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Spike


'Gail Wight Gail Wight

Unser Selbstverständnis als elektrochemische Einheit ist ein historisches Phänomen, das sich im Laufe von Jahrhunderten philosophischen Theoretisierens, Experimentierens und praktischer Anwendung entwickelt hat. Die Implikationen dieses Selbstbildes haben subtile, weit reichende Auswirkungen auf die Konstruktion unserer Welt. Am Ende des 20. Jahrhunderts ist dies eine Welt, in der genmanipulierte Ziegen als Fabriken für Humanpharmazeutika dienen, oral eingenommene radioaktive Isotope unsere Denkprozesse sichtbar machen und psychoaktive Medikamente den Wahnsinn unserer historischen Zivilisationen auflösen und Platz für einen neuen, bislang ungeahnten Wahnsinn schaffen.

In Spike wird die Geschichte untersucht, die zu unserer gegenwärtigen Auffassung der Biologie als elektrochemischem Prozess geführt hat. Meine Absicht ist die, ein vergängliches Konzept zu betrachten, das oft übersehen wird, aber enorme Bedeutung für die zeitgenössische Gesellschaft hat. Spike geht den Erfindungen, empirischen Verfahren, Geisteshaltungen, Schicksalswendungen und kreativen Einsichten auf den Grund, die uns zu unserem gegenwärtigen elektrifizierten biologischen Selbstportrait geführt haben.

In einem riesigen dreidimensionalen Labyrinth aus frei schwebend aufgehängtem, klarem Plexiglas, werden mithilfe von Objekten, Modellen, Miniaturdioramen, Videosequenzen, Texten und Bildern Szenen aus der historischen und zeitgenössischen Wissenschaft veranschaulicht. Diesen sind jeweils kleine Bausteine zugeordnet, die Informationen über diese Meilensteine der Geschichte und gegenwärtige experimentelle Methoden liefern.

Im Labyrinth lebt eine einsame Ratte. Während sie sich durch ihre Umwelt bewegt, werden die meisten dieser Objekte freigelegt, von der Ratte im Laufe der Ausstellung angeknabbert oder durch ihre Bewegungen im Raum verschoben. Es gibt auch einige Ereignisse, die die Ratte auf ihren Streifzügen durch das Labyrinth auslöst. Wenn sie beispielsweise an einer kleinen, sabbernden Replika eines pawlowschen Hundes vorbeiläuft, spricht ein Bewegungsmelder an, woraufhin ein klägliches Heulen ertönt.

Der Lebensraum der Ratte enthält u.a. noch Folgendes: In einem Teil des Labyrinths sind sezierte Plastikfrösche an einfache Batterien angeschlossen, um Galvanis Experimente zur tierischen Elektrizität im 18. Jahrhundert zu verdeutlichen. In einem anderen Teil des Labyrinths sind Spielzeugtiere an industrielle Melkmaschinen angeschlossen und zeigen, wie Medikamente aus genmanipulierten Eutern gesogen werden. In einem dritten Bereich sieht man auf einem kleinen Monitor MRI-Scans durch das menschliche Gehirn. Dabei wird die jeweilige Szene durch einen kurzen Text und begleitende Bilder auf den erwähnten Bausteinen erklärt. Als roter Faden zieht sich die Betrachtung der Biologie als elektrochemisches System durch die gesamte Installation.

Auf der visuellen Ebene spielen die Elemente dieser Arbeit mit Licht und verschiedenen Aspekten der Elektrizität. Der gläserne Grund, reflektierende Oberflächen, kleine LED-Monitore, der sparsame Einsatz von Farbe sowie kleine Lampen und elektrische Geräte schaffen zusammen eine kühle, laborartige Atmosphäre. Als unaufdringliches Hintergrundelement hört man im ganzen Raum ein unablässiges leises Klicken – den verstärkten elektrischen Impuls (Spike) einer einzelnen Nervenzelle.