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Festival 1979-2007
 

 

hearing monkeys
a theatrical human genome project

'Hubert Lepka Hubert Lepka

Warum herrscht Betrug zwischen den Geschlechtern, warum sind wir Menschen Tiere und warum sind wir schön? Warum verheimlichen Frauen im Gegensatz zu Gibbons den Zeitpunkt ihrer Ovulation sogar vor sich selbst? Könnte man all diese Umstände nicht gentechnisch verändern und könnten wir im Theater nicht Experimente dazu anstellen – Tanz im Windkanal beispielsweise, Crashtest auf der Kopierstraße, Ballroom-Chat im Internet ...

Ein Hearing zu diesen und anderen Fragen an der Schwelle zum biotechnologischen Zeitalter.

Rahmenbedingungen/Theateridee
hearing monkeys verbindet eine Form wissenschaftlichen Arbeitens – das Hearing – mit neuen improvisatorischen Strukturen im Theater. Theater wird begriffen als lebendes Werkzeug zum Weltverständnis und zur Sinnvermittlung, wie geschaffen für die besondere Menschenaffenspezies Mensch. Geschichten dienen zum spielerischen Testen von Zukunft.

hearing monkeys ist eine flexible Anordnung, die in einer Serie von Selbstversuchen seiner Teilnehmer der biologischen und gesellschaftlichen Konstruktion von Sex auf den Grund geht. Der Sandkasten Theater soll uns herauszufinden dienen, wie wir in dem komplexen Spiel von Lügen, Sex, Verlangen und Betrug gewinnen und verlieren und wie beinahe sämtliche unserer Handlungen und Gefühle davon – und nur davon! – bestimmt sind.

Krieg der Spermien
Improvisatorisches Theater wird hier zu einem tauglichen Werkzeug, um wissenschaftliche Thesen der Evolutionsbiologie zu versinnlichen und neue Fragen aufzuwerfen. Dieser Methode hat sich bereits Robin Baker in seinem überaus erfolgreichen Buch Sperm Wars bedient. (1) hearing monkeys dramatisiert sie und nähert sich ihren Grenzen. Improvisierte persönliche Geschichten der darstellenden Wissenschafter werden zum Beweismaterial. Unser aller Leben hat sich durch die Arbeit an dem Stoff radikal verändert. Die Wahrheit ist ent-täuschend. Sex ist der alles umfassende Algorithmus, nach dem die Welt funktioniert, und ihr alleiniger Sinn. Menschen, Tiere, Pflanzen, Maschinen und Gedanken pflanzen sich alle nach demselben logischen Prinzip fort. Das Prinzip der Welt ist die Kopie. Wir sind allumfassende Ergebnisse solcher Kopierprozesse. Wir alle sind die Gewinner auf diesen unendlichen Kopierstraßen.

Nun, der Zweck des Hearings ist es herauszufinden, wie wir sinnvoll in dieses Reproduktionmuster Sex eingreifen können, um offensichtliche Defizite wie Kindsmord, Vergewaltigung, Genozid und den Kampf der Geschlechter zu entschärfen.

In einem ersten Schritt testeten wir die Tests selbst: Das Hearing starteten fünf Darsteller/ Experten, mehrere Computer und ein Sample an Netz-Adressen im Herbst vergangenen Jahres in einem Theaterprozess, der im Gegensatz zu linearen theatralischen Abläufen eine Netzwerkstruktur aufweist: Ein komplexes soziales und chaotisches Regelwerk baute das Stück in einem nachhaltigen gemeinsamen Schaffensprozess.

Die Versuchsanordnungen
Eine parallele Anordnung von Versuchsreihen, wie die Videokaskade, die Kopierstraße, der Windkanal, der Car-Crash-Test, der Bill-Viola-Gedenkweg, die Röhrenheizungsstraße, Überdruckanzüge und der Verhandlungstisch spielen Biosphäre. Gedanken sind auch nur Kopien.

Die Messinstrumente
Die skalierbare Wahrnehmung der Zuschauer und der Akteure, Puls- und Atemfrequenz über ein medizinisches Monitorgerät, Lügendetektor, Röntgen-c-Bogen, der Rückfluss aus dem Netz...

Die Bühne
Arbeitstisch als Durchlichtsatz, g3-Online-Videoschnittplatz, Powerbook mit Internetanschluss, mobile ESG-Glasplatte, Lancia Volumex, Crash-Test-Schaumgummipuffer, Walter PPK 9mm-Gaspistole, zwei Standardrechner und ein Nordlead als Musikinstrumente, Projektionsfläche, blauer Teppich, Gyn-Stuhl, Schneekanone, medizinisches Monitorgerät, Lichtquellen wie Kopiergeräte, Scanner, Heizstrahler, Autoscheinwerfer, Neonröhren, Flugfeldbefeuerung, Natriumdampf-Straßenlaternen, Taschenlampen, Glühbirnenfeld.

Das ist nicht ganz wenig Technik, aber es geht niemals darum, Techologie in Jahrmarktmanier vorzuführen, sondern sie ist selbstverständlicher Partner im dramatischen Prozess und wird im Einzelnen ganz einfach gebraucht.

Theater online
Lange Zeit war die dramatische Kunst auf die absolute Kontrolle eines linearen Prozesses ausgerichtet – bis Keith Johnstone den Theatersport erfand. Das war lange bevor Kevin Kelly die Network Society „out of control“ gehen ließ. Das Wesentliche an der Netzkunst ist vielleicht gar nicht so sehr das Faszinosum der Gleichzeitigkeit und Dislokation oder die scheinbar demokratische Partizipationsmöglichkeit (die in der Regel nur zur Vermehrung von Unsinn beiträgt), sondern der praktische Gebrauch des Netzes: Wir können an den unzähligen Teilnehmern hinter ihrem Rücken soziale Experimente vornehmen – sie begeben sich selbst und freiwillig in die Versuchsanordnung des Chatrooms und werden dort zu unseren Improvisationspartnern.

Cast
DarstellerInnen: Claudia Heu/Kerstin Klinz/Christoph Eichinger/Stefan Kreiss,
New Media: Axel Swoboda/Tom Halwa, Lumen: Frank Lischka, Produktionsleitung: Klaudia Gründl de Keijzer, Koproduktion: Szene Salzburg/WUK Theater Wien, Künstlerische Leitung: Hubert Lepka

Die Präsentation des Projekts im Rahmen der Ars Electronica erfolgt in Zusammenarbeit mit Posthof Linz.

(1)
siehe den Beitrag von Robin Baker auf Seite 37 dieses Bandes. zurück