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Ars Electronica 1999
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Festival 1979-2007
 

 

Ars Electronica 99 • LifeScience
Vorwort

'Gerfried Stocker Gerfried Stocker / 'Christine Schöpf Christine Schöpf

1979 begann mit dem ersten Festival für Kunst, Technologie und Gesellschaft die Suche nach den kulturellen Entsprechungen des technologischen Wandels und damit das Unterfangen, den Prozess der Kultur(und wohl auch Kult)werdung neuer Technologien zu analysieren und Möglichkeiten seiner Gestaltung zu finden.

In den 20 Jahren hat sich das Projekt Ars Electronica in unterschiedliche gesellschaftliche Domänen ausgebreitet und Modellcharakter im Kontext von Kunst und Wissenschaft erlangt. Diese 20 Jahre markieren aber auch das Entstehen einer globalen Informationsgesellschaft. Während zahlreiche Problemstellungen hinsichtlich der wirtschaftlichen, sozialen und politischen Neuordnung noch gar nicht formuliert sind, wird die öffentliche Diskussion über Fortschritt und Zukunft bereits von einer neuen Entwicklung dominiert. Nach der digitalen Revolution wird die biologische Revolution ausgerufen.

Neben den Erfolgsstorys über Computertechnologien und sagenhaften Börsengewinnen ihrer Protagonisten haben Meldungen aus dem Bereich der Life Sciences als Nachrichten aus der “Welt der Wunder” Schlagzeilenstatus erhalten.

Ausgestattet mit den infotechnischen Werkzeugen des Computerzeitalters, haben Molekularbiologen und Gentechnik-Ingenieure Tore aufgestoßen, deren Schwellen zwar vielfach Grenzen und Tabus unserer Kultur markieren, an deren Überschreitung sich jedoch zunehmend die Hoffnungen auf die weitere Prosperität unserer Zivilisation orientieren. Die Utopien der Life Sciences jedenfalls lassen einen Verzicht auf ihre Potenziale gegen jede Dystopie als kaum mehr reale Option erscheinen, und viele postulieren es geradezu als moralischen Imperativ, angesichts von Hunger und Krankheit jedes Mittel zur Lösung dieser Probleme einzusetzen. Life Sciences gilt heute als sichere Anwärter auf ,die‘ Schlüsseltechnologie der kommenden Dekaden.

Das kulturelle Potenzial steht außer Zweifel. Es ist abzusehen, dass zur wissenschaftlichen Beschäftigung auch alle ökonomischen und industriellen Anstrengungen, wie sie bisher der Bearbeitung und Bewirtschaftung unserer materiellen Um- und Außenwelt galten, nun auf das Leben selbst, auf seine konstituierenden Grundlagen, konzentrieren werden. Diesbezügliche gesellschaftliche bzw. politische Entscheidungen (die nicht zuletzt unter Berücksichtigung der wiederholten ideologischen Instrumentierung von Genetik und Biologie und ihrer also vorbelasteten Erkenntnisse) zu treffen sind, haben wiederum zutiefst demokratiepolitische Implikationen. Darüber hinaus erzwingt die Vorstellung, Leben abseits der morphologischen Ebene des Körpers formen und in seinen Anlagen und Talenten konstruieren zu können, neue Perspektiven auf seine Grenzen, seine soziale und metaphysische Konstitution.

In dieser Situation benötigen wir eine Wissenschaftskultur und -kritik, die sich vom Mythos der neutralen Erkenntnisse und Fakten verabschiedet. Erfahrungen und Methoden der Medienkunst, die über moralisierende Political Correctness hinaus am gesellschaftlichen Diskurs teilnimmt, können uns dabei Orientierungshilfen sein.

Wenn Ars Electronica mit dem diesjährigen Festival beginnt, Themenschwerpunkte zu LifeScience zu verankern, markiert dies eine Neuorientierung, aber auch die Fortführung einer lang geübten Praxis: das Augenmerk dorthin zu lenken, wo sich Konflikte im Spannungsfeld von Technologie und Gesellschaft entwickeln, und Kunst als Interface und Katalysator für die Interaktion von Öffentlichkeit und Wissenschaft zur Wirkung zu bringen.