InfoWar – Die UmOrdnung der Dinge
'Gerfried Stocker
Gerfried Stocker
Der Begriff ”Informationsgesellschaft” steht im Alltag nach wie vor für ein rhetorisches Projekt aus Übertreibung, Verkennung und Unterschätzung. Im aktuellen Schlagwortkatalog rangiert er zwar an vorderer Stelle, jedoch mit dem Ergebnis alles Inflationären: nämlich abseits eines Bedeutungskanons, mit der Hervorkehrung der Immaterialien im Zentrum.
Der Erklärungsbedarf, an dem sein Gebrauch – im Gegensatz zu ”Industriegesellschaft” – gekoppelt ist, ist ein Indikator für seine mehrheitliche Verortung im Vagen und der bloßen Potentialität; im Alltag ist er offenbar gegenstandslos.
Das ist auch nicht weiter verwunderlich, wenn unter Alltag grob das Spektrum individueller Sorgen, Nöte und akkurater Bedürfnisse subsumiert wird; ein auf Materialität – im Sinne von Besitz und körperlicher Integrität – konzentrierter Lebensentwurf, da (polemisch gesagt) Sein in Haben kumuliert und das Gefühl von Existenz in ”Habseligkeit” transzendiert.
Selbst der vielbeschworene Strukturwandel – eine Folge des kulturellen Wandels zugunsten der Immaterialien – hat sich im Alltag vornehmlich als Verlust (von Arbeitsplatz, Besitz, Lebensstandard) niedergeschlagen; die Sorgen und Nöte konzentrieren sich auf die Wiedererlangung des einmal erreichten Status. Im politischen Tagesgeschäft und dessen Alltags-Wahrnehmung ist denn auch das Problem der Arbeitslosenrate weitaus dringlicher als etwa jegliche Erkenntnis über die New Economy – derzufolge es beispielsweise möglich ist, sich ein Monopol auf Bilder anzueignen, in deren Besitz man sich gar nicht befindet, und damit (noch) reich(er) zu werden. Es scheint, als würde in dem Maß, in dem die Wende der alten Ära zur neuen vermehrt Effekte im Alltag zeitigt, die Wahrnehmung des Neuen von der Sehnsucht nach der alten Ordnung der Dinge verstellt. Während die produktorientierte Industriegesellschaft mit Handfestem dingfest zu machen war und ist, mangelt es an der Bereitschaft, der Einsicht in die Notwendigkeit, sich von der Informationsgesellschaft einen Begriff zu machen, da das augenscheinlich Greifbare fehlt.
”Materieller Verlust”, die Deformation von Material respektive dessen Schwinden, ist in der Regel Folge eines kriminellen, kriegerischen bzw. gewaltsamen – stets ”handfesten” – Ereignisses. Natürlich ist im Falle des Krieges dessen ”Handfestigkeit” für die Betroffenen stärker präsent als die Notwendigkeit, sich mit der Vermittlung des Krieges durch Bilder gemäß den Gesetzmäßigkeiten der Informationsmedien auseinanderzusetzen; die Betroffenheit angesichts dieser Bilder ist vordergründiger als die Rezeption der Gesetze ihrer Vermittlung. Kriegshandlung, deren Vermittlung und Wahrnehmung ist ein der Theorienbildung in bezug auf Mediatisierung vorbehaltenes Feld; ein Feld des – im Vergleich zum Alltag – Vagen und der Potentialität.
Mit der Idee des Informationskrieges wurde indes der Ansatz zur realen Gleichstellung dieses Feldes mit dem kriegerisch denotierten ”Feld” geschaffen. Es wandelt sich von der bloßen Figur des ”Kriegs-Schauplatzes”, die während des Golfkrieges – des ersten für Medien inszenierten Krieges – noch die designerischen Bemühungen um den TV-Konsumenten diskreditierte, zum realen Zielgebiet der kriegerischen Handlung selbst. Nicht nur, daß der rhetorische Topos in Bedeutungen von regelrecht topografischer Verbindlichkeit mutiert, auch die Alltagsdistanz und -unterscheidung zwischen Betroffenen und von deren Schicksal betroffen gemachten Beobachtern wird endgültig obsolet.
Mit ”InfoWar” setzt die Ars Electronica die 1996 formulierte Absicht, das Augenmerk von der Erweiterung des theoretischen Möglichkeitsrahmens von Kunst, Technologie und Gesellschaft auf Entsprechungen im bereits aktuellen Erfahrungs- und Wirkungszusammenhang zu lenken, in einem weiteren Festival um: InfoWar existiert als militärisches Projekt und wirtschafts/politisches Betreiben ebenso wie als Projektion, deren ”Sichtbarkeit” auf aktuellen kulturtechnologischen Funktionsweisen beruht.
Seit den achtziger Jahren, später noch angespornt von den ”Erfolgen” des Golfkrieges, läuft die Entwicklung des Information Warfare auf Hochtouren. War der Krieg in der Vergangenheit auf die Eroberung von Land und Boden, danach auf die Kontrolle über Produktionskapazitäten gerichtet, so wird er für das 21. Jahrhundert vollends auf die Macht über das Wissen projektiert. Die vierte Front nach den Boden-, See- und Luftschlachten wird innnerhalb der globalen Informationssysteme errichtet.
So ”handfest”, so wirklich – in Zahlen, Geräten, budgetären Aufwendungen, Katastrophen und Beispielen von Machtausübung und Widerstandsbewegungen zu belegen – ist das ”Feld” geworden, daß die Informationsgesellschaft nicht länger Vagheit und Potentialität repräsentiert, sondern Realität und die zentrale Herausforderung unserer Gegenwart.
Geprägt von drei im Interesse und aus der Logik des Krieges entwickelten Schlüsseltechnologien – Elektrizität, Telekommunikation und Computer –, wird nun die zivile Gesellschaft von diesen Technologien der Gleichzeitigkeit und Kohärenz in einen Zustand der permanenten Mobilmachung versetzt. Ausgetragen wird ein Kampf um Märkte, Ressourcen und Einflußsphären, wobei es um die Vorherrschaft in wirtschaftlichen Konzentrationsprozessen geht, und in dem nicht mehr Staatsgrenzen und Rechtssysteme die Fronten bilden, sondern technische Standards; ein Kampf, in dem die Macht des Wissens als gewinnbringendes Monopol seiner Verteilung und Vermittlung bewirtschaftet wird.
Parallel dazu wendet sich die Aufmerksamkeit der Militärstrategen vom computergestützten Krieg, der Effizienzsteigerung des Vernichtungspotentials durch den Einsatz von Informationstechnologie, Virtual Reality und Hightech-Waffen immer stärker dem Cyberwar zu, dessen ultimatives Angriffsziel die globale Informationsinfrastruktur selbst ist: Auf der einen Seite geht es um die Terminierung der Computer- und Kommunikationssysteme, Auslöschung der Datenbanken, Zerstörung der Kommando- und Kontrollsysteme des Gegners, auf der anderen Seite um den Zugriff auf zivile Informations- und Kommunikationssysteme zum Zwecke der Beeinflussung der Bevölkerung. Auch die vitale Bedeutung der globalen Informationsinfrastruktur für das Funktionieren der internationalen Finanzmärkte erzwingt neue strategische Zielsetzungen: Nicht Auslöschung, sondern Manipulation, nicht Zerstörung, sondern Unterwanderung und Assimilation. Netwar als taktischer Einsatz von Information und Desinformation, dessen Ziel der menschliche Verstand ist.
Die jüngsten Turbulenzen an den Börsen haben unmißverständlich die Macht eines globalen Marktes offengelegt, wie er nur auf der Grundlage der digitalen Revolution entstehen konnte und als deren spürbarste unmittelbare Auswirkung er zu sehen ist. Der moderne, digital vernetzte Markt besitzt mehr Macht als Politiker. Regierungen verlieren die Kontrolle über den internationalen Wert ihrer Landeswährungen, sie können nur mehr reagieren, nicht mehr steuern. Die volkswirtschaftliche Notwendigkeit des massiven Ausbaus offener Kommunikationsnetze setzt der autoritären Beschränkung von Informationsflüssen enge Grenzen.
Die Transgression kritischer Kontrollfunktionen in den Verantwortungs- und Wirkungsbereich der Cybertechnologien bringt zentrale Machtinstanzen in eine bislang ungekannte Angreifbarkeit und Verwundbarkeit. Die geografischen Grenzen des Industriezeitalters verlieren zunehmend ihren Stellenwert in der Weltpolitik und weichen vertikalen Fronten entlang sozialer Schichten.
Diese neuen Formen postterritorialer Auseinandersetzungen stehen aber längst nicht nur mehr den Regierungen, ihren ”Kriegs- und Finanzministern” alleine zur Verfügung: Computerfreaks im Dienste des organisierten Verbrechens, Terrororganisationen mit Hightech-Know-how sind mittlerweile ebenso Protagonisten der Cyberguerilla-Alpträume staatlicher Sicherheitsdienste und Verteidigungsministerien wie NGOs, Hacker – und nicht zuletzt auch Künstler.
InfoWar findet in der Sphäre neuer Kulturtechniken statt, die erlernt und in den unterschiedlichsten Bereichen zur Anwendung gebracht werden. Die Künstler als auch in ihrer Rolle und ihrem Selbstverständnis Betroffene sind somit besonders gefordert – die ”Kulturtechniker”, die die Informations- und Kommunikations-Sphäre zum Feld ihrer Arbeit an der Kultur ihrer Gesellschaft erkoren haben, ebenso wie dem angestammten "Betriebssystem Kunst" Verhaftete. Erstere, da sie einmal mehr zwischen die Fronten geraten (und in Alpträumen erscheinen, an die sie im Traum nie dachten), zweitere unter dem Eindruck, den die Entwicklung auch im Alltag hinterläßt.
Als Informationskonsument etwa des Fernsehens, in dem ein Bericht über den Golfkrieg lief, wurde man seinerzeit vielleicht in Aufregung versetzt, indessen würde einen das Wissen um die neue UmOrdnung der Dinge in den Zustand der Verantwortung versetzen. Und wo früher Verantwortung bestenfalls wahrgenommen werden mußte, ist es jetzt, da die aktuelle Entwicklung sogar auf das analoge Environment zurückschlägt, nahezu unmöglich, ihr zu entkommen; sie ist allenfalls zu ignorieren. Der prospektiven Sicht der Dinge als Anlaß für Künstler, ihr ästhetisches Programm gegen eine Rolle (egal, ob als Apologet oder Kritiker) innerhalb oder als Beobachter des ”Netzes der Systeme” zu tauschen, folgt unterdessen die gegenwärtige Sicht der Dinge in gleicher Funktion. Die bloße Aufregung bei der Produktion, bei der Betrachtung von oder Interaktion mit Kunstwerken ist der Entwicklung nicht mehr angemessen – es sei denn, die Wahrnehmung des Neuen wird von der Sehnsucht nach der alten Ordnung der Dinge verstellt. Das wäre eine Antwort auf die Frage, die das Festival Ars Electronica seit Anbeginn begleitet, nämlich was das alles mit Kunst zu tun habe.
Anders beantwortet wäre sie mit der Gegenfrage: Was kann denn Kunst mit der gesellschaftlichen Realität zu tun haben, und sollte sie denn etwas damit zu tun haben?
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