InfoWar. Notizen zur Theoriegeschichte
'Friedrich Kittler
Friedrich Kittler
Kai egeneto polemos en to ourano.
Apokalypse 12, 7 Selbstredend haben nicht erst die neunziger Jahre dieses Jahrhunderts entdeckt, daß Information im Krieg zählt. Seit jeher sind zwei elementare Listen, die Krieger vermutlich sowohl von Händlern wie von Priestern unterscheiden, im Einsatz gewesen. A sucht erstens zu wissen, was B weiß, ohne daß B von As Wissen weiß. A sucht zweitens sein Wissen an A' (Untergebene oder Vorgesetzte oder Verbündete) zu übermitteln, ohne daß B von der Übermittlung, geschweige denn vom übermittelten Wissen weiß.
Aber es lag an dieser wesentlich intersubjektiven Struktur selber, daß sie eher auf Subjekte als auf Waffen, eher auf Menschen als auf Maschinen zugriff. Kriege der Vergangenheit züchteten also genau das, was die NATO in ihrer unnachahmlichen Akronym-Seligkeit zur HUMINT (human intelligence) degradiert hat. Spione, Agenten, Kundschafter und Geheimboten, seit 1800 schließlich auch Militärattachés in potentiell feindlichen Hauptstädten: So ungefähr sah das traditionelle Equipment von Information Warfare aus. Unser Wort Engel geht zurück auf das griechische angelos, angelos selber aber auf den persischen Namen jener berittenen Boten, die im Namen ihres Großkönigs das erste (und selbstredend militärische) Postsystem der Geschichte bedienten. Krieg entbrannte also, wie die Apokalypse so richtig schreibt, (1) am Himmel – aber eben darum war und blieb der InfoWar immateriell.
Technik oder Wissenschaft (falls man diese zwei Felder nach Heidegger überhaupt noch trennen darf) kam nur in einer einzigen Hinsicht ins Spiel: bei der Verschlüsselung eigener und der Entschlüsselung feindlicher Nachrichten. Noch heute heißt ein primitiver alphabetischer Schlüssel nicht umsonst nach Caesar, dem Feldherrn. Aber die Kriegsgeschichte der geheimen Information hat auch nach David Kahns bahnbrechenden Codebreakers noch Geheimnisse. Ungeklärt scheint zum Beispiel, ob es zwischen François Vietas Erfindung der algebraischen Anschreibbarkeit von Polynomen einerseits und seiner kryptoanalytischen Tätigkeit in den französischen Religionskriegen Zusammenhänge gab. (Im einen wie im anderen Fall läuft die Aufgabe schließlich darauf hinaus, Buchstaben und Ziffern einander zuzuordnen.)
Aber die Informationen, die so gewonnen oder verborgen wurden, waren selber noch keine Waffen. Deshalb sind in Alteuropa zwar einzelne Schlachten, aber (soweit ich sehen kann) keine Kriege durch Informationstechnik gewonnen oder verloren worden. In anderen Kulturen mag das anders ausgesehen haben, aber zumindest europäische Krieger waren eine ziemlich altmodische oder traditionsbewußte Kaste. Viel spricht daher für die Annahme, daß erst die Kopplung zwischen Generalstabsausbildung und Ingenieursausbildung, wie die Französische Revolution sie durch Gründung der Ecole Polytechnique 1794 institutionalisiert hat, Informationssysteme als Waffensysteme begreifbar machte. 1809 jedenfalls hat Napoleon einen ganzen Feldzug – ausgerechnet gegen das Kaiserreich Österreich - durch Einsatz der damals revolutionären optischen Telegraphie entschieden. Eine Zeitlang dienten auch Linzer Kirchtürme, gleichsam als Vorläufer aller Ars electronica, zur Übermittlung von Napoleons militärischen Geheimbefehlen …
Der Feldzug von 1809 hat also – um es mit Jacques Lacan zu sagen – dem Krieg eine Funktion der Dringlichkeit oder Urgenz injiziert. Das ebenso höfliche wie selbstmörderische Warten der französischen Ritterschaft, bis 1415 auch der englische Feind zur Schlacht von Azincourt bereit war, nahm ein abruptes Ende. Von der optischen über die elektrische Telegraphie, von der Telegraphie über den (anfangs strikt militärischen) Funk bis zur Satellitenverbindung ist die Kriegsgeschichte der letzten zwei Jahrhunderte – nach Virilios These – reine Dromologie gewesen. Nicht umsonst heißen Verzögerungszeiten (delays) im technisch-militärischen Jargon auch ”Totzeiten”. Wer einige Sekunden zu spät weiß, den bestraft nicht das sogenannte Leben, sondern ein feindlicher Erstschlag.
Inzwischen dürfte es sich herumgesprochen haben, welche einschneidenden Folgen diese Kriegsgeschichte auch im zivilen Bereich gezeitigt hat. (Unbekannt ist bestenfalls geblieben, daß für solche Folgen die selbstarrogierte Zuständigkeit von Massenmedien-Soziologen nicht hinreicht.) Während die Waffensysteme aus Holz oder Bronze, Eisen oder Damaszenerstahl jahrtausendelang die Ausnahmeexistenz einer Kriegerkaste fristeten, hat die Waffe namens Nachrichtentechnik Kulturen, die vordem auf zivilen (um nicht zu sagen priesterlichen) Speichermedien wie Buch oder Buchdruck gründeten, zu Informationsgesellschaften umgeschaffen. Radio ist nur der um seine Wechselsprechmöglichkeit amputierte Heeresfunk des Ersten Weltkriegs, Fernsehen nur der zivile Zwilling der Radarschirme des Zweiten. Ganz zu schweigen von der Computertechnik, deren kryptoanalytische und damit militärische Herkunft im Fall Alan Turings immerhin seit 1974 kein britisches Staatsgeheimnis mehr ist, während etwa im Fall Claude E. Shannons (Communication Theory of Secrecy Systems) noch immer Nachrichtensperre zu herrschen scheint.
Im Anglo-Amerikanischen heißt intelligence ja nicht nur Intelligenz, sondern auch Geheimdienst, also Wissen des Wissens des Feindes. Das gute alte C3 I stand für Command Control Communications Intelligence, das aktuelle C4 I trägt – als Command Control Communications Computers Intelligence – auch noch der Hardware heutigen Wissens Rechnung. Im Informationskrieg jedenfalls fallen Waffen- und Wissenssysteme, materielle und immaterielle Rüstung zusammen. Der Himmel, an dem Johannes einst Krieg ausbrechen sah, scheint zur strategischen Gegenwart geworden. Electronic Warfare, das Paradigma des späten Kalten Krieges, spielte noch in den menschenabgewandten, weil jeder Wahrnehmung entzogenen Gefilden der Physik, Information Warfare kann von jedem PC-bestückten Schreibtisch aus beginnen. Es ist leichter, billiger und damit auch proliferationsträchtiger, eine feindliche CPU als ein feindliches Phasenradar nachzubauen. Deshalb haben schließlich auch die Händler und Ingenieure (etwa bei Advanced Micro Devices) von den Kriegern gelernt, daß Wissen nur als Wissen des Wissens des Feindes (etwa bei Intel) zählt. Reverse engineering heißt schlicht und einfach, eigene Produktionstechniken auf Feindspionage zu gründen. Diese neue Intelligenz, weil sie die gute alte Ignoranzvermutung (bei Konkurrenten, Werbekunden und Käufern) ablöst, wird noch zu schaffen machen.
Reverse engineering heißt aber auch, daß Subjekte alias Untertanen – im Unterschied zu denen von Holz und Bronze, Eisen und Damaszenerstahl – vielleicht wieder eine Chance haben. Wenn die US Army ihrem alten Traum, stets über das beste proprietäre Computerequipment zu verfügen, eine Absage erteilt und sich statt dessen – wie der Rest der Welt auch – auf dem freien Markt bedient, entsteht wieder so etwas wie waffentechnische Chancengleichheit. Das aber hat welthistorische Folgen. Den Szenarios von Information Warfare zufolge gibt es, leider, keine nationalstaatlichen Gewaltmonopole mehr. Mit Mafias und Kartellen, NGOs und Terrorbanden geht das Ende Hobbes'scher Bürgerkriege selber zu Ende. Wenn Machtsysteme mit Betriebssystemen und Computernetzen nachgerade zusammenfallen, werden sie auf einer Ebene anfällig, die prinzipiell intelligibel ist: auf der Ebene des Codes.
Am Horizont von Information Warfare taucht deshalb nicht nur der – seit Etatisierung der Nachrichtentruppen ebenso vertraute wie langweilige – Appell auf, Zukunftskriege gefälligst nach Maßgaben und Budgetträumen der neuesten Waffengattung zu führen. Es taucht auch eine Figur wieder auf, die mit der Gründung stehender und das hieß nationalstaatlicher Heere gründlich vertrieben schien: der Künstler-Ingenieur. Heute weiß nur noch die Kunstgeschichte, daß die gefeierten Genies der Renaissancekunst nicht bloß Gemälde oder Gebäude schufen, sondern Festungen durchrechneten und Kriegsmaschinen konstruierten. (2) Wenn das Phantasma aller Information Warfare, den Krieg auf Software und seine Todesarten auf Betriebssystemabstürze zu reduzieren, wahr werden könnte, würden einsame Hacker den Platz des geschichtsmächtigen Künstler-Ingenieurs einnehmen. Der Krieg am Himmel bräche tatsächlich aus.
(1) und Luther so schwach übersetztzurück
(2) Vgl. etwa Edgerton, Samuel Y., Jr., The Heritage of Giotto's Geometry: art and science in the eve of the scientific revolution. Ithaca (Cornell University Press) 1991.zurück
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