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Gentechnik, wissenschaftlich-industrielle Revolution und demokratische Fantasie


'Herbert Gottweis Herbert Gottweis

1. Einleitung
Der Chefredakteur der führenden amerikanischen Wissenschaftszeitschrift Science, Philip H. Abelson, schrieb vor kurzem in einem “Editorial” seines Magazins folgende bemerkenswerte Sätze über die Zukunft der Gentechnik:
Changes that will have effects comparable to those of the Industrial Revolution and the computer-based revolution are now beginning. The next great era, a genomics revolution, is in an early phase- Thus far, the pharmacological potenzial of genomics have been emphasized, but the greates ultimate global impact of genomics will result from manipulation of the DNA of plants. Ultimately, the world will obtain most of its food, fuel, fiber, chemical feedstocks and some of its pharmaceuticals from genetically altered vegetation and trees. (1)
Diese starken Worte Abelson über das Zukunftspotenzial der modernen Biotechnologie – schließlich verkündet man nicht so schnell eine beginnende industrielle Revolution – haben durchaus Tradition in der noch nicht so langen Geschichte der Gentechnik. Seit den Fünfzigerjahren wurden zunächst die Molekularbiologie, dann die Gentechnik unter Zuhilfenahme der Revolutionsmetapher beschrieben. Wenn die neuen Methoden und Techniken in der molekularbiologisch-gentechnischen Forschung nicht als Revolution eingeschätzt wurden, dann zumindest als tief greifender Umbruch und historische Zäsur. So verglich etwa Horace F. Judson den Aufstieg der Molekularbiologie mit der Entwicklung des frühmodernen, europäischen Staates. Judson schrieb in seiner klassischen, sogar im Buchtitel die Schöpfungsgeschichte evozierenden Arbeit zur Geschichte der Molekularbiologie, The Eigth Day of Creation:
Revolution takes place within a frame of comparatively unyielding continuity… Molecular biology is no single province, marked off by national boundaries from the rest of the realm. It is, rather, an intellectual transformation – indeed, a new conceptual dynasty – arisen within the realm. (2)
Die Molekularbiologie, in den Worten Judson die “neue Dynastie des Denkens”, wurde auch bald nachdem sie Anfang der Siebzigerjahre eines ihrer Meisterstücke geliefert hatte, nämlich die Bildung neuer Kombinationen genetischen Materials, als Rückgrat eines neuen Industriezweiges identifiziert, der so genannten modernen Biotechnologieindustrie, die bereits Anfang der Achtzigerjahre in den USA und etwas später auch in vielen anderen Ländern als Ausdruck einer neuen industriellen Revolution gesehen wurde, sozusagen an die Revolution der Informations- und Computertechnologie anschließend. (3)

In der frühen Phase der Entwicklung der Gentechnik war also viel von “Revolution” die Rede und es wurden zunächst die Molekularbiologie, dann die Gentechnik und schließlich die Biotechnologieindustrie als Katalysatoren bevorstehender tief greifender sozial-ökonomischer Transformation interpretiert. Es gab aber auch weniger euphorische Sichtweisen der Potenziale der neuen biologischen Forschung. Mit der Durchführung der ersten erfolgreichen gentechnischen Experimente setzte eine phasenweise durchaus hitzige Debatte über die Risiken, Gefahren und vielfältigen problematischen politischen, sozio-kulturellen, ökonomischen und ökologischen Implikationen der neuen Biotechniken ein. Anders als etwa bei der Nukleartechnologie, deren zivile Nutzung zunächst über einen längeren Zeitraum gesellschaftlich nicht umstritten war, wurde die Gentechnik geradezu im Konflikt geboren. Gentechnische Verfahren wurden entwickelt – und sofort Gegenstand heftiger Kontroversen. (4) Diese Kontroversen halten bis zum heutigen Tag an, und insbesondere in Europa gilt es heute zunehmend als unbestritten, dass die Zukunft der Gentechnik untrennbar mit ihrer demokratischen Aushandlung und noch zu erzeugenden gesellschaftlichen Akzeptanz verbunden ist. (5) Mit anderen Worten: Bei allem revolutionären Charakter der Gentechnik werden die bereits beobachtbaren oder in der Zukunft noch zu erwartenden Revolutionen der Biotechnologie nur dann stattfinden, wenn die Gesellschaft sie auch wirklich will. In diesem Zusammenhang wird es wichtig sein, passende Mechanismen der demokratischen Meinungsbildung und Entscheidung in Sachen Gentechnik zu finden.

Allerdings ist die Meinungsbildung in Sachen Gentechnik heute durch eine starke Polarisierung gekennzeichnet: Während viele Anhänger der Idee, dass die Gentechnik eine positiv zu sehende wissenschaftlich-industrielle Revolution darstellt, in den Kritikern der Gentechnik “irrationale Feinde” sehen, perzepieren viele Gegner der Gentechnik die moderne Molekularbiologie und ihre Forschungs- und Anwendungsstrategien als Ausdruck eines vollkommen falschen Weges, der letztlich ins ökologisch-gesellschaftliche Desaster führen muss. Ich werde hier in aller gebotenen Kürze zu skizzieren versuchen, wie es zu dieser Polarisierung im Feld der Gentechnik kommen konnte, und ein wenig über demokratiepolitische Wege aus dieser Polarisierung nachdenken. Grob lassen sich folgende Phasen der Entwicklung und Auseinandersetzung über die Gentechnik ausmachen:

1. Die Phase der Hoffnungen und Ängste (die Siebzigerjahre)
2. Die Phase der Übertreibungen (die Achtzigerjahre)
3. Die Phase des Einholens der Fantasien durch die widersprüchliche Realitäten (die Neunzigerjahre).

2. Die Phase der Hoffnungen und Ängste
Die frühen Siebzigerjahre sind die Zeit, in der die ersten erfolgreichen gentechnischen Experimente stattfanden, Experimente, die große Hoffungen weckten, aber angesichts der nicht vorhersehbaren Konsequenzen und Implikationen des menschlichen Zugriffs auf die DNA auch große Ängste erzeugten. Die mögliche Manipulation menschlichen Erbgutes hatte schon früher zur Beunruhigung vieler Menschen geführt. Wenn auch die Gentechnik und deren Fähigkeit zur Neukombination unterschiedlichen genetischen Materials ein Phänomen der frühen Siebzigerjahre ist, hatte sich bereits viel früher im Laufe der Sechzigerjahre abgezeichnet, dass in der Molekularbiologie tief greifende technisch-wissenschaftliche Durchbrüche bevorstanden. Bei einer Konferenz im Jahre 1962, der Ciba Foundation Konferenz mit dem Titel Man and His Future trafen eine Auswahl führender Wissenschafter aus den Bereichen Genetik, Medizin und Biochemie zusammen (unter ihnen Francis Crick, der zusammen mit James Watson die DNA als Struktur einer Doppelhelix interpretiert hatte) und dachten über die Zukunft der Menschheit im Lichte der Entwicklungen der neuesten biologischen Forschung nach. Die Teilnehmer der Ciba-Konferenz kamen zum Schluss, dass mit der so genannten “Neuen Biologie”, insbesondere durch die Entwicklungen der Molekularbiologie, die Menschen endlich zum “Meister der Evolution” werden könnten, wobei darunter u. a. verstanden wurde, dass die Manipulation der genetischen Keimbahnen in der Zukunft möglich würde und damit auf biologisch-technische Weise positive Erbmerkmale gefördert werden könnten. (6) Die Veröffentlichung der Ergebnisse der Konferenz sorgte in Europa und in den USA für die erste größere Debatte über die möglichen eugenischen, d. h. also potenziell auf genetischer Basis und Argumentation beruhenden diskriminierenden Implikationen der “Neuen Biologie”.

Wenn sich Anfang der Sechzigerjahre auch in den verschiedenen Forschungsgebieten dessen, was man heute “Life Sciences” nennt, ein tief greifender Wandel abzeichnete, war man aber damals von der konkreten technischen Durchführbarkeit von Prozessen wie Keimbahntherapie noch weit entfernt. Einen deutlichen Schritt in diese Richtung machte die molekularbiologische Forschung Ende der Sechziger-/Anfang der Siebzigerjahre mit der Entwicklung der Gentechnik. Wissenschaftlich war in dieser Phase etwas Bemerkenswertes passiert: Bis Ende der Sechzigerjahre ging es den klassischen biochemischen und genetischen Techniken darum, das Milieu einer lebenden Zelle über die Erzeugung technischer Bedingungen modellhaft zu reproduzieren. Es ging also um die extrazellulare Repräsentation einer intrazellularen Konfiguration. Die Gentechnik hat diese Situation umgedreht, da die zentralen Werkzeuge der Gentechnik wie Replikationsenzyme, Plasmide und Vektoren von gleicher Natur wie die Moleküle selbst sind. Die Werkzeuge der Gentechnik sind also selbst molekularisiert, sie sind von gleicher Natur wie die Prozesse, in die sie eingreifen. Von nun an ging es um die intrazellulare Repräsentation extrazellularer Projekte, der Organismus selbst wurde sozusagen zum Laboratorium. (7)

Die Pioniere der Gentechnik waren sich von allem Anfang an darüber im Klaren, dass ihr Schritt, Organismen zu Laboratorien zu machen, zwar wissenschaftlich einen großen Durchbruch darstellte und riesige wirtschaftliche und medizinische Bedeutung haben könnte, aber gleichzeitig in vielerlei Hinsicht auch problematisch war. Paul Berg, der an der Stanford University das erste erfolgreiche gentechnische Experiment durchgeführt hatte, erinnert sich an die Reaktionen einer Gruppe von Wissenschafter, die bei einem Symposium in Sizilien das erste Mal von seinem Experiment hörten:
I came to lecture on protein synthesis to this sort of a school for Europeans, and the lecture, as a sort of rap session, that I was asked to give, was about the work we were doing in the construction of this hybrid DNA molecule of SV40 and lambda virus. And I did give that, and there was a very, very strong response on the part of the young European students, that this was really sort of the beginning of an new era and potenzially dangerous, and raising the spectrum of genetic engineering in humans, behavior control […] And they asked, could we have an informal session to discuss the political and social consequences of it. And this German fellow organized an evening session up in the ramparts of the old castle […] and we sat up till about midnight, this whole crew drinking beer, about eighty people, back and fourth discussing the possible hazards, prospects for genetic engineering.(8)
Paul Berg war es auch, der von der US National Academy of Sciences beauftragt wurde, ein “Committee on Recombinant DNA Molecules, Assembly Life Sciences” zu leiten, das die Gefahren der Gentechnik untersuchen sollte und 1974 einen Bericht publizierte, in dem von der Durchführung einer Reihe von gentechnischen Experimenten zunächst abgeraten wurde. Die Debatte kulminierte 1975 in der so genannten Asilomar-Konferenz, bei der die Grundlinien des politisch-regulatorischen Umganges mit der Gentechnik sehr kontrovers diskutiert wurden. Bei der Asilomar-Konferenz und später in den rechtlichen Regulierungen von Ländern wie den USA, Deutschland, Frankreich und Großbritannien setzte sich folgende Sicherheitsphilosophie betreffend die potenziellen Risiken der Gentechnik durch: Gentechnik ist zwar gefährlich, aber von so großer Bedeutung für die Menschheit, dass gewisse Gefahrenmomente in Kauf genommen werden müssen. Weiters lassen sich die Gefahren der Gentechnik nur dann in den Griff bekommen, wenn mehr mit und über Gentechnik geforscht wird, also mehr gentechnisches Wissen verfügbar wird. Zwischenzeitlich können aber, so die Argumentation, die potenziellen Gefahren der Gentechnik weitgehend eingedämmt werden, und zwar durch so genanntes biologisches und physisches Containment. Biologisches Containment heißt, dass gentechnisch erzeugte bakterielle Stämme verwendet werden, die unfähig sind, in einem natürlichen Environment zu überleben, und dass nur Vektoren verwendet werden, die sich ausschließlich in ganz bestimmten, abgrenzbaren Stammzellen entwickeln können. Physisches Containment heißt, bestimmte Laboratoriumssicherheitsmaßnahmen wie Schleusen etc. zu verwenden, die die gentechnisch veränderten Organismen an der Flucht aus dem Laboratorium hindern sollen. (9) Setzt man beide Strategien des Containment ein, kann eigentlich nichts schiefgehen, so die anfangs der Siebzigerjahre entstehende Sicherheitsphilosophie der Gentechnikregulierung.

Infolge dieser Überlegungen wurden in den meisten Industrieländern relativ ähnliche Richtlinien für den Umgang mit Gentechnik im Laboratorium erlassen. Und diese Richtlinien hatten viele wichtige Funktionen. Sie etablierten gewisse Sicherheitsmindeststandards, die vor etwaigen Gefahren der Gentechnik schützen sollten. Weiters erhielt die Gentechnik Legitimität durch Verfahren, indem der Staat und seine rechtliche Maschinerie sich inhaltlich und symbolisch des Schutzes der Bevölkerung vor den Gefahren der Gentechnik annahmen. Gleichzeitig wurden Grenzlinien gezeichnet: zwischen Experten und Nichtexperten, Öffentlichkeit und Wissenschaft, Politik und Wissenschaft. Diese Grenzlinien erzeugten auch jene Akteure, die bei der Kontrolle der Gentechnik partizipieren durften, und jene, die auf die Zuschauerränge der Risikokontrolle verbannt waren. In den USA und in Europa war die Regulierung der Risiken der Gentechnik zum Privileg einer kleinen, zumeist in Kommissionen arbeitenden Gruppe von Experten aus verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen – von der Molekularbiologie bis zur Medizin – geworden, eventuell ergänzt durch vereinzelte Repräsentanten von Interessengruppen wie Gewerkschaften oder Unternehmerverbänden. Diese Konstruktion des politischen Umgangs mit der Gentechnik hatte eine Reihe von Stärken, aber auch Schwächen. Sie funktionierte so lange gut und hatte eine gewisse beruhigende Wirkung auf die Öffentlichkeit, wie die Gentechnik im Wesentlichen in abgeschlossenen Laboratorien stattfand und zwar als eine Technologie mit Zukunft galt, aber noch keine praktische Anwendungen hatte und in der Gesellschaft primär traditionelle Akteure wie Gewerkschaften oder die etablierten Parteien die Dynamik der Auseinandersetzung in der Politik bestimmten. Diese Konstellation sollte sich in den Achtzigerjahren dramatisch verändern. (10)
3. Die Phase der Übertreibungen
Anfang der Achtzigerjahre noch schien sich die Gentechnikdebatte nach den großen Debatten der Siebzigerjahre weitgehend beruhigt zu haben. Ein OECD-Bericht über die Gentechnik vermerkte zusammenfassend:
In the early 1970s, when the technology of genetic manipulation was first acquired, predictions of scientists ranged from panacea to pandemic. A public storm followed and it was not at all surprising that national authorities in many countries, having been told that this technology was capable of creating new forms of life and that scientists themselves had requested a moratorium for this type of research, responded by setting up groups and committees to consider the social and political acceptability of the risk. A public feeling of instinctive mistrust towards scientists promoting genetic engineering was widespread. However, finally after considerable public debate and advice from scientists, medical and epidemiological experts, the general conclusion has been reached that, provided suitable precautions are taken, the benefits of the technology far outweigh any conjectural risks. (11)
Doch eine Reihe von Entwicklungen verliehen der Gentechnikdebatte eine neue Dynamik und Dimension. Zunächst ist hier der Einsatz der Gentechnik außerhalb des abgeschlossenen Versuchslaboratoriums, insbesondere in der industriellen Großproduktion und im landwirtschaftlichen Bereich, zu nennen. Aber auch die Darstellung und Interpretation der Gentechnik in der Öffentlichkeit spielten eine wichtige Rolle in der Entstehung einer neuen Dynamik im Gentechnikkonflikt. Anfang der Achtzigerjahre hatte die Biotechnologieindustrie in den USA einen rasanten Start verzeichnet. Erste Erfolge in der industriellen Anwendung der Gentechnik durch neue mit Venture Capital finanzierten Unternehmen wie Genentech im Pharmasektor setzten sehr bald bei Investoren in den USA die Vision durch, dass mit der modernen Biotechnologie eine industrielle Revolution stattfindet, die vergleichbar mit der Revolution im Mikroelektronik- und Computerbereich ist. Die ersten greifbaren, wenn auch zarten Erfolge der Gentechnik in der industriellen Anwendung der Forschung wurden als erster Schritt einer sehr viel breiter angelegten ökonomischen Transformation interpretiert, durch den die “Hochtechnologie” Biotechnologie einen großen Industriesektor nach dem anderen – von der Medizin über den Pharmasektor, die Landwirtschaft, Bergbau, Chemie bis zur Nahrungsmittelproduktion – grundlegend verändern würde. Atemlose Prognosen über die Zukunft der Biotechnologie verbreiteten die Kunde von einer zukünftigen Welt, in der kein Stein auf dem anderen bleiben sollte, die Landwirtschaft vollkommen restrukturiert, das medizinische System auf neue Grundlagen gestellt würde und noch dazu Millionen von Jobs in der Biotechnologieindustrie entstünden. Die Manipulation genetischen Materials war in diesen Darstellungen zu einem zentralen Projekt der spätmodernen Gesellschaften geworden. (12)

Diese Vorhersagen sollten sich, wie ich ein wenig später im Detail erörtern werde, als heftige Übertreibungen erweisen, sie hatten aber unter anderem den Effekt, dass die skizzierte “Schöne-neue-Welt-der-Gentechnik” nicht nur Hoffnung bei Investoren, sondern auch zunehmend Ängste bei vielen gesellschaftlichen Gruppen erzeugte, die begannen, die Gentechnik und ihre möglichen Auswirkungen in einer ähnlichen Weise zu überschätzen und zu überzeichnen, wie das vor ihnen, wenn auch mit anderen Vorzeichen, die befürwortenden Propheten der Gentechnik getan hatten.

Eine weitere wichtige Entwicklung in den Achtzigerjahren war der Aufstieg des ökologischen Diskurses, in dessen Zentrum eine Neukonzeptualisierung des Verhältnisses Mensch – Natur stand und der sich mit unterschiedlichen Fragen wie dem Umgang mit natürlichen Ressourcen bis zum Problem der verantwortungsvollen Veränderung von Natur befasste. Dieser ökologische Diskurs bildete einen wichtigen Bezugs- und Orientierungsrahmen für eine Reihe neu auftretender politischer Akteure, die neuen sozialen Bewegungen, die im Laufe der Siebzigerjahre entstanden und in den Achtzigerjahren eine Konsolidierungsphase durchmachten, was sich etwa durch die Wahl Grüner Parteien in die Parlamente in der Bundesrepublik Deutschland oder Österreich ausdrückte. (13) Ausgehend von Deutschland, aber durchaus auch in vielen anderen Industrieländern, begannen sich in den Achtzigerjahren diese neuen politischen Akteure kritisch mit der Gentechnik auseinanderzusetzen und entwickelten eine differenzierte Ablehnungsfront gegenüber der Idee einer durch die Gentechnik grundlegend transformierten Gesellschaft.

Ein ganz zentraler Ansatzpunkt für die Kritiker waren die ersten so genannten Freisetzungsexperimente in der Gentechnik, also Freilandversuche mit gentechnisch veränderten Pflanzen wie Tomaten oder Erdäpfeln auf landwirtschaftlichen Nutzflächen. Die Opposition rieb sich an solchen als höchst gefährlich empfundenen Experimenten, knüpfte aber auch, wie schon gesagt, an den im Grunde wenig realistischen “Schöne-neue-Welt- der-Gentechnik”-Fantasien der Befürworter der Gentechnik an. (14) Effekte dieser Opposition waren verstärkte Regulierungsbemühungen betreffend die Praxis der Gentechnik, das Verbot bestimmter Produkte, wie etwa in Europa des gentechnisch produzierten Rinderwachstumshormons rBST, aber auch eine gewissen Öffnung der Risikoregulierungsprozesse über Partizipation durch eine breitere Öffentlichkeit. (15) Bereits in der zweiten Hälfte der Achtzigerjahre sahen sich Vertreter der “Schönen-neuen-Welt-der-Biotechnologieindustrie” nach dem Abflauen der Gentechnikdebatte gegen Ende der Siebzigerjahre etwas überraschend mit einer bunten Vielfalt von Kritikern und Gegnern der Gentechnik konfrontiert, die nicht nur umfassende Forderungen wie ein totales Moratorium für die Freisetzung gentechnisch manipulierter Organismen stellten, sondern auch im Laufe der Achtzigerjahre zu einem gesellschaftlichen Machtfaktor geworden waren und zunehmend in Parlamente gewählt wurden, wie etwa die Grünen in der Bundesrepublik, oder sogar an der Regierung teilnahmen, wie die Grünen in Frankreich während Mitterands Amtszeit.
4. Die Phase des Einholens der Fantasien durch die widersprüchlichen Realitäten
In den Neunzigerjahren begann sich langsam der Rauch der oft hitzigen Auseinandersetzungen und Übertreibungen der Achtzigerjahre zu lichten. Bestimmte, noch vor einiger Zeit heftig umstrittene Argumente oder Forderungen wurden zunehmend als “gesellschaftliche Realitäten” akzeptiert und es wurde ihnen eine gewisse Berechtigung eingeräumt. Schließlich kam es vor dem Hintergrund von rund zwanzig Jahren Forschung und Entwicklung in der Gentechnik zu einer Reihe wichtiger Neuinterpretationen der “Realitäten” der Potenziale und Fähigkeiten der Gentechnik.

Zunächst wurde im Laufe der Neunzigerjahre die Wirklichkeitskonstruktion, die Gentechnik sei eine “Hochtechnologie” mit ähnlich breit wirkenden transformativen Potenzial wie etwa die Halbleitertechnologie, zunehmend problematisch. Der ursprünglichen Einschätzung der Gentechnik als “Hochtechnologie” war eine eher unpräzise Definition von “Hightech” zugrunde gelegen. Das Problem der meisten “Hochtechnologie”-Definitionen besteht darin, dass sie in erster Linie Innovation-Inputs, nicht aber Innovation-Outputs messen. Ein hoher Innovation-Input erzeugt nicht notwendigerweise einen hohen Innovations-Output. Sinnvoller ist es, zwischen weit verbreiteten und neu entstehenden Technologien zu unterscheiden. Weit verbreitete Technologien wie die Mikroprozessorentechnologie finden Anwendung in einer Vielzahl von Anwendungsbereichen und haben eine klare Auswirkung auf die Gesamtökonomie (16). Die im Produktbereich stattfindende Konzentration der Gentechnik auf medizinische Diagnostika und Therapeutika sowie die langsame Entwicklung im Agrarbereich ließen damit ihre Charakterisierung als “weit verbreitet” zumindest in der Phase der Achtziger- und Neunzigerjahre als überzogen erscheinen. Die Gentechnik schien in keiner Weise das geleistet zu haben, was sie ursprünglich versprochen hatte, nämlich eine Art von Revolution in vielen Bereichen von der Pharmaindustrie bis zur Landwirtschaft und die Schaffung von “Millionen Jobs” in den unter schiedlichsten Bereichen der Wirtschaft.

Heute ist in der Biotechnologieindustrie viel die Rede von “Research Bottlenecks” und den enormen Schwierigkeiten, den Weg von der ersten Grundidee betreffend ein Produkt und dessen tatsächlicher Vermarktung zu gehen. Ein deutliches Zeichen dieses “langen und gewundenen Wegs zum Markt” sind die jährlichen Statistiken über “Product Failures”, also die Aufgabe der Entwicklung oft vielbeworbener neuer Medikamente in der Biotechnologieindustrie. In der Tat ist die Anzahl der heute verfügbaren gentechnischen Produkte im Pharmabereich nach wie vor äußerst gering und es gibt noch – abgesehen von raren Ausnahmen wie dem US-Unternehmen Genzyme – kaum profitable neugegründete Biotechnologieunternehmen. War eine solche eher pessimistische Einschätzung der Biotechnologieindustrie in den Achtzigerjahren noch fast ein häretischer Akt, findet sich heute diesbezüglich zunehmend ein Konsens. Erst jüngst wurde dieser Umstand beim Forum Biovision, einer großen internationalen Gentechniktagung mit führenden Vertretern aus Forschung und Industrie, hervorgehoben. Anlässlich dieser Tagung sprach der Nobelpreisträger David Baltimore von der Notwendigkeit einer Neuorientierung der gentechnischen Forschung und hob insbesondere hervor, dass die heutige Forschung in der Gentechnik sich immer mehr auf die Kartografie des menschlichen Genoms konzentriere und sich nicht genügend für die Zelle interessiere. (17)

Was Baltimore damit indirekt ansprach, war die heute immer stärker in den Vordergrund rückende Problematik der epistemologischen Dominanz des zentralen Dogmas der Molekularbiologie in der Forschung, ein Dogma, das davon ausgeht, dass eine DNA-Sequenz immer entweder direkt für ein bestimmtes Protein kodiert oder dass diese DNA-Sequenz für ein benachbartes Segment notwendig ist, das dann das Protein kodiert. Dieses “DNA -> mRNA -> Protein -> alles-andere (wie Krankheiten etc.)-Dogma” weist aber eine Reihe von Problemen auf. Die meisten wichtigen Krankheiten, von denen viele Menschen betroffen sind, wie Krebs, Herzkreislauf-Krankheiten und die meisten psychologischen Krankheiten haben nicht ein bestimmtes Gen bzw. einen Defekt dieses Gens als Ursache. Die meisten Krankheiten sind polygenetisch determiniert, sind komplex im Entstehungsverlauf und untrennbar mit Umweltfaktoren verbunden. Diese Komplexität kann aber vom reduktionistischen Paradigma der Molekularbiologie, das in erster Linie auf das Ein-Gen-eine-Krankheit-Muster fixiert ist, schlecht in den Griff gebracht werden. (18) Die erwähnten Probleme bei der Produktentwicklung im Medikamentenbereich stehen damit in einem gewissen Zusammenhang. Aber es ist auch bemerkenswert, dass es nach wie vor, trotz vielfacher Ankündigungen, keine Beispiele erfolgreicher Gentherapie gibt, nicht einmal im Bereich der monogenetischen Krankheiten wie Cystis Fibrosis. (19) Es überrascht daher nicht, dass heute in der gentechnischen Forschung, aber auch in der Produktentwicklung jene Bereiche an Gewicht und Prominenz zu gewinnen beginnen, die mit “Genomik” und “Proteomik” umschrieben werden, wobei es bei der Genomik um die Charakterisierung und Sequenzierung des Genoms und der Beziehung zwischen Genaktiviät und Zellfunktion geht, während es bei der Proteomik um die systematische Erstellung von Proteinprofilen geht, ähnlich wie das die Genomik für das Genom getan hat. Die Idee von Genomik und Protenomik ist es, ein präziseres Verständnis des Zusammenhangs Gene – Krankheiten zu entwickeln und darauf aufbauend neue Therapiestrategien zu entwickeln. (20) Heute zählen innerhalb der Biotechnologieindustrie Genomik und Protenomik zu jenen Bereichen, mit denen die größten Hoffnungen auf völlig neuartige Produkte und Gesundheitsstrategien verbunden werden, was auch in dem eingangs skizzierten Zitat des Herausgebers von Science gut zum Ausdruck kommt, der ja sogar von einer “Genomics Revolution” ähnlich der industriellen Revolution gesprochen hat. Doch gilt für die Genomik genau das, was auch generell für die Gentechnik gilt: Zumindest zurzeit stehen einem immer größeren theoretischen Wissen über die menschliche Genetik nach wie vor sehr begrenzte Therapiemöglichkeiten gegenüber. (21)

Die erwähnten Misserfolge der Gentechnik haben aber nicht nur zu einer abklärenden Nachdenkphase und Reorientierung bei einer Reihe von Forschern und Unternehmen geführt. Paradoxerweise haben genau diese “Engpässe” der molekularbiologischen Forschung im medizinischen Bereich in jüngster Zeit gentechnischen Strategien zu neuem Leben verholfen, die aufgrund tiefster ethischer Bedenken in der Vergangenheit stets zurückgewiesen wurden: Zu nennen ist hier die genetische Keimbahntherapie, also gentherapeutische Eingriffe, die nicht nur wie im Falle der somatischen Gentherapie an den Genen des Einzelnen manipulierend eingreifen, ohne dass diese Manipulationen vererbt werden könnten, sondern im Gegenteil an den Ei- und Samenzellen ansetzen und somit ins Erbgut eingreifen. Bei einem Symposium in Los Angeles mit dem Titel Engineering the Human Genome im März 1998 kamen berühmte Mediziner und Molekularbiologen wie James Watson und W. French Anderson zusammen, um die Zukunft der Gentherapie zu diskutieren. Wie die Frankfurter Allgemeine in einem Bericht zum Symposium lakonisch anmerkte: “Es ging nicht um die Frage, ob die Gesellschaft den Schritt zur Keimbahntherapie wagen sollte, sondern nur um das Wann und Wie.” (22) Eine wichtige Motivation für diese Überlegungen waren, einfach gesprochen, die bisherigen Misserfolge in der somatischen Gentherapie, auf die man, so James Watson, “warten könne, bis die Sonne erlischt”. Das Plädoyer der Tagung für die “technisch einfacher” durchzuführende Keimbahntherapie, die in den letzten Jahren insbesondere bei Mäusen perfektioniert wurde, ist aber auch als Teil eines größeren Diskurszusammenhanges zu sehen, der sich in den letzten Jahren herausgebildet hat und in dessen Zentrum die uns aus der Geschichte der Molekularbiologie nicht ganz unbekannte Figur vom gentechnisch “optimierten Menschen” steht, der glücklicher, erfolgreicher und gesünder durch das Leben schreitet als die heute üblichen Exemplare. Wie es ein anderer prominenter Gentechnikforscher, Leroy Hood, einer der Väter des Humangenomprojektes, ausdrückte: “We could probably engineer people totally resistant to AIDS, or to certain kinds of cancer. We might engineer people to live much longer. I would say these are good qualities.” (23) Leroy Hoods Aussagen und das Engineering the Human Genome-Symposium zeugen von einem ungebrochenen “Revolutionsgeist” in der Gentechnik, der, wie wir ja wissen, schon in der Vergangenheit zu starken Polarisierungen geführt hat, und steht meiner Auffassung durchaus im Widerspruch zu der heute genauso anzutreffenden besonneneren Argumentationslinie der Vertreter von Gentechnik-Forschung und Entwicklung.

Die “Phase der vielschichtigen Realitäten” der Gentechnik, die Neunzigerjahre, bieten also betreffend die Entwicklung und Anwendung der Gentechnik ein durch und durch ambivalentes Bild. Zum einen finden wir immer noch die wohlbekannte Revolutionsmetaphorik im wissenschaftlichen Diskurs. Die Achtzigerjahre sind aber auch eine Phase der Ernüchterungen, in der, nach fast 25 Jahren Gentechnikentwicklung, die bisherigen Misserfolge sichtbar und auch breit zur Kenntnis genommen wurden. Gleichzeitig kann die Gentechnik auch viele Erfolge vorweisen, von gentechnisch manipulierten Agrarprodukten bis zur Sequenzierung des menschlichen Genoms und, in engem Bezug dazu, bis zur Ausbildung eines ausdifferenzierten gentechnischen Testsektors in der pharmazeutischen Industrie.

Ein anderer wichtiger Aspekt der “Phase der Realitäten” ist der heute insbesondere in den westlichen Industrieländern zur Struktur gewordene Widerstand gegen die Gentechnik. War in den Siebzigerjahren die Aufregung um die Gentechnik noch als “übersteigerte Reaktion” einer Minderheit abqualifiziert worden und schien in den Achtzigerjahren insbesondere im deutschsprachigen Bereich und in Dänemark die Kritik an der Gentechnik noch stark mit grünen Parteien und Gruppierungen assoziiert zu sein, so zeigen eine Reihe von Umfragen in den letzten Jahren sehr deutlich, dass heute große Teile der Bevölkerung sowohl in den USA wie auch in Europa – und hier noch stärker – der Gentechnik Ablehnung und Skepsis entgegenbringen. Diese Ablehnung variiert von Land zu Land und von Anwendungsbereich zu Anwendungsbereich. So scheint etwa die Stimmung der Bevölkerung gegenüber der Gentechnik in den USA positiver zu sein als in Europa und generell die Akzeptanz medizinischer Anwendungen der Gentechnik höher als der Einsatz gentechnischer Methoden in der Herstellung von Nahrungsmitteln. (24) Es bleibt aber die Frage, wie in der Demokratie mit diesem Ablehnungs- bzw. Kritikpotenzial gegenüber der Gentechnik umgegangen werden soll, ein Ablehnungspotenzial, das weder als ein temporäres noch ein subkulturelles Phänomen zu begreifen ist.
5. Zum politischen Umgang mit der Gentechnik: Verwaltungsroutine oder demokratiepolitische Fantasie?
Konflikte über den Einsatz bestimmter Technologien tendieren oft zur Erzeugung polarisierter politischer Landschaften. Bestimmte Technologien wie etwa die zivile Nutzung der Atomkraft erzeugen sozusagen von selbst Ja/Nein-Situationen des Entscheidens. Entweder akzeptiert man die Nukleartechnologie als Standbein der Energieerzeugung oder man akzeptiert sie eben nicht, dazwischen gibt es wenig Spielraum für eine Kompromissfindung. Andere Technologien wie etwa die Gentechnik erlauben prinzipiell sehr viel mehr Spielraum für die Entscheidungsfindung, die politische Debatte nahm aber über weite Strecken trotzdem oft polarisierte Formen an, bei denen die Gegner oft zu einer Fundamentalablehnung der Gentechnik von der Landwirtschaft bis zur Medizin neigten, die Befürworter sich dagegen als Spiegelbilder der Gegner darstellten und in der Gentechnik einen einzigartigen Segen für die Menschheit erblickten. Beide Gruppen tendierten zu Herabsetzung des Gegners, wobei die einen als gewissenlos-naive, gefährliche Technikfetischisten auftreten müssen, die anderen als Anhänger der Steinzeit, die die Menschheit bedeutender Errungenschaften berauben wollen.

Ist eine Technologie einmal zum Konfliktstoff geworden, wird bald die Politik ins Spiel gebracht, die den Umgang mit der kontroversiellen Technologie regulieren soll, sei es nun im Sinne der Befürworter oder der Gegner. Damit werden die im technisch-wissenschaftlichen oder im industriellen Feld entstandenen Konflikte im politisch-staatlichen Feld fortgesetzt, oft zwischen den Feldern hin- und hergeschoben, wobei als Resultat solcher Konfliktreisen die Grenzlinien zwischen Wissenschaft/Technologie, Wirtschaft und Politik/Staat häufig sehr unscharf werden. Wissenschafter und Unternehmer treten als Politiker auf, Politiker als Wissenschafter und das Ergebnis solcher Travestien ist oft Verwirrung und weitere Polarisierung des Konflikts. (25) Eine Kompromisslösung wird unter solchen Bedingungen schwierig, wenn nicht unmöglich. Der Konflikt um die Gentechnik ist eine ausgezeichnete Illustration dieses demokratiepolitischen Dilemmas.

Wie schon erwähnt, wurde die Gentechnik gewissermaßen im Konflikt geboren, war also schon in ihrer frühesten Entwicklungsphase Gegenstand von Kontroversen. Die verschiedenen Aktivitäten und Errungenschaften – von der Arbeit im Laboratorium bis zur Freisetzung gentechnisch manipulierter Organismen und zum Verkauf gentechnisch modifizierter Nahrungsmittel – sahen sich historisch gesehen zunächst mit kategorischer Ablehnung und Verbotsforderungen konfrontiert, wurden später Gegenstand von rechtlichen Regulierungsmaßnahmen, denen häufig eine Phase institutionalisierter Deliberation vorangegangen war. Nachdem die ersten gentechnischen Experimente erfolgreich durchgeführt worden waren, erhoben etwa in den USA zunächst Gruppen von Wissenschaftern die Forderung nach einem Moratorium für die gentechnische Forschung. Nachdem die ersten gentechnischen Experimente erfolgreich durchgeführt worden waren, erhoben in den USA zunächst Gruppen von Wissenschaftern die Forderung nach einem Moratorium für die genetische Forschung. Diese Forderung nach einem Forschungsstopp wurde bei der Konferenz von Asilomar von 1975, die potenziellen Risken der Gentechnik und Strategien der Risikobegrenzung diskutierte, zurückgenommen. Seit Asilomar beschränkten sich Verbote nur auf bestimmte Experimentengruppen, deren Zahl aber im Laufe der Zeit immer mehr verringert wurde. Ein Resultat der Asilomar-Konferenz war die Einrichtung des Recombinant DNA Advisory Committees (RAC) in den USA, das Richtlinien für den Umgang mit der Gentechnik im Laboratorium entwickelte. In Großbritannien wurde 1974 zunächst die so genannte Ashby Working Group eingerichtet, deren Aufgabe darin bestand nachzudenken, ob und falls ja in welcher Weise der Staat bei der Regulierung der Gentechnik eingreifen sollte. Später wurde das Williams Committee gegründet, das ähnlich wie in den USA eine Art von regulatorischer Behörde konzipierte, die Genetic Manipulation Advisory Group (GMAG), die in der Folge in Großbritannien ein System der Gentechnik-Regulierung entwickelte und überwachte. Während der Siebzigerjahre wurden dann in allen westlichen Industriestaaten Systeme des staatlich überwachten Umgangs mit den Risken der Gentechnik im Laboratorium aufgebaut, die mehr oder weniger dem US-Regulierungmodell ähnelten. (26)

Die Achtziger- und Neunzigerjahre brachten dann neue Herausforderungen für den politischen Umgang mit der Gentechnik. Es gab Fortschritte in der Gentechnik, etwa den verstärkten Einsatz gentechnischer Methoden in der Industrie, einen zunehmenden Einsatz der Gentechnik in der industriellen Großproduktion, es wurden erste Experimente der Freisetzung gentechnisch manipulierter Organismen in die Umwelt durchgeführt und das große Projekt der Totalsequenzierung des menschlichen Genoms begonnen. Gleichzeitig hatten in Europa in der Phase der Achtzigerjahre die Grünparteien und eine Vielzahl neuer basisdemokratischer Bewegungen einen starken Aufschwung genommen und mit neuen, häufig unkonventionellen Mitteln die traditionelle Politik herausgefordert, unter anderem im Bereich der Biotechnologie. War in den Siebzigerjahren die grundsätzliche Frage “Gentechnik – ja oder nein?” im Vordergrund der Debatte gestanden, rückten nun spezifischere Fragen ins Zentrum der Debatte, wie die Frage eines Moratoriums für Freisetzungen, die Problematik des Humangenomprojekts oder die Anwendung der Gentechnik in der Medizin.

In dieser Phase beobachten wir dann insbesondere in Europa einen verstärkten Einsatz durchaus innovativer, fantasievoller demokratiepolitischer Instrumente, wie in der Bundesrepublik Deutschland die Einsetzung der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages über “Chancen und Risken der Gentechnologie”, die von 1984 bis 1986 über zwei Jahre lang mit großem Aufwand die Pros und Kontras der Gentechnik in allen relevanten Bereichen durchdiskutierte, oder die Enquete-Kommission zur Gentechnik des österreichischen Parlaments, die mit weniger großem Aufwand, aber doch mit viel Einsatz Gentechnik als politisch-gesellschaftliches Phänomen thematisierte. In Dänemark und in den Niederlanden wurden “Dialog-Modelle” bzw. “Biotechnologie-Konsultationsgruppen” eingerichtet, die einen Diskurs zwischen Gegnern und Befürwortern der Gentechnik fördern sollten. In Frankreich kam es 1998 zur Einrichtung eine “Bürgerkonferenz”, die vom parlamentarischen Technologiefolgenabschätzungsbüro veranstaltet wurde. Für diesen Zweck hatte ein Meinungsforschungsinstitut 14 “Durchschnittsbürger” ausgewählt, die dann zwei Tage lang unter Beiziehung von Experten über die Probleme und Herausforderungen der Gentechnik diskutierten und schließlich zu einem “Urteil” betreffend politischer Handlungsnotwendigkeiten in Sachen Gentechnik kamen. (27)

Trotz dieser politischer Entwicklungen und Schritte ist es wohl keine Übertreibung, wenn man festhält, dass die Debatte über die Gentechnik und ihre Institutionalisierung in Form einer Reihe von Kommissionen, rechtlichen Regelungswerken und innovativen Deliberationsorganen nach wie vor nicht beigelegt ist, ja, dass sich fast der Eindruck aufdrängt, insbesondere in Europa wäre der Höhepunkt der Gentechnikdebatte noch gar nicht erreicht. Die Gründe für diese Situation sind vielfältig.

Zunächst ist es bislang nicht überzeugend gelungen, die Gentechnik offen in einer breiten gesellschaftlichen Debatte mit klaren politischen Folgen zu thematisieren. Insbesondere die fantasievollen Politikinstrumente wie die erwähnten “Bürgerkonferenzen” oder Enquete-Kommissionen haben sich in der Vergangenheit durch eine gewisse politische Folgenlosigkeit ausgezeichnet, insofern als die Debatte und der Diskurs in diesen Einrichtungen zwar lebendig war, aber nicht in erkennbare politische Entscheidungen mündete. Zwar ließ man die verschiedenen diskursorientierten Einrichtungen werken, die eigentlichen Entscheidungen wurden häufig von anderen Akteuren, z. B. von Beamten auf Verwaltungs- oder Regierungsebene im Routineverfahren und ohne Bedachtnahme auf die Arbeit der diversen deliberativen Organe getroffen. Illegale Freisetzungen gentechnisch manipulierter Organismen in einer Reihe von Ländern, Versuche von Konzernen wie Monsanto, dem Konsumenten durch eine Vermischung gentechnisch manipulierter mit nicht-gentechnisch hergestellten Sojabohnen die Möglichkeit der Wahl zwischen gentechnisch manipulierten und nicht-gentechnisch erzeugten Produkten aus der Hand zu nehmen, taten – zusammen mit Skandalen wie die BSE-Affäre, die zwar nicht die Gentechnik betrafen, aber das Vertrauen in Regulierungsbehörden zutiefst erschütterten – das Ihre, um bei einem Großteil der Bevölkerung eine tiefe Skepsis gegenüber der Gentechnik zu fördern.

Diese Skepsis wurde gerade durch jenen Argumentationsstil der so genannten Befürworter der Gentechnik verstärkt, die häufig Nachdenklichkeit und Misstrauen als Ignoranz und Dummheit abkantzeln. Gerade diese Taktik stabilisierte einen politischen Antagonismus, der in der häufig anzutreffenden Intransingenz der Gegner der Gentechnik sein Ebenbild fand. Derartige Antagonismen in der Politik sind nur durch das zu überwinden, was Chantal Mouffe die Transformation des politischen Antagonismus in einen agonistischen Pluralismus nennt, agonal im Sinne des griechischen Agons, des sportlichen oder geistigen Wettkampfes, was eine wechselseitige Anerkennung des Gegners und Respekt für unterschiedliche Positionen ohne Aberkennung der grundsätzlichen Legitimität des Anderen impliziert. Was wir also in Zukunft benötigen, ist eine neue Kultur des Aushandelns der Gegenwart und Zukunft der Gentechnik, eine neue Kultur, die weniger durch Utopien und Übertreibungen als durch Gelassenheit, politische Fantasie und Vertrauen in die Demokratiefähigkeit der Bürger geprägt ist. Wenn es auch richtig ist, dass heute die Gentechnik von niemand mehr aufgehalten werden kann, gilt es auch zu sehen, dass die Gentechnik auch kaum der Gesellschaft aufgezwungen werden kann, weder von Regierungen noch von Konzernen. Diese Spannung in ein politisches Gespräch zu transformieren, das auch in konkrete politische Entscheidungen mündet, wird eine der großen Herausforderungen für die Gentechnikpolitik der Zukunft sein.

(1)
Abelson, Philip H., A Third Technological Revolution.Science, Vol 279, 27 March 1998, S. 2019. zurück

(2)
Judson, Horace Freeland, The Eigth Day of Creation,New York: Simon & Schuster, 1979, S. 201 zurück

(3)
Gottweis, Herbert, Governing Molecules: The Discursive Politics of Genetic Engineering in Europe and in the United States, Cambridge, Mass.: MIT Press, 1998, S. 153–163; Tetelman, Robert, Profits of Science. The American Marriage of Business and Technology, New York: Basic Books, 1994, S. 183 zurück

(4)
Siehe etwa Krimsky, Sheldon, Genetic Alchemy. The Social History of the Recombinant DNA Controversy, Cambridge, Mass.: MIT Press, 1982 zurück

(5)
Gottweis, ibid. zurück

(6)
Gordon, Wolstenholme, Man and His Future, A Ciba Foundation Volume, The Ciba Foundation, London: J.&A Churchill, 1963 zurück

(7)
Rheinberger, Hans-Jörg, Experiment, Difference, and Writing, Part I; Tracing Protein Synthesis, Part II: The Laboratory Production of Transfer RNA. Studies in History and Philosophy of Science, Vol. 23, 1992, S. 305–331 und 389–422; Rheinberger, Hans Jörg. Experiment, Differenz, Schrift: Zur Geschichte Epistemischer Dinge, Marburg/Lahn: Basilisken Presse, 1992 zurück

(8)
Interview mit Paul Berg, 17. Mai 1975, The Libraries-MIT, Institute Archives and Special Collection, Recombinant DNA History Collection. zurück

(9)
Gottweis, ibid., S. 77–152 zurück

(10)
Gottweis, ibid., S. 147–152 zurück

(11)
OECD, Bull, Alan T.; Holt, Geoffrey; Lilly, Malcolm D., Biotechnology. International Trends and Perspectives, Paris: OECD, 1982, S. 60 zurück

(12)
Gottweis, ibid., S. 157–159 zurück

(13)
Hajer, Maarten A., The Politics of Environmental Discours: Ecological Modernization and the Policy Process, Oxford: Oxford University Press, 1995, im Druck; Spaargaren, Gert; Mol, Arthur P.J., Sociology, Environment, and Modernity: Ecological Modernization as a Theory of Social Change. Society and Natural Ressources, Vol. 5, 1992. S. 323–344, 328–329

World Commission on Environment and Development, Our Common Future, Oxford: Oxford University Press, 1987; Simonis, Udo E., Ecological Modernization of Industrial Society: Three Strategic Elements. International Social Science Journal, Vol. 41, S. 347–361; Huber, Joseph, Die Regenbogengesellschaft: Ökologie und Sozialpolitik, Frankfurt am Main: Fischer Verlag, 1985; Tesier, Robert, Ethique Environmentale et Théorie du Fait moral chez Durkheim. Social Compass, Vol. 40, 1993. S. 437–449; Tschannen, Olivier; Hainard, François, Sociologie et Environment: Tropismes Disciplinaires ou Nouveau Paradigme? Schweizerische Zeitschrift für Soziologie, Vol. 19, 1993, S. 421–443 zurück

(14)
Levin, Mores; Strauss, Harlee S., Introduction: Overview of Risk Assessment and Regulation of Environmental Biotechnology. In Levin, Mores; Strauss, Harlee S., Risk Assessment in Genetic Engineering, New York: McGraw Hill, 1991, S. 1–17; Brill, Winston J., Safety Concerns and Genetic Engineering in Agriculture. Science, Vol. 227, 1985, S. 381–384; Colwell, Robert; Norse, Elliot; Pimentel, David; Sharples, Frances; Simberloff, Daniel, Genetic Engineering in Agriculture. Science, Vol. 29, 1985, S. 111–112; Sharples, Frances E., Regulation of Products from Biotechnology. Science, Vol. 235, 1987, S. 1329–1332; Davis, Bernard D., Bacterial Domestication: Underlying Assumptions. Science, Vol. 235, 1987, S. 1329–1335
Tiedje, James M.; Colwell, Robert K.; Grossman, Yaffa L.; Hodson, Robert E.; Lenski, Richard E.; Mack, Richard N.; Regal, Philip, The Planned Introduction of Genetically Engineered Organisms: Ecological Considerations and Recommendations. Ecology, Vol. 70, 1989, S. 298–315, 298; Hagerdorn, Charles; Potential and Risk in Commercial Use of Microorganisms. Forum for Applied Research and Public Policy, Vol. 4, 1989, S. 84–91; Van Elsas; J.D.; Trevors, J. T., Environmental Risks and Fate of Genetically Engineered Microorganisms in Soil. Journal of Environmental Science and Health, Vol. 26, 1991, S. 981–1001; Regal, P. J., Scientific Principles for Ecologically Based Risk Assessment of Transgenic Organisms. Molecular Ecology, Vol. 3, 1994, S. 5–13; Abbott, Richard J., Ecological Risks of Transgenic Crops. Ecology and Evolution, Vol. 9, 1994, S. 280–282; Ryder, Maarten, Key Issues in the Deliberate Release of Genetically Manipulated Bacteria. FEMS Microbiology Ecology, Vol. 15, 1994, S. 139–146 zurück

(15)
Gottweis, ibid., S. 318–321 zurück

(16)
McArthur, R., Replacing the Concept of High Technology: Towards a Diffusion-based Approach. Environment and Planning A, Vol. 22,1990, S. 811–828 zurück

(17)
Perez, Alain, Les Biotechnologies en mal de financement et de respectabilité. Les Echos, 30. März 1999 zurück

(18)
Strohman, Richard C., Ancient Genomes, Wise Bodies, Unhealthy People: Limits of a Genetic Paradigm in Biology and Medicine. Perspectives in Biology and Medicine, Vol 37, 1993, S. 112–145, 117 zurück

(19)
Smglik, Paul, Gene Theraphy. The Next Generation. The Scientist, Vol 12; May 11, 1998; Zipkin, Ilan, Cystis Fibrosis: Falling the Test Case? The Berstein Report on BioBusiness, March 29, 1999, S. 17 zurück

(20)
Aldrige, Susan, Proteomics Complemenatary to Genomics. Genetic Engineering News, Vol 18, January 15, 1998; Brown, Patrick O.; Hartwell, Leland, Genomics and Human Disease. Variations on Variation. Nature Genetics, Vol 18, February 1998, S. 91–93; Persidis, Aris, The Business of Pharmacogenomics. Nature Biotechnology, Volume 16, February 1998, S. 209–210 zurück

(21)
Cohen, Jon, The Genomics Gamble: Biotechnology Betting on the Genome. Science, Vol 275, February 7, 1997, S. 767–772; Schafer, Alan J.; Hawkins, J. Ross, DNA Variation and the Future of Human Genetics. Nature Biotechnology, Vol. 16, January 1988, S. 33–39 zurück

(22)
Frankfurer Allgemeine Zeitung, 29. 7. 98 zurück

(23)
Taylor, Robert, Superhumans: Like It Or Not, In a Few Short Years We’ll have the Power to Control Our Own Evolution. New Scientists, October 3, 1998, S. 25–29, 29; Gordon, Jon W., Genetic Enhancement in Humans. Science, Vol. 283, S. 2023–2024 zurück

(24)
Commission of the European Communities, Eurobarometer 35.1 Biotechnology, June 1991; Zechendorf, Bernhard, Public Opinion on Biotechnology. Manuscript, Brussels 1992; Büro für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB), Gentechnologie und Genomanalyse aus der Sicht der Bevölkerung. Ergebnisse einer Bevölkerungsumfrage des TAB. TAB-Diskussionspapier Nr. 3, Bonn 1992 zurück

(25)
Jasanoff, Sheila, The Fifth Branch: Science Adivsers as Policymakers, Cambridge, Mass.: Harvard University Press, 1990 zurück

(26)
Gottweis, ibid., S. 77–126 zurück

(27)
Catenhusen, Wolf-Michael; Neumeister, Hanna (Hrsg.), Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages, Chancen und Risken der Gentechnologie. Dokumentation des Berichts an den Deutschen Bundestag, München: Schweitzer Verlag, 1987; Behrens, Maria; Meyer-Stumborg, Sylvia; Simonis, Georg, Gen Food. Einführung und Verbreitung, Konflikte und Gestaltungsmöglichkeiten, Berlin: Edition Sigma, 1997; Les citoyes appellent à la prudence face aux plantes transgéniques. Le Monde, 23. Juni 1998 zurück