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Ars Electronica 1999
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Der Mensch ist das Ende der Welt


'Derrick de Kerckhove Derrick de Kerckhove / 'Paul Virilio Paul Virilio

* Auszug aus einem Gespräch zwischen Paul Virilio und Derrick de Kerckhove im Rahmen einer Videokonferenz anlässlich Ars Electronica 98.

Paul Virilio: Der Roboter steht am Ursprung der Arbeit. Schon die Werkzeugmaschine ist ein Roboter. Die Autonomisierung von Produktionsmaschinen ist ein altbekannter Teil der Industriegeschichte. Was mir Angst macht, sind genetische Roboter. Die Robotisierung droht heute auch auf den Prozess des Klonens oder die Schaffung von gentechnologisch für bestimmte Tätigkeiten oder Aufgaben maßgeschneiderte Individuen überzugreifen. Die Roboterfrage ist meiner Meinung nach in einer Fülle von Schriften über Automaten erschöpfend abgehandelt worden. Doch in der Vorstellung des lebenden Roboters, der Chimäre oder des Klons kommt es nun zu einer Reproduktion des Begriffs der Robotisierung – diesmal mit den Mitteln der Gentechnik. Es besteht die Gefahr, dass uns der Computer und die Erstellung von Genkarten (die Fähigkeit zur Kartierung des menschlichen Genoms) erlauben werden, Robotermenschen hervorzubringen, robotisierte Lebewesen. Dies geschähe dann auf der Basis einer Spezialisierung, die nicht mehr industriell, sondern computerisiert ist und auf der Manipulation des genetischen Codes beruht. Die daraus resultierende Gefahr ist gewaltig, und darum scheint es mir angebracht, noch einmal auf die drei Bombentypen zurückzugreifen. Sowohl die Atombombe als auch die genetische Bombe sind ohne die Informations- bzw. Computerbombe nicht denkbar. Der Computer wurde von Turing et al. nicht zufällig zeitgleich mit der Atombombe entwickelt. Heute benötigen wir den Computer für Simulationen, und in der Gentechnik ist er absolut unentbehrlich. Wir sind also mit der Möglichkeit einer neuen, transgenen Robotisierung konfrontiert, die mir um so mehr Angst macht, als es damit noch keine kritische Auseinandersetzung gibt. Die Kritik des Roboters, die ist bereits geleistet worden, sogar in der Religion. Aber die Auseinandersetzung mit dem lebenden Roboter, dem lebenden Sklaven – der durch die Gentechnik ermöglichten neuen Form der leibhaftigen Sklaverei – steht noch aus.

De Kerkhove: Meiner Meinung nach gibt es eine weitere wichtige Frage, die damit im Zusammenhang steht: In Blade Runner sehen wir Androiden, die über ganz und gar menschliche Eigenschaften und Gefühle verfügen – oder gerade ihre Gefühle entdecken. Besteht die Möglichkeit, dass wir in absehbarer Zukunft die aktiven, effektiven und arbeitsbezogenen – d. h. die roboterhaften – Seiten unseres Menschseins auf diese Geschöpfe übertragen, an unseren Schwächen und Unvollkommenheiten jedoch festhalten, um einer totalen Invasion zuvorzukommen?

Paul Virilio: Wir haben ohnehin keine andere Wahl. (Lacht.) Ich persönlich glaube, dass der Mensch nicht das Zentrum, sondern das Ende der Welt darstellt. Hildegard von Bingen, deren 900. Geburtstag wir heuer feiern, hat gesagt: “Homo est clausura mirabilium Dei.” Der Mensch umschließt in sich die Wunder Gottes. Es ist das Wort “umschließen”, das bei diesem Satz aufhorchen lässt. Der Mensch ist das Ende der Welt. Es wird in Zukunft keine Genetik, keine genetische Weiterentwicklung des Lebens geben. Wohl aber gibt es einen ethischen oder einen “moralischen” Fortschritt (wenn man dieses Wort überhaupt politisch korrekt verwenden kann). Jedenfalls stellt der Mensch das Ende der Welt dar. Er kann genetisch nicht übertroffen werden. Der eigentliche große Konflikt des Information Warfare ist der zwischen alter und neuer Genetik. Die Versuchung besteht darin, weit raffiniertere genetische Forschungen anzustellen, als es die von Galton waren.