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Die Internetgeneration und globale Kampagnen


'Georg Schöfbänker Georg Schöfbänker

„Machen Sie jetzt mit bei der größten Online-Kampagne der Geschichte!“ (1)

Dieser Aufruf erreichte mich im Juli des Jahres auf Deutsch und Englisch über verschiedenste E-Mail-Listen. Gemeint war damit eine globale Unterschriftensammlung zur Entschuldung der ärmsten Staaten dieser Welt, adressiert an das Gipfeltreffen der G-8 Staaten in Japan im Sommer des Jahres. Ziel war die Sammlung mehrerer zehn Millionen Unterschriften. Der Aufruf war mit der Hoffnung verbunden, dass eine solche Kampagne tatsächlich Wirkung zeigen würde, wie es auf dieser Homepage heißt: „Sie werden erst aufhören, die Schulden der Ärmsten der Welt einzutreiben, wenn auf sie massiver öffentlicher und internationaler Druck ausgeübt wird. Diese Webseite wird Ihnen zeigen, wie das geht.“ Solches wurde von den Machteliten vorhergesehen, indem diese auch nicht-staatliche Akteure – und somit die Neuen Sozialen Bewegungen (NSB) – als potenziellen „Feind“ in die Nähe kriegsförmiger Konfliktszenarien gerückt haben. Im Unterschied zum Informationskrieg, der je nach Definition auf staatliche Akteure und Militärs und deren Waffen beschränkt ist, sei der „Netzkrieg“, sozusagen der kleine Bruder des Infowar, auch auf der Ebene individueller und transnationaler Akteure und Lobbying-Gruppen anzutreffen, behaupten militärnahe Denkfabriken. (2)

Die NSB haben die Botschaft der Globalisierung natürlich genauso schnell, wenn nicht schneller gelernt als die Militärs. Globale Kampagnen sind Bestandteil der Medienrealität geworden.

Die letzte Internet Domain Survey vom Januar 2000 ergab etwa 72 Millionen Hosts und auf Grund dessen geschätzte 200 Millionen Internet-Benutzer. Dies ist der potenzielle politische Mobilisierungsmarkt der NSB im Internet.

Nicht nur im – im internationalen Umfeld – vergleichsweise völlig unbedeutenden Österreich sind die Möglichkeiten der politischen Agitation und Mobilisierung durch die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien Gegenstand regierungsamtlicher Polemik geworden. Im Februar des Jahres 2000 hatte der österreichische Bundeskanzler in völliger Verkennung des real existierenden Internet seine Benutzer pauschal als „Generation“ tituliert – wohl in der Annahme, es handle sich dabei um aufsässige und halb erwachsen gewordene Jugendliche, die ihren Oppositionsgeist zum Schaden der gegenwärtige Regierung im Web austobten. Unter der portugiesischen Präsidentschaft der EU wurden Initiativen lanciert, die einen Ausbau der Internet-Dienstleistungen und -Arbeitsplätze in Europa forcieren sollen (Ausbildung und elektronische Geschäftsabwicklung), und Staats- und Regierungschefs beim Umgang mit Internet-Anwendungen ins telegene Bild gerückt. Es ist zu bezweifeln, dass jene Staats- und Regierungschefs der EU und auch die anderen maßgeblichen in der Weltpolitik ein persönliches und fundiertes Verständnis der Funktionsweise des Internet besitzen.

Sie dürfen allerdings zu Recht darauf vertrauen, dass dieses Verständnis die ihnen nachgeordneten PR-Agenturen haben. Deshalb stellt sich medienpolitisch und -theoretisch die bedeutsame Frage, welche Auswirkungen solche Kampagnen seitens der Neuen Sozialen Bewegungen tatsächlich haben. Auf Grund der zunehmenden Konzentration von Medienunternehmen und permanenten Übernahmen von IT- und Content-Unternehmen (3) wird immer mehr „Content“ an immer weniger Web-Portalen konzentriert, wobei es zu Überschneidungen zwischen Nachrichtenagenturen und der Unterhaltungsindustrie kommt.

Beispiele, Präzedenzfälle, zukünftige Szenarien
„ICANN will become a , World Trade Organization in cyberspace‘,“ (4) heißt es bei der Association for Progressive Communications (APC), die ein weltweiter Dachverband von Non-Profit Internet-Service-Providern darstellt und von sich behauptet, als Kommunikations- Plattform für etliche Tausende regional und global agierende nicht-staatliche Organisationen aufzutreten: (5)
The Association for Progressive Communications (APC) is a global federation of 24 non-profit Internet providers serving over 50,000 NGOs in 133 countries. Since 1990, APC has been supporting people and organisations worldwide, working together online for social, environmental and economic justice. Our network of members and partners spans the globe, with significant presence in Central and Eastern Europe, Africa, Asia and Latin America. (6)
Die APC-Netzwerke bilden meistens eine geschlossene Benutzergemeinschaft, die ihren Content jedoch auch in offene Internet-Mailinglisten routen. Mit der Einführung von für jedermann verfügbaren Listserver-ähnlichen Applikationen wie etwa Listbot (http://www.listbot.com/) oder Egroups (http://www.egroups.com/) sind gratis oder äußert kostengünstige Distributionsmöglichkeiten von Informationen und Appellen öffentlich zugänglich geworden. Hier bedarf es nicht einmal mehr der ohnehin schon weit verbreiteten individuellen Fähigkeit der Gestaltung einer eigenen Homepage. Die erwünschte Verteilungsfunktion mittels der Push-Technologie übernehmen solche Listen. Wer sich neben den APC-Netzwerken etwa im Verzeichnis dieser beider Dienste umsieht, wird nahezu das gesamte Spektrum der NSB wieder finden: von Verbraucher-Verbänden über Ökologie-, Bürger- und Menschenrechtsgruppen bis hin zur letztes Jahr entstandenen Anti-Globalisierungs-Bewegung, die eigentlich nichts anderes darstellt als die inhaltliche Synthese dieser einzelnen Politik-Felder unter dem gemeinsamen Dach eines konkret definierten politischen Aktionszieles, das meist in einem Event gipfelt – und dies nicht nur metaphorisch, sondern konkret anlässlich eines realen Gipfels der Weltpolitik. Sehr anschaulich lässt sich diese Koalitionsbildung anhand von Texten demonstrieren, die rund um den WTO-Gipfel in Seattle produziert wurden, wobei seitens der NSB versucht wurde, bislang separate Denk- und Handlungsansätze wie jene der Kritik an der fortgesetzten Globalisierung der Rüstungsindustrie, der Kernwaffen, und der wirtschaftlichen Problematik von Dritte-Welt-Staaten in einem Argumentationskontext zusammenzufassen. (7)

Neben der Entschuldungs-Kampagne ist jene Anti-Globaliserungsbewegung wohl am deutlichsten in der vorherrschenden Medienrealität, die nach wie vor von TV und Printmedien beherrscht wird, in Erscheinung getreten. Der WTO-Gipfel in Seattle im Dezember 1999 war der Höhepunkt dieser Kampagne. Mobilisiert wird bereits jetzt für die Nachfolge-Veranstaltung im November 2000 in Paris. Und bemerkenswert ist dabei die Selbsteinschätzung der Wirkung der Akteure, weil aus dieser die Erwartung der Erlangung einer realen politischen Macht und Gestaltungsfähigkeit spricht:
The Seattle summit a year ago was a turning point and a springboard. A turning point, because it revealed a new capacity at a global level to oppose a process that many considered unstoppable. A springboard, because it enables us to set other dynamics in motion. Headed together down this road, in the diversity of our beliefs and mobilisations, we are motivated by the importance of the necessary work: inventing alternatives to the current, neoliberal form of globalisation and translating these alternatives into concrete proposals. Our task is an urgent one. The commodification of every area of life, in every nook and cranny of the planet, is leading to devastation that we cannot accept [...] we are taking an initiative to invite all the discontented, indignant, even rebellious people in the world who are looking for other possibilities for human development. (8)
Dass den globalisierten nicht-staatlichen Organisationen durch den Gebrauch der IT tatsächlich realpolitische Gestaltungsmacht erwächst, ist zwar leicht zu vermuten und zu behaupten, in welchem Maße jedoch, ist empirisch und theoretisch nur äußerst schwer zu bestimmen. Im Fall des WTO-Gipfels in Seattle führte die vor Ort praktizierte Demonstrationskultur und Medienpräsenz einerseits zu einer technischen Behinderung des Gipfels andererseits zu einer – zumindest verbalen Übernahme einiger Positionen der Gipfel-Gegner – durch die US-Administration. Die WTO konnte jedenfalls in Seattle zu keinem Ergebnis kommen. Die sogenannte Millenniumsrunde wurde ohne Ergebnis auf dieses Jahr vertagt.

Die Funktionsweise solcher Kampagnen hat viel mit einer national geprägten Medienrealität und ihrer Wechselwirkung zum jeweiligen politischen System zu tun. Ohne hier näher differenzieren zu können, sei das Spektrum der erklärungsmächtigen und -notwendigen Möglichkeiten angedeutet. Stellen wir uns eine zweidimensionale Repräsentation vor, bei der auf der einen Achse die Freiheitsgrade des politischen Systems, worunter die wirklichen Freiheiten der Äußerung von Meinung und Kritik an gerade herrschenden Zuständen verstanden werden soll, und auf der anderen Achse die irgendwie vernünftig operationalisierte Zugangsmöglichkeit eines Individuums zu nicht regulierten und auch nicht regulierbaren Informationsquellen wie etwa im Internet vor. Im Spitzenfeld dürften die USA und die OECD-Staaten rangieren. In den USA wird bekanntlich die sogenannte freie Meinungsäußerung durch den ersten Verfassungszusatz (First Amendment) geschützt, was so weit führt, dass auch von Europäern vielfach kritisierte Inhalte wie etwa Neonazi-Propaganda von US-Providern nicht aus dem Netz genommen werden müssen. Wie die letzte Internet Domain Survey vom Januar 2000 deutlich zeigt, ist auch die Verbreitungsdichte des Internet-Zugangs in den westlichen Industriestaaten mit gewaltigem Abstand überproportional höher als im Rest der Welt. Insbesondere in den USA zeigt sich ein Phänomen, das häufig als „Mediendemokratie“ bezeichnet wird. Die überwiegende Mehrheit der Öffentlichkeit ist weitgehend unpolitisch, während die Parteihierarchien selbst weitgehend flach und die Parteien selbst keine mächtigen Apparate mit eigenen Interessen sind. Vielmehr sind diese in hohem Maße anfällig für den Einfluss von Medien-Kampagnen. Diese Ausgangslage erlaubt es hochmotivierten, professionell organisierten Gruppen, einen massiven politischen Einfluss auszuüben, der sich durch die finanzielle Abhängigkeit der individuellen Parlamentarier im Mehrheitswahlsystem von Spendern für ihre Wahlkampagnen noch verstärkt. Auf Grund dessen wurde zumindest im US-amerikanischen politischen System ab Mitte der 90er-Jahre unter dem Motto „Learning to Live with NGOs“ (9) klar erkannt, dass die politische Gestaltungsmacht von nicht-staatlichen Organisationen (NGOs) enorm hoch sein kann. Erfolgreiche globale Kampagnen haben dies auch demonstriert:
  • Die Kampagne zur Bannung und Ächtung von Landminen, die schließlich zu einem internationalen Vertrag führte, dem sich auch die USA, wenn auch halbherzig, anschlossen.

  • Die Kampagne zur Verhinderung des Multilateral Agreement on Investment (MAI). (10)

  • Die Kampagne zur Etablierung eines internationalen Strafgerichtshofs für (Kriegs)Verbrechen gegen die Menschlichkeit, dem sich allerdings die USA bisher massiv widersetzen.
Andere Kampagnen sind weniger erfolgreich, üben aber dennoch einen erheblichen Druck auf die Politik und die öffentliche Meinung aus. Etwa die Kampagne „Abolition 2000“, die Mitte der 90er-Jahre als weltweite Plattform zur Eliminierung aller Kernwaffen bis zum Jahr 2000 ins Leben gerufen wurde. Dieses Ziel wurde zwar nicht erreicht, aber bis heute unterstützen knapp 2000 Organisationen weltweit diese Kampagne. Es gelang dabei, Expertenberichte auf höchster diplomatischer Ebene entstehen zu lassen, wie etwa den Butler-Report, der von der australischen Regierung lanciert wurde und als Grundlage für die Entscheidungsfindung eines Urteils des IGH in Haag wurde.
Schlussfolgerungen
Die Globalisierung von Kampagnen wurde erst durch die IT und insbesondere das Internet wirklich ermöglicht. Was einerseits als Bedrohung durch die Globalisierung wahrgenommen wird, ist andererseits eine Chance zur Gestaltung von Politik „von unten“ abseits und jenseits traditioneller politischer Machteliten. Internationalen und transnationalen Organisationen kommt dabei in Zusammenarbeit mit NGOs eine immer größere Bedeutung zu. Geradezu paradigmatisch ist dabei die Koalitionsbildung zwischen NGO-Lobbys und der Generalversammlung der Vereinten Nationen, wo sich fast immer eine Mehrheit gegen die singulären Interessen der industrialisierten „Ersten Welt“ bzw. ihrer Wirtschafts- und Rüstungslobbys findet.

Das Internet bietet ebenfalls die Möglichkeit, die Vertraulichkeit einer Kabinetts-Politik im Stil des 19. Jahrhunderts ein für alle Mal zu beenden, was vor allem die Kampagne gegen das MAI gezeigt hat. Die als vertraulich eingestuften Entwürfe des MAI gelangten an die Öffentlichkeit und standen sofort im Internet. Zahlreiche Regierung sahen sich der Situation gegenüber, dass in ihren eigenen Parlamenten kritische Fragen dazu gestellt wurden und zogen sich von einer Unterstützung des MAI zurück. Nicht anders verhält es sich mit der Veröffentlichung von Dokumenten aus Militär- und Geheimdienstkreisen. Nichts, was diesen Einrichtungen einmal entkommt, kann weiterhin vor den Augen der Öffentlichkeit verborgen bleiben. Bestimmte Web-Sites haben sich geradezu spezialisiert darauf, solche Dokumente zu publizieren, woran auch nationale Versuche der Regulierung solcher Inhalte im Web nichts ändern können. (11) Die Globalisierung hat also auch Chancen von unten zur Steuerung der Politik – insbesondere für Oppositionsbewegungen in weniger entwickelten Demokratien.

(1)
http://212.78.70.10/index1.html zurück

(2)
Vgl. zur Einbeziehung von NGOs in sicherheitspolitische Bedrohungsszenarien: Arquilla, John; Ronfeldt, David: „The Advent of Netwar“, in: Arquilla, John Ronfeldt, David (Hrsg.): In Athena’s Camp: Preparing for Conflict in the Information Age, Santa Monica 1997. 275–293. Vgl. zur Relevanz dessen: Schöfbänker, Georg: „Von PLATO zur NATO“, in: Stocker, Gerfried; Schöpf, Christine (Hrsg.): Information. Macht.Krieg, Springer Verlag Wien, New York, S. 111–131 zurück

(3)
Vgl: Hachmeister, Lutz; Rager Günter (2000): Wer beherrscht die Medien? Die 50 größten Medienkonzerne der Welt. Jahrbuch 2000, Beck’sche Reihe, München zurück

(4)
http://www.apc.org/english/rights/governance/index.htm zurück

(5)
http://www.apc.org/english/about/members/index.htm zurück

(6)
http://www.apc.org/english/about/org/index.htm zurück

(7)
Vgl. etwa: George, Susan; Ritchie, Mark¸ Slater, Alice¸ Staples Steven: The WTO and the Global War System, 1999. Quelle: http://www.indg.org/wto_proceedings.pdf zurück

(8)
Aufruf des ,Int’l Network on Disarmament and Globalization‘. Building a World of Citizens. One Year after Seattle International Gathering in Paris. E-mail Aussendung vom 4. Juli 2000. zurück

(9)
Simmons, P.J.: „Learning to Live with NGOs“, in: Foreign Policy, Fall 1998, No. 122, S. 82–96 zurück

(10)
Kobrin, Stephen J. : „The Mai and the Clash of Globalization“, in: Foreign Policy, Fall 1998, No. 122, S. 97–109 zurück

(11)
Vgl: http://cryptome.org/ zurück