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Ars Electronica 1999
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Festival 1979-2007
 

 

Neue Bilder vom Menschen


'Gerfried Stocker Gerfried Stocker

Mit dem Titel der Ars Electronica 99, LifeScience, werden nicht nur die industriellen Forschungs- und Wissenschaftsbereiche rund um die modernen Gen- und Biotechnologien angesprochen, sondern auch die mit seiner deutschen Übersetzung als Wissenschaft vom Leben assoziierten weit reichenden kulturellen und metaphysischen Aspekte. Im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen jedoch die aktuellen Verfahren der Gen-Ingenieure, darauf aufbauende Erkenntnisse und Möglichkeiten.

Die Genetik, wie wir sie kennen, also im Wesentlichen die molekulare Genetik, ist ein Kind des 20. Jahrhunderts. Seit Thomas H. Morgan 1910 die lineare Anordnung von Genen auf den Chromosomen nachweisen konnte, hat sie in einer vergleichsweise kurzen Zeit einen Erkenntnis- und Wirkungsraum eröffnet, der in Umfang und Tiefe nur mit dem der digitalen Technologie vergleichbar ist.

Aber schon am Anfang steht ihre ideologische Vereinnahmung im Sinne von Francis Galtons Eugenik, deren dienstbares Potenzial mit dem “Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses”, das 1933 in Hitlers Deutschland erlassen wurde, sehr schnell auch ihre grausamste Ausformung erfuhr. In Schweden wurden Behinderte noch bis 1976, in Japan bis 1995 Zwangssterilisierungen unterzogen.

Ebenso rasch avancierte die molekulare Gentechnologie zum Hoffnungsträger für militärische und, viel stärker noch, rassistische Interessen. Erst kürzlich wurde wieder kolportiert, dass in Israel nach einem abstrusen Araber-Gen für eine genozide Waffe gesucht werde, für eine Gen-Bombe, die Stoffe freisetzt, die nur Menschen einer bestimmten genetischen Konstitution töten und alle anderen verschonen würde. Auch Südafrika soll in der Zeit des Apartheitregimes bereits daran geforscht haben.

Die moderne molekulare Gentechnologie, die tiefe Einblicke in die Entwicklungs- und Differenzierungsmechanismen der Zellen gewährt, entstand in Weiterentwicklung der Bakterien- und Phagengenetik der Sechzigerjahre. Ihr jüngster Zweig, die Bioinformatik, sorgte nicht nur für eine enorme Beschleunigung der Forschung, sondern bildet auch die Basis ihrer industriellen Anwendung.

Bislang sind es weitgehend nur Einblicke, ein Verstehen der tatsächlichen Komplexität zum Beispiel der Zellinteraktionen lässt noch auf sich warten. Und im Vergleich zur exakt vorhersehbaren Logik digitaler Maschinen nimmt es sich geradezu abenteuerlich aus, wie sehr Trial and Error nach wie vor zu den wichtigsten Erkenntnismethoden der Molekularbiologen gehören.

Mit dem Human Genom Project gelang es Mitte der 80er-Jahre in den USA zum ersten Mal, Forschungsgelder in einer Höhe, wie sie bis dahin nur der Hochenergiephysik u. Ä. zugesprochen wurden, für die traditionell unterbemittelte biologische Forschung zu lukrieren. Auf gerade einen Dollar pro Genbaustein, nämlich 3 Mrd. US$, schätzte man damals den Finanzbedarf, um die 3 Milliarden Basenpaare DNA des menschlichen Genoms zu sequenzieren.

Die Motivationen waren vielfältig, und die Tatsache, dass die Gelder vom US Department of Energy – üblicherweise auch für die Entwicklung neuer Waffensysteme zuständig – kamen, hat der bis heute anhaltenden Skepsis gegenüber diesem Projekt zusätzliche Nahrung gegeben. (Für die nach dem Ende des Kalten Krieges vielfach arbeitslosen Forschungseinrichtungen des DOE wurde dieses Projekt zu einem neuen Standbein.)

Umstritten war und ist das Projekt auch hinsichtlich der Frage, wessen Genom denn nun sequenziert werden sollte. Zwar sind 99,9 Prozent des Erbgutes aller Menschen gleich, aber da 99 Prozent auch dem der Schimpansen entsprechen, lässt sich die Bedeutung der variierenden 0,1 Prozent ermessen. Darin finden sich alle Unterschiede zwischen allen Menschen dieser Erde, und man weiß auch, dass die quantitativen Unterschiede zwischen Individuen größer sind als zwischen Rassen.

Das 1991 ins Leben gerufene Human Genom Diversity Project, HGDP, zur Erforschung der Vielfalt menschlichen Erbgutes, bei dem gemäß einem “Informed Consent” – der Zustimmung nach vorhergehender Information sowohl der fokussierten Gemeinschaft und Gruppe als auch der Einzelperson – vorgegangen wird, sieht sich mit wesentlich geringerer Mittelzuteilung und darüber hinaus mit dem Vorwurf konfrontiert, eine moderne Form des Kolonialismus zu betreiben, bei dem es zu Gunsten der industrialisierten Welt zu einer weiteren Ausbeutung indogener Völker komme. Kein unbegründeter Verdacht angesichts der massiven Bestrebungen, Patentierungen von Genen und anderem biologischen Material durchzusetzen.

Da sich viele Staaten und Völker vehement gegen Patentierung aussprechen, ist das finanzielle Engagement der Bioindustrie naturgemäß zurückhaltend und das Projekt verläuft sich mehr und mehr in Einzelunternehmungen, die oft abseits der Richtlinien des “Informed Consent” direkt von den Firmen betrieben werden.

Mittlerweile erfolgt die “Suche nach dem Heiligen Gral”, wie es der Nobelpreisträger Walter Gilbert in seiner Euphorie bezeichnete, in industriellem Maßstab. In riesigen Anlagen sequenzieren rund um die Uhr Roboter Fragmente des menschlichen Genoms.

Vor allem privatwirtschaftliche Labors erzielen schon erstaunliche Gewinne. So konnte die US-Firma Genome Therapeutics die gesamte Genomsequenz des für Magen- und Zwölffingerdarmgeschwüre verantwortlichen Bakteriums Helicobacter pylori, um 22 Millionen US$ an einen schwedischen Pharmakonzern verkaufen.

Erwähnenswert ist die Arbeit von Bernard Barataud, der als Präsident der französischen Selbsthilfegruppe für erblichen Muskelschwund gegen die allgemeine medizinischen Ansicht, dass diese Krankheit unweigerlich zum Tode führe, die Genomforschung als Chance auf Heilung betreibt. Gemeinsam mit Daniel Cohen gründete er ein Institut zur Erforschung der Muskelkrankheiten. In diesem Zentrum befinden sich nicht nur Labors zur Genom-Sequenzierung und Analyse, sondern auch Behandlungsräume und eine Begegnungsstätte, die den ständigen Kontakt der Wissenschaftler mit den Patienten, die ihre Krankheit nicht schicksalsergeben hinnehmen, gewährleistet.

Diese Initiative ist bemerkenswert in ihrem aufgeklärten und demokratischen Umgang mit neuen Wissenschaften und Technologien, weil sie abseits der bloßen Beschwörung der Konfrontation von genetischem Determinismus und sozialer Emanzipation des Individuums die Emanzipation des Subjekts dieser Wissenschaft durch die Aneignung und Nutzung ihrer Methoden und Erkenntnisse erzwingt.

Gezielter Eingriff und gerichtete Veränderung nicht nur des Phänotyps, also der morphologischen Aspekte des Körpers, sondern des Genotyps, der ererbten und zur weiteren Vererbung vorgesehenen Grundlagen, sind der derzeitige Fluchtpunkt der Ängste und Hoffnungen.

Wenngleich die naturwissenschaftlichen Grenzen dieser Entwicklung im Moment selbst für Experten noch nicht einzuschätzen sind, ist die Frage, die sich stellt, nicht ob es gemacht wird, auch nicht wann, sondern wie wir mit den Resultaten umgehen werden.

Wenn wir – wie dies von vielen Humangenetikern und Medizinern vertreten wird – in einem geklonten Embryo kein menschliches Leben, sondern einen Organismus zur lebensrettenden Gewebeproduktion sehen und uns in weiterer Folge der Vorstellung von Organbanken widmen, die uns jederzeit mit Ersatzteilen versorgen, dann stellt sich die Frage nach unseren Rechten und Verpflichtungen. Wenn ein Mensch seinen eigenen Klon – und sei es nur in partieller Form von Ersatzorganen – besitzt und ausbeutet, dann ist das vor allem eine Frage der Aneignung völlig neuer Wertsysteme. Die Fragen und Zweifel, ob wir “es tun” sollen, sind davor, dass es nur eine Frage der Zeit ist, wann es getan wird, ohnedies bloße Pflichtübungen für Sonntagsgottesdienste.

Nachdem der Verstoß gegen das kirchliche Verbot, Leichen zu sezieren, schon vor Jahrhunderten zur Vertreibung der Seele aus dem Körper geführt hat und modernes Brain-Imaging im Gehirn keinen Zufluchtsort für unser Selbst zu entdecken vermag, wird die Ausbildung unseres Selbst-Bewusstseins zunehmend externalisiert und auf die soziale Beziehungsebene verlagert. Exkorporiert aus der “Stoffwechselmaschine”, mit der uns die – vorschnellen? – Interpretationen der Evolutionspsychologen zurücklassen wollen, definieren wir uns nicht durch göttliche Fügung, Schicksal oder Karma, sondern im Prozess der sozialen Interaktion mit unserer Umgebung.

Parallel dazu wird der Körper – lange Zeit als mehr oder minder komplexe elektrochemische Reaktionskammer erklärt – zur informatischen Datenbank stilisiert. Dass im Moment unserer Zeugung unser Aussehen, unsere Talente, körperlichen und geistigen Fähigkeiten schon in unvorstellbaren Maße präformiert sind, scheint ebenso unumstößlich wie unannehmbar zu sein. (Vielleicht bietet ein Zahlenbeispiel Trost: Mit 3x109 Nukleotiden und zirka 100.000 Genen kann zumindest mengenmäßig nur ein Bruchteil der Entwicklung unseres Gehirns mit seinen hundert Milliarden Neuronen bestimmt werden.)

Es sind auch nicht mehr “Gehirn-Computer”, die den Menschen in der Blütezeit der KI-Forschung als Leitfigur bionischer Visionen endlich aus seinem angeblich so einschränkten körperlichen Dasein befreien sollten; vielmehr dämmert endlich die Idee, dass eigentlich der Körper selbst reine Information sein könnte – ein Hochleistungscomputer, dessen 3x109 Basenpaare DNA nur richtig programmiert werden müssen, damit er seine Hardware aus zwanzig Aminosäuren ständig erneuern und rekonfigurieren könnte.

Betört von der einfachen, linearen Logik des sequenziellen von Neumann’schen Computermodells, dem sich immerhin nicht nur die Atombombe, sondern auch der PC, das Internet, der Y2K-Bug, eine neue ökonomisch-politische Neuordnung verdankt, wird den Genen das Attribut, Code des Lebens zu sein, zugeschrieben und damit die Hoffnung genährt, endlich der komplexen Abläufe und Wechselwirkungen des Lebens Herr zu werden.

Es ist allerdings anzunehmen, dass dieser Rückgriff auf einen rationalistischen Maschinenbegriff allzu leichtfertig bemüht wird, nur um die unangenehmen Besorgnisse um die Lebensumstände von uns Kohlenstoffeinheiten leichter ignorieren können. Vielleicht wurde über die Vertrautheit dieses Maschinen-Welt-Bildes auch einfach nur vergessen, dass es eine Metapher ist. Wir glauben nicht mehr wie Descartes, dass die Welt wie eine Uhr funktioniert, wir glauben, sie ist eine Uhr. Die Idee vom Menschen als Flip-Flop entspricht dem überkommenen mechanistisches Weltbild, mit dem eine längst abgehalfterte Vorstellung perpetuiert und Erkenntnisse, wie sie beispielsweise in diesem Jahrhundert die Teilchenphysik vermittelt hat, ignoriert werden.

Dennoch wird das Informationsmodell zur revolutionären Trope – ganz im Sinne der Ideen der Informationsrevolution. Diese lehrt, dass Software wettbewerbsgeeigneter sei als Hardware, dass das Informationsmodell als Bauplan wichtiger als der Bau sei. Dementsprechend würden nicht mehr die Atome, sondern die Bits und folgerichtig die strukturelle Information der Nukleotiden mehr zählen als die Aminosäuren, die sie konstituieren.

Die Unterscheidung zwischen Körper und Maschine respektive das Verschwinden von klaren Grenzen ist ein Problem, das untrennbar mit der technologischen Revolution zusammenhängt.

Im Übergang von der industriellen zur informationellen Zeit war es zuerst die kybernetisch-bionische Verbindung mit Eisen, Stahl und später mit Hightech-Metallurgie, welche die biologischen Komponenten des Körpers stärken bzw. gleich ersetzen sollte. Am Ende standen die Nano-Roboter, die diese Aufgabe auf der Molekülebene hätten erfüllen sollen. Viele Beispiele aus literarischen oder wissenschaftlichen Fiktionen sind vor allem aus einschlägigen Theorien rund um die digitale Kultur bekannt. Aber auch die Geschichte der Medizin wartet mit diesbezüglichen Erzählungen auf.

In seiner Biografie zitiert Ferdinand Sauerbruch den Bericht des Plinus des Jüngeren über Marcus Sergius, einen Römer, der im zweiten Punischen Krieg die rechte Hand verloren hatte und sich eine künstliche Hand aus Metall herstellen ließ. Allerdings bleiben Funktion und die Art der Anbringung am Arm offen. Erst in der Mitte des 19. Jahrhunderts konstruierte der chirurgische Techniker und Zahnarzt Hofrat Ballif in Berlin die erste über ein einigermaßen komplexes Gebilde von Riemen, Saiten und Gurten willkürlich bewegbare Hand.

Es sollte noch bis zum Ersten Weltkrieg dauern, bis es dem berühmten Chirurgen Ferdinand Sauerbruch in Zusammenarbeit mit Prof. Aurel Stodola gelang, die verbliebenen Muskeln als Kraftquellen für die Bewegung der mechanischen Elemente einer künstlichen Hand zu nutzen. Tausende von Versehrten wurden in der Folge mit solchen Prothesen ausgestattet. Der Erste Weltkrieg war also nicht nur Vater des Radios, sondern auch des ersten industriellen Cyborgs.

Die in ihren informationellen Aspekten im Denken des industriellen Zeitalters verhaftete Cyborg-Metapher, konstruiert um das Eindringen maschineller Komponenten in das organische Gefüge, genügt jedoch nicht mehr, um aktuelle Vorgänge zu beschreiben. Bereits mit dem Entstehen einer digital vernetzten Realität und den damit verbundenen Ideen einer Entkörperlichung und Virtualisierung von Lebensräumen und sozialer Interaktionen begann dieses Konzept obsolet zu werden. Einen für viele spektakulären, aber dennoch nicht nachhaltig erfolgreichen Fortsetzungsversuch stellt die viel zitierte Vision von Hans Moravec dar, der die Entkörperlichung auf einen radikalen Punkt zuspitzt und die Trennung des Geistes von den Limitierungen des Körpers durch einen vollständigen mentalen Core-Dump, also das Downloaden des menschlichen Geistes in silizumbasierte Computerspeicher und Netzwerke, propagiert (siehe: Hans Moravec, Ars Electronica 90). Es dauerte allerdings nicht lange, bis in ersten Polemiken darauf hingewiesen wurde, dass es vielleicht gar nicht so erstrebenswert sei, seine Existenz von Microsoft gestützten Netzwerken anzuvertrauen …

Der erste Schritt zu einem auf der universellen Verrechenbarkeit von 0 und 1 basierenden Ansatz ist das Konzept des Avatar, mit dem ganz besonderen Feature der frei wählbaren, jederzeit wechselbaren und bei Bedarf auch vervielfältigbaren und multiplen Identität. Erst dieses Konzept trägt den Realitäten einer digitalen Informationstechnologie und -kultur durch eine neue Definition des Individuums Rechnung. Es ist nicht länger ein Ergebnis von Schicksal (egal ob nun durch Nature or Nurture bestimmt), sondern ein Aspekt von Emanzipation und Wahlfreiheit.

Der Wunschtraum der Posthuman-Bewegung, Menschen bald in nomadische Software-Einheiten verwandeln zu können, findet eine interessante Wendung in der aufkommenden Interpretation des menschlichen Köpers (bzw. aller biologischen Organismen) als Wet-Ware-Plattform. An Stelle der Transformation des menschlichen Geistes in 0 und 1 ist es nun die gigantische Operation des Human Genome Project, von dem man sich die Entschlüsselung des Genoms als menschliches Betriebssystem erhofft. Und weil wir in den vielen Jahren digitaler Informationsrevolution so gut gelernt haben, alles in informatische Termini zu kleiden, hat sich der Begriff von der Software des Lebens, vom Human Genom als Operating-System des Menschen, bereits bestens etabliert.

Während sich also Forschung und Theorie der digitalen Revolution auf die Applikation maschineller Komponenten auf und in den biologischen Körper konzentriert haben (und dies mit beachtlichem Erfolg, wenn man die Realität moderner Medizin und Prothetik berücksichtigt; vergleiche dazu Ars Electronica 97, “FleshFactor”), hat sich durch den Fortschritt in der Biologie eine andere Herangehensweise ergeben. Immer öfter werden Erfolge dadurch erzielt, dass biologische Komponenten in die maschinelle Umwelt eingebracht werden. Die salopp als “Wet Computing” (“nasse Computertechnologie”) bezeichnete Bioinformatik ist ein wichtiger Hoffnungsträger der Computertechnologie geworden.

Das Spektrum erstreckt sich von neuartigen bakteriologischen Datenträgern mit einer enormen Speicherkapazität und Zugriffsgeschwindigkeit (vergleiche dazu Robert R. Birge, Bioelectrics and Protein-based Devices, Ars Electronica 97) bis hin zu den DNA-Chips von Affymetrix, vermittels derer bereits über 40.000 Gene und ESTs (expressed sequenced tags) gleichzeitig analysiert und digital verarbeitet werden können.

Solche Entwicklungen zwingen uns auch in der Qualifizierung von Natürlichem und Maschinellem zu neuen Überlegungen. Die phänomenologische Unterscheidung, vom so genannten Commonsense mit aus sich selbst gewachsen versus absichtlich planvoll konstruiert bzw. manipuliert definiert, ist hinfällig, denn, so ein ganz einfacher Vergleich, eine mithilfe genetischer Algorithmen innerhalb eines Computers evolvierte Software wäre natürlicher (weil nicht mehr programmiert, sondern tatsächlich gewachsen) als die gentechnisch manipulierte Tomate, die, weil in ihrer grundlegenden Substanz planvoll konstruiert, eine Maschine ist. Mehr noch: Die herkömmliche Unterscheidung läuft inzwischen Gefahr, zum Synonym für ein uneinsichtiges Festhalten an überlieferten Hierarchie- und Machtsystemen zu werden. Eine Gefahr, der sich nicht wenige Vertreter der radikalen soziobiologischen Interpretation moderner Genetik aussetzen, wenn sie die genetische Bestimmung der Gesellschaft betonen, aber der Schlussfolgerung gegenüber uneinsichtig sind, dass mit der Zugänglichkeit der genetischen Präformierung für Veränderungen die vorgeblich naturgesetzliche Rechtfertigung für gesellschaftliche Zustände ihre Grundlage verliert!

Die Trennlinie zwischen dem subjektiven, sozial konstruierten phänomenologischen und dem objektiven, auf “harten Fakten” basierten physiologischen Körper, wird auch zwischen Natur und Kunst hinein verlängert. Aber hier wie dort hat eine solche Trennung bereits ihre Grundlagen verloren. Im Zeitalter der Life Sciences dürfte diese Linie spätestens dann zum weiten Feld erbitterter Auseinandersetzungen werden, wenn der Diskurs der Folgen der bislang weit reichendsten Eingriffe des Menschen in seine Um- oder besser Inwelt ansteht.

Angesichts solcher Entwicklungsvektoren ist die Kunst an vorderster Front angehalten, Positionen und Arbeitsweisen, die sie vornehmlich kommentierend und interpretierend repräsentiert, zu überdenken.

Von der Idealisierung der Natur als Refugium und Zufluchtsort, wo das Wilde von Authentizität und Wahrheit zeugt, sollte sich die zeitgenössische KünstlerInnenschaft ja wohl seit langem schon gründlich verabschiedet haben. Aber angesichts der nahezu inflationären Hinwendung zu Themen wie Körper und Natur (wobei in der Regel die Muster der althergebrachten Anschauung tradiert werden) oder gar einer “neuen Epoche der Gartenkunst”, scheint eher der Geist der Bequemlichkeit am Werk zu sein.

Im Ersatz des distanzierten Blicks der Moderne durch eine neue Subjektivität sieht man idyllischen Zeiten entgegen. Die Rosa-Stereo-Brille der virtuellen 3D-Welten findet sich dabei genauso unter den Fluchtwerkzeugen wie die tapfere Realitätsverweigerung im Verzicht auf Nachahmung und Abbild im Werk, das als solches zu schlechter Letzt repräsentiert, worauf eigentlich verzichtet werden wollte – einen Gegenstand, der gegen jede auch noch so beängstigende Komplexität eine fest gefügte Ordnung und Grenzen behauptet, als wäre die Umwelt eine vom Denken und Erkennen unabhängige Instanz.

Konfrontiert mit den neuen Entwicklungsvektoren dürfte die Kunst der nächsten Zukunft ihre Bedeutung in sehr hohem Ausmaß jedoch davon abhängig sehen, wie sehr es ihr heute gelingt, in der Auseinandersetzung mit der zunehmenden Obsolenz von Grenzen die Übergänge mit Referenzerfahrungen zu markieren.

Diese Aussicht hat sie mit dem Menschen gemeinsam, der in Konfrontation mit seinen neuen Bildern steht.