Liquid Space
'Werner Jauk
Werner Jauk
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'Heimo Ranzenbacher
Heimo Ranzenbacher
Ursächliches Motiv für das Projekt Liquid Space ist die Hochkonjunktur des Terminus “liquid” und die Inflation von kommunikations- und informationstechnologisch bestimmten Raumbegriffen, die insofern zu rhetorischen Figuren erstarren, als sie zwar Themen benennen, aber in den Methoden der Benennung (Thematisierungen) gemeinhin unreflektiert bleiben. Wir gehen davon aus, dass in der Koppelung von Wissenschaft und Kunst das Potenzial einer sich in ihrer gesellschaftlichen wie ästhetischen Organisation neu positionierenden Kunst liegt.
Abstract Liquid Space beruht auf der theoretischen, wissenschaftlichen und künstlerischen Arbeit der Autoren und ist als Versuchsanordnung ein Work-in-Progress. Ausgehend von theoretischen Annahmen – auch hinsichtlich einer vorläufigen Form und deren Funktion, eines Cue (Hinweisreiz) – wird versucht, vermittels der Methoden des Diskurses aus theoretischen Aussagen ästhetische Erkenntnisse und Erfahrungen sowie ein Modell für die Verbindung von Kunst und Wissenschaft zu generieren.
Der Cue von Liquid Space ist dahingehend konzipiert, dass sich das Liquide als Terminus für die Diffusion verschiedener [Realitäts-] Zustände und Handlungszusammenhänge auch in seiner materiellen Ausprägung als Trägermedium seiner terminologischen Entsprechung verhält.
Kernthema sind diverse, mehrheitlich nur metaphorisch umrissene Raum-Begriffe, wie sie den Diskurs der “Medienkunst” im Gefolge des paradigmatischen Wandels unserer Kultur [in ein Informations- und Kommunikationssystem] bestimmen – CyberSpace, VirtualSpace, Kommunikationsraum etc. –, mit dem Ziel, individuelle Wahrnehmungszugänge zu öffnen und operationell (durch Handlungen) zu definieren. In Wahrnehmung als Erkenntnismittel sehen wir das Gemeinsame von Kunst und Wissenschaft; ebenso im Prozessualen, wo Erkenntnis im Diskurs geschaffen wird. Dies erachten wir auch verbindlich für eine Kunst, die den Paradigmenwechsel durch neue Betriebs- wie auch Betreiberzusammenhänge als “Kunst jenseits von Kunst” (1) radikalisiert.
Das Hauptaugenmerk liegt auf dem Auditorischen (der das Hören betreffenden Wahrnehmung), das sowohl den Vorstellungen als auch den Anlagen des NetSpace und dessen Kommunikationsstruktur am ähnlichsten ist. (2)
Durch das Projekt unterstellen wir implizit einen Mangel an verbindlichen Aussagen zur “Medienkunst”; wir konstatieren lediglich theoretische Spots, in deren Licht bestimmte Erscheinungen zu sehen, im Licht der gängigen Praxis jedoch wieder zu relativieren sind.
Wahrnehmung – Kunst und Wissenschaft (3) Wissenschaft wie Kunst vereint die Annahme, dass sie durch Modelle die Wirklichkeit (in Ausschnitten) re- bzw. konstruieren; die Dekonstruktion ist dabei nur eine der möglichen Methoden. In dieser verkürzten Darstellung werten wir Kunst wie Wissenschaft als “Medien” der Erkenntnis.
Diese Gleichsetzung wird von Überlegungen getragen, wie sie etwa bereits Alexander Gottlieb Baumgartens (1735) Verständnis von Ästhetik als Wahrnehmungsphänomen (4) illustriert: Für ihn hatte “Ästhetik keineswegs die Kunst zum Gegenstand. Sie sollte insbesondere der Verbesserung des unteren, des sinnlichen Erkenntnisvermögens dienen” (5). Ästhetik wird in ihrer “aisthetischen Bedeutung” (6) gebraucht: als sinnliches Erkenntnisvermögen, nicht als normative Disziplin.
In der Folge der Koppelung des Erkennens an das Beobachten durch die empirischen Wissenschaften wird zunehmend Wahrnehmung als Methode der Erkenntnis problematisiert. Am Beginn des 20. Jahrhunderts fokussiert der Wiener Kreis die sensorischen und kognitiven Implikationen der menschlichen Beobachtung, die mit der Wahrnehmung und der sprachlich vermittelten Darstellung ihrer Inhalte einhergehen. Jede wissenschaftliche Aussage sei dann – jene Implikationen ausschaltend – in einer streng formalen abstrakten Sprache möglich. In der Bemerkung von Oswald Wiener (1980) – “das ästhetische Erleben steht […] nicht im Gegensatz zum Erkennen, es umfasst Erkennen, es ist Erkennen” (7) – werden die Implikationen von Wahrnehmung in der Kunst und der Wissenschaft zusammengeführt.
In den empirischen Wissenschaften hat das Erkennen methodische Implikationen; dies verweist auf Wahrnehmung als Prozess der Wirklichkeitsbildung wie als Methode der Wirklichkeitserkenntnis. Für Medienkunst wäre darunter eine ihrer theoretischen Grundlagen zu subsumieren.
Vor jeder wissenschaftlichen Erkenntnis steht allerdings die Wissenschaft der Erkenntnis, nämlich die Erarbeitung von Theorien und Methoden zur Erkenntnisgewinnung abseits des forschenden Individuums.
Spätestens mit Gustav Th. Fechners “Vorschule der Ästhetik” (1876) (8) und dem Bewusstwerden der Methoden, die sich später als naturwissenschaftliche etablierten, wurden die Grundlagen für eine Abkehr der Kunst von ihrer romantischen Haltung, Alternativwelten zu skizzieren, und für eine Zuwendung zu dem, was ist, formuliert.
Mit dieser Ästhetik entstand eine Wissenschaft zwischen Wissenschaft und Kunst. Heute vielfach geforderte Positionen können daraus abgeleitet werden, dass Naturwissenschaftlichkeit bestimmte Arbeitsverhältnisse etabliert. Objektives Forschen bedingt beispielsweise das Zurückdrängen der Subjektivität der forschenden Person und gliedert sie (meist) in einen Wissensverbund ein. Im Gegenzug mutiert in der Kunst der Schöpfer zum Initiator, Subjektivität weicht zunehmend objektiver Betrachtung, Kunst als Erkenntnis geht vom Besitz weniger Individuen in öffentliches “Eigentum” über.
Parallel zum Transfer von “Wissenschaftlichkeit” in die Kunst sind Ansätze der Öffnung der Wissenschaft gegenüber den Potenzialen der Kunst zu beobachten.
Modell / Methode Ein Modell ist die Formalisierung einer Vorstellung, zu der Methoden gesucht werden, die es erlauben zu prüfen, ob das Modell der Wirklichkeit entspricht oder nicht. Dies entspricht dem Bild der prüfenden Wissenschaft; das Explorieren von Fragestellungen wird im Erkenntnisprozess oft minder gewertet. Umgekehrt kann das Selbstverständnis der Kunst im Grunde darauf zurückgeführt werden, dass sie Fragen stellt – um die Beantwortung kümmert sie sich in der Regel nicht. Dies bleibt Protagonisten ihrer anverwandten Disziplinen, meist Disziplinen der Vermittlung, überlassen und betrifft dann mehrheitlich bereits formalisierte Fragestellungen (Werke). Die Erörterung der Prozesse und Organisationsstrukturen der Formalisierung, in denen sich das Generalpronomen Kunst darstellt, erfolgt nur marginal. Auch für aus den Fragen (ob des Raumes, ob der Biotechnologie) explorierte Infragestellung der Kunst – abseits von Mode und Polemik –, nämlich im Sinne ihrer theoretischen und methodischen Fundierung, zeichnet generell die Wissenschaft verantwortlich. Durch diese “Verantwortungslosigkeit” würde Kunst ihr romantisches Verständnis als dem genialen Einfall verpflichtet perpetuieren – eine Tradition, der auch die “Medienkunst” ungeachtet ihrer vielfach als neu propagierten methodischen Ansätze zu folgen scheint.
Dennoch ist auf dem Weg von der Moderne zur Postmoderne eine Annäherung von Kunst und Wissenschaft erfolgt. War Wissenschaft die prüfende Disziplin und Kunst die Fragen aufwerfende, so haben sich diese Standpunkte aufgeweicht. Wissenschaft sei methodendominiert; “Fragen innerhalb von Disziplinen würden nur zugelassen werden, wenn für ihre Behandlung eine Methode vorhanden wäre” (9), zumindest werden sie nur dann als sinnvolle, weil beantwortbare Fragen bewertet. Ernst Pöppel verkehrt die Wertigkeit: “[…] indem wir bisher ungefragte Fragen ermöglichen, noch verborgene Denkweisen anregen und noch nicht gefundene künstlerische Prozesse in Gang setzen”.
Aus der Community of Science transgredieren das Arbeiten im Kollektiv, im vernetzten Wissensverbund, und das Bewusstsein von Erkenntnis als Prozess, als vorläufiger Zustand, in eine kollektive prozessuale Kunst. Aus der Kunst transgrediert die Methode des Fragestellens in die alleinig Fragen prüfende Wissenschaft.
Kommunikation als Erkenntnismethode dringt in die Kunst als Diskurs, im Dienst der Erhöhung der Objektivität. Damit sind die Substitution des Kreators durch den Initiator und – erkenntnistheoretisch – der Subjektivität durch Objektivität impliziert. In der Wissenschaft vollzieht sich Fortschritt als Aufbau auf Vorhandenes; zunehmend ersetzt auch die Kunst ihren auf primäre Objekte orientierten Avantgarde-Begriff durch “Ableitung aus vorhergehenden Ergebnissen” (10). Soziopolitisch von Belang sind dabei nicht nur der Wandel von individuell besessenem Wissen in ein “öffentliches Gut”, sondern (zumindest der Theorie nach) auch die Effekte für die Vermarktung von Kunst, da dieser Wandel im Widerspruch zu den Interessen der Kommerzialisierung und damit natürlich auch zu den bislang gültigen sozialen Interessen der Künstler steht!
Als Versuchsanordnung und Work-in-Progress ist Liquid Space dem Entwurf eines Modells dieses in der Medien[systemischen]kunst veränderten Paradigmas gewidmet und zugleich auch seiner Überprüfung durch Veröffentlichung (und Diskussion) der Methoden und realen (monetären, sozialen, technologischen) Bedingungen.
Versuchsanordnung Unter “Versuchsanordnung” ist – im Sinne des Verständnisses, das die experimentellen Wissenschaften damit verbinden – eine methodisch-planmäßige Herbeiführung von [variablen] Umständen zum Zweck ihrer Beobachtung zu verstehen. Das naturwissenschaftliche Verständnis verbindet damit in der Regel eine Laborsituation unter Ausschaltung der Öffentlichkeit; erst die Ergebnisse werden der Öffentlichkeit präsentiert. Darin gleicht die Vorgehensweise jener Produktion von Künsten, deren Entstehen unabhängig ist von den Bedingungen der Orte, wo sie (infolgedessen) in werkhafter Ausprägung erscheinen. Als Versuchsanordnung im Sinne der empirischen Sozialwissenschaften intendiert das Projekt jedoch die Erzeugung einer Situation [eines Cue] zum Zweck der kontrollierten Beobachtung ihrer konstituierenden Bedingungen. Das heißt: Das Umfeld [und wie es sich infolge des Cue durch den Einfluss externer Daten gestaltet] ist ebenso Gegenstand von Liquid Space wie die interne Bewusstheitdie dieser Einfluss provoziert. Das Werk – der Cue bzw. die Kerninstallation – ist lediglich Teil des Prozesses und ihm unterworfen. Als Projekt im Kontext der Medienkunst ist Liquid Space mediensystemisch angelegt.
Unter diesen Voraussetzungen ist unser Vorgehen von dem Versuch bestimmt, von einer Theorie auch unter Annahme der Bedingungen, die eine Theorie stellt – z. B. ihrer Anwendung auf sich selbst, um ihre Gültigkeit zu überprüfen–, zu ästhetischen Ergebnissen im Sinne eines Praxis-Modells, das sinnliche Erfahrung ermöglicht, zu gelangen.
Mediensystemische Kunst Medienkunst, die abseits des Kanons von Produktion, Distribution und Rezeption des Werkes erst als mediensystemische Kunst ihren paradigmatischen Neuheitsanspruch erfüllt (die sich also nicht im Einsatz neuer Mittel definiert, sondern im Verhalten der Dinge untereinander, denen die Mittel Mediatoren sind), nominiert andere Produktionsbedingungen als im Werk resultierende Verfahren (11).
Der Begriff “mediensystemisch” verweist darauf, dass die engagierten Medien lediglich Mediatoren ihrer der Funktion nach gegebenen Anwendungen sind; dass das Teleinformationssystem beispielsweise nicht im Hinblick auf das Gesendete (Bild) rezipiert wird, sondern im Hinblick auf das Senden und wie es dem Senden zur Erscheinung verhilft, das Bild ist sekundär.
Eine mediensystemische Kunst, wie sie uns vorschwebt und als Projekt ihrer eigenen Entwicklung [durch Kunstprojekte und diesbezügliche Theorien- und Erfahrungsbildung] betrieben wird, übernimmt daher Öffentlichkeit als integrierenden Teil in den Entwicklungsprozess. Unter Öffentlichkeit wird im Falle von Liquid Space das Spektrum des Austausches über den Gegenstand subsumiert. Diese Vorgehensweise ähnelt den Versuchsanordnungen der empirischen Sozialwissenschaften. Dem Projekt liegt dies und – gewissermaßen – Michel Foucaults Verständnis von “Diskursen” als “Praktiken” zu Grunde, die systematisch den Gegenstand bilden, von dem sie sprechen (12).
In diesem Sinn soll auch der Raum geschaffen werden, von dem das Projekt “spricht”, über den durch das Projekt gesprochen wird und durch den es funktioniert. Raumwahrnehmung und Raum-Nutzung sollten dergestalt in einer symbiotischen Beziehung stehen, dass am Ende auch von “Raum-Anwendungen” gesprochen werden kann.
Kommunikation der Räume (13) Für den Cue von Liquid Space als sich an Raum-Begriffen und -Vorstellungen erprobendes Modell versuchen wir, die Bedingungen des Auditorischen als diesen Begriffen funktional wie psychologisch am ehesten entsprechend in eine operationalen Struktur zu übertragen.
Die Wahrnehmung des physikalischen Raumes ist uns primär über das Visuell/Taktile möglich. In einer Serie von durch Bewegung entstandenen Sehfeldern interpretieren wir Invarianten als durch die Veränderung der räumlichen Position Hervorgerufenes, die Varianten als durch Zeit Bestimmtes (14). Raum, der sich gewöhnlich vor uns befindet und den wir in einem künstlichen, dreidimensional orthogonalen System mathematisch beschreiben, ergibt sich somit für uns durch das Zusammenspiel von Geschwindigkeit-Zeit-Distanz. Die Wahrnehmung des physikalischen Raums im Auditorischen unterscheidet sich davon. Die relativ langsame Ausbreitungsgeschwindigkeit des Schalls als Informationsträger des Zustandes eines Schallhervorbringers (Schwingers) bildet neben der Spezifikation seines Zustandes auch die Faktoren der Übertragung, das heißt auch den ihn umgebenden Raum und seine Position darin ab. Die Klangqualität vermittelt bei der Übertragung (der Ausbreitung des Schalls in der Luft) des Klanges durch die Brechung, besonders in seinen sensiblen höheren Spektralanteilen, Informationen über den Raum, in dem er übertragen wird.
Wir nehmen den auditorischen Raum gleichsam unabhängig von eigenen Bewegungen – die für uns wahrnehmbare Bewegung des Schalls “ersetzt” diese gleichsam – und als allgegenwärtig rund um uns wahr (“egozentrische” Wahrnehmung). Dies steht im Gegensatz zum visuellen Raum, der stets abhängig ist von unserer Bewegung und sich in einem Moment nur als Etwas vor uns ereignet. Der Raum hinter uns ist eng mit Zeit verbunden, er ist mit Vergangenem assoziert. Der visuelle Raum wird durch zeitlich getrennte Fixationsveränderungen erforscht, während der akustische Raum in jedem Augenblick immer vollständig gegeben ist. Der NetSpace verhält sich in unserer Wahrnehmung ähnlich dem auditorischen Raum.
Die Erhöhung der Geschwindigkeit der Informations-Übertragung über das menschlich Fassbare hinaus lässt das Geschwindigkeit-Zeit-Distanz-Gefüge in der Wahrnehmung zum psychologischen Moment werden, zum Hier und Jetzt. In der Wahrnehmung zerfällt das mechanistische Paradigma. Der NetSpace ist abseits unserer unmittelbaren körperlichen Bewegung allgegenwärtig, er liegt in unserem Bewusstsein nicht vor uns, sondern um uns.
Auditorischer und der Raum des Netzes sind Ereignisräume, gekennzeichnet durch erfahrbare Informationsübertragung, die den Raum indiziert. Die Raumerfahrung entsteht durch die Nachvollziehbarkeit der ihn definierenden Ereignisse der Informationsübertragung. Das Auditorische ist jenes psychologische Interface, das die Transgression in die Erfahrung einer an und für sich nur noch verstehbaren Größe erlauben könnte.
Kommunikations- und Interaktionsraum Das Netz verhält sich systemisch und “in sekundärer Echtzeit” (15). Weniger auf Grund technischer Verzögerungen – das heißt der Zeit, die Informationen auch bei raschem Transport über Distanzen benötigen – sind keine direkten Reaktionen zu erwarten, sondern ob des in sich interaktiv geregelten Verhaltens. Wechselseitiger Informationsaustausch verändert die beteiligten Nodes des Informationen distribuierenden Systems. Diese Modulation wirkt weiter auf die Information – das System wird zum informationsgenerierenden System. Letztlich ändert die vermittelte Information das System und das System die vermittelte Information. Diese Beziehung ist reflexiv und beschreibt den Übergang von Information zu Kommunikation.
Modelle, die dieses informations- und systemgenerierende Verhalten durch Interaktion beschreiben, sind z. B. in der Gruppenpsychologie der späten Fünfzigerjahre vorgelegt worden. Rein mathematische Systemtheorien werden aus der experimentellen Psychologie von komplexen Theorien der Wissensgenerierung, der Entscheidung auf Wissensbasen und letztlich auch “irrationalem” Verhalten ergänzt. Sie stellen Modelle dar, die das Lernen implizieren, die künstlich intelligent sind (16). Ein Programm, das die Herausbildung ihrer Struktur durch Wechselwirkung mit der kommunizierten Information berücksichtigt, wird in Liquid Space verwendet.
Was in der Gruppenpsychologie (17) empirisch erforscht, im Freejazz künstlerisch erprobt, in den elektronischen und interaktiven Künsten simuliert wurde, liegt heute als Wissen über Selbst-Strukturierung von Kommunikation, die sich aus ihren informellen Prozessen herausbildet, in formalisierter Form vor und ist technisch in hohem Maße handhabbar. Es geht aber nicht um die Anwendung dieser Kommunikationstheorien – in Abgrenzung von Informationstheorien – auf die vernetzte elektronische Kommunikation, sondern um eine bewusste Parallelführung, von der wir uns Einsichten in die soziopolitischen Implikationen elektronischer Netzwerke und in deren Wissensgenerierung erwarten. (18)
Der Cue Der Cue besteht aus einem Glasbassin mit Wasser und aus einem durch Lautsprecher markierten sechskanaligen Umraum, dem akustischen Raum. Als physikalisches Interface fungiert die Eigendynamik bewegten Wassers – ein Ausdruck seiner spezifischen Morphologie.
In Bewegung gesetzt, entsteht im Wasser eine Vielzahl von unregelmäßigen Verwirbelungen, die sich allmählich zu einem Strom (Laminarstrom) formen, dessen Verhalten das systemische Ereignis von bewegbarer Flüssigkeit beschreibt. Objekte mit dem spezifischen Gewicht der Flüssigkeit vollziehen diese “Resultierende”, die im akustischen Raum “abgebildet” wird. Dadurch entsteht ein neues, akustisch definiertes psychologisches Interface, das seine Dimension aus der Dynamik des liquiden Systems bezieht und auf einer betont sinnlichen Ebene dreierlei Wahrnehmungsformen miteinander konfrontiert: die haptische, die visuelle und die auditorische. Ziel ist es, die primären Wahrnehmungsformen auf weitere Erfahrungsräume zu übertragen und andere Raumerfahrungen zu provozieren.
Zu diesem Zweck wird ein Netz von Satelliten – ein Netz von untereinander sowie mit der Kerninstallation vernetzten Interaktionseinheiten – und damit eine Kommunikations- und Ereignisstruktur eingerichtet – ein NetSpace, der ebenfalls der Dynamik des Liquiden unterliegt. Durch die Verschränkung der die Satellitenstation bestimmenden Raumklänge mit dem klanglichen Verhalten der Kerninstallation und dem Austausch alphanumerisch codierter Informationen sollte die Erfahrung der spezifischen Eigenschaften des NetSpace als Verhalten eines selbstorganisierenden Systems provoziert werden. Das System bildet sich durch lernfähige Programme infolge von Mustererkennungsprozessen heraus.
Kommunikation meint in diesem Zusammenhang sowohl das Verhalten des Kommunikationssystems als auch den Austausch alphanumerisch codierter Informationen. System und Information stehen hinsichtlich Struktur und Bedeutung in einem reflexiven Bezug. Informationen sind Mediatoren der Ausbildung des Kommunikationssystemes, zugleich erhalten sie durch dessen spezifische Struktur ihre Bedeutung. Über Liquid Space zu kommunizieren soll heißen, sich des Liquid Space zu bedienen und mit ihm zu kommunizieren – ihn gleichsam in Bewegung zu versetzen. Der NetSpace ist als Forum des öffentlichen Diskurses des Projektes – wie Hand und Wasser – ein Interventionsmedium im Funktionszusammenhang von Liquid Space. Das Verhalten des Fluiden dient als physikalisches Interface ins Systemische. Das Verhalten von Klang im Raum dient als psychisches Interface in den NetSpace.
Liquid Space steht somit für das systemische Verhalten der miteinander verschränkten “Räume” und für die Erfahrung der Verschränkung, nicht für die Mittel, d. h. für die Gestalt, die das Projekt durch den Cue voräufig erhalten hat.
Es geht [in Analogie zur Idee, den medientheoretischen Terminus “liquid” materiell zu funktionalisieren] darum, die theoretische Annahme in die Praxis zu überführen, dass Kommunikationskunst nicht nur am Kommunikatiosraum partizipiere, sondern ihn durch ihre Funktions- und Organisationsstruktur erweitert, definiere und generiere. Als mediensystemische Kunst, die diese Spezifika erlebbar und bewusst macht, entspricht sie den Paradigmen und Forschungsanliegen der empirischen Sozialwissenschaften.
Das bei Ars Electronica 99 präsentierte Modell repräsentiert die bisherigen Überlegungen. Eingedenk der Vorläufigkeit jeglichen Wissens impliziert der Diskurs als Erkenntnismittel [auch] der Kunst mögliche Modifikationen des Modells, damit auch die Veränderung der “Gestalt” von Liquid Space – sowohl der Gestalt der Installation als auch des Projektes.
In Zusammenarbeit mit der ESC, Graz
Literatur
(1) Kac, Eduardo, Aspects of the Aesthetics of Telecommunications, Graz 1993 zurück
(2) Bilder und Klänge sind geeignet, Räume zu imaginieren, im Unterschied zu Bildern vermögen Klänge aber auch Räume zu kommunizieren und zu prozessieren: Während Klänge als zeitliche Ereignisse Information stets direkt prozesshaft vermitteln, bedürfen visuell bestimmte Zustände einer Sekundär-Codierung, um prozesshaft zu werden. zurück
(3) Jauk, Werner, Forum Stadtpark/Wissenschaftsreferat. Generationen (hrsg. v. Christine Grond), Wien 1999, i.D. zurück
(4) Baumgarten, Alexander Gottlieb, Meditationes philosophicae de nonnullis ad poema pertimentibus, Halle 1735, zit. nach der Ausg. Meditationes philosophicae de nonnullis ad poema pertinentibus – Philosophische Betrachtungen über einige Bedingungen des Gedichtes, Hamburg 1983, CXVI S. 86–87 zurück
(5) Welsch, Wolfgang, Grenzgänge der Ästhetik, Stuttgart 1996 zurück
(6) ebda., S. 65 zurück
(7) Wiener, Oswald, Wozu überhaupt Kunst? In: Wiener, Oswald Literarische Aufsätze, Wien 1998 zurück
(8) Fechern, Gustav Theodor, Vorschule der Ästhetik, Leipzig 1876 zurück
(9) Pöppel, Ernst, Radikale Syntopie an der Schnittstelle von Gehirn und Copmputer. Die Technik auf dem Weg zur Seele, Forschungen an der Schnittstelle Gehirn/Computer (hrsg. von Maar, Christa; Pöppel, Ernst; Christaller, Thomas). Reinbek bei Hamburg 1996 zurück
(10) Wulffen, Thomas, Kunst und Wissenschaft. Überlegungen zu einem prekären Verhältnis. Dialog und Infiltration. Wissenschaftliche Strategien in der Kunst, Kunstforum International, Band 144, Köln 1999, S. 38–39 zurück
(11) vgl. Ranzenbacher, Heimo, Versuchsanordnungen – Versuch einer Ordnung, Beitrag zum Symposium Recycling the Future, Wien 1997 zurück
(12) Foucault, Michel, Archäologie des Wissens, S. 74 zurück
(13) vgl. Jauk, Werner, Physical/Auditory/Musical/Net Space. The Transgression of a mechanistic paradigm. Beitrag zur CMI-99 Conference on Musical Imagery, Oslo 1999 zurück
(14) vgl. Gibson, James J., Wahrnehmung und Umwelt, München 1982 zurück
(15) De Kerckhove, Derrick, Kunst im World Wide Web. Prix Ars Electronica 95 (hrsg. v. Leopoldseder, Hannes; Schöpf, Christine), Linz 1995, S. 37–49 zurück
(16) vgl. Jauk, Werner, Gestaltung durch kommunizierendes Verhalten: Musik und Net-Art. Forschungsbericht Klangforschung 98, München 1999, i. D. zurück
(17) Bales, R. F., Interaction process analysis, Cambridge 1950 zurück
(18) vgl. Jauk, Werner, Interactivity instead of reactivity. Prix Ars Electronica 95 (hrsg. v. Leopoldseder, Hannes; Schöpf, Christine), Linz 1995, S. 23–27 zurück
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