrum von & für Migrantinnen – MAIZ)

(1)
Judith Butler, Das Unbehagen der Geschlechter. Frankfurt 1993, S. 133. zurück