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Das Gen als kulturelles Ikon
Die Bildsymbolik der DNA

'Dorothy Nelkin Dorothy Nelkin

Erstveröffentlichung der Originalfassung in Art Journal, Frühjahr 1996, Vol 55, No 1.

1993 zeigte der Konzeptkünstler Larry Miller in einer Ausstellung das Genetic Code Certificate, ein elegant gestaltetes Zertifikat mit dem Wortlaut: “Ich …, geboren als natürliches menschliches Wesen, lasse hiermit meinen einmaligen genetischen Code, in welcher Form auch immer er wissenschaftlich bestimmt, beschrieben oder auf andere Weise empirisch dargestellt werden mag, für alle Zeiten urheberrechtlich schützen. … Ich, ein Original-Mensch, erkläre dies an Eides statt mit einem Fingerabdruck.” (1) Millers Arbeit spielt auf die Deutung der DNA als Essenz des Menschseins, als Quelle der individuellen Identität, als Definition des Selbst schlechthin an. Er macht sich über die Vorstellung lustig, dass der genetische Code einer Einzelperson urheberrechtlich geschützt und somit zur Ware gemacht werden kann, als wäre ein Mensch ein patentierbarer Gegenstand.

Das Gen ist eine biologische Struktur, die Einheit der Vererbung, eine DNA-Sequenz, welche die zur Bildung lebender Zellen nötigen Informationen in sich trägt. In seiner biologischen Realität stellt ein Gen Text ohne Kontext, Daten ohne Dimension dar. Doch darüber hinaus ist es zu einem kulturellen Ikon geworden: eine praktische Möglichkeit, das Wesen der Identität und die Kräfte zu erforschen, welche die menschliche Natur mitgestalten. So ist Miller nur einer von vielen Künstlern, die sich heute in der bildenden Kunst molekularer Metaphern bedienen. In der Tat finden sich Beispiele für wissenschaftliche Visualisierungen von Chromosomen, Molekülen, DNA-Sequenzen und der Doppelhelix sowohl im vielschichtigen Genre der hohen Kunst als auch in der etwas direkteren Ikonografie der Medienillustration.

Unter Rückgriff auf diese verschiedenen Genres möchte ich den Umgang zeitgenössischer Künstler mit Bildern aus der Wissenschaft der Genetik einer soziologischen Betrachtung unterziehen. Einige fühlen sich scheinbar ganz einfach von den ästhetischen Formen molekularer Strukturen angezogen. Andere setzen sich mit einem Thema auseinander, das ich anderswo als “genetischen Essenzialismus” bezeichnet habe: eine Ansicht, derzufolge Gene als mächtige und deterministische Entitäten gelten, die für das Verstehen der Conditio humana von zentraler Bedeutung sind. (2) Wieder anderen dient die Kunst dazu, ihre Furcht vor der vermeintlich außer Kontrolle geratenen Technologie zum Ausdruck zu bringen. DNA-Künstlern erscheint das biologische Gen – die Zellkernstruktur – als kulturelles Ikon. Die Genetik stellt ihrerseits eine Reihe visueller Metaphern zur Verfügung, mit denen die KünstlerInnen die Essenz der Persönlichkeit, das Wesen des menschlichen Schicksals und vor allem ihre Bedenken über die gesellschaftlichen Auswirkungen eines ständig wachsenden, bedeutenden, doch historisch nicht ungefährlichen Wissenschaftsbereiches ausdrücken können.

Der Porträtkünstler Kevin Clarke porträtiert seine Modelle – in der Regel KünstlerkollegInnen –, indem er ihre Individualität, ihr essenzielles, tieferes Selbst durch den Buchstabencode ihrer DNA-Sequenz symbolisiert. Über Bilder, die er mit seinen Modellen assoziiert (etwa eines ihrer Gemälde) malt Clarke die Abfolge der Buchstaben ACGT, welche die vier Aminosäuren bezeichnen, die die Grundlage des genetischen Codes jedes Menschen bilden (vgl. seine Arbeit in Models, Metaphors, and Matter). In diesen Porträts versucht Clarke, die Essenz des Individuums zu definieren. Er selbst meint dazu: “Was mich bewegt, ist das Zusammenfließen von Konzepten der Individualität, der Sprache, der Körperlichkeit sowie die Entwicklung eines Kodex zur Beschreibung einer höchst flüchtigen Realität.” Für Clarke ist die DNA-Sequenz “etwas Unsichtbares, das durch ein scheinbar einfaches genetisches Alphabet sichtbar gemacht wird.” (3)

Andere Künstler verwenden zur Definition von Identität ebenfalls molekulare Metaphern. So schuf Suzanne Anker unter Verwendung ihres eigenen DNA-Fingerabdrucks ein Selbstporträt, das sie Chromosome Chart of Suzanne Anker, Artist betitelt (vgl. Models, Metaphors, and Matter). (4) Sogar Tätowierungskünstler haben sich diesem Trend angeschlossen; so ließ sich z. B. ein Kellner in einem Restaurant im New Yorker East Village eine Doppelhelix auf dem Arm tätowieren.

Nancy Burson erkundet die Grenzen der Persönlichkeit und die Bedeutung der Normalität in einer Reihe von Dokumentarfotos von Kindern mit kraniofazialen Störungen, welche durch eine seltene genetische Konstitution wie die Akrozephalosyndactylie hervorgerufen werden. Diese Fotografien sprechen unsere Ängste vor der Behinderung als körperliches Anderssein an und stellen unsere Vorstellung von Identität auf schmerzhafte Weise infrage. Es fällt nicht leicht, diese Kinder anzusehen. Doch indem Burson sie beim normalen Spiel abbildet, gelingt es der Künstlerin, ihre essenzielle Menschlichkeit einzufangen und die Schwierigkeiten bei der Definition von Normalität und Krankheit aufzuzeigen. (5)

All diesen Künstlern bieten genetische Metaphern die Möglichkeit, die innere Essenz einer Person, die Wahrheit hinter dem Erscheinungsbild, das Wesen des authentischen Selbst darzustellen. Als essenzialistische Visionen verfügen ihre Arbeiten oft über einen beinahe religiösen Unterton. Kritiker Alan Jones hält diesen Aspekt der DNA-Kunst in seiner Beschreibung von Clarkes Werken fest: “Die DNA wird zu einer unsichtbaren Kathedrale, zu einem architektonischen Gebilde, dessen Zweck es ist, zur Betrachtung des Göttlichen zu führen.” (6) Derartige Bilder evozieren eine gewisse Ehrfurcht, als sei das Gen – als die Essenz der Persönlichkeit – die Quelle der Authentizität, ja, sogar das säkulare Äquivalent der Seele.

Diese quasi-religiösen Bilder sind nicht nur Produkte künstlerischer Fantasie. Die Vorstellung vom Gen als essenziellem Selbst wird durch die rhetorischen Strategien unterstützt, mit denen Genetiker die Bedeutung ihrer Arbeit am Human-Genom-Projekt beschreiben. Wissenschaftler neigen zur Verwendung religiöser Metaphern, in welchen das Erbgut als Bibel, Heiliger Gral oder “Buch des Menschen” bezeichnet wird. (7) Ihre Sprache ist oft hochgradig deterministisch. Es besteht ein komplexer, interaktiver und kaum erforschter Zusammenhang zwischen genetischer Prädisposition und Umweltbedingungen, zwischen Biologie und Kultur, zwischen Natur und Erziehung. Dennoch wird die DNA von Wissenschaftlern als Master-Molekül bezeichnet; wir sind bloß der Ausdruck unserer Gene. Wissenschaftliche Metaphern können auch futuristisch sein; so wird das menschliche Erbgut etwa als Orakel von Delphi, als Reise in die Zukunft, als Blick in die medizinische “Kristallkugel” beschrieben.

Diese Metaphern sind oft Mittel zum Zweck, die die Bedeutung einer kostspieligen Wissenschaft untermauern und die Gelder fließen lassen sollen. Dennoch haben sie durch ihr Auftauchen in Populärkultur, Kunst und Illustration die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf sich gezogen. Ebenso wie das Gen die Möglichkeit bietet, die Essenz der Identität zu enthüllen, bietet es Künstlern die Möglichkeit, die Bedeutung des Schicksals, das Wesen des menschlichen Geschicks zu erforschen.

Der Feinmaler Frank Moore, der sich vor allem politischen Themen widmet, verwendet Darstellungen von Molekülen, um die Auswirkung von AIDS und die Probleme der Umweltverschmutzung aufzuzeigen. In seinem Gemälde Eclipse steht ein kleines Strichmännchen, das aus molekularen Strukturen besteht und eine Pille trägt, an einem mit Kondomen und Spritzen übersäten Strand. Die Sonne wird von einem Molekularmodell des HIV-Virus verfinstert und strahlt Worte des Schmerzes aus. Im Bild Niagara ist die Gischt über den Niagarafällen mit spiralförmig angeordneten, molekularen Strukturen toxischer Chemikalien angereichert. Moores komplizierte Molekularbilder verweisen auf die biologische Unausweichlichkeit von Krankheit und Verschmutzung und rufen ein Gefühl von Verhängnis und Verzweiflung hervor. (8)

Krankheit ist auch das Thema einer Reihe biomorpher Skulpturen von Ronald Jones. Eine davon ist eine Brancusi-artige Figur mit dem Titel DNA Fragment for a Human Chromosome, die Jones mit dem Untertitel “Bösartige Onkogene, die eine rasche Krebstumorbildung auslösen” versehen hat. Im Licht der deterministischen Themen, welche an anderer Stelle in Jones’ Arbeit auftreten, strahlt diese Figur ein Gefühl erbarmungsloser biologischer Mutation außerhalb jeglicher menschlicher Kontrolle aus. Durch die Verzerrung des Stils Brancusis ist die Skulptur auch als Kommentar zur Mutation – sowohl der künstlerischen als auch der natürlichen – zu verstehen.

Die Vorstellung des genetisch vorbestimmten Schicksals beeinflusste auch die anthropomorphen Skulpturen von Alan Rath. Rath erschafft Hybriden zwischen Mensch und Maschine. Die Verknüpfung von Informationstheorie und Molekularbiologie inspirierte ihn zur Skulptur Nucleic Acid, bei der er eine Glasglocke über die Buchstaben ACGT stülpte. Rath sieht die Glasglocke als Behälter für die genetische Information, die das verschlüsselte Rezept zur Konstruktion von Lebensformen enthält.

Illustratoren und Cartoonisten haben das Thema DNA als Schicksal auf direktere Weise aufgegriffen. So etwa zeigt der Cartoonist Nick Downes, wie man DNA mit dem Schicksal assoziiert: In einer bemerkenswerten Zeichnung steht die Hellseherin Ms. Tena vor ihrem Astrologieladen. Gleich nebenan steht ihre Konkurrentin, die Genetikerin Madame Rosa. Beide warten auf Kundschaft und beider Metier ist es, die Zukunft vorherzusagen. (9)

Für Zeitungs- und Zeitschriftenartikel zum Thema Genetik haben sich Illustratoren eine molekulare Symbolik angeeignet, um die Vorstellung des genetischen Determinismus und die Bedeutung biologischer Grenzen bzw. genetischer Zwänge zu verdeutlichen. Die Querverstrebungen der Doppelhelix werden z. B. als Stacheldraht oder als Gefängnisgitter dargestellt, die Nukleotidenknäuel als Kugel an einer Kette oder als Fäden einer Marionette. Einige Illustratoren haben den menschlichen Rumpf in den Fesseln einer Doppelhelix liegend dargestellt, um so die deterministische Bedeutung der Gene aufzuzeigen. Andere versehen ihre Darstellungen der Doppelhelix mit Messern oder einem Handschlag, um die genetische Grundlage für so spezifische Verhaltensweisen wie Gewalttätigkeit oder Kooperationsbereitschaft anzudeuten. In einer Illustration ist die Doppelhelix in die Wurzeln eines Baumes eingraviert, den ein sichtlich unter seiner Last gebeugter Mann auf den Schultern trägt. Bilder wie diese vermitteln den Eindruck, das genetische Schicksal sei eine Bürde, die wir tragen müssen, ein Gefängnis, eine Fessel, ein Zwang: Die Genetik ist unsere Zukunft und wir sind die Gefangenen unserer Gene.

Kulturelle Vorstellungen vom Gen als essenzielle und deterministische Entität verleihen der DNA-Kunst eine mehr als rein ästhetische Bedeutung. In Anbetracht des historischen Missbrauchs der Genetik ist es einigen Künstlern ein Anliegen, in ihren Arbeiten starke Vorbehalte gegenüber der Gentechnik zum Ausdruck zu bringen. Experimente in den Bereichen Gentherapie und Biotechnologie implizieren die Manipulation von Genen und sind daher zum Gegenstand kontinuierlicher öffentlicher Auseinandersetzungen geworden. Wer über diesen Forschungsbereich schreibt, stellt unweigerlich den Bezug zu den Exzessen der Eugenikbewegung her. (10) Und auch in Gemälden, Installationen und Illustrationen wurde die Gefahr der Genmanipulation bereits thematisch verarbeitet.

Die Installationskünstlerin Andrea Zittel konstruierte z. B. am New Museum of Contemporary Art in SoHo, New York, eine Hühnerzuchtanlage mit dem Titel Breeding United for Reassigning Flight. Im Prinzip handelt es sich um ein Experiment für selektive Zucht. Die Zuchtanlage ist eine Vorrichtung, in der Hühner ihre Eier nur dann ausbrüten dürfen, wenn sie bis zu einer bestimmten Höhe fliegen können. Zittels Installation stellt eine bewusste soziale Manipulation der “natürlichen” Auslese dar, da die Auswahl der zum Überleben notwendigen Eigenschaften (die Fähigkeit, hoch zu fliegen) von einer kulturell geschaffenen Struktur bestimmt wird. Als ausgeklügelte optische Anspielung auf den sozialen Aufstieg gibt die Arbeit ein zynisches Statement zu den gesellschaftlichen Vorurteilen ab, die den Evolutionstheorien der genetischen Selektion zu Grunde liegen. (11) Eine ähnliche Botschaft vermittelt Nicholas Rule in seinem Gemälde eines Pferdestammbaums, Black Tie Affair. Diese Arbeit bringt Manipulationen im Stammbaum von Pferden und die bewusste Selektion bestimmter Eigenschaften im Kontext des kommerziellen Interesses der Pferderennsportindustrie zum Ausdruck. (12)

In ihrer komplexen, surrealistischen Installation The Spotted Merino entwickelt Laurel Katz eine Reihe verwandter Themen, die sich mit der genetischen Manipulation natürlicher Abläufe befassen. Katz entwarf ein realistisch wirkendes Schaf, das ihrer Beschreibung zufolge gentechnisch insofern verändert wurde, als nun eine große Fläche seines Rückens mit Garn bedeckt ist. Diese Fläche ist so geformt, dass ein so genannter Haken-Käfer daraus direkt einen Pullover herstellen kann. Auf Grund einer entsprechenden gentechnischen Veränderung sehen die Beine des Käfers nun wie Haken aus. Der Käfer ist außerdem dazu abgerichtet, auf dem Rücken des Schafs im Kreis zu gehen, wobei er die Wolle mit seinen Hakenbeinen auffängt, das Garn zusammenstrickt und so einen Pullover herstellt. (13) Die Übung – kunstvoll konzipiert und absurd, doch relativ einleuchtend präsentiert – besitzt keinerlei aussöhnenden gesellschaftlichen Wert. Katz’ Installation ist ein zynischer und satirischer Kommentar zur Rolle der Wissenschaft – insbesondere der Biotechnologie und Gentechnologie – bei der kommerziellen Ausbeutung der Natur. Ebenso wie Miller sich über die Bemühungen lustig macht, DNA zu patentieren, macht sich Katz mit dem Verkauf der Pullover, die der gentechnisch veränderte Käfer angeblich auf dem Rücken des gentechnisch veränderten Schafes hergestellt hat, über die Kommerzialisierung natürlicher Abläufe lustig. Beide Künstler kritisieren in ihrer Arbeit die von den neuesten Fortschritten der Biotechnologie implizierte Veränderung der Natur zu Objekt und Ware.

Für den Installations- und Videokünstler Paul McCarthy, der sich bevorzugt damit befasst, fest verankerte Identitäten und Stereotypen zu hinterfragen, sind hybride Mutanten klarerweise von besonderer Anziehungskraft. Seine Installation Tomato Heads ist – vielleicht – eine Parodie auf die gentechnisch veränderte Tomate, die auch als “Frankenfruit” bzw. “Anti-Matsch-Tomate” bekannt ist. Wie viele Künstler nähert sich McCarthy den durch die Biotechnologie aufgeworfenen gesellschaftlichen Themen mit zynischem Humor.

Kritische Werke wie diese geben zynisch Antwort auf das Engagement der Genetiker in der biotechnologischen Industrie und auf ihre wiederholten Versprechungen, genetisches Wissen ermöglichte eine verstärkte Kontrolle über die menschliche Zukunft. Derzeit befassen sich die Genetiker in erster Linie mit der Identifikation von für bestimmte Krankheiten verantwortlichen Markern und Genen, mit der Entwicklung von Gentherapien und pharmazeutischen Produkten und mit den Anwendungsmöglichkeiten der Biotechnologie zur Produktionssteigerung in der Landwirtschaft. Doch einige Künstler setzen die Fortschritte der Genetik mit der beängstigenden Geschichte der Eugenik in Verbindung und vermitteln in ihren Arbeiten eine Vorstellung von Experimenten zur selektiven Zucht von Menschen (bzw. Pflanzen und Tieren) im Hinblick auf wünschenswerte Merkmale.

Das ist auch das Thema der Zeichnung The Double-Edged Helix von Ronald Searle, die von der New York Times in Auftrag gegeben wurde, um meine Op-Ed-Arbeit zum Thema genetisches Screening zu illustrieren. Neben einem Schild mit der Aufschrift “Blaue-Augen-Kontrolle, Qualitätskontrolle, Kontrolle für angeborene Kriminalität, Schadensersatzansprüche, Versicherungsausschlussgründe und selektive Zucht” sitzt ein Richtergremium auf einer Bank. Die Richter halten Gummistempel in Händen und beobachten einen Wissenschaftler, der Babys durch ein Sieb siebt. Was dabei herauskommt, ist eine Reihe seltsamer, verzerrter Mutanten und grimmig dreinblickender Horrorfiguren (eine trägt ein Messer). Doch mitten unter ihnen befindet sich auch ein pummeliges, fröhliches Baby mit dem Stempel “OK”. (14)

Das populäre Genre der Comic-Kunst, das sich schon seit langem mit Mutanten und Manipulationen befasst, hat sich der molekularen Revolution bereits angepasst. In der kürzlich erschienenen Comic-Serie DNAgents geht es um die Firma Matrix, die künstliche Menschen geschaffen hat, die auf Grund ihrer gezielt veränderten DNA perfekte Geheimagenten abgeben. Diese Mutanten werden als attraktive menschliche Wesen mit arischen Zügen porträtiert und besitzen trotz der gentechnischen Veränderung ununterdrückbar menschliche Eigenschaften. Die Botschaft dahinter? “Die Wissenschaft hat sie zwar hergestellt, doch DNAgents gehören niemandem.” Die Genmanipulation kann die Essenz des Menschseins nicht ändern, da der Mensch sich eben durch die menschliche DNA vom Roboter unterscheidet. Auch konstruierte Wesen sind im Grunde menschlich, wenn sie menschliche DNA in sich tragen. (15)

Oft werden Wissenschaftler selbst zum Thema von Illustrationen und Cartoons. Genetiker werden dargestellt, wie sie Monster und Mutanten erschaffen oder auf den DNA-Wicklungen einen Hochseilakt vollführen. In einer bemerkenswerten Illustration für einen Artikel über Gentechnik nahm Stuart Goldenberg z. B. Anleihen bei Edward Munchs Der Schrei. Die Figur ist vor Schreck erstarrt, der Mund steht offen und die Augen sind weit aufgerissen. Ihr gesträubtes Haar besteht aus einer Unzahl eng gewickelter Doppelhelix-Stränge. (16) In diesen Bildern wird die Genmanipulation als gefährliche Attacke gegen die Natur dargestellt, welche den natürlichen Kategorien, den allgemeinen Moralvorstellungen und der menschlichen Auffassungsgabe trotzt.

In der zeitgenössischen Kunst ist das Gen zu einem kulturellen Ikon geworden. Mithilfe genetischer Metaphern lässt sich die Verbindung zwischen Natur und Kultur darstellen – ein Problem, von dem Künstler schon immer fasziniert waren und das sie schon seit langem zur Verwendung wissenschaftlicher, insbesondere biologischer Metaphern anregt. Die Wissenschaft diente schon vielen Künstlern – von Jan Vanmeer bis zu Remedios Varo aus Lateinamerika – als Quelle ästhetischer Bildsymbolik und als Arbeitsthema. So reflektierte die Kunst des 17. Jahrhunderts wissenschaftliche Entdeckungen in den Bereichen Astronomie und Kartografie und die wissenschaftlichen Theorien von Zeit, Raum und Materie inspirierten die Bilder der Kubisten und Surrealisten des frühen 20. Jahrhunderts.

Thomas Mann verwendet im Zauberberg ein Bruströntgenbild, um das Innerste eines Menschen zu enthüllen. Sein Held Hans Castorp hütet im Schweizer Sanatorium das Röntgenbild von Frau Chauchat als Essenz ihrer Persönlichkeit. (17) In ähnlicher Weise lassen sich Künstler wie Clarke von wissenschaftlichen Entdeckungen inspirieren und verwenden diese, um hinter die sichtbare Welt zu blicken, um das essenzielle Wesen beobachtbarer Dinge zu enthüllen. Doch die Wissenschaft dient auch als Quelle surrealer Fantasien und dystopischer, ja, sogar apokalyptischer Visionen, da zahlreiche Künstler nunmehr als Gesellschaftskritiker auftreten.

Die DNA-Kunst der 90er-Jahre reflektiert diese unterschiedlichen Muster in der historischen Überschneidung von Wissenschaft und Kunst. Einige der hier genannten KünstlerInnen verwenden molekulare Metaphern, um grundlegende Wahrheiten auszuloten – und sprechen z. B. einer biologischen Entität kulturelle Macht zu bzw. akzeptieren die Prämissen des genetischen Essenzialismus. Andere wiederum werfen Fragen auf, die angesichts des Aufstiegs der Genetik zur erklärenden Wissenschaft ganz allgemein Anlass zur Besorgnis liefern. Kann man das Selbst auf eine molekulare Entität reduzieren? Kann man Personen – Menschen in ihrer gesamten sozialen, historischen und moralischen Komplexität – mit ihren Genen gleichsetzen? Wenn die Prämissen des genetischen Essenzialismus als Grundlage für die Sozialpolitik akzeptiert werden, welche gesellschaftlichen Implikationen ergeben sich daraus? Diese von Künstlern und Illustratoren aufgezeigten Fragen bereiten auch zahlreichen Wissenschaftlern Sorge. (18) Denn die gesellschaftliche und ethische Bedeutung der Genetik – die Implikationen des Glaubens an den genetischen Essenzialismus – wird immer mehr an Bedeutung gewinnen, je stärker die Beurteilung menschlichen Verhaltens und die Formulierung gesellschaftlicher Ziele durch wissenschaftliche Fortschritte in der Molekularbiologie verändert werden.

Anmerkungen

Dieser Artikel entstand unter der großzügigen Mithilfe von Ellen Levy, die mich mit Material und nützlichen Hinweisen unterstützte.

(1)
Millers Arbeit wurde im Februar 1993 die Ausstellung Genus Memorialis: Imitations of Immortality an der Horodner Romley Gallery, New York, gezeigt. zurück

(2)
Zur Darstellung von DNA in verbalen Metaphern und populären Geschichten vgl. Nelkin, Dorothy; Lindee, Susan, The DNA Mystique: The Gene as a Cultural Icon, New York: W.H. Freeman 1995 zurück

(3)
Clarke, Kevin in Jones, Alan, Kevin Clarke. Tema Celeste 40, Frühjahr 1993, S. 72f zurück

(4)
Suzanne Ankers Arbeit wurde im Dezember 1991 unter dem Titel Wonderful Life an der Dooly Le Cappeline Gallery, New York, gezeigt. zurück

(5)
Die Fotografien befinden sich in der Jane H. Baum Gallery, New York. Vgl. auch Burson, Nancy, Faces, Twin Palms, Santa Fe, 1993 zurück

(6)
Jones, Kevin Clarke, S. 73 zurück

(7)
Zur Diskussion und Dokumentation dieser häufig verwendeten Metaphern vgl. Nelkin, Lindee, DNA Mystique, Kap. 1 zurück

(8)
Moores Arbeit ist bei Sperone Westwater, New York, ausgestellt. Niagara war bei der Whitney Biennale 1995 zu sehen. Vgl. Hirsch, Faye, Rezension von Frank Moore bei Sperone Westwater. Art in America 81, April 1993, S. 131–32 zurück

(9)
Nick Downes, Cartoon in Science 238, November 9, 1987, S. 772 zurück

(10)
Vgl. Kevles, Daniel J.; Hood, Leroy (Hgs.), The Code of Codes: Scientific and Social Issues in the Human-Genom-Projekt, Harvard University Press, Cambridge 1992 zurück

(11)
Zittels Konstruktion wurde 1994 im New Museum of Contemporary Art, New York, ausgestellt. zurück

(12)
Nicholas Rules Gemälde wurde im Januar 1995 in der von Suzanne Anker kuratierten Ausstellung Gene Culture: Molecular Metaphors in Visual Art am Fordham College, New York, gezeigt. zurück

(13)
Laurel Katz’ Arbeit ist in der Postmasters Gallery, New York, ausgestellt. zurück

(14)
Searle, Ronald, The Double-Edged Helix, in: Dorothy Nelkin, The Double-Edged Helix, New York Times, 4. Februar 1994 zurück

(15)
Evanier, Mark; Meugniot, Will, DNAgents, Eclipse Enterprises Series, November 1992, Cover zurück

(16)
Stuart Goldenberg, Cartoon in der New York Times, 16. September 1990 zurück

(17)
Dank an Vera Zolberg, die mich auf dieses Beispiel aufmerksam gemacht hat. zurück

(18)
Als Teil des Human-Genom-Projekts wurde eine Arbeitsgruppe gebildet, der 3–5 Prozent der gesamten finanziellen Mittel des Projekts zur Verfügung stehen und die sich mit den ethischen, rechtlichen und sozialen Implikationen der Genforschung befasst. zurück