Emergierende Kreativität
Von der Versuchsanordnung openX zu electrolobby
'Gerfried Stocker
Gerfried Stocker
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'Heimo Ranzenbacher
Heimo Ranzenbacher
Wie stellt man im Ausstellungsrahmen des Festivals etwas aus, das einer Ausstellung eigentlich gar nicht bedarf? Mehr noch: das sich der Repräsentanz einer Ausstellung im herkömmlichen Kunstkontext – grob gesagt: der temporären und/oder räumlichen Abgrenzung von der Sphäre des Öffentlichen, in der Entstehen und Verstehen des Ausgestellten unter allgemein verbindlichen Bedingungen erfolgen würden – widersetzt? Der Topos Kunst, der im Werk resümiert, bezieht aus dieser Abgrenzung eine seiner Normen. ://Kunst (1), die einer Überlagerung von Produktion, Vermittlung und Rezeption erwächst, stellt jedoch mit der Sphäre, in der die Überlagerung begründet ist, zugleich die Auflösung des Topos Kunst zur Disposition. Solche und ähnliche Überlegungen standen der Einführung eines – erst unter Network und schließlich unter openX geführten – Formats der Präsentation von ://Kunst-Projekten Pate, deren primäres Milieu der virtuelle Raum der Netzwerke ist.
Der Name openX sollte die Schnittstelle zwischen virtuellem und realem Raum markieren. Der Beiname – „eine Versuchsanordnung“ – leitete sich von der Bezeichnung für wissenschaftliche Methoden her, (variable) Umstände zum Zweck ihrer Beobachtung und eines daraus folgenden Erkenntnisgewinns herbeizuführen. Damit wurde natürlich nicht automatisch Anspruch auf Wissenschaftlichkeit erhoben, vielmehr sollte der Versuch benannt werden, für ://Kunst, deren Existenzbedingungen zugleich ihre Produktionsbedingungen sind, eine Präsentationsform zu finden, die über den Modus der ://Kunst und deren Milieu – unabhängig von den präsentierten Projekten – zu Aussagen führt. Während sich KunstWerke in (auch ästhetischer) Abhängigkeit vom so genannten White Cube bzw. entsprechenden Betriebssystemen als „verortet“ erweisen, ist Kunst im Netz per se entortet. Die Frage galt der Beschaffenheit eines Ortes, die Entortung zum Gegenstand hat. Der aus den Network-Präsentationen entstandenen Notwendigkeit, sukzessive ein Format zu entwickeln, folgte openX 1997 durch die Großraumbürometapher, und in dieser Reihe von Versuchen steht 2000 auch electrolobby.
Unterdessen sind netzbasierte Arbeiten vielfach Teil von Medien-Kunst-Ausstellungen. Die theoretische Natur der Fragen wurde indes mehrheitlich gemäß der Natur von Ausstellungen und Veranstaltern durch Inszenierungen mittels Screenprojektionen etc. praktisch gelöst – das heißt im Grunde verworfen. Wenn die Botschaften (der ://Kunst) sich um den Empfänger drehen, also in einer Abkehr vom linearen Informationsschema auf eine Kommunikationsstruktur rekurrieren, dann ist die Inszenierung der Botschaft zur Steigerung ihrer Attraktivität völlig widersinnig, da sie wieder die Botschaft ins Zentrum stellt. Eine Praxis, durch die werkhaft akzentuiert wird, was sich dem Werkbegriff entzieht, steht aber nicht nur im Widerspruch zu den prinzipiellen Eigenschaften der Projekte, sondern stellt implizit einen Versuch dar, sie in traditioneller Manier zu kanonisieren. Sie ist, gelinde gesagt, kontraproduktiv; der Fokus dominiert die Erkenntnis.
Diese Vereinnahmung mobilisiert einerseits den Widerstand der ://KünstlerInnen, hat aber andererseits auch zur Folge, dass mit der Absage an den Kunstbetrieb eine Abkehr vom Diskurs der Kunst einher geht. Die Entwicklung gleicht der in der avancierten Computermusik, als vor einigen Jahren das wachsende Unbehagen vieler richtungsweisender Musiker am akademischen Umfeld der einschlägigen Institute und Festivals zur Abwanderung in die experimentelle Popmusik führte oder sie gänzlich neue Wege einschlagen ließ. Wie die Musikindustrie, die plötzlich erkennen musste, dass die wirklich spannenden und neuen Entwicklungen dank Internet und MP3 außerhalb ihres Einflusses stattfinden und ein Publikum finden, könnte es bald den Museen und Festivals ergehen. Um dann zu merken, dass die Perpetuierung alter Denkmuster zwar auch eine Sammlung von Web- Seiten gezeitigt hat, diese aber doch nur aus kunst- und zeitgeschichtlichen Überresten besteht – und dass die „Musik schon wieder ganz woanders spielt“.
In Anbetracht dieser Konsequenzen muss bei der Präsentation deren theoretischer Modus ebenso berücksichtigt werden wie ästhetische Theorien bei der Evaluation der Projekte.
Mit dem Format openX war von Beginn an die Absicht verbunden, die Kultur der ://Kunst dadurch zu verdeutlichen, dass es sich dem Ausstellungsumfeld als ein Bereich widersetzt, der ein „anderes“ Rezeptionsverhalten erforderlich macht. Zur Erfahrung, dass und wie die Botschaften sich um den Empfänger drehen, sollte sich die Erfahrung für Beobachter und Projektanten gesellen, dass sie sich um einander drehen. Das „Großraumbüro“ mit seiner Vielzahl an PCs bildete gewissermaßen das Netzwerk ab, das auch ein beliebiger Betrieb durch seine Einheiten darstellt. Die ://KünstlerInnen betrieben an den Workstations ihre Projekte und traten untereinander und mit dem Publikum in Kontakt.
Nach wie vor ist die Behauptung, im Cyberspace zu sein, nicht mehr als eine Metapher. Darüber hinaus verdiente die Existenz des Cyberspace als bloße Parallelrealität mit unabhängigen Gesetzen jenseits unseres unvermittelten Beobachtungs- und Erlebnishorizonts keine besondere Aufmerksamkeit. Er wäre dann nicht mehr als ein Ausflugsziel, wie das Meer für einen Alpländer. Die Evaluierung des Cyberspace beruft sich daher auf das Entstehen eines technokulturellen Milieus diesseits der einschlägigen Metaphorik. Pierre Lévy hat für die Charakteristik dieses Milieus den Begriff „emergierende Kreativität“ (2) geprägt.
Abseits der Techno-Euphorie, in deren Gefolge etwa die „New Economy“ den Cyberspace als Trademark bemüht, konstituiert er sich durch die effektive und potenzielle Verschaltung der Technologien; nicht die so genannten „neuen Medien“ sind seine Eckdaten, sondern die Beobachtungen, wie sich infolge ihres vermehrten, selbstverständlichen Gebrauchs ein offenes, dynamisches System als eine „Kultur der Vernetzung“ in unserer Kultur etabliert.
Vernetzbarkeit ist eine kulturelle Eigenschaft, keine natürliche. Vernetzung ist ein Prozess, dem die „Dinge“ der Kultur (willentlich) unterzogen bzw. von dem sie (unverhofft) erfasst werden. Die konnektive Kultur der Dinge ist eine Emergenz des Cyberspace, zu deren Beobachtung openX exemplarische Fenster öffnet.
Diese „Kultur der Vernetzung“ ist jedoch nicht nur der Gegenstand, auf den der Fokus durch openX und die in diesem Rahmen präsentierten Projekte gerichtet ist, sondern auch für die Programmatik der Entwicklungen des Formats verbindlich.
://Kunst steht immer auch für ihre kulturelle Relevanz, die sich jedoch nicht historisch oder thematisch begründet, sondern vielmehr – wie bereits betont – in der Eignung des ://Modus, eine Aussage zu sein. (Ein Tafelbild mit dem Sujet eines Cyborg wäre irrelevant; seine Form würde das Thema konterkarieren.) ://Kunst, die auf Kommunikationsstrukturen rekurriert, wird sich daher gemäß solcher Mittel organisieren, die die Prozesse der Kommunikation zu formalisieren geeignet sind. Ihre Erscheinung bildet dann ihre Organisation ab, egal, welche Inhalte im Einzelnen kommuniziert werden. Diesen Aspekt teilen sie mit der Programmatik von openX. Kulturelle Relevanz in dem oben skizzierten Sinn erscheint unter den Motiven für (://)Kunst, sich neu zu organisieren, das grundlegende zu sein. Darin gründet auch ihr Rekurs auf Wissenschaftlichkeit, Theorie(bildung), Analyse … (Im Gegensatz dazu agiert traditionell sich organisierende, formalisierende und theoretisierte Kunst im Modus der Hysterie.) Ebenso kann kulturelle Relevanz als das Paradigma der Versuchsanordnungen von openX betrachtet werden. Der Informationsauftrag eines Festivals verlangt ein didaktisches Vorgehen; ob – wie es auf Grund der obigen Ausführungen den Anschein haben mag – mit einem ://künstlerischen Anspruch erfolgt, ist aus dem selben Grund unerheblich.
Wie immer die Großraumbürometapher im Nachhinein zu werten ist – ihr Grundmotiv, den Schau- durch einen Arbeitsplatz und Bereich der Kontaktnahme zu ersetzen, dürfte als ein verbindlicher Ansatz überdauern. Die aktuelle Versuchsanordnung in Gestalt der electrolobby formalisiert und instrumentalisiert den Kontakt zwischen Projektanten und Beobachtern ebenso wie die electrolobby selbst mit anderen Einheiten des Festivals.
(1) Der Terminus „Kunst“ provoziert in der einschlägigen Szene oft skeptische Reaktionen, die aber vor allem den Topos Kunst betreffen. Der Unterschied mit seinen operativen und organisatorischen Konsequenzen wurde an anderer Stelle schon vielfach erörtert. Hier sei ihm aus Platzgründen vorzugsweise typografisch durch :// Rechnung getragen. zurück
(2) Pierre Lévy: Die kollektive Intelligenz, Bollmann 1997 zurück
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