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Digital Zapatismo


'Ricardo Dominguez Ricardo Dominguez

Seit dem 1. Jänner 1994 ist der politische Apparat von Mexikos ”perfekter Diktatur” vom Zapatismus infiziert. Nicht als InfoWar, sondern als virtuelle Aktion für realen Frieden in den Dörfern von Chiapas hat diese vielschichtige, auf dem Maya-Vermächtnis des Dialogs beruhende Bewegung für eine radikale Demokratie ihre Spuren im Gewebe der elektronischen Netze hinterlassen. Im September 1997 begannen im Zapatista Network Berichte zu zirkulieren, wonach das mexikanische Militär zur Verschärfung des Low Intensity Conflict paramilitärische Gruppen ausbilde und mit Waffen versorge. Aber es bedurfte der Massaker von Acteal, um die Welt auf die hinreichend bekannte, nicht enden wollende Tragödie aufmerksam zu machen.

Während am 1. und 2. Jänner auf der ganzen Welt zahlreiche Kundgebungen zum Gedenken an die Toten von Acteal abgehalten wurden, startete das mexikanische Militär mit voller Zustimmung der PRI-Regierung den nächsten Angriff im Krieg gegen den Frieden. Der Westen lag im Taumel der Neujahrsfeiern, als die ersten Berichte darüber im Netz zu kursieren begannen und uns einmal mehr in die brutale Realität des Neoliberalismus zurückholten.

Beta-Aktionen
Die Reaktion der Zapatista Networks gab dem elektronischen zivilen Ungehorsam eine neue Dimension, die über die Weitergabe von Informationen und das Senden von E-mails an Präsidenten hinausgeht. Am Sonntag, dem 18. Jänner 1998, erreichte uns eine E-mail der Anonymous Digital Coalition, die mit folgenden Instruktionen zum Netzstreik für Zapata aufrief:
Aus Solidarität mit der Zapatistischen Bewegung laden wir alle Netzsurfer, denen die Ideale der Gerechtigkeit, Freiheit und Solidarität am Herzen liegen, am 29. Jänner 1998 von 16.00 bis 17.00 westeuropäischer Zeit zu einem virtuellen Sit-in auf folgenden fünf Websites, Symbole des mexikanischen Neoliberalismus, ein:

Bolsa Mexicana de Valores: http://www.bmv.com.mx
Grupo Financiero Bital: http://www.bital.com.mx
Grupo Financiero Bancomer: http://www.bancomer.com.mx
Banco de Mexico: http://www.banxico.org.mx
Banamex: http://www.banamex.com

Technische Instruktionen: Gehen Sie mit Ihrem Browser auf die oben angeführten Websites und klicken Sie eine Stunde lang wiederholt auf den Button "reload” (mit einer Pause von jeweils einigen Sekunden).
Dieses virtuelle Sit-in machte nicht nur die Möglichkeiten direkter elektronischer Aktionen zum zentralen Thema der Zapatista Networks. In der Folge wurde auch genauer analysiert, welche Methoden sich für den elektronischen zivilen Widerstand eignen. Es ging um die Themen Netzwerkverkehr, Internet Service Provider (ISP) und kleine internationale Verbindungen. Überlegungen bezüglich der technischen Auswirkungen dieser Aktionen konzentrierten sich schlußendlich auf die Frage, wem solche Maßnahmen am ehesten schaden: den mexikanischen Banken, denen die Aktionen gelten, oder den ISPs, die die Daten an diese Banken weiterleiten? Während dieser Diskussionen drang am 4. Februar 1998 eine Gruppe mexikanischer Digital-Aktivisten in eine Homepage der mexikanischen Regierung ein und plazierte Pro-Zapatista-Slogans auf die ersten Seiten dieser Website.

Am 10. April 1998 sandten die NY-Zapatisten gemeinsam mit dem Electronic Disturbance Theater folgenden Aufruf aus:
Flood Net: Tactical Version 1.0

http://www.thing.net/~rdom/zapsTactical/zaps.html

In Solidarität mit den Zapatisten rufen wir alle Netzsurfer auf, am 10. April 24 Stunden lang von den Automatismen von Flood Net (Tactical Version 1.0) Gebrauch zu machen. Wir werden Präsident Zedillos Website (http://www.presidencia.gob.mx) überschwemmen. Sie können mit Ihrem Browser eine entsprechende Website anwählen und den Reload-Button eine Stunde lang anklicken (mit einer Pause von jeweils einigen Sekunden).

ODER

Sie können Ihren Browser einfach auf die URL ”Flood Net: Tactical Version 1.0” einstellen. Dann wird ein Java-Applet den Reload-Button für Sie betätigen.

Sie können auch mittels Automail-System http://www.newhumans.com/chiapas/automail.html E-mails verschicken.

Für weitere Informationen zu dieser Aktion:
http://www.nyu.edu/projects/wray/ecd.html.
Die Flood-Net-URL griff insgesamt 8.141 Mal auf Zedillos Website zu. Es gab zahlreiche Berichte darüber, daß Zedillos Website nicht mehr reagierte. Am Nachmittag des 10. April tauchte eine Mirror-Site mit der Adresse http://cadre.sjsu.edu/beestal/zaps Tactical/zaps.html im Netz auf. Im Moment liegen uns keine Statistiken über diese URL vor. Es ist auch schwer zu sagen, wie viele Zugriffe nötig waren, bis Zedillos Website nicht mehr reagierte. Um die genaue Zahl festzulegen, die aus einer symbolischen Geste eine effektive Aktion macht, bedarf es weiterer Forschungen.
Gegenangriffe
Wir wissen auch, daß während der Aktion mehrmals versucht wurde, von Mexiko aus in den Server von Thing.net einzubrechen, was nicht gelang. Der Rechner t3s31.data.net.mx (http://www.data.net.mx)versuchte am 9. und 10. April, auf drei Thing.net-Rechner zuzugreifen. Außerdem wurde ein Mitglied der NY-Zapatisten, das auf seiner Homepage Informationen über die Flood-Net-Aktion veröffentlicht hatte, mit mehr als 3.000 E-mails überschwemmt. Davon enthielten einige so seltsame Überschriften wie We Are Watching You.
Jenseits von Soft Hacking
Digital Zapatismo war von Anfang an ein offenes System weit verzweigter Netzwerke, und die Verbreitung dieser Bewegung ist hauptsächlich dieser Struktur zuzuschreiben. Um den Informationsstaat zu stören, verwendet Digital Zapatismo das einfachste Kommunikationssystem digitaler Kulturen, den Austausch von E-mails. Der Verdacht hat sich bestätigt, daß Hyper-Überwachungsfilter eingesetzt werden, um die Kontrolle über das Netz zurückzugewinnen. Wir stehen also vor der Aufgabe, neue Methoden des elektronischen zivilen Ungehorsams zu entwickeln:
  1. Weiterer Aufbau von alternativen Netzwerken mit mehr Zugriffsmöglichkeiten und einer größeren Bandbreite.

  2. Feinprogrammierung: Entwicklung von Spiders, Bots und ähnlichen kleinen Netzwerkagenten, um gegen bestimmte URLs vorgehen zu können, ohne den Server zu stören.

  3. Außerhalb des Landes stationierte Spamming-Rechner für Massen-E-mail-Sendungen.

  4. Virtuelle Nähe: Thing Connector 3.0.A. Ein einfaches Zugriffssystem für die elektronische Interkontinentalkommunikation in Echtzeit. Dieses System würde eine Überwachung unmöglich machen.

  5. Ein Satellit würde uns von kontrollierten Netzwerken und Backbones unabhängig machen.

  6. Prozessorstörungen: Das Stören von Mikroprozessoren durch bestimmte Gruppen könnte große Teile von sensiblen Netzwerken systematisch lahmlegen – durch gezielte Produktionsfehler bei Mikroprozessoren, die der US-amerikanische Unterhaltungs- und Militärkomplex im Ausland erwirbt. Viele dieser Elemente finden in einer Vielzahl von Defensiv- und Offensivwaffen Verwendung, in denen sie zu einem bestimmten Zeitpunkt einen Komplettausfall verursachen könnten.
Störzonen
Im Geiste von Chiapas entwickeln die Zapatista Networks elektronische Störmethoden, die zugleich der Motor für Innovationen und politische Friedensaktionen sind. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt läßt sich das Ausmaß der Störungen durch den elektronischen zivilen Ungehorsam nur schwer abschätzen. Wir wissen mit Sicherheit, daß die Analyse des Digital Zapatismo seit dem 1. Jänner 1994 ganz oben auf der Prioritätenliste von Militär und Geheimdienst steht. Wir hoffen, daß sowohl koordinierte als auch unkoordinierte Aktionen in der Lage sein werden, den brutalen Riesen wie die Liliputaner mit vielen kleinen Fesseln niederzuzwingen. Im Moment bleibt uns nur, unsere Methoden weiterzuentwickeln und niemals zu vergessen, daß dieser elektronische Aktionismus einer realen Gemeinschaft auf der Suche nach realem Frieden gilt. Eine Gemeinschaft, die eine Welt fordert, läßt alle Welten möglich werden.