[Multiple_Dwelling]
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Coma, ein Sciencefiction-Film aus den Siebzigerjahren, zeichnet das Bild einer dystopischen nahen Zukunft, in der eine kontinuierliche Versorgung mit biologischen Materialien (Organen, Körperflüssigkeiten, Geweben) die biologische Gesundheit steigert. Diese Materialien werden von einer besonderen medizinischen Einrichtung geliefert, in der “Patienten” (entweder Sterbenskranke oder solche, die sich einen Daueraufenthalt im Krankenhaus nicht leisten können) in einem Komazustand gehalten werden, sodass ihre Organe und sonstigen Biomaterialien von wohlhabenden Kunden, die sich eine Transplantationen leisten können, genutzt werden können. Der Film zeigt einen riesigen, hellerleuchteten und sterilen “Lagerraum”, in dem unzählige Koma-Körper in einem Gerüst hängend aufbewahrt und mittels Biomonitoringtechniken sorgfältigst reguliert werden. Diese Szene bildet den Ausgangspunkt von [Multiple_Dwelling], einer Kombination aus Installation, Performance und Website, die den gegenwärtigen und künftigen Status des biomedizinischen Körpers kommentieren möchte.
[Multiple_Dwelling] greift verschiedene Themen in Zusammenhang mit dem Status des Körpers im medizinisch-chirurgischen, wirtschaftlich-unternehmerischen und Netzwerkbezogenen Kontext auf. Während die westliche Chirurgie durch stetige Verfeinerung immer komplexer wird, wird die Vorstellung vom Körper als Objekt – ein fundamentales Moment in der Geschichte der westlichen Medizin – von Ärzten wie Patienten immer mehr akzeptiert. Vor allem die Transplantationsmedizin, wo das Angebot der Nachfrage immer hinterher hinkt, hat diese Auffassung des aus austauschbaren Teilen bestehenden biomedizinischen Körpers gefördert. Nicht der Körper des Patienten-Individuums besitzt den größten Wert und zählt am meisten, sondern die transplantierbaren Organe an sich. Diese Bio-Wirtschaft der Körperteile, die gegenwärtig in der Ersten und in der Dritten Welt in legalen und illegalen Kontexten existiert, stützt sich auf medizinische Einrichtungen, Bio-Unternehmen und eine Reihe lokaler und globaler Bestimmungen zur Nutzung biologischer Materialien. Der resultierende Effekt unterscheidet sich stark vom neurologisch-elektrischen Affekt des “Körpers ohne Organe”, wie Antonin Artaud ihn sich begeistert vorstellt. Es geht vielmehr um den Umlauf von Organen ohne Körper, von freischwebenden, externalisierten, austauschbaren biologischen Komponenten.
Als Antwort auf die Biowirtschaft der Organe ohne Körper schlägt [Multiple_Dwelling] eine prototypische Konstruktion künstlicher “falscher Biologien” vor, die einen Hybridmix aus Biomedizin, Computerwissenschaft und Sciencefiction darstellen. Diese falschen Biologien umfassen verschiedene Interaktionstypen: Interaktionen zwischen den Körpern der Protagonisten und ihren VR-Avataren; Interaktionen zwischen den von 3D-Modeling-Programmen geschaffenen Bildschirmkörpern und den Echtzeitkörpern von CU-SeeMe-Teilnehmern; Interaktionen zwischen einzelnen Zuschauern und dem inklusiv-intensiven Raum der Performance selbst.
[Multiple_Dwelling] versteht sich nicht unbedingt als wissenschaftliches Experiment, ist aber ebenso wenig einfach nur ein Kunstprojekt. Aus diesem Grund bietet der Raum zwischen den Fiktionen von Wissenschaft (den Diskursen, der Geschichte und den Eventualitäten der Wissenschaft) und der Sciencefiction (der parawissenschaftlichen Spekulation und Extrapolation künftiger Implikationen des Gegenwärtigen) eine komplexe, zweideutige und affektive Zone, in der Wissenschaft, Kultur und verkörperte Netze und Links kontinuierlich auf den Körpern, die wir sind, und auf den Körpern, die wir besitzen, ihre Zeichen hinterlassen.
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