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Elegie für eine Traumstadt


'Ilana Zuckerman Ilana Zuckerman

”Und alles in drei Sprachen – Hebräisch, Arabisch und in der Sprache des Todes …”

Yehuda Amichai
Die Stadt ist auf einem erstarrten Schrei erbaut, und über ihr schwebt das große Auge.

Mit ihrer vornehmen, erhabenen Schönheit, ohne Zauber in ihren zerfließenden Grenzen, beobachtet uns gleichgültig die im hellen Licht liegende Stadt am Berg. Die Stadt aus Stein berührt die Wüste – hinter dem kahlen Rücken des Hügels, hinter den dunklen Zypressen. Die Kanten aus Licht und Schatten, die ihr Gesicht durchschneiden, sind grausam.

Steinmauern und Türme, Minarette, Kirchen und Synagogen – alles ist ineinander verschachtelt: die glitzernde, goldene Kuppel des Felsendoms und die Kuppeln der russischen Kirche, verborgene Gärten hinter Eisentoren, das Treiben der Märkte, die Ruhe von Zypressen und Olivenbäumen, von Jasmin und Feigen.

Hier endet die Landschaft. Von hier an betrügt uns das Gedächtnis, und die Verzweiflung führt uns in Versuchung. Man wird von einer anderen Zeit umhüllt. Tiefe Sehnsucht ist der stete Begleiter.

Die von Unruhe erfüllte Stadt erstreckt sich über die Hügel: ein Gewirr von Sprachen und Berührungen. Ein Strudel aus Gebeten und Bitten zerreißt die Stille des Nachmittags. Glocken und Muezzins, das Klagen der Chassidim, der Schofar und Sirenen in den Straßen, die Rufe der Händler und das Rattern des Frühzugs durchschneiden ihre Viertel.

Bei Nacht segelt der schwere Mond über ihre dunklen, traurigen Türen und Fenster hinweg.

Am Fuße der Stadt blutet der Stein, blutet der Asphalt, und an ihrer Mauer erscheint ein Menetekel. Der Schatten eines Helikopters hängt über einer leeren Straße. Der Schrei einer Krähe erschallt.

Fern vom rituellen Treiben, von den sich im Gebet wiegenden Menschen, fern von den Kulten und vom Weihrauch, fern hinter einer Wolke sieht Fasil, ein jüdisches Kind aus Äthiopien, Jerusalem durch die Lüfte schweben.