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Transgene Kunst


'Eduardo Kac Eduardo Kac

Neue Technologien bewirken eine kulturell bedingte Mutation unserer Wahrnehmung des menschlichen Körpers von einem natürlichen selbstregulierten System zu einem künstlich kontrollierten und elektronisch transformierten Objekt. Die digitale Manipulation des körperlichen Erscheinungsbilds (nicht des Körpers selbst) bringt die Plastizität der neu formierten und vielförmig konfigurierten Identität des physischen Körpers deutlich zum Vorschein. Man begegnet diesem Phänomen ständig in den medialen Darstellungen idealisierter oder imaginärer Körper, in VR-Inkarnationen und in Projektionen leibhaftiger Körper im Netz (etwa Avatare). Parallele Entwicklungen in medizinischen Technologien wie der plastischen Chirurgie und der Neuroprothetik geben uns nunmehr die Möglichkeit, diese immaterielle Plastizität auf reale Körper auszudehnen. Die Haut ist nicht mehr die unveränderliche Barriere, die den Körper im Raum umschließt und definiert. Sie wird stattdessen zu einem Ort dauernder Transmutation. Bei unserem Versuch, mit den beunruhigenden Folgen dieses fortdauernden Prozesses zurande zu kommen, müssen wir uns ebenso dringend mit dem Vordringen der Biotechnologien beschäftigen, die unter der Haut (oder in hautlosen Körpern wie den Bakterien) und damit jenseits des Sichtbaren agieren. Die Kunst muss weniger das Unsichtbare sichtbar machen als vielmehr unser Bewusstsein für die Dinge schärfen, die sich hartnäckig unserem visuellen Zugriff entziehen, uns aber nichtsdestoweniger unmittelbar betreffen. Zwei der bekanntesten Technologien, die jenseits der visuellen Wahrnehmung operieren, sind die digitalen Implantate und die Gentechnologie, die beide das Potenzial für tiefe Auswirkungen sowohl auf die Kunst als auch auf das soziale, medizinische, politische und ökonomische Leben des nächsten Jahrhunderts haben.

Transgene Kunst stelle ich als eine neue Kunstform zur Debatte, die mit gentechnischen Methoden arbeitet, um synthetische Gene in einen Organismus oder natürliches Genmaterial von einer Art in eine andere zu verpflanzen und so einzigartige Lebewesen zu schaffen. (1) Die Molekulargenetik gibt dem Künstler die Möglichkeit, das pflanzliche oder tierische Genom zu manipulieren und damit neue Lebensformen zu kreieren. Die Natur dieser neuen Kunst wird nicht nur durch das Entstehen und Heranwachsen einer neuen Pflanze oder eines neuen Tiers bestimmt, sondern vor allem durch die Art der Beziehung zwischen Künstler, Öffentlichkeit und transgenem Organismus. Transgene Kunstwerke kann man mit nachhause nehmen und im eigenen Garten anpflanzen oder als treues Haustier aufziehen. In einer Welt, in der täglich mindestens eine Art ausstirbt, (2) können Künstler mit der Erfindung neuer Lebensformen einen Beitrag zur Biodiversität leisten. Ohne entschlossenes Engagement und eine klare Verantwortung für die so geschaffene neue Lebensform ist transgene Kunst nicht möglich. Ethische Überlegungen sind das oberste Gebot bei jedem Kunstwerk. Sie sind es umso mehr in der biologischen Kunst, in der das Kunstwerk selbst ein wirkliches Lebewesen ist. Im Sinne der Kommunikation zwischen den Arten verlangt die transgene Kunst nach einer dialogischen Beziehung zwischen dem Künstler, dem Lebewesen/Kunstwerk und denen, die mit ihm in Berührung kommen.

Der Hund gehört zu den am meistdomestizierten Säugetieren und ist der Inbegriff eines dialogischen Tiers; er ist uneigennützig, einfühlend und neigt oft zu extravertierter sozialer Interaktion. (3) Darum auch meine gegenwärtige Arbeit: GFP K-9. GFP steht für “Green Fluorescent Protein”, das aus einer nordpazifischen Quallenart (Aequorea Victoria) gewonnenen wird und bei Bestrahlung mit ultraviolettem oder blauem Licht leuchtend grünes emittiert. (4) Die maximale Lichtabsorption des Aequorea-GFP liegt bei 395 nm und die Fluoreszenzemission erreicht ihren Höchstwert bei 509 nm. Das Protein selbst ist 238 Aminosäuren lang. Die Verwendung des grünfluoreszierenden Proteins bei einem Hund ist absolut harmlos, da GFP artenunabhängig ist und keine zusätzlichen Proteine oder Substrate für die Grünlichtemission benötigt. GFP ist bereits bei mehreren Wirtsorganismen und Wirtszellen – bei E. Coli und Hefe sowie bei Säugetier-, Insekten-, Fisch- und Pflanzenzellen – erfolgreich exprimiert worden. (5) Eine GFP-Variante, GFPuv, ist 18 Mal heller als normales GFP und bei Stimulierung mit normalem langwelligem UV-Licht problemlos mit bloßem Auge zu erkennen. Der GFP K-9 (oder “G”, wie ich ihn liebevoll nenne) wird im wahrsten Sinn des Wortes eine schillernde Persönlichkeit haben und ein willkommenes Mitglied meiner Familie sein. Es kann allerdings noch Jahre oder Jahrzehnte dauern, ihn zu kreieren, da dazu noch einige Hindernisse überwunden werden müssen, wie etwa die Kartierung des Hundegenoms. Die Genanzahl im gesamten Hundegenom wird auf etwa 100.000 geschätzt. (6) Gemeinsame Forschungsanstrengungen zu Kartierung des Hundegenoms sind jedoch im Gang und ihre Resultate werden uns schließlich in die Lage versetzen, präzise Eingriffe auf der Ebene der Morphologie und der Verhaltensweisen des Hundes vorzunehmen. Abgesehen von der feinen Abweichung im Phänotyp, d. h. der leichten Farbänderung des Fells, wird der GFP K-9 ganz normal fressen, schlafen, sich paaren und mit anderen Hunden und Menschen interagieren. Außerdem wird er das Stammtier einer neuen transgenen Rasse sein.

Auf den ersten Blick erscheint das GFP K-9-Projekt vielleicht als etwas vollkommen Neues. Tatsächlich hat aber die Kreation leibhaftiger Hunde eine mindestens 15.000 jährige Geschichte. (7) Die Existenz des domestizierten Hundes von heute mit seinen rund 150 anerkannten Rassen verdankt seinen Ursprung mit größter Wahrscheinlichkeit einer sehr frühen, menscheninduzierten Auslesezüchtung von ausgewachsenen Wölfen mit Jungtiermerkmalen (eine Erscheinung, die als “Neotenie” bekannt ist). Zwischen dem Jungwolf und dem erwachsenen Hund gibt es bemerkenswerte physiognomische und verhaltensmäßige Ähnlichkeiten. So ist zum Beispiel das Bellen zwar typisch für erwachsene Hunde, nicht aber für erwachsene Wölfe. Der Kopf des Hundes ist kleiner als der des Wolfs, ähnelt aber dem des Jungwolfs. Es gibt noch viele weitere Merkmale, darunter die signifikante Tatsache, dass Hunde und Wölfe miteinander fertil sind. Nach Jahrhunderten natürlicher Auslesezüchtung markiert die erste Hundeausstellung im Jahr 1859 einen Wendepunkt in der menschlichen Hundezucht. Von da an entsteht die Wertschätzung für die Einzigartigkeit des visuellen Erscheinungsbilds von Hunden. Das Streben nach visueller Konsistenz und die Suche nach neuen Rassen führte zum Begriff der Reinrassigkeit und zur Bildung verschiedener Gruppen von Stammhunden. Diese Praxis ist bis heute gültig und ist verantwortlich für viele der Hunde, die man überall in den Haushalten findet. Die Resultate der indirekten genetischen Kontrolle von Hunden durch Züchter kommen stolz in der Hundezuchtpresse zum Ausdruck. Ein kurzer Blick in den Kleinanzeigenteil genügt, wo “speziell zum Schutz gezüchtete” Bulldoggen, nach einem “sorgfältigen genetischen Zuchtprogramm” gezüchtete Mastiffs, Dänische Doggen mit “exklusiver Abstammung” und Dobermänner mit “einzigartigem genetischen Bauplan” inseriert werden. Noch ist es nicht so weit, dass die Züchter den genetischen Code ihrer Hunde schreiben, aber sie lesen und zeichnen ihn auf. Der American Kennel Club bietet z. B. ein DNA-Zertifizierungsprogramm an, um Fragen der Reinrassigkeit und der Abstammung zu klären.

Wenn das Kreieren von Hunden weit zurückreichende historische Wurzeln hat, so ist der Einsatz hybrider Organismen zwar neueren Datum aber ebenso integraler Teil unserer täglichen Erfahrung. Ein Beispiel dafür ist die berühmte Arbeit des Botanikers und Wissenschaftlers Luther Burbank (1849–1926), der zahlreiche neue Obstsorten, Pflanzen und Blumen erfand. (8) 1871 entwickelte er z. B. die Burbank-Kartoffel (besser bekannt als Idaho-Kartoffel). Wegen ihres geringen Feuchtigkeits- und hohen Stärkegehalts weist sie ausgezeichnete Backeigenschaften auf und eignet sich hervorragend für Pommes frites. Seit Burbank ist die künstliche Auslesezüchtung von Pflanzen und Tieren das von Bauern, Wissenschaftlern und Amateurzüchtern gleichermaßen verwendete Standardverfahren. Die Auslesezüchtung ist eine langfristig operierende Technik, die auf der indirekten Manipulation von Genmaterial zweier oder mehrere Organismen beruht und für viele der von uns verspeisten Feldfrüchte und aufgezogenen Nutztiere verantwortlich ist. Auf diese Weise erfundene Zierpflanzen und Haustiere sind heute so verbreitet, dass einem kaum in den Sinn kommt, ein geliebtes Tier oder eine als Zeichen der Zuneigung überreichte Pflanze könne das praktische Ergebnis einer kollektiven menschlichen Forschungsanstrengung sein. “Teehybriden” z. B. sind die typischen Rosen im Blumengeschäft – das klassische Bild der Rose. Die erste hybride “Tee-Rose” war die 1867 von Guillot gezüchtete “La France”. Ein begehrtes Haustier wie der Catalina-Ara mit seiner leuchtend orangen Brust und seinen grünen und blauen Flügeln kommt in der Natur nicht vor. Vogelzüchter schaffen dieses prächtige hybride Tier, indem sie Gelbbrustaras mit Hellroten Aras kreuzen. (9)

Angesichts der artenübergreifenden hybriden Lebewesen, die seit Jahrtausenden ein Teil unserer Einbildungskraft sind, ist das alles nicht überraschend. Die Chimäre in der griechischen Mythologie z. B. war ein Feuer speiendes Wesen, das als eine Kreuzung aus Löwe, Ziege und Schlange dargestellt wurde. Skulpturen und Gemälde von Chimären, vom antiken Griechenland über das Mittelalter bis zu den modernen Avantgardebewegungen, finden sich in Museen auf der ganzen Welt. Chimären sind heute jedoch nichts Imaginäres mehr; fast 20 Jahre nach dem ersten transgenen Tier werden sie routinemäßig in Laboratorien erzeugt und allmählich Teil einer größeren Genlandschaft. Einige neuere wissenschaftliche Beispiele sind Schweine, die menschliche Proteine erzeugen, (10) plastikproduzierende Pflanzen (11) und Ziegen mit Spinnengenen, die eine starke, biologisch abbaubare Faser herstellen sollen. (12) Während das Wort “Chimäre” in der Umgangssprache eine imaginäre, aus disparaten Teilen zusammengesetzte Lebensform bezeichnet, ist es in der Biologie ein technischer Begriff für reale Organismen, die Zellen von zwei oder mehreren unterschiedlichen Genomen enthalten. Wenn aus Legende Leben wird, wenn aus Repräsentation Realität wird, so bedeutet das einen tief greifenden kulturellen Wandel.

Genauso besteht ein deutlicher Unterschied zwischen Zucht und Gentechnik. Züchter manipulieren lediglich die natürlichen Prozesse der Genselektion und -mutation. Sie sind daher unfähig, Gene präzise an- oder abzuschalten oder Hybride mit Genommaterial zu erzeugen, das so distinkt ist, wie das eines Hundes oder einer Qualle. In diesem Sinne ist es ein Unterscheidungsmerkmal transgener Kunst, dass dabei das Genmaterial direkt manipuliert und die fremde DNA exakt in das Wirtsgenom eingebaut wird. Neben dem genetischen Transfer existierender Gene von einer Art zur anderen, gibt es auch “Künstlergene”, chimärische Gene oder neuen Geninformationen, die vom Künstler komplett aus den komplementären Basen A (Adenin) und T (Thymin) oder C (Cytosin) und G (Guanin) zusammengestellt werden. Das heißt, KünstlerInnen können nicht nur Gene verschiedener Arten kombinieren, sondern einfach eine DNA-Sequenz mit ihrer Textverarbeitung schreiben, diese an eine kommerzielle Synthese-Firma mailen und in nicht einmal einer Woche ein Teströhrchen mit Millionen von DNA-Molekülen mit der angegebenen Sequenz zurückerhalten.

Gene bestehen aus Desoxyribonukleinsäure-(DNA)-Molekülen. Die DNA enthält die gesamte genetische Information, die für die Zellduplikation und die Proteinsynthese notwendig ist. Die DNA instruiert eine andere Substanz (die Ribonukleinsäure oder RNA) über die Bildung von Proteinen. Als Rohmaterial für die Ausführung dieser Aufgabe benutzt die RNA Zellbausteine, die als Ribosomen bezeichnet werden (Organellen mit der Funktion, Aminosäuren zusammenzuführen, aus denen Proteine erzeugt werden). Gene bestehen aus zwei wichtigen Komponenten: einer strukturellen (die ein bestimmtes Protein codiert) und einer regulatorischen (“Schaltern”, die den Genen mitteilen, wann und sie in Aktion treten sollen). Von KünstlerInnen oder WissenschaftlerInnen geschaffene transgene Konstrukte enthalten auch regulatorische Elemente, die die Expression des Transgens begünstigen. Die fremde DNA kann als extrachromosomale Satelliten-DNA exprimiert oder in die zellulären Chromosomen integriert werden. Alle lebenden Organismen besitzen einen genetischen Code, der sich manipulieren und an die folgenden Generationen weitergeben lässt. KünsterInnen werden buchstäblich zu GenprogrammiererInnen, die durch das Schreiben oder Verändern dieses Codes Lebensformen erschaffen können. Mit der zukünftigen Schaffung und Zeugung biolumineszenter Säugetiere und anderer Lebewesen (13) wird die dialogische Kommunikation zwischen den Arten unser gegenwärtiges Verständnis von interaktiver Kunst tiefgreifend verändern. Diese Tiere müssen geliebt und gefüttert werden wie jedes andere Tier.

Das Resultat transgener künstlerischer Verfahren müssen gesunde Lebewesen sein, die zu einer ebenso normalen Entwicklung fähig sind wie andere Lebewesen verwandter Arten. (14) Ethisch verantwortungsvolle Interspezies-Kreation wird Generationen prächtiger Chimären und fantastischer neuer Lebenssysteme hervorbringen wie z. B. Plantimalen (Pflanzen mit tierischem oder Tiere mit pflanzlichem Genmaterial) oder Anomines (Tiere mit menschlichem oder Menschen mit tierischem Genmaterial).

Da sich die Gentechnologie, gespeist von globalem Kapital, immer noch im geschützten Raum des wissenschaftlichen Rationalismus entwickelt, bleibt sie zum Teil leider von umfassenderen sozialen Anliegen, ethischen Debatten und lokalen historischen Kontexten unberührt. Die Patentierung neuer im Labor erzeugter Tiere (15) und der Gene fremder Völker (16) sind besonders komplexe Probleme – eine Situation, die im Fall des Menschen oft dadurch verschärft wird, dass es keine Zustimmung gibt, kein beiderseitiger Nutzen vorliegt oder das Verständnis für Aneignungs-, Patentierungs- und Profitmechanismen beim Spender fehlt. Seit 1980 hat das U.S. Patent and Trademark Office (PTO) eine Reihe von Patenten für transgene Tiere genehmigt, darunter Patente für transgene Mäuse und Kaninchen. Neuerdings hat sich die Debatte über Tierpatente erweitert und umfasst nun auch Patente über genetisch manipulierte menschliche Zell-Linien und synthetische Konstrukte (z. B. Plasmide), die menschliche Gene enthalten. Die Verwendung der Genetik in der Kunst verspricht eine Reflexion dieser neuen Entwicklungen aus sozialer und ethischer Sicht. Sie behandelt damit zusammenhängende Probleme wie die häusliche und soziale Integration transgener Tiere, die willkürliche Definition des Begriffs “Normalität” durch genetische Test-, Optimierungs- und Therapiemaßnahmen, Diskrimination durch die Krankenversicherung auf der Basis genetischer Tests und die ernsten Gefahren der Eugenik.

Während wir uns mit den aktuellen Kontroversen herumschlagen, ist bereits klar, dass die Transgenese ein integraler Teil unseres zukünftigen Lebens sein wird. Es wird dann z.B. möglich sein, das Leuchten des Quallenproteins für die optische Datenspeicherung zu nutzen. (17) Transgene Feldfrüchte werden einen beträchtlichen Teil der Landschaft ausmachen, transgene Organismen werden die Bauernhöfe bevölkern und transgene Tiere werden ein Teil unserer Großfamilie sein. Ob es uns gefällt oder nicht, das Gemüse und die Tiere, die wir essen, werden nie wieder dieselben sein. Seit 1995 werden genetisch veränderte Sojabohnen, Kartoffeln, Mais-, Kürbis- und Baumwollpflanzen auf breiter Basis angebaut und konsumiert. (18) Die Entwicklung von “Planti-bodies”, d. h. in Mais, Soja, Tabak und andere Pflanzen transplantierte menschliche Gene zur hektarweisen Produktion von Antikörpern in Pharmaqualität, verspricht kostengünstigen und reichlichen Ertrag dringend benötigter Proteine. (19) Obzwar die Forschungs- und Marketingstrategien vielfach den Profit vor die Gesundheit stellen (die Risiken der Kommerzialisierung ungekennzeichneter, potenziell gesundheitschädlicher transgener Nahrungsmittel dürfen nicht außer Acht gelassen werden), (20) scheint die Biotechnologie andererseits auch echte Heilungsaussichten auf Gebieten zu versprechen, für die es momentan keine wirksame Behandlung gibt. Ein bezeichnender Fall sind Schweine. Da die Physiologie von Schweinen in vieler Hinsicht der von Menschen gleicht und die Gesellschaft im Allgemeinen mit der Züchtung und Schlachtung von Schweinen für die Nahrungsmittelindustrie (im Gegensatz etwa zu Primaten) keine Probleme hat, experimentiert die Medizin mit genetisch veränderten Schweinen.vgl 10 Diese Schweine produzieren menschliche Proteine, die keine Abstoßungsreaktion hervorrufen und momentan für Leber- und Herztransplantationen (unmodifizierte Schweinelebern werden bereits heute als “Überbrückung” verwendet, während Patienten auf einen menschlichen Spender warten), für Hirntransplantationen (mithilfe fötaler neuronaler Zellen von Schweinen wird das Nervengewebe von Parkinsonpatienten neu zusammengefügt) und zur Diabetesbehandlung (durch die Transplantation insulinproduzierender Betazellen) getestet werden. (21) In Zukunft werden wir genauso fremdes Genmaterial in uns tragen wie heute mechanische und elektronische Implantate. Wir werden, mit anderen Worten, transgen sein. Mit der Auflösung des auf Zuchtbarrieren beruhenden Artenbegriffs durch die Gentechnologie, (22) steht auch der Begriff des Menschseins auf dem Spiel. Das bedeutet aber keine ontologische Krise. Mensch zu sein wird heißen, dass das menschliche Genom keine Beschränkung, sondern unser Ausgangspunkt ist.

Anmerkungen

(1)
George Gessert, ein mit Pflanzenhybridisierung arbeitender Künstler, identifizierte den für seine Fotoarbeiten weithin bekannten Edward Steichen als den ersten Künstler, der genetische Kunst vorgeschlagen und produziert hat. Vgl. George Gessert, Notes on Genetic Art. Leonardo, Jg. 26, Nr. 3, 1993, S. 205. Steichen schrieb im Jahr 1949: “Die Vererbungslehre ist, angewandt auf die Pflanzenzucht, deren letztendlicher Zweck der ästhetische Reiz des Schönen ist, ein kreativer Akt.” Zitiert nach Gedrim, Ronald J., Edward Steichen's 1936 Exhibition of Delphinium Blooms. History of Photography, Jg. 17, Nr. 4, Winter 1993, S. 352–363. Zur Entwicklung der genetischen Kunst trägt auch Joe Davis bei, ein zeitgenössischer Künstler, der mit Technologien der DNA-Synthese arbeitet. Vgl. Davis, Joe, Microvenus. Art Journal 55, Nr. 1, Frühjahr 1996, Sondernummer über Kunst und genetischen Code, S. 70–74 zurück

(2)
Laut World Wildlife Federation sind die zehn meistgefährdeten Arten: 1. das Spitzmaulnashorn; 2. der Riesenpanda; 3. der Tiger; 4. der Weißstör; 5. die kanadische Gelbwurzel; 6. die Alligatorschildkröte; 7. die Echte Karrettschildkröte; 8. der Amerikanische Mahagonibaum; 9. die Grünwangenamazone; 10. der Makrelenhai zurück

(3)
Kreisler, Kristin von, The Compassion of Animals, Rocklin, CA: Prima Publishing, 1997. Das Buch ist eine Sammlung informeller Berichte über das Mitgefühl, die Freundlichkeit und Loyalität von Hunden und anderen Tieren gegenüber anderen Arten. Für eine spezifische Erörterung der Mensch-Hund-Interaktion vgl. Serpell, James (Hg.), The Domestic Dog: Its Evolution, Behaviour, and Interactions With People, Cambridge, New York: Cambridge University Press 1996, und Wendt, Lloyd M., Dogs: A Historical Journey: The Human/Dog Connection Through the Centuries, New York: Howell Book House, 1996 zurück

(4)
Chalfie, M.; Tu, Y.; Euskirchen, G.; Ward W.W.; Prasher D.C., Green fluorescent protein as a marker for gene expression. Science 263, 1994, S. 802–805; Inouye, D.; Tsuji, F.I., Aequorea green fluorescent protein. Expression of the gene and fluorescence characteristics of the recombinant protein. FEBS Letters 341, 1994, S. 277–280 zurück

(5)
Niedz, Randall P.; Sussman, Michael R.; Satterlee, John S., Green fluorescent protein: an in vivo reporter of plant gene expression. Plant Cell Reports 14, 1995, S. 403–406; Amsterdam, A.; Lin, S.; Hopkins, N., The Aequorea victoria green fluorescent protein can be used as a reporter in live zebrafish embryos. Developmetal Biology 171, 1995, S. 123–129; Pines, J., GFP in mammalian cells. Trends in Genetics 11, 1995, S. 326–327; Holden, C., Jellyfish light up mice. C. Science 277, 1997, S. 41; Ikawa, Masahito; Yamada, Shuichi; Nakanishi, Tomoko; Okabe, Masaru, ‘Green mice’ and their potential usage in biological research. FEBS Letters 430, 1998, S. 83; Cormack, B.P.; Bertram, C.; Egerbom, M.; Gold, N.A.; Falkow, S.; Brown, A.J., Yeast-enhanced green fluorescent protein (yEGFP): a reporter of gene expression in Candida albicans. Microbiology 143, 1997, S. 303–311; Yeh, E.; Gustafson, K.; Boulianne, G.L., Green fluorescent protein as a vital marker and reporter of gene expression in Drosophila. Proc. Natl. Acad. Sci. USA 92, 1995, S. 7036–7040 zurück

(6)
Thorpe-Vargas, S.; Coile, D. Caroline; Cargill, J., Variety Spices Up The Canine Gene Pool. Dog World 83, Nr. 5, Mai 1998, S. 27. Zwar besteht zwischen einem geklonten und einem transgenen Hund ein signifikanter Unterschied, doch ist erwähnenswert, dass das “Missyplicity Project” die Herstellung des ersten geklonten Hundes aus einem Mischling namens Missy (aus Collie und Husky) anstrebt. Im August 1998 spendete ein wohlhabendes Ehepaar (Mr. und Mrs. John Sperling) der Texas A & M University 2,3 Millionen Dollar, um das Projekt innerhalb von zwei Jahren umzusetzen. Das Projektteam besteht aus den Wissenschaftlern Mark Westhusin, Duane Kraemer und Robert Burghardt. Information über das “Missyplicity Project” unter http://www.missyplicity.com. zurück

(7)
Thurston, Mary Elizabeth, The Lost History of the Canine Race: Our 15,000-Year Love Affair with Dogs, Kansas City: Andrews & McMeel 1996 zurück

(8)
Burbank, Luther, The Harvest Of The Years, Boston; New York: Houghton Mifflin 1927; Dreyer, Peter, A gardener touched with genius: the life of Luther Burbank, Santa Rosa, CA: L. Burbank Home & Gardens 1993 zurück

(9)
Die gängigen Rosen des 20. Jahrhunderts wie die “Teehybriden”, die “Floribundas” und die “Grandifloras” entstanden durch Kreuzung der europäischen Rosen mit den Bengal-Rosen, den Teerosen, den mediterranen und vielen anderen Rosensorten während des 18. und 19. Jahrhunderts. Vgl. Bennett, J. H., Experiments in Plant Hybridisation, London: Oliver and Boyd 1965; und Beales, Peter, Roses, Collins-Harvill: Harper Collins 1991. Bei einer Reise auf die Insel Sentosa in Singapur im Jahr 1998 hatte ich Gelegenheit mit einem Catalina-Ara zu spielen, der sich erst auf meiner Schulter, dann auf meinem Unterarm niederließ. Ich konnte seine auffällige Färbung bewundern und seine Interaktion mit anderen Aras und mit Menschen beobachten und würdigen. Eine Beschreibung des Catalina-Aras findet sich bei Lantermann, Werner, Encyclopedia of Macaws, Neptune City, NJ: T.F.H. 1995. Vgl. auch ders.: Papageienkunde: Biologie Verhalten – Haltung – Artenauswahl der Sittiche und Papageien, Berlin: Parey 1999 zurück

(10)
Cozzi, E.; White, D.J.G., The generation of transgenic pigs as potential organ donors for humans. Nature, Med 1, 1995, S. 964–966 zurück

(11)
Moore, Samuel K., Natural Synthetics: Genetically engineered plants produce cotton/polyester blends and nonallergenic rubber. Scientific American, Feb. 1997, S. 36–37 zurück

(12)
Cohen, Phil, Spinning Steel: Goats and Spiders are working together to create a novel material. New Scientist, Jg. 160, Nr. 2155, 10. Okt. 1998, S. 11 zurück

(13)
Brem, G.; Müller, M., Large Transgenic Mammals. Animals With Novel Genes (Hrsg. N. Maclean), New York: University of Cambridge 1994, S. 179–244; Ikawa, M.; Kominami, K.; Yoshimura, Y.; Tanaka, K.; Nishimune,, Y.; Okabe, M., Green fluorescent protein as a marker in transgenic mice. Devel. Growth Differ 37, 1995, S. 455–459; Youvan, D.C., Green fluorescent pets. Science 268, 1995, S. 264; Pennisi, Elizabeth, Transgenic Lambs From Cloning Lab. Science 277, 1997, S. 631 zurück

(14)
Dyson, Anthony; Harris, John (Hrsg.), Ethics and Biotechnology, New York: Routledge 1994; Van Zutphen, L.F.M.; Van Der Meer, M. (Hrsg.), Welfare Aspects of Transgenic Animals, Berlin; New York: Springer Verlag 1995 zurück

(15)
Schneider, Keith, New Animal Forms Will Be Patented. New York Times, 17. April 1987; Adler, Reid G., Controlling the Applications of Biotechnology: A Critical Analysis of the Proposed Moratorium on Animal Patenting. Harvard Journal of Law and Technology 1, 1988; Andrews, Edmund L., U.S. Seeks Patent on Genetic Codes, Setting Off Furor. New York Times, 21. Okt. 1991, A1, A12; Marshall, Eliot, Companies Rush to Patent DNA. Science 275, 1997, S. 780–781; Marshall, Eliot, The Mouse That Prompted a Roar. Science 277, 1997, S. 24–25 zurück

(16)
Penenber, Adam L., Gene Piracy. 21C-Scanning the Future, Nr. 2, 1996, S. 44–50 zurück

(17)
Dickson Robert M., et al., On/off blinking and switching behaviour of single molecules of green fluorescent protein. Nature 388, 1997. Letters to Nature, S. 355–358. Für eine populäre Darstellung der potenziellen Nutzung dieser Technologie vgl. Tatterson, Kathleen G., Jellyfish Genes Eyed for Optical Storage. Photonics Spectra, Sept. 97, http://www.laurin.com/Content/Sep97/techJellyfish.html zurück

(18)
Brown, Kathryn S., With New Technology, Researchers Engineer A Plant For Every Purpose. The Scientist, Jg. 9, Nr. 19, 2. Okt. 1995, S. 14–15; Rissler, Jane; Mellon, Margaret, The Ecological Risks of Engineered Crops, Cambridge: MIT Press 1996 zurück

(19)
Gibbs, W. Wayt, Plantibodies: Human antibodies produced by field crops enter clinical trials. Scientific American, Nov. 1997, S. 44 zurück

(20)
Tokar, Brian, Monsanto: A Checkered History. “The Monsanto Files”, Sonderausgabe von The Ecologist, Jg. 28, Nr. 5, Sept./Okt. 1998, S. 254–261; Kimbrell, Andrew, Why Biotechnology and High-Tech Agriculture Cannot Feed the World. ebda., S. 294–298 zurück

(21)
Makowka, L.; Cramer, D.V.; Hoffman, A.; Breeda, M.; Sher, L.; Eiras-Hreha, G.; Tuso, P.J.; Yasunaga, C.; Cosenza, C.A.; Du Wu, G.; Chapman, F.A.; Podesta, L., The use of a pig liver xenograft for temporary support of a patient with fulminant hepatic failure. Transplantation 59, 1995, S. 1654–1659; White, D.J.G.; Langford, G.A.; Cozzi, E.; Young, V.J.: Production of pigs transgenic for human DAF: A strategy for xenotransplantation. Xenotransplantation 2, 1995, S. 213–217 ; Cooper, D.K.C.; Kemp, E.; Platt, J.L.; White, D.J.G. (Hrsg.), Xenotransplantation: the transplantation of organs and tissues between species, Berlin; New York: Springer 1997 zurück

(22)
Einige exemplarische Fälle sind die Erzeugung von Rattensperma in den Hoden einer Maus (was deutlich macht, dass auch menschliches Sperma in den Hoden eines Nagetiers erzeugt werden könnte), die erste Teilung einer menschlichen Zelle im Ei einer Kuh und die Erzeugung eines embryonalen Klons von einer erwachsenen Frau in Südkorea. Vgl. Clouthier, David E.; et al, Rat spermatogenesis in mouse testis. Nature 381, 1996, Letters to Nature, S. 418–421; Robl, J.M.; Jerry, D.J.; Stice, S.; Cibelli, J., Response – Quiescence in Nuclear Transfer. Science 281, 1998, S. 1611; BBC Online, “S. Korean scientists claim human cloning success”, 16. Dez. 1998 (http://www.news.bbc.co.uk). zurück