Die Komplexität des Tissue Engineering: Biopolitik, Biotechnologie und der regenerierbare Körper
'Eugene Thacker
Eugene Thacker
Die Förderung der Gewebs- und Organentwicklung mittels Wachstumsfaktoren ist zweifellos ein großer Schritt vorwärts, verblasst aber neben dem ultimativen Ziel des Tissue Engineering, nämlich der Erzeugung ganzer neuer Organe aus dem Nichts. Die Sciencefiction-Konzeption von vorgefertigten “Ersatzteilen” nimmt heute in Versuchen Gestalt an, direkt in den Körper Zellen einzupflanzen, die sich zu den jeweils benötigten Körperteilen entwickeln sollen.
(Dr. David J. Mooney und Dr. Antonios G. Mikos) (1)
Hautoperationen Im Mai 1998 erteilte die FDA (Food & Drug Administration) die Zulassung für ein Produkt namens “Apligraf”, ein von der Biotechnik-Firma Organogenesis entwickeltes organisches, künstlich gezüchtetes Hautprodukt. (2) Apligraf ist der erste künstlich erzeugte Körperteil “von der Stange”, der von der FDA zugelassen wurde, und wird gegenwärtig in medizinischen Einrichtungen selektiv zur Behandlung von Beingeschwüren und allgemeinen Hautverbrennungen eingesetzt. Derartige Projekte basieren primär auf der Zellbiochemie und Stammzellenforschung, d. h. der Beschäftigung mit jenen Zellen, die die Fähigkeit besitzen, sich zu bestimmten Zelltypen (Blutzellen, Nervenzellen, Muskelzellen, Knochenzellen, Hautzellen) auszudifferenzieren. Einfach gesagt untersuchen die Wissenschaftler gegenwärtig, wie man die Zellen des Körpers dazu bewegen kann, sich wieder so zu vermehren und zu entwickeln wie in der Anfangsphase der Embryonalentwicklung. Durch Entnahme von Zellproben, das Klonen derselben und deren Aufbringung auf Trägerstrukturen, die in ein Wachstumsmedium eingetaucht sind, “brauen” die Wissenschaftler jene Zellen zusammen, die – zumindest potenziell – zu einem neuen Flecken Haut oder zu einem neuen Organ heranwachsen. Diese Technik, die allgemein als “Tissue Engineering” (im Folgenden kurz als “TE” bezeichnet) bekannt ist, verspricht nicht nur die Möglichkeit, ganze Organe und sogar Gliedmaßen herzustellen, sondern betont – zumal die Projekte von Universitäten, Regierungsorganisationen und kommerziellen Biotechnik-Firmen getragen werden – auch die praktische Notwendigkeit derartiger Forschung für die Bereiche Transplantation, Immunologie und die Medizin ganz allgemein. Tissue Engineering ist keine Spekulation, sondern stellt eine Reihe von Verfahren dar, die jetzt schon im Gesundheitswesen und in der Medizin sowie in einer Reihe klinischer Versuche und medizinischer Experimente angewandt werden.
Wie im vorliegenden Beitrag dargelegt wird, bedeutet TE nicht, dass das Natürliche von der Technologie ausgeschaltet oder vereinnahmt wird, sofern wir unter dem “Natürlichen” eine essenzialistische, prädiskursive Auffassung “des Körpers an sich” verstehen. Beim TE geht es auch nicht um eine Abwertung des Körpers, weder zu einem mechanistischen Objekt, das vom Selbst verschieden ist, noch zum unerquicklichen Zustand des “Fleisches”. Beim TE geht es vielmehr um ein Bekenntnis und eine Neudefinition des “Natürlichen” als historisches und soziales Konstrukt, das in seinen verschiedenen Applikationen sehr reale, materielle Auswirkungen hat. In diesem Sinne ist das TE an der medizinischen, philosophischen und politischen Konstruktion dessen beteiligt, was die biomedizinische Wissenschaft als Körper definieren wird. Eine der Grundfragen beim TE wird diese Neudefinition von Normen, Natur und Gesundheit in Bezug auf den biomedizinischen Körper des Patientensubjekts sein. Ein weiterer wichtiger Punkt werden die Implikationen in Bezug auf die traditionelle Trennung zwischen Körper und Technologie als separate, ontologisch verschiedene Kategorien sein.
Der Einsatz des Tissue Engineering für den Begriff eines regenerierbaren Körpers ist ein Beispiel für die moderne Investitur von Machtverhältnissen, die sich in der “biologischen” Bevölkerung artikuliert, ein Prozess, den Michel Foucault als “Biopolitik” bezeichnet. Das TE setzt durch seine Anwendungen, Forschungsarbeiten, Veröffentlichungen und Sprache sowie die Beziehungen zur biotechnologischen und medizinischen Community einen Prozess in Gang, durch den es sich selbst in genau jene Praktiken, Verfahren und Kontexte (des Gesundheitssystems) einreiht, die eine Normativität des Körpers herbeiführen (was in etwa Pfizers jüngster Werbekampagne entspricht, wo es heißt: “Ein besseres Leben durch Technologie”).
Regenerative Technologien Auf technischer Ebene verfügt das TE über ein integratives, multidisziplinäres Spektrum von Methoden, deren Hauptmerkmal darin besteht, dass dabei in allen Phasen die natürlichen biochemischen Prozesse und Eigenschaften des Körpers auf mikrobiologischer Ebene im Mittelpunkt stehen. Zum Zeitpunkt der Niederschrift dieses Artikels (Mai 1999) lassen sich in der TE-Forschung und -Anwendung grob drei Phasen unterscheiden:
Zunächst wird eine “Biopsie” durchgeführt bzw. eine Zellprobe entnommen, und zwar möglichst vom Ort der Gewebeschädigung. Sobald es gelungen ist, gesunde, intakte Zellen zu isolieren, kann man diese in einer Gewebekultur vermehren, um mehr Ausgangsmaterial zu haben. Von da aus geht die Forschung derzeit in verschiedene Richtungen. Diejenigen Wissenschaftler, die sich mit Stammzellenforschung beschäftigen, versuchen herauszufinden, wie die “embryonalen Stammzellen” des Körpers bei der Embryoentwicklung in den Prozess der Zelldifferenzierung eintreten. Diese Stammzellen werden oft als “pluripotent” bezeichnet, da sie im undifferenzierten Zustand über das Potenzial verfügen, sich in jede der Zelltypen des Körpers zu verwandeln (Muskel-, Knochen-, Nervenzellen). Der Grundgedanke der Stammzellenforschung ist nun, durch gezielte Manipulation der Zellumgebung die Entwicklung der Stammzellen zu steuern und in eine bestimmte Richtung zu lenken, sodass z. B. Muskelzellen zur Regenerierung von Muskelgewebe gezüchtet werden können. Eine andere Forschungsrichtung beschäftigt sich mit der Replikation ausgewählter Zellen durch Klonen mittels Kernübertragung, eine Methode, die von Wissenschaftlern des Roslin Instituts (denen wir auch das Schaf Dolly zu verdanken haben) entwickelt wurde. Da Roslin sich dieses Verfahren patentieren hat lassen, wird heute in dieser Richtung keine umfangreiche Forschung betrieben. Durch die unlängst eingegangene Partnerschaft zwischen Roslin und Geron, einer auf Zellregeneration spezialisierten Biotechnik-Firma, könnten Klon-Verfahren allerdings auch zur Vermehrung z. B. von Epithelzellen verwendet werden, um Haut für Patienten mit Brandverletzungen herzustellen. (3)
In der zweiten Phase wird das Ausgangsmaterial nach der Isolierung und Präparierung der gewünschten Zellen in eine Rahmenstruktur aus Biomaterial, die in der Wissenschaft je nach verwendetem Material auch als “Matrix”, “Trägerstruktur” oder “Polymergerüst” bezeichnet wird, implantiert oder “eingesät”. Diese Trägerstruktur sorgt dafür, dass das Zellwachstum in einer bestimmten Form erfolgt, sodass beispielsweise regenerative Knorpelzellen in Form eines Ohrs oder einer Nase anwachsen. Auf Grund jüngster Entwicklungen im Bereich der Biomaterialien werden dafür heute Polymer- und Gelstrukturen bevorzugt, die biologisch abbaubar sind und sich einfach auflösen, während die nachwachsenden Zellen die Hohlräume des Stützgerüsts ausfüllen.
Schlussendlich, nach der Bestückung der Matrix- oder Trägerstruktur mit Zellen, wird das Ganze in einen “Bioreaktor” eingebracht, der den Zellen den erforderlichen Anstoß zur Regeneration gibt. Oft werden der Gewebekultur künstlich erzeugte Proteine und/oder Wachstumsfaktoren beigemengt, um den Regenerationsprozess zu fördern. Sobald die Zellen innerhalb des Stützgerüsts bzw. der Matrix zu einer stabilen Struktur angewachsen sind, wird das Ganze chirurgisch an die beschädigte Stelle im Körper des Patienten (rück)transplantiert, wo die Zellen im Idealfall weiterwachsen und sich mit den Zellen der Umgebung verbinden und auch eine vaskuläre Versorgung für die neuen Gewebeabschnitte entsteht (durch Ausbildung der erforderlichen tubulären Strukturen wie Kapillaren, Gefäße, Venen, Arterien).
Wichtig ist, dass im Rahmen dieses Verfahrens zu keinem Zeitpunkt mechanische oder nicht-biologische, anorganische künstliche Materialien oder Komponenten als Teil des zentralen Prozesses der Zell- und Geweberegeneration zum Einsatz kommen. Sämtliche “natürlichen” biochemischen Prozesse werden normal aufrechterhalten, wobei sich (den TE-Forschern zufolge) lediglich der extrazelluläre, äußere Kontext ändert. Das regenerierte Gewebe stammt letztendlich von den eigenen biologischen Ressourcen des Patientenkörpers.
Diese begriffliche Rekonfiguration des Körpers als (universell und natürlich) regenerierbar hat auch verschiedene Implikationen in Bezug auf die Art und Weise, wie dieser biomedizinische Körper räumlich rekonfiguriert wird. Wie die oben genannten Techniken des TE nahe legen, wird der regenerationsfähige Körper nicht einfach jener vertraute, anthropomorphe Körper sein, den uns die moderne Anatomie vor Augen führt. Er wird durch die genannten Verfahren externalisiert (aber nicht abgetrennt), partitioniert (aber unter Beibehaltung der Funktion) und erneuerbar (aber doch verschieden von sich selbst).
Ursprünglich war das TE eine medizinische Antwort auf die Problematik des Gewebe- und Organversagens und des Mangels an Spenderorganen, wo es früher und z. T. bis heute fast nur die Alternative der Organtransplantation gab. Auf Grund der Züchtung und Herstellung der benötigten Biomaterialien im Labor bezeichnen die TE-Forscher ihr Fachgebiet als "regenerative Medizin". Eine Ökonomie der Körperteile (Transplantation, Xenotransplantation) wird also durch eine Ökonomie der Autogeneration (Erzeugung von Geweben aus den eigenen Zellen des Patienten) abgelöst, die sich durch Zirkulation und Proliferation auszeichnet.
Dies steht im Gegensatz zur homöostatischen und therapeutischen Logik der modernen Medizin, die auf einem grundlegenden Norm- und/oder Gesundheitszustand beruht, zu dem man zurückkehrt. Beim TE kehrt der biomedizinische Körper in einer Spirale, die gleichzeitig nach oben (ein unendlich reproduzierbarer Körper) und nach unten (ein entbehrlicher Körper) weist, nur zu sich selbst zurück. Das heißt, während die Medizin nach einem bestimmten westlichen Medizinbegriff als therapeutische, supplementäre Wissenschaft betrachtet wird (d. h. als eine Praxis, die die Gesundheit des Individuums wiederherstellt, als regulative Überwachung des Gesundheitszustands des Individuums), gehört das TE zu einer neuen Medizinauffassung. Beim TE wird der Körper nicht mit Medizin behandelt, nicht durch die Medizin verbessert oder repariert. Das TE ist vielmehr Teil einer neuen Art von Medizin, die stattdessen die Erzeugung der körpereigenen Materialien anregt. Der Unterschied ist der zwischen einer Reihe von Verfahren, die den Körper supplementieren oder reparieren sollen (von Medikamenten über die chirurgische Intervention bis hin zur Prothetik der modernen therapeutischen Medizin) und einer Biotechnologie, deren Ziel darin besteht, den Körper im wahrsten Sinne des Wortes zu synthetisieren und zu materialisieren (von Gentechnologie bis zur Züchtung von Organen).
Alle und jeder In seinen späteren Werken begann Foucault, seine Theorien über die Beziehungen zwischen Macht, Wissen und ihren vielfachen Berührungspunkten mit dem Körper des Subjekts zu verfeinern. Foucault reservierte den Terminus “Biopolitik” zunehmend für eine besondere Strategie von Machtverhältnissen, die exemplarisch in der “Regierungskunst” des modernen Staates zum Ausdruck kommt, für die der kollektive Körper oder die Bevölkerung das wichtigste Anliegen ist. (4) Biopolitik ist demnach das Management und die Regulation der Bevölkerung auf der biologischen Ebene, d. h. auf der Ebene der “Spezies”. Seit der Entwicklung der politischen Ökonomie fanden sich die modernen Subjekte nicht nur in einer Vielzahl disziplinärer und oftmals institutioneller Kontexte, sondern sie stellten gleichzeitig kollektive biologische Körper mit einer eigenen Dynamik dar, die sich artikulieren und als Quelle des Wissens organisieren ließ. Die Biopolitik war deshalb “das im 18. Jahrhundert begonnene Streben nach Rationalisierung jener Probleme, mit denen sich die Regierungspraxis durch Phänomene konfrontiert sah, die typisch für eine zu einer Bevölkerung zusammengefasste Gruppe lebender menschlicher Wesen sind: Gesundheit, Hygiene, Geburtenrate, Langlebigkeit, Rasse….” (5)
Eine der von Foucault identifizierten Schlüsselstrategien der biopolitischen Macht ist deren Fähigkeit, durch ihre biologische, artenbezogene Perspektive gleichzeitig zu universalisieren und zu individualisieren. Eine Bevölkerung konnte als kollektive biologische Spezies eine Quelle der Wissensproduktion sein, doch war dies nur möglich, wenn man auch die Parameter der individualisierten biologischen Subjekte berücksichtigte. Die universelle Kategorie, die es erlaubt, eine Bevölkerung als Spezies zu fassen, ist die Vorstellung von der Kontinuität und Universalität des individuellen menschlichen Körpers selbst. In diesem Sinne macht die Biopolitik den individualisierten biologischen Körper zur Grundlage eines quantifizierbaren und flexiblen Systems der Wissensproduktion (z. B. Gesundheitsstatistik, staatliche Gesundheitspolitik, medizinische Aufzeichnungen, Krankenhausverwaltung).
Auch das TE universalisiert den biomedizinischen Körper auf diese Art und Weise, vollzieht allerdings eine subtile Verschiebung in der Anwendung der universellen Kategorien des menschlichen biologischen Körpers. Wie oben erwähnt, entstand das TE als Reaktion auf Probleme in der Transplantationsmedizin – die fast ausschließlich die Abstoßung fremden Gewebes durch das körpereigene Immunsystem betreffen. Während also die medizinische Wissenschaft die Universalität des biologischen Körpers postulieren konnte (implizit in der Idee der Organtransplantation selbst), widersprachen die Probleme der Immunkompatibilität derartigen Kategorien (indem sie zum Ausdruck brachten, dass Körper, obwohl sie an sich gleich sind, einander dennoch als fremd identifizieren). Das TE geht zwar ebenfalls von der Universalität des biologischen Körpers aus, wendet diese Universalität jedoch nicht im Sinne einer Gleichheit der individuellen Körper an. Vielmehr wird hier eine postulierte allgemeine Kategorie auf Einzelfälle angewandt (die von Anfang an einem universellen Prinzip unterliegen – eine Technik funktioniert für alle Körper).
Biomedizinische Körper sind also hinsichtlich der in ihnen ablaufenden biologischen Prozesse universelle, für die gesamte Population gültige Einzelfälle. Die Biopolitik des TE funktioniert durch eine hochgradig partitionierte Universalität geschlossener, sich selbst regenerierender biologischer Prozesse, die zugleich auf eine ganze Population zutreffen. Die praktischen Modelle des Gesundheitswesens in diesem Bereich – Zellbanken, Organe von der Stange, Überlassung ausgemusterter Embryonen durch Fruchtbarkeitskliniken – bilden eine Bio-Ökonomie der Körperteile, die veranschaulicht, welcher Apparat das TE in die Lage versetzt, eine Vision des regenerierbaren Körpers zu schaffen, eines Körpers, der potenziell immer im Überfluss vorhanden ist.
Die Fantasie der Technik Auf der Basis dieser biopolitischen Perspektive würde ich sagen, dass das TE als Zweig der Biotechnologie zwei “Fantasien” in Bezug auf ihre neuartige Herangehensweise an den menschlichen biologischen Körper nahe legt.
(a) Die erste Fantasie ist eine, die wir einfach als Fantasie der transparenten Technologie bezeichnen können und die auf den etymologischen Gebrauch des Terminus “Biotechnologie” in der Landwirtschaft und in der Viehzucht zurückgeht. Diese Fantasie hat die Vorstellung von einer Technologie, die indirekt, unsichtbar und transparent für die natürliche und biologische Ordnung ist. Die Technologie hilft den Dingen einfach auf die Sprünge und führt hier und dort geringfügige Anpassungen durch. In der Landwirtschaft und Viehzucht hieß das anfänglich, sich Wissen über die natürlichen Prozesse zu verschaffen und diese dann als auf ein geringfügig anderes Ziel gerichtete Prozesse zum Einsatz zu bringen (größere Vielfalt an Ackerfrüchten, größere Produktion). Diese Fantasie der Biotechnologie bringt, anders ausgedrückt, ein tief verwurzeltes Streben zum Ausdruck, die Trennung zwischen Technologie und Natur um jeden Preis aufrechtzuerhalten, während die Natur gleichzeitig als etwas Manipulierbares, aber immer noch als Natur betrachtet wird. Für das TE und die Biotechnologie im Allgemeinen ist das Bestreben, diese Dualität aufrechtzuerhalten, von entscheidender Bedeutung, da der Begriff eines prädiskursiven, natürlichen Körpers die Grundlage der modernen biologischen Wissenschaft und Medizin und deren Rhetorik bildet, die die Natürlichkeit der Gesundheitstechnologien über alles stellt. Würde die Bio-Industrie nämlich behaupten, diese Technologien seien konstitutiv für die Existenz des biologischen Körpers, so ginge dieser fundamentale Referent verloren, und mit ihm die grundlegenden Annahmen und Ansprüche der modernen biologischen Wissenschaft.
(b) Diese Vorstellung eines natürlichen Körpers, der auch bei Anwendung von Biotechnologien natürlich bleibt, führt zu einer zweiten Fantasie, die sich stärker auf den Körper selbst bezieht. Sie besagt, dass die Biotechnologie versucht, den normativen biologischen Körper praktisch und technisch als etwas zu fassen, das gleichzeitig materiell/biologisch/natürlich und formbar/technisch/künstlich ist. Da TE-Forschern zufolge in der Zukunft ganze Organe und Gliedmaßen regeneriert werden können, impliziert dies in keiner Weise, dass der Körper unter Sprache und Diskurs verschwunden ist. Das TE wird gerade deshalb mit solcher Dringlichkeit betrieben, weil es immer auf der Materialität des biologischen Körpers beruht (wie er durch die biologischen Wissenschaften definiert wird). In diesem Zusammenhang sind die Verbindungen aufschlussreich, die die Forscher zur Embryogenese und zur Entwicklungsbiologie hergestellt haben, da die Doppeleigenschaft der gleichzeitigen Materialität und Formbarkeit auf mögliche künftige Arten der morphogenetischen Entstehung des biomedizinischen Körpers hindeutet.
Normen, Hybriden Mit der Analyse des TE habe ich zu zeigen versucht, wie diese eine Reihe unterschiedlicher Eigenschaften hervorbringt: Der biomedizinische Körper des TE ist externalisiert, bildet aber zugleich im Inneren eine geschlossene biotechnologische Schleife. Er ist ein Beispiel für eine Biotechnologie, die als transparent und immer noch natürlich dargestellt wird, und er ist ein Beispiel für eine Vision eines biomedizinischen Körpers, der gleichzeitig natürlich/materiell und technologisch/formbar ist. Foucauldianisch gesehen, lässt das TE letztendlich ein biomedizinisches, verkörpertes Subjekt entstehen, das sowohl individualisiert als auch universalisiert ist.
Diese Fragestellung weiterführend, möchte ich behaupten, dass nun all diese verschiedenen Eigenschaften im Besonderen auf eine Vision dessen hinauslaufen, wie der normative, biomedizinische Körper einmal aussehen könnte, und im Allgemeinen, was diese Vision für die Subjektkonstitution im Rahmen der Biowissenschaften und der Medizin bedeutet.
Normen: Das TE etabliert durch seine Forschung, klinischen Versuche und Produktentwicklung eine einzigartige biomedizinische Norm, die im Begriff der “regenerativen Medizin” zusammengefasst wird. Die Postulierung eines regenerierbaren Körpers stellt eine Antithese zu den Forderungen der Postmoderne nach dem Verschwinden des Körpers dar, da das TE zutiefst in der Materialität des Körpers, dem Begriff des Fleisches verhaftet ist. Andererseits aber wäre die Behauptung, das TE gehe einfach von einem natürlichen, prädiskursiven Begriff des Körpers als etwas Naturgegebenem aus, ebenfalls nicht ganz zutreffend. Die Forscher und die Wissenssysteme, auf die sich die Biotechnologie stützt, sind nicht so naiv, dass sie ihren eigenen Technologien und Anwendungen blind gegenüberstünden. Was ist aber dann dieser regenerierbare Körper? Ich würde zunächst sagen, dass der regenerierbare Körper durch ein Moment der Produktion und ein Moment des Überflusses doppelt charakterisiert ist. Hier geht es nicht um das Modell von Inkorporierung oder Wiedergewinnung, sondern um Produktion und (Re)generation. Die Postulierung eines regenerierbaren Körpers bedeutet, dass wir es mit Körpern zu tun haben, die, zumindest theoretisch, unendlich reproduzierbar sind. Außerdem folgt die Auffassung von einem regenerierbaren Körper der anatomischen Logik der Körperteile (Zellen, Gewebe, Organe). Nicht der ganze Körper ist reproduzierbar, sondern nur die Körperteile oder Abschnitte, die durch die Anatomie, die Physiologie und die Molekulargenetik definiert werden und die innerhalb des Körpers nach bestimmten Regeln funktionieren (z. B. folgt das Organ Herz der Mechanik des Kreislaufsystems).
Neben diesem unendlich reproduzierbaren Körper impliziert Regeneration aber auch einen Überfluss in dem Sinne, als dieser durch die Regeneration überflüssig wird. So haben wir neben dem unendlich reproduzierbaren Körper auch den entbehrlichen Körper, die “Ersatzteile”, die die Forscher zu ersetzen planen. Alles in allem sehen wir uns mit einer Art Bioökonomie des TE konfrontiert, wo der biologische Körper als partitioniertes, sich selbst regulierendes, autogeneratives System betrachtet wird, das nicht nur die Fähigkeit besitzt, sich selbst zu regulieren, sondern sich auch durch minimale technologische Intervention zu verbessern. Je indirekter und unsichtbarer die Technologie wird, desto stärker wandelt sich der TE-Körper zum autonomen, geschlossenen, proliferativen Biosystem. Je stärker TE und Medizin den Diskurs des natürlichen Körpers betonen, desto stärker wird diese Vision eines regenerierbaren Körpers als normative Beschränkung institutionalisiert, die den normalen, gesunden, biomedizinischen Körper definiert. Als Ergebnis wird der Körper der Medizin wieder zum Objekt, insofern als er unter entsprechenden Bedingungen als eine sich selbst regenerierende, sich selbst heilende “Blackbox” betrachtet werden kann.
Zusätzlich wird der Körper – als regeneratives Bio-Objekt, als Blackbox – eine überaus hoch bewertete Zone. Diese Aussage ist erklägungsbedürftig, denn wenn man von der Vision des Körpers als entbehrlicher Struktur ausgeht, würde man erwarten, dass der Körper als Objekt eine Abwertung erfährt (nach dem Motto “Das kann man ohnehin nachwachsen lassen!”). Während dieses Argument sicherlich seine Gültigkeit hat, hieße das, eine essenzialistische Auffassung des Körpers zu vertreten, was meiner Ansicht nach beim TE nicht wirklich der Fall ist. Vielmehr werden dem Fleisch und der Materialität (wie sie von der Biowissenschaft definiert wird) eine Kraft zugesprochen, die die Beschränkungen des Fleisches, des Materiellen und der Körperlichkeit zu überwinden versucht. Mit der Erforschung der Telomerase (der Ursache des natürlichen Chromosomenabbaus) wird der biologische Körper auf zellulärer Ebene unsterblich. Die Stammzellenforschung macht die Körperzellen “pluripotent”, versetzt sie in die Lage, sich selbst in jeden Zelltyp des Körpers (Muskelzellen, Nervenzellen, Epithelzellen) zu verwandeln. Das Klonen mittels Kernübertragung erlaubt eine unendliche Replizierung des genetischen Körpers. Über die genetische Manipulation von Wachstumsfaktoren und Plasmiden können die Zellen des Körpers veranlasst werden, jedes beliebige Protein, jeden dieser “Bausteine des Lebens” zu produzieren. Und das TE lässt ganz allgemein den Körper nach und nach das Jammertal der Sterblichkeit überwinden und führt sehr rasch zu einem Körper, der im Prinzip keinen Tod mehr kennt.
Das daraus ableitbar Körperbild ist das einer autonomen biologischen “Blackbox”, die sich selbst – mit minimaler technologischer Intervention – gemäß ihrer eigenen “biochemischen Weisheit” reguliert. Die langfristigen Implikationen all dessen sind die, dass ein normaler, gesunder biomedizinischer Körper weniger durch die Folgen der Mutabilität und Mortalität des Fleisches, sondern zunehmend durch die Fähigkeit des Körpers, sich unter bestimmten (technologischen) Bedingungen selbst biologisch zu reproduzieren, definiert wird.
Hybriden: Einerseits scheint das TE ein sehr wörtliches Beispiel für das konstruktionistische Argument zu sein (das Fleisch wird tatsächlich im universalisierten Kontext des Labors synthetisiert oder produziert). Andererseits aber führen die verwendeten Technologien nicht einfach zu Fusionen mit dem biologischen Körper oder quantifizierten menschlich/technologische Hybriden.
Das TE stellt eine einzigartige Konfiguration zwischen dem Körper (genauer gesagt dem biomedizinischen Körper) und der Technologie (genauer gesagt der Biotechnologie und der Molekulargenetik) dar, sodass die Technologie als fundamental, implizit und konstitutiv für das Biologische zu betrachten ist. Eine solche Beziehung hängt trotz allem von einer absoluten originären Trennung zwischen Biologie und Technologie ab. Daraus erwächst eine komplexe Interaktion. Beim TE steht die Technologie weder in Opposition zum Körper noch außerhalb des Körpers. Die Technologie des TE, wie sie oben kurz umrissen wurde, findet sich stattdessen inmitten der biologischen Prozesse des Körpers, wobei diese Prozesse jedoch nicht einfach ergänzt oder ersetzt werden. Dagegen folgen verwandte biomedizinische Anwendungen von der Prothetik (außerhalb des Körpers konstruierte und dann eingesetzte nicht-organische Technologie) über chirurgische Verfahren (medizinisch-technische Eingriffe in das Körperinnere) bis zur Gentherapie (Einführung einer Reihe synthetischer, manipulierter Biomoleküle) einer Logik medizinischer Praxis, die sowohl interventionistisch ist als auch außerhalb des Patientenkörpers stattfindet.
Vor dem Hintergrund moderner Annahmen über Menschen und Nicht-Menschen, Körper und Maschinen, Natur und Technologie bildet das TE durch seine Praktiken, Forschung und Methoden eine besondere Art eines hybridisierten biotechnischen Körpers (6). Ohne die sich insbesondere in Fällen von Organ- und Gewebeversagen offenbarenden klaren medizinischen Vorteile des TE leugnen zu wollen, sei angemerkt, dass gegenwärtig auch die medizinischen, philosophischen und politischen Auswirkungen auf dem Spiel stehen, die das TE als Beitrag zur Definition des normativen, gesunden Körpers im so genannten “biotechnischen Zeitalter” (7) haben könnte. Es geht hier nicht darum, den Begriff der “Normen” zu relativieren, sondern vielmehr zu hinterfragen, welche Art von Kontingenzen und Beschränkungen mit dem TE einhergehen. Anders ausgedrückt könnte man einfach fragen, was beim TE-Körper außer Acht gelassen wird. Wenn das TE, wie oben ausgeführt, von der Annahme einer totalen Trennung von Körper und Technologie ausgeht und dann durch seine Praktiken den Begriff eines durch seine Regenerationsfähigkeit gekennzeichneten natürlichen biologischen Körpers prägt, so scheint es ihm dabei um ein doppeltes Moment zu gehen: einerseits den Begriff des natürlichen, prädiskursiven Körpers an sich als Referent zu erhalten und zugleich die Eigenschaften dieses Körpers durch den Gebrauch von Biotechnologien neu zu definieren, die nur minimal (d. h. transparent) in diesen Prozess der Neudefinition eingreifen. Der Körper des TE weicht nirgends von seiner Kodifizierung als natürlich-biologische Einheit durch die moderne Wissenschaft ab und sogar der Begriff der Regeneration wird auf beinahe gänzlich biologische, biochemische und organische Art und Weise präsentiert. Dieser natürlich-biologische Körper wird jedoch nur durch eine bestimmte, indirekte und anregende Verwendung von Biotechnologien ermöglicht. Diese technologischen Verfahren und Methoden stellen das unsichtbare Interstitium des TE-Körpers dar. Sie sind die Medien der Transparenz, welche das Bindegewebsnetz für diese Vision des regenerierbaren Körpers bilden.
Bindegewebe Das TE präsentiert uns eine Version des Körpers, in der sämtliche Regenerations-, Ersetzungs- und Suppelmentierungsfähigkeiten durch eine Reihe von Methoden, Technologien und manipulierte Biomolekülen aus dem Körper des Subjekts/der Population selbst hervorgehen. Was die Bio-Industrie am TE-Körper schätzt, sind nicht supplementäre Objekte, die von außen in einen Bezug zum Körper treten (Organentnahme, künstliche Organe, Prothesen), sondern das Vermögen des biotechnischen Körpers, seine eigene Materialität innerhalb seiner angeblich originären, natürlichen Bedingungen zu reproduzieren. Noch einmal sei angemerkt, dass das TE, wenn es auf die potenzielle physische und biologische Manipulierbarkeit des menschlichen Körpers hinweist, nicht suggerieren möchte, dass der Körper irgendwie “weniger real” ist. Das TE anerkennt nicht, dass der Körper ein Trugbild oder ein Produkt der Hyperrealität einer Techno-Kultur sein soll, sondern bestreitet diese Behauptung auf das Schärfste. (8) Es gibt beim TE keine Körperangst, sondern vielmehr ein explizites (und medizinpolitisch-ökonomisches) Bekenntnis zum Wert des Körpers als potenziell unerschöpfliche natürliche Ressource.
Ohne Berücksichtigung der Dynamik, durch die wissenschaftliche Verfahren wie das TE immer schon durch Diskurse, Wissenssysteme und Technologien situiert sind, fällt es der modernen biologischen und medizinischen Wissenschaft nur allzu leicht, gewohnheitsmäßig und um jeden Preis einen Körper herbeizufantasieren, der sich selbst transzendiert und doch immer noch Körper bleibt.
So hat z. B. ein TE-Forscher erklärt: “Vor zehntausend Jahren befreite die Entwicklung der Landwirtschaft die Menschheit von der Abhängigkeit von jenen Nahrungsmitteln, die ihr die Natur gnädig zur Verfügung stellte. Analog sollte die Entwicklung des TE eine Befreiung von den Beschränkungen des menschlichen Körpers bringen.” (9) Durch die Anwendung von Biotechnologien auf eine Art und Weise, in der sie nicht manifest werden – und deshalb nur in den interstitiellen Räumen zu Tage treten – scheint sich das TE selbst auf einen Standard des biomedizinischen Körpers zuzubewegen, der einen ganzen Bereich der Kontingenzen des biologischen Körpers (Chromosomenabbau, Gewebsalterung und -verfall, die Kennzeichen der Sterblichkeit des Körpers) strategisch eliminiert. Wiewohl dies mit den besten Absichten geschehen mag, muss dennoch die Frage gestellt werden, ob diese Fantasie nicht eher wegen ihrer Ausschließungen als wegen ihrer Versprechungen geschätzt wird. Wir müssen den TE-Körper als ontologisch separate Einheit betrachten, die nicht einfach den natürlichen Körper darstellt und die sich signifikant vom Körper der bisherigen Biomedizin unterscheidet. Die Palette der Methoden und Technologien, die diesen regenerativen Körper entstehen lassen und sich damit verbinden, muss nicht nur in Bezug auf die potenziellen philosophisch-politischen Implikationen für die verkörperte Subjektivität, sondern auch in Bezug auf die Fragen betrachtet werden, die sich in der Forschung und medizinischen Anwendung selbst ergeben könnten. Wenn wir zeitgenössische Biotechnologien und biomedizinische Verfahren wie das TE als biopolitische Bestrebungen betrachten, dann sind wir dazu aufgerufen, auch jene interstitiellen Räume als natürlich, aber transparent vermittelt zu betrachten, die es einer solchen “Gouvernementalität” erlauben, den Körper sowohl als universell als auch als individualisiert zu rekonfigurieren.
(1) Mooney, David; Mikos, Antonios, Growing New Organs. Scientific American 280 (April 1999), S. 60–67. Weitere Informationen über Tissue Engineering finden Sie in derselben Ausgabe des Scientific American. zurück
(2) Ebda., sowie Arnst, Catherine; Carey, John, Biotech Bodies. Business Week 27, Juli 1998, S. 56–63 zurück
(3) Für diese und weitere Verfahren vgl. Patrick, Charles et al., Frontiers in Tissue Engineering, N.P.: Pergamon Press 1998. Zur Geron-Roslin-Partnerschaft vgl. Wade, Nicholas, Researchers Join in Effort on Cloning Repair Tissue. New York Times Online, 5. Mai 1999, http://www.nytimes.com zurück
(4) Für Beispiele vgl. Michel Foucault, Für eine Kritik der politischen Vernunft. Lettre International, Nr. 1 (Sommer 1988), S. 58–66, und ders., Governmentality: The Foucault Effect: Studies in Governmentality (ed. Graham Burchell et al.), Chicago: U. of Chicago Press, 1991 zurück
(5) Michel Foucault, The Birth of Biopolitics. Ethics: Subjectivity and Truth (ed. Paul Rabinow), New York: The New Press 1994, S. 73 zurück
(6) Über Netzwerke und Vermittlung in der Moderne vgl. Latour, Bruno, Wir sind nie modern gewesen: Versuch einer symmetrischen Anthropologie, Berlin: Akademieverlag 1995 zurück
(7) Rikfin, Jeremy, Das biotechnologische Zeitalter: Die Geschäfte mit der Genetik, München: Bertelsmann 1988 zurück
(8) Vgl. z. B. Baudrillard, Jean, The Ecstacy of Communication, New York: Semiotext(e) 1987, und Oublier Foucault, München: Raben Verlag 1983, sowie Virilio, Paul, Die Ästhetik des Verschwindens, Berlin: Merve Verlag 1986 zurück
(9) Mooney & Mikos, a.a.O., S. 65 zurück
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