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Ars Electronica 1999
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Festival 1979-2007
 

 

Bemerkungen zur Theorie der biologischen und asymmetrischen Kriegsführung aus Sicht der USA


'Georg Schöfbänker Georg Schöfbänker

It begins with a threat. A terrorist group declares that unless its demands are met within 48 hours, it will release anthrax over San Francisco. Two days later, a private plane flies across the Bay, spreading an aerosol cloud that shimmers briefly in the sunlight before disappearing. Scenario one: thousands are killed in the panic as 2 million people flee the city. Another 1,6 million inhale anthrax spores. […] More than a million of the Bay Area’s 6–5 million residents die.
(New Scientist)
(1)

The fifth Egyptian plague, around 1500 B.C., is believed to have been a result of anthrax.
(US-Army)
(2)

Die Konstruktion der Biowaffenbedrohung
Wo sich filmreife Katastrophenszenarien, die seit etwa drei Jahren die sicherheitspolitischen Eliten in den USA erregen, mit einer naturwissenschaftlichen Neuinterpretation des Alten Testaments trefflich paaren und die “fünfte ägyptische Plage” als Milzbrandbakterien geoutet wird, da muss man schon im Alten Testament selbst Nachschau halten, um zu verstehen, wie das US-Militär gegenwärtig in eine biologische Bedrohungshysterie verfällt. Die Israeliten, eine ethnische Minderheit im alten Ägypten, im strategischen Newspeech eine “Rogue Nation” (ein Schurkenstaat), setzen mit Gottes Hilfe Milzbrandbakterien (Newspeech: eine Massenvernichtungswaffe) in terroristischer Manier gegen die ägyptische Zentralmacht ein: “Verweigerst du aber die Freilassung und hältst sie weiter fest, dann kommt die Hand des Herren zum Verderben an dein Vieh auf dem Felde […], eine schrecklich schwere Seuche. Aber einen Unterschied machte der Herr zwischen Israels Vieh und dem Ägyptens: Keinem Israeliten stirbt ein Stück.” (3) So geschah es denn auch in der alttestamentarischen Überlieferung und in der Theorie. Den Ägyptern verreckte jedes Stück auf dem Felde, den Israeliten kein Einziges, es war immun. Im Mai 1998 begann das US-Verteidigungsministerium mit einem groß angelegten Impfprogramm aller Militärangehöriger gegen Milzbranderreger als eine Gegenmaßnahme gegen die erwartete biologische Kriegsführung von “Schurkenstaaten”.

Nachdem Info- und Cyberwar (behandelt beim letztjährigen Festival Ars Electronica) (4) als neuer Bedrohungsbedarf und vorangetrieben von den Militärkreisen in den USA mittlerweile schon Eingang in das neue strategische Konzept der NATO vom April 1999 gefunden hat (5) – eine Bedrohung, der unter Umständen mit militärischen Präventivschlägen begegnet werden soll –, so ist auch die neueste Erfindung aus den Denklabors der Apokalypse – die biologische Kriegsführung von Terroristen oder “Schurkenstaaten” gegen die Supermacht USA – auf dem besten Weg, in Hollywood, zu den besten Sendezeiten bei CNN und im US-Kongress erheblichen Handlungs- und Aktionsbedarf auszulösen. Im Grunde handelt es sich immer um das gleiche Bedrohungsmuster: Die technologische Überlegenheit der stärksten Militärmacht der Welt, der USA, sei einerseits so uneinholbar fortgeschritten, andererseits sei ihre Gesellschaft am allerwenigsten auf gewalttätige Attacken fremder Mächte auf ihrem eigenen Territorium vorbereitet, wenn diese sich asymmetrischer Mittel und Strategien bedienen, worauf schon 1997 von Patrick M. Hughes, Direktor der Defense Intelligence Agency, einem der zahlreichen US-Militärgeheimdienste, vor einem Senatsausschuss hingewiesen wurde. (6)
Globalisierung des militärischen Waffengebrauchs als Element überregionaler Ordnungspolitik
In meinem letztjährigen Beitrag zum Symposium im Rahmen des Festival Ars Electronica (7) habe ich die Prognose gewagt, dass sich die NATO sicherlich nach Osten erweitern wird, ihr Territorium vergrößern sowie in geopolitischer und hegemonialer Hinsicht das euroatlantische Leitmotiv des beginnenden 21. Jahrhunderts sein würde. Diese Prognose ist nicht nur eingetreten, vielmehr hat dieser geopolitische Trend mittlerweile zu einem Krieg des Nordatlantischen Bündnisses gegen den souveränen Staat Bundesrepublik Jugoslawien geführt, ein Krieg, der jenseits aller erklärten Motive (zuerst die Verhinderung von “ethnischen Säuberungen”, danach die Repatriierung von Flüchtlingen) zu einer systematischen Zerstörung eines Staates und seiner zivilen und industriellen Infrastruktur führt.

Die NATO agiert dabei außerhalb des Völkerrechts und eines UN-Mandates, außerhalb ihres Territoriums und sie betreibt einen Angriffskrieg. Hierbei geht es um den Versuch einer fundamentalen Neuinterpretation der Verfassung der Weltgemeinschaft der Vereinten Nationen mit allen Konsequenzen eines solchen formalen Putschversuches, der in weiterer Folge zu Anarchie und Rechtsnihilismus führen wird. Die westliche Staatengemeinschaft unter der politischen und militärischen Führung der USA unternimmt somit den Versuch, das seit 54 Jahren bestehende Völkerrecht in die Zeit vor die Entstehung der Satzung der Vereinten Nationen zu bomben. Es wird dabei die zentrale juristische Messlatte für staatliches Verhalten auf universeller Ebene in Frage gestellt. (8) Die USA sind nun selbst in den Verdacht geraten, eine “Rogue Superpower” zu sein, die “Welt-Schurkensupermacht”, die rücksichtslos ihre eigenen Interessen durchsetzt. Wäre dies lediglich eine Verbalinjurie aus Belgrad, Bagdad oder Moskau an die Adresse der USA und der NATO zu der gegenwärtigen Politik im Kosovo-Krieg, so würden wohl die meisten politischen Analytikern darüber hinwegsehen. Aber dieser Vorwurf stammt aus der akademischen US-Außenpolitik-Elite selbst, und zwar aus der Feder von Samuel Huntington und trägt den Titel Die einsame Supermacht. (9) Darin listet er akribisch auf, wie die USA in den letzten zehn Jahren seit dem Ende der bipolaren Welt des Kalten Krieges versucht hätten, ihre einseitigen Interessen dem Rest der Welt aufzuzwingen. Mittels Waffenexporten, Handelssanktionen, Dominanz der Finanz-Institutionen, Entwertung des Völkerrechts und der UNO. Erst soeben haben die USA indirekt zugeben müssen, dass der Cruise-Missile-Angriff auf eine Chemiefabrik im Sudan im August 1998 nichts mit einer “Giftgas-Connection” oder terroristischen Verbindungen zu Osama Bin Laden zu tun hatte. (10)

Die antizipierten Antworten auf eine solche Politik sind nun zentraler Gegenstand jener Bedrohungsanalysen asymmetrischer Kriegsführung auf eine solche in der Entstehung begriffene und auf einen längeren Zeitraum angelegte militärische Ordnungspolitik der USA in regionalem oder globalem Maßstab. Hierbei ist es theoretisch angemessen und erforderlich, auf die Asymmetrie beider potentieller Akteure hinzuweisen. In der US-Literatur wird dieses Konzept verwendet, um zu erklären, wie sich ein schwächerer gegen einen waffentechnologisch überlegenen Akteur durch den Einsatz von Massenvernichtungs- oder Tötungswaffen einen politischen Vorteil verschaffen könnte. “No, we cannot be defeated by symmetric attack” und “Yes, we can be defeated by asymmetric attack” lautet hier die übereinstimmende Meinung aus US-Militärkreisen. (11)

Verschwiegen wird dabei die Asymmetrie der Mittel selbst, die seitens der US-Militärdoktrin – demonstriert im Golf-Krieg und elaboriert zur Anwendung gebracht im Kosovo-Krieg – eingesetzt werden, die unterschiedslose Bombardierung militärischer Ziele und einer Zivilgesellschaft und ihrer Einrichtungen ohne eigenes Risiko. Die entsprechende Doktrin, “Strike Force”, ist das Konzept einer Luftkriegsführung ohne Feindberührung und ohne eigene Verluste. Vor diesem Hintergrund geopolitischer und geostrategischer Ziele der US-Außenpolitik, vor allem des einseitigen oder im Verbund der NATO geplanten militärischen Waffengebrauchs (zur Erreichung welcher Ziele auch immer) außerhalb der Legitimität des Völkerrechts, ist die Debatte um eine erhöhte Wahrscheinlichkeit des Einsatzes von Massenvernichtungs oder -Tötungswaffen gegen die Interessen der USA oder auf ihrem Territorium zu analysieren.

In einem Report der Clinton-Administration vom Oktober 1998 zu einer umfassenden Strategie der nationalen Sicherheit der USA, (12) in dem der weitaus größte Teil der Ausdehnung der nationalen Interessen der USA in geopolitischer, geoökonomischer, geostrategischer und militärischer Hinsicht gewidmet ist, wird eine Bedrohung durch biologische Waffen in zweierlei Hinsicht angesprochen, als nationalstaatlich-militärische sowie als terroristische: (13)
[…] if a hostile nation or terrorists release bacteria or viruses to harm Americans, we must be able to identify the pathogens with speed and certainty. We will upgrade our public health and medical surveillance systems. These improvements will benefit not only our preparedness for a biological weapons attack—they will enhance our ability to respond quickly and effectively to outbreaks of emerging infectious diseases.

Wahrscheinlichkeit und Plausibilität des Einsatzes von biologischen Waffen
In der Literatur werden nukleare, chemische und biologische Waffen gleichermaßen als Massenvernichtungswaffen (weapons of mass destruction, WMD) bezeichnet, obwohl dies von ihrer Wirkungsweise her keine korrekte Beschreibung darstellt. Strate gische Nuklearwaffen sind untschiedslos Massenvernichtungswaffen, auf die die erklärten und nicht erklärten Kernwaffenmächte als zentrales Element ihrer nationalen Sicherheit setzen. Chemische und biologische Waffen sind Massentötungswaffen. Chemische Waffen können im Unterschied zu Kernwaffen – mit ihrer radioaktiven Reststrahlung – nach kurzer Zeit bereits gänzlich unwirksam sein. Viele potentielle biologische Waffen, gleich ob auf viraler oder bakterieller Basis, eignen sich im Prinzip als strategische Zweitschlagwaffe oder als Terrorwaffe, da der technische Aufwand zu ihrer Herstellung im Unterschied zu Kernwaffen wesentlich geringer ist.

Zum Einsatz als taktisches Mittel in einem begrenzten Krieg sind sie eher untauglich, obgleich der Einsatz von biologischen Waffen seitens Japans im Zweiten Weltkrieg nachgewiesen ist, (14) seitens der Sowjetunion im Afghanistan-Krieg in geringem Umfang offenbar stattfand (15) und von den USA im Korea-Krieg – bislang nicht glaubwürdig bestätigt – behauptet wird.

Es gibt bis heute keine erklärte Biowaffen-Doktrin (vergleichbar mit den Nukleardoktrinen der Kernwaffenmächte) als Konzept der nationalen Sicherheit. Die westlichen Staaten der NATO haben auf biologische Waffen als strategische Mittel ausdrücklich verzichtet. Von der Sowjetunion unter Gorbatschow wird berichtet, dass Interkontinentalrakten mit biologischen Sprengköpfen bestückt wurden, es ist dies aber der einzige Hinweis auf ein solches Vorgehen, ein strategisches Konzept dazu wurde nicht entwickelt. (16) Dennoch werden zahlreiche Staaten verdächtigt, Biowaffenprogramme als strategisches militärisches Instrument entwickelt zu haben, was etwa im Fall des Irak auch ausdrücklich nachgewiesen werden konnte. (17) Nun ist diese Logik – Biowaffen als “Atombombe des kleinen Mannes” (18) – aufgrund der anhaltenden Weigerung der Kernwaffenmächte, über eine substantielle nukleare Abrüstung weiter zu verhandeln, und vor allem aufgrund der einseitigen Intervention der USA und der NATO im Kosovo-Krieg eher noch plausibler geworden, da in Hinkunft im Prinzip kein Staat mehr vor einer solchen einseitigen Intervention des USA und der NATO sicher zu sein scheint. Viktor Tschernomyrdin, der russische Unterhändler im Kosovo-Krieg, hat das dadurch entstandene Problem der gesteigerten Proliferation von Massenvernichtungswaffen folgendermaßen auf den Punkt gebracht: (19)
Further, it will no longer be possible to thwart the proliferation of missiles and nuclear arms—another negative consequence of NATO’s policy. Even the smallest of independent states will seek nuclear weapons and delivery vehicles to defend themselves after they see NATO’s military machine in action. The danger of global instability looms, with more new wars and more victims.
Es ist hier nicht der Ort detailliert zu erörtern, wie der Kosovo-Krieg innerhalb von zwei Monaten das internationale politische System in die Zeiten des Kalten Krieges zurückgeworfen hat, die Folgen werden erst mittelfristig sichtbar werden. Aber es ist von entscheidender und fundamentaler Bedeutung, dass dadurch alle bislang erzielten Rüstungskontrollvereinbarungen (nuklear, chemisch, biologisch, konventionell) tangiert sind. Was hier für die Proliferation von Kernwaffen gilt – die Gefahr eines Rüstungswettlaufes –, gilt umso mehr für biologische Waffen.
Rüstungskontrollbegrenzungen
Die Gattung der im weitesten Sinn biologischen Waffen ist jene, die historisch am längsten geächtet wurde. Das erste Dokument, das in moderner Auslegung eine Art “Rüstungskontrollvereinbarung” für Biowaffen darstellt, stammt aus den Manu Smrti, einem indischen Text, der etwa 2200 bis 2300 Jahre alt sein dürfte. (20) Das Wissen um organische Gifte war in der griechischen Antike bekannt – und verachtet –, und selbst im tiefsten europäischen Mittelalter, als von empirischer medizinischer Naturwissenschaft keine Rede sein konnte, war der theoretische Verlauf einer Epidemie (anhand der Pest-Erfahrungen) durchaus im Alltagsbewusstsein verankert. (21) Nach der Gaskriegsführung im Ersten Weltkrieg wurde eine Rüstungskontrollvereinbarung über Chemiewaffen 1925 auch auf bakteriologische Kampfstoffe ausgedehnt (“Genfer Protokoll”).

Angesichts des Kalten Krieges wurde schließlich 1972 eine universelle “Biowaffen-Konvention” (22) zur Unterzeichnung für Mitglieder der Vereinten Nationen aufgelegt, die 1975 in Kraft trat: Das “Übereinkommen über das Verbot der Entwicklung, Herstellung und Lagerung bakteriologischer (biologischer) und Toxin-Waffen sowie über ihre Vernichtung” (deutscher Wortlaut). Dieser Vertrag verbietet ausdrücklich bereits die Forschung und Entwicklung biologischer Waffen, ihre Herstellung, ihren Erwerb und die militärische Dislozierung (Art. I). Der Vertrag konstituiert weiters ein Vernichtungsgebot solcher Stoffe und Substanzen (Art. II) und enthält ein Weitergabeverbot (Art. III). Es sind in diesem Vertrag und in seinen Umsetzungsbestimmungen und den Überprüfungskonferenzen bis heute jedoch keine substantiellen Verifikationsmaßnahmen enthalten. Dieser Vertrag enthält jedoch keine explizite Bestimmung des Verbots des Einsatzes von biologischen Waffen!

Von den etwa 200 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen haben bis Ende 1998 diesen Vertrag u. a. nicht unterzeichnet: Algerien, Angola, Aserbaidschan, Eritrea, Israel, Kamerun, Kasachstan, Kirgisien, Moldawien, Namibia, Sudan, Tadschikistan, Tschad, Vatikan.

Von den Unterzeichnern und den neu beigetretenen Staaten haben den Vertrag u. a. nicht ratifiziert: Ägypten, Albanien, Armenien, Bangladesch, Bosnien-Herzegowina, Estland, Frankreich, Georgien, Kroatien, Libyen, Mazedonien, Slowakei, Slowenien, Syrien, Tschechien, Turkmenistan, Volksrepublik China, Volksrepublik Korea.

Diese völkervertragsrechtliche Skizze beschreibt das Problem der Rüstungskontrolle im Biowaffen-Bereich natürlich nur unzureichend.
  • Die wichtigsten Militärmächte, die USA, die Rußländische Föderation, die NATO-Staaten haben die Biowaffenkonvention sowohl unterzeichnet als auch ratifiziert, sich aber nur teilweise daran gehalten. In der Sowjetunion dürften einigen zehntausend Personen an einem offensiven Biowaffenprogramm gearbeitet haben, wobei es u. a. gelang, gentechnisch manipulierte Milzbranderreger herzustellen und eine entsprechende Menge für die Bestückung von Sprengköpfen für Interkontinentalraketen zu produzieren. (23) Nach einem Dekret von Präsident Jelzin aus dem Jahr 1992 wurde die nicht vertragskonforme Biowaffenforschung angeblich eingestellt. Die heutige RF verfügt mit Sicherheit über die größte Erfahrung in der waffentechnischen Implementierung. Weiters ist im Fall einer nuklearstrategischen Asymmetrie zwischen den USA und der RF nicht auszuschließen, dass sich letztere eine strategische Zweitschlagkapazität durch biologische Waffen in der Rückhand behält.


  • Die USA selbst unterhalten, nachdem die Nixon-Administration 1969 eine weitere Arbeit an Offensivkapazitäten untersagt hatte, nur mehr ein “Defensivprogramm” im Bereich der Biowaffenforschung. Der Dual-use-Charakter eines Biowaffenprogrammes ist jedoch evident, “Defensivforschung” kann jederzeit wieder in ein Offensivprogramm konvertiert werden.


  • Da im Rahmen eines groß angelegten Impfprogramms alle Militärangehörige der USA gegen Milzbrand geimpft werden, bereiten sich die USA offensichtlich auf eine Phase aktiver biologischer Kriegführung vor. Die Natur dieses Impfprogramms und der begleitenden Rhetorik lassen darauf schließen, dass vor allem damit gerechnet wird, dass sich Truppen der USA in Umgebungen begeben, wo der Einsatz von Biowaffen als möglich oder wahrscheinlich erachtet wird. Dies konterkariert nicht nur die Abrüstungsziele der Biowaffenkonvention, sondern dürfte anhand der mittlerweile vorhandenen genetischen Veränderungen der Erreger auch kaum wirksam sein. (24)


  • Sowohl die RF als auch die USA haben sich geweigert, ihre Bestände an Pockenviren vernichten zu lassen. Ende Mai 1999 kam diese seit langem geplante Vernichtung der letzten isolierten Pockenviren auf die Tagesordnung der Weltgesundheitsorganisation WHO. Die Pocken gelten seit 1980 offiziell als “ausgerottet”.(25)


  • Die Biowaffenkonvention enthält bis heute keine wirklichen Verifikationsprozeduren für die Inspektion von verdächtigen Anlagen ihrer Mitgliedsstaaten. Lediglich im Fall des Irak wurde eine solche Inspektion teilweise von der UNSCOM erzwungen. Dennoch bedurfte es auch hier mehr als vier Jahre, bis der Irak am 1. Juli 1995 offiziell die Bestückung von Sprengköpfen seiner Al-Hussein-Raketen (Reichweite knapp 1000 Kilometer) mit Milzbrand- und Botulin-Toxinen zugab. Die alarmistische US-Logik geht davon aus, dass dort, wo eine begrenzte Fähigkeit zur Herstellung ballistischer Raketen vorhanden ist, der Schritt plausibel ist, anstatt von Nuklearsprengköpfen biologische Waffen einzusetzen.


  • Ebensowenig enthält die Biowaffenkonvention bisher verbindliche Bestimmungen, wie die mögliche gentechnische Veränderungen von biologischen Kampfstoffen bewertet werden soll. (26)

    Zwischen Alarmismus, Realismus und Bagatellisierung
Die sowohl in der US-Literatur wie auch in den regierungsamtlichen Stellungnahmen vertretene alarmistische Position, die USA seien – sowohl was die Bedrohung durch Nuklearwaffen als auch durch biologische Waffen anbelangt – einem größerem Risiko als je zuvor ausgesetzt, (27) entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Zum einen ist die größte systematische Konfrontation mit der Drohung von Massenvernichtungswaffen, der Kalte Krieg, unblutig zu Ende gegangen: mit der Selbstauflösung der Sowjetunion und ihres strategischen Glacis, dem Warschauer Pakt. Seitdem haben die USA die Rolle eines sicherheitspolitischen Hegemons übernommen, der sich erwiesenermaßen anmaßt, das eine oder andere Dritte-Welt-Land gelegentlich mit Cruise-Missile-Angriffen zu überziehen. Das Theorem, “Wer Cruise Missiles sät, wird Biowaffen ernten”, ist insofern nicht ganz unplausibel, obgleich der Beweis dafür aussteht.

Auch der Verweis darauf, die Liberalität der US-Ökonomie ermögliche es allen rechtsextremen und rassistischen Milizen, im Versandhandel Milzbranderreger genauso einfach zu bestellen, wie an der nächsten Straßenecke automatische Schußwaffen zu kaufen, läßt sich als weitgehend inneramerikanische Angelegenheit verorten. Ob sich dadurch tatsächlich die Gefahr eines “katastrophalen Terrorismus” (28) mit biologischen Waffen konstituiert, wird nicht nur von Terrorismusexperten selbst, (29) sondern auch von aufmerksamen Beobachtern der US-Militärbürokratie erheblich in Zweifel gestellt. (30) Eine abschließende Beurteilung einer solchen terroristischen Bedrohung erscheint daher aus diesem Grund nicht möglich.

Ein Sachverhalt ist jedoch völlig evident. Bereits bestehende Produktionsanlagen für biologische Waffen lassen sich einzig durch Rüstungskontrolle und sehr enge Verifikationsmaßnahmen, d. h. durch Inspektionen vor Ort, aus der Welt schaffen. Die US-britischen Luftangriffe auf den Irak im Dezember 1998 haben genau das nicht geleistet, was sie erklärtermaßen sollten, nämlich Produktionseinrichtungen von – noch immer vermuteten Massenvernichtungswaffen – zu zerstören. Genau jene Einrichtungen wurden auch gar nicht bombardiert, weil gerade dadurch eine solche Freisetzung von Erregern eingetreten wäre. Aus militärischer Logik gibt es ein einziges verläßliches Mittel, um Biowaffenarsenale zu zerstören: präventive Nuklearschläge, da nur Kernwaffen durch ihre hohe Temperatur von einigen Millionen Grad eine sichere Vernichtung der Erreger gewährleisten. Das aber hieße, den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben.

(1)
New Scientist, 19. September 1998, im Internet: http://www.newscientist.com/ nsplus/insight/bioterrorism/bioarmageddon.html zurück

(2)
http://www.anthrax.osd.mil/hist.htm zurück

(3)
Altes Testament, Buch Exodus, 9. Kapitel zurück

(4)
Stocker, Gerfried; Schöpf, Christine (Hrsg.): Information.Macht.Krieg, Springer, Wien – New York, 1998 zurück

(5)
”In addition, state and non-state adversaries may try to exploit the Alliance’s growing reliance on information systems through information operations designed to disrupt such systems. They may attempt to use strategies of this kind to counter NATO’s superiority in traditional weaponry.” The Alliance’s Strategic Concept, Approved by the Heads of State and Government participating in the meeting, of the North Atlantic Council in Washington D.C., on 23rd and 24th April 1999, Press Release NAC-S(99)65, April 24, 1999, para. 23 zurück

(6)
[…] the perception of western political, economic, and especially military ‘dominance’ means that many of our enemies will choose asymmetric means to attack our interests—that is, pursuing courses of action that attempt to take advantage of their perceived strengths while exploiting our perceived weaknesses. At the ‘strategic’ level, this probably means seeking to avoid direct military confrontation with US forces; at the operational and tactical levels it means seeking ways of ‘leveling the playing field’ if forced to engage the US military.” Zitiert nach: Global Threats and Challenges to the United States and its Interests abroad. Statement For The Senate Select Committee On Intelligence 5 February 1997. Statement For The Senate Armed Services Committee On Intelligence 6 February 1997. Lieutenant General Patrick M. Hughes, USA, Director, Defense Intelligence Agency. http://www.loyola.edu/dept/politics/hula/threats.html zurück

(7)
Schöfbänker, Georg: Von Plato zur NATO: Erkenntnis, Wissen und Phantasien über den Cyber- und Informtionskrieg. In: Stocker, Gerfried; Schöpf, Christine (Hrsg.): Information.Macht.Krieg, Springer, Wien – New York 1998, S. 101–118 zurück

(8)
Vgl. Geistlinger, Michael: Bomben auf das Völkerrecht. NATO-Bombardements auf Jugoslawien stellen einen inflagranten Bruch des Völkerrechts dar und können völkerrechtlich nicht gerechtfertigt werden. In: http://zoom.mediaweb.at/zoom_299/geistlinger.html (1999) zurück

(9)
Huntington, Samuel: The Lonely Superpower. Foreign Affairs, March/April 1999, S. 35–49 zurück

(10)
Vgl: US admits Sudan bombing mistake. In: The Independent, May 4, 1999. Ebenso International Herald Tribune, May 17, 1999 zurück

(11)
http://www.oss.net/ASYMMETRIC/ zurück

(12)
The White House (1998): A National Security Strategy for a New Century. Quelle: http://www.whitehouse.gov/WH/EOP/NSC/html/documents/nssr.pdf zurück

(13)
Ibid., S. 19 zurück

(14)
Nach Aussagen der im japanischen Biowaffenwaffenprogramm beteiligten Wissenschafter wurden sowohl Milzbrand- als auch Typhuserreger im Krieg gegen China eingesetzt. Die Opferzahlen differieren zwischen einigen hundertausend und einigen zehntausend. Vgl. Japan Rebuffs Requests for Information about its Germ-Warfare Atrocities. New York Times, March 24, 1999 zurück

(15)
Der russische Biowaffenkonstrukteur Kanatjan Alibekow berichtet davon, dass 1982 seitens der Sowjetunion “Rotz”, eine Infektionskrankheit bei Tieren, im Afganistan-Krieg eingesetzt wurde. Vgl. Der Spiegel, 15/1999, 12. 4. 1999 zurück

(16)
Der russische Biowaffenkonstrukteur Kanatjan Alibekow, der 1992 in die USA wechselte, hat darüber ausführlich berichtet. Siehe Der Spiegel, 15/1999, 12. 4. 1999. Vgl: Alibek, Ken; Handelmann, Stephan: Direktorium 15. Russlands Geheimpläne für den biologischen Krieg. Econ, München 1999 zurück

(17)
Das Center for Non-Proliferation Studies (CNS) etwa nennt folgende Staaten mit einem aktiven Biowaffen(forschungs)programm: Ägypten, Algerien, Indien, Irak, Israel, Libyen, Russländische Föderation, Syrien, Taiwan, USA, Volksrepublik China, Volksrepublik Korea. Quelle: http://www.miis.edu/research/ cbw/possess.htm zurück

(18)
Diese gesteigerte Bedrohungswahrnehmung begann durch den Westen unmittelbar nach dem Golf-Krieg 1991, als die Reichweite des irakischen Biowaffen-Programms erkannt wurde. zurück

(19)
Impossible to Talk Peace With Bombs Falling. Washington Post, May 27, 1999 zurück

(20)
Bühler, G. (Übers.), The Laws of Manu, Oxford University Press. Oxford, 1886, nachgedruckt unter UNESCO-Sponsorship als The Sacred Books of the East, Vol. 25, Motilal Banarsidass, Delhi, 1975, S. 230, 251–52. Internetquelle: Das Biowaffenkontrollprogramm des SIPRI: http://www.sipri.se/cbw/ docs/cbw-hist-manu.html zurück

(21)
Delumeau, Jean: Angst im Abendland, Bd. 1, Fischer-Taschenbuch, Reinbek 1985, S. 140–190 zurück

(22)
Convention on the Prohibition of the Development, Production and Stockpiling of Bacteriological (Biological) and Toxin Weapons and on Their Destruction zurück

(23)
Statement by Dr. Kenneth Alibek, Program Manager, Battelle Memorial Institute, before the Joint Economic Committee, United States Congress, Wednesday, May 20, 1998
http://www.house.gov/jec/hearings/intell/alibek.htm zurück

(24)
Vgl. hierzu: Istock, Conrad A.: Bad Medicine. Anthrax vaccinations of U.S. troops send politically explosove message. They won’t provide much protection, either. In: Bulletin of the Atomic Scientists, November/December 1998, S. 21–23 zurück

(25)
Vgl. Neue Zürcher Zeitung, 22./23. Mai 1999, S. 4 zurück

(26)
Vgl. Kelle Alexander: Atombombe des kleinen Mannes? HSFK-Report 6/1997. Sir Weston, Michael: Giving theeth to the Biological Weapons Convention. NATO-Review, May/June 1997, S. 33–35 zurück

(27)
Paradigmatisch hierfür: Falkenrath, Richard; Newman, Robert D; Thayer, Bradley A: America’s Achilles´ Heel. Nuclear, Biological and Chemical Terrorism and Covert Attack, MIT Press, Boston/Mass. 1998 zurück

(28)
So die Diagnose in Forgein Affairs. Siehe: Carter, Ashton; Deutch, John; Zelikow, Philip: Combating Catastrophic Terrorism. Foreign Affairs, November/December 1998, S. 80–94 zurück

(29)
Vgl. Vegar, Jose: Terrorism’s new breed. Bulletin of the Atomic Scientists, March/April 1998, S. 50–55 zurück

(30)
Vgl. Sprinzak, Ehud: The Great Superterrorism Scare. Foreign Policy, Fall 1998, S. 110–124; Pringle, Peter: Bioterrorism. America’s Newest War Game. The Nation, 1998. Internetquelle: http://www.thenation.com/issue/981109/1109PRIN.HTM zurück