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Ars Electronica 1998
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Sind Sie online?
Präsenz und Partizipation in Netzkunstprojekten

'Andreas Broeckmann Andreas Broeckmann

Schon Anfang 1997 hatten viele Leute das Gefühl, daß dies das Jahr der Netzkunst sein würde und daß die KünstlerInnen nach einem kurzen Sommer entweder anderswo neue Herausforderungen würden suchen müssen oder aber die wahrscheinliche, größere Akzeptanz durch Publikum und das Betriebssystem Kunst ausnützen würden. Interessierte Beobachter konnten verfolgen: ausführliche Online-Diskussionen über die technologischen und kunsthistorischen Kontexte, aus denen Netzkunst hervorgegangen ist; ein langes Hickhack darüber, ob es nun prätentiös, lustig oder korrekt ist, von net.art zu sprechen, wobei der Punkt in der Mitte zum Gegenstand hitziger Debatten wurde; internationale Treffen, bei denen die zukünftige Geschichte der net.art-Bewegung bestimmt und dekonstruiert wurde. Die NetzkünstlerInnen bestanden stets darauf, daß sie weder eine Gruppe noch eine Bewegung darstellten, und das wohl vor allem, weil niemand mit dem erwarteten Untergang des net.art-Etiketts in die Tiefe gezogen werden wollte. Daß einige der Heldinnen und Helden der net.artists auf großen internationalen Kunstausstellungen und Medienkunstfestivals vertreten waren, wurde mit kollektivem Stolz und individuellem Neid quittiert.

Die Diskussionen über net.art (ich bleibe für einen Moment bei diesem Begriff, der vor allem eine Art hybriden WWW-Situationismus bezeichnet) ermöglichten einen wichtigen konzeptionellen Schritt, nämlich genauer zu unterscheiden zwischen Kunst auf dem Netz und Kunst im Netz. Kunst auf dem Netz benutzt das Internet als Distributionsmedium, ob in Form der vielverhöhnten virtuellen Galerien mit ihren Abbildungen zweidimensionaler Kunstwerke, Fotografien, Computergrafiken usw., die an sich keine Beziehung zum Internet haben, oder als Kanal für Konzeptkunst, für die das Netz ein effektives, aber letztlich ersetzbares Darstellungsmittel ist. Kunst im Netz dagegen ist untrennbar vom Medium des elektronischen Netzwerks. Sie spielt mit seinen Protokollen und technischen Eigenheiten, nutzt seine Fehler aus und treibt Software und Hardware an ihre Grenzen. Sie ist undenkbar ohne ihr Medium. Gleichzeitig zeigt diese Netzkunst ein klares Verständnis nicht nur der technologischen, sondern auch der gesellschaftlichen und kulturellen Aspekte des Internet und bespielt sie mithilfe hybrider, intermedialer künstlerischer Strategien.

Es ist kaum überraschend, daß in einem vorwiegend spät-modernistischen kulturellen Umfeld die zweite, puristischere Version der Netzkunst von vielen bevorzugt wird. Auch die Stellungnahmen der Juries der Kategorie .net des Prix Ars Electronica haben seit 1995 diese verständliche Voreingenommenheit bestätigt. Nur postmoderne Zyniker würden es anders machen. Es ist jedoch eine Schwierigkeit für Ausstellungs- und Festivalkuratoren, diese Art von Arbeiten einem Publikum zu präsentieren, das, selbst wenn es Interesse an dieser neuen Kunstform zeigt, nur selten mit ihren Ritualen vertraut ist. Ich sage ”Rituale”, weil viel vom Spaß und der Aufregung um die Netzkunst aus einem Gefühl der Anwesenheit und der Teilnahme an einem Ereignis oder Prozeß entsteht, das von der Ko-Präsenz und der Kooperation mehrerer Leute abhängt. Kurz, von einem Gefühl des Online-Seins – und dies nicht so sehr im technischen Sinne eines Zugangs zu einem vernetzten Computer, sondern im Sinne einer Mentalität, einer geistigen Haltung, die bei Leuten ensteht, die in verteilten elektronischen Umgebungen arbeiten und ”leben”, Umgebungen, die ”geladen” sind mit einem schnellen und oft nervösen Informationsaustausch. Ein Geisteszustand, der freilich keineswegs nur bei NetzkünstlerInnen eintritt.

Das Schlimmste, was Kuratoren machen können, ist eine Liste mit Hyperlinks zu ausgewählten Websites anzufertigen, diese auf die WWW-Seiten des Festivals oder der Ausstellung zu legen, den KünstlerInnen kein Honorar zu zahlen (mit dem Argument, daß ihre Projekte ja sowieso online und damit öffentlich zugänglich seien) und dann eine Anzahl Online-Computer irgendwo in die Ausstellungsräume zu stellen, wo sich das Publikum die Projekte ansehen kann – und frei auf dem Netz herumsurfen kann. Dieser letzte Punkt – ein zeitweiliger freier Zugang zum Internet – ist wahrscheinlich der einzige positive Aspekt dieses Szenarios. Eine Variation hierauf bot die WWW-Abteilung der Documenta X Kunstausstellung in Kassel 1997, wo zwar die KünstlerInnen bezahlt wurden, die Projekte aber offline und in einem traurigen, grau-weißen Pseudobüro gezeigt wurden. Eine überzeugende Strategie, wenn man verhindern möchte, daß das Publikum etwas über Netzkunst erfährt.

Die openX-Umgebung beim Ars Electronica Festival 97 in Linz stellte einen weitaus kreativeren und gewagteren Versuch dar, mit den Schwierigkeiten der Netzkunstpräsentation in einer Festivalsituation umzugehen. Ich werde den Begriff ”Netzkunst” von jetzt an ausdrücklich im weiteren Wortsinn verwenden, der sich auf Kunstpraktiken bezieht, die im Internet begründet sind, von WWW-Projekten und Live-Audioexperimenten, bis hin zu den Kommunikationsprojekten, die IRC (Internet Relay Chat), FTP (File Transfer Protocol), Telnet oder andere Internetprotokolle verwenden. Mehr als zehn verschiedene Online-Projekte waren eingeladen, während des Festivals auf der Empore des Linzer Design Center zu arbeiten, und eine knappe Woche lang verbrachten mehr als 50 Leute Tage und Abende auf ihren Inseln aus Tischen und Terminals in diesem lokalisierten Archipel der Netzwerkkreativität. Viele der TeilnehmerInnen an den verschiedene Projekten hatten schon vorher miteinander gearbeitet. Ihnen bot sich nun die Gelegenheit, das, was sie immer tun, in großer räumlicher Nähe zu tun: im Netz zu kommunizieren, zu recherchieren, zu schreiben, programmieren und entwerfen.

openX war damit eine annähernd 1:1-Repräsentation der Situation, in der Netzkunst tagtäglich produziert wird. KünstlerInnen, die sich manchmal persönlich kennen und manchmal auch nicht, arbeiten zusammen in kleineren Gemeinschaften, die sich mit anderen solcher Gemeinschaften überlappen. Weitere Verbindungen und kreative Potentiale ergeben sich aus den Kontakten zwischen diesen Gruppen. Gegenseitige Infizierungen und Transformationen bleiben nicht aus. In der Praxis funktionierte dieses Konzept des OpenX nur teilweise. Das Verpflanzen eines translokalen Gefüges in eine lokalisierte Situation zeitigte sowohl Vor- als auch Nachteile für die Kooperation der KünstlerInnen. Vielleicht wegen der ungewohnten Gelegenheit, gewiß auch wegen der beschränkten Zeit in den fünf kurzen Tagen des Festivals, konnte viel vom Potential der Situation nicht umgesetzt werden, und die KünstlerInnen fuhren weg mit einem Schwindelgefühl und einer Verwirrung wie nach der Fahrt auf einer Achterbahn.

Während dies die Kompliziertheiten der On/Offline-Kooperation sind, liegt das Hauptproblem der Präsentation von Netzkunst in der Beziehung zwischen KünstlerInnen bzw. ProduzentInnen und dem Publikum. Wie schon angedeutet, stellt sich die Frage, wie man einem neugierigen Außenseiter die Faszination der Online-Kunst nahebringen kann. Einige der openX-TeilnehmerInnen standen noch unter dem Schock ihrer Erfahrung bei der Documenta X im gleichen Sommer, wo der Hybrid Workspace der Berlin Biennale die Kasseler Orangerie als hunderttägige medienkulturelle Werkstatt für verschiedene internationale Gruppen zur Verfügung gestellt hatte. Der Hybrid Workspace selber war eine flexible, multifunktionale Arbeitsumgebung, und die meisten der ungefähr zwölf Workshops erwiesen sich als fruchtbar und erfolgreich. Wie aber geht man mit tausend oder mehr Besuchern um, die jeden Tag hereinschauen und ”die Kunst” sehen wollen? In Kassel war es angesichts der kurzen Aufmerksamkeitsspanne der Ausstellungsbesucher schwierig, dem Publikum auch nur ansatzweise zu erklären, womit sich die Arbeitsgruppen beschäftigten.

Anders als der Kasseler Hybrid Workspace hatte openX in Linz ein kleineres und wahrscheinlich auch netzerfahreneres Publikum, mit vielen Besuchern, die eine eigene, oft umfangreiche Online-Praxis haben. An beiden Orten hatten die teilnehmenden KünstlerInnen jedoch das Problem, den Wunsch zur Zusammenarbeit im Workshop mit der Notwendigkeit zu vereinbaren, diese Arbeit dem Publikum gegenüber auch darzustellen. Einige Gruppen waren darin besser als andere, vor allem diejenigen, die mit kampagneartigen Themen und Strategien arbeiten. Aber nur wenige waren glücklich damit, daß ihre prozeßhafte Arbeit wahrgenommen wurde wie eine Performance über künstlerische Arbeit. Was sie normalerweise an ihren Terminals zuhause und im Atelier machen, wurde nicht nur durch die plötzliche Nähe zu den anderen KünstlerInnen eingreifend verändert, sondern war auch in ungewöhnlicher Weise exponiert. Physische Präsenz und Konfrontation spielen normalerweise in der Netzkunst eine geringe Rolle, da das Internet eher eine Verknüpfung vieler verteilter Privaträume darstellt als einen öffentlichen Raum.

Eine Beschreibung der verschiedenen funktionalen Ebenen der elektronischen Netze kann helfen, die Insichgekehrtheit eines Teils der gegenwärtigen Netzkunst zu erhellen. Das Folgende wird einigen LeserInnen bekannt sein, aber in Zeiten des elektronischen Kommerzes und des allgegenwärtigen Kauf-Mich!-Knopfes scheint es wichtig, die Diversität der Werkzeuge netzbasierter Kreativität zu betonen. In erster Linie ist das Netz eine Kommunikationsumgebung, in der über eine Vielzahl an Kanälen (E-Mail, Newsgroups, Mailinglisten, IRC, CUSeeMe usw.) Gespräche im Gange sind zwischen einzelnen und zwischen Gruppen aller Größen, die von zwei bis zu mehreren tausend Teilnehmern haben. Wie jedes Gespräch werden auch diese Unterhaltungen besser, je besser die TeilnehmerInnen einander kennen. Das internationale Xchange-Netzwerk der Netzradio-Enthusiasten ist ein hervorragendes Beispiel für solch eine verteilte Gruppe, die ihre kreative Zusammenarbeit beim Live-Audio-Streaming über die verschiedenen, sie verbindenden Kommunikationskanäle entwickeln. Xchange und andere Gruppen behandeln das Netz somit auch als Klangumgebung mit ganz spezifischen Eigenheiten, was die Datenübertragung, Verzögerung, Rückkopplung und offene, verteilte Kooperationsstrukturen angeht. Außerdem verschalten sie das Netz mit einer ganzen Reihe anderer Bereiche. Anstatt einen ”authentischen” Ort ihrer künstlerischen Arbeit zu definieren, wird die transmediale Zone von Medienlabors in verschiedenen Ländern, Mailinglisten, Netz- und UKW-Radiosendern, Clubs, Magazinen, Aufklebern usw. bespielt, in der Realräume und Medien sich unablässig überlagern und mischen.

Die Verwendung der Metapher der ”Umgebung” ist vielleicht irreführend, da sie die Assoziation eines euklidischen, dreidimensionalen Raums nahelegt, der die verschiedenen Funktionen enthält. Man darf aber nicht vergessen, daß es hier um digitale Daten geht, die in einer Netzwerk-Infrastruktur aus Computern, Kabeln und drahtlosen Sendern übertragen werden. Die Datenumgebung des Netzes ist keine Landschaft mit Horizont, sondern eine multidimensionale, sich ständig verändernde Topologie. Es gibt gegenwärtig eine wachsende Zahl von Untersuchungen und Projekten, die versuchen, diese Datenumgebung mithilfe dynamischer 3D-Strukturen zu beschreiben oder zu kartografieren, vor allem unter Verwendung von VRML (Virtual Reality Modeling Language). Diese Projekte bleiben jedoch eingeschränkt von den Grenzen der Dreidimensionalität. Selbst wenn diese Dreidimensionalität durch Hyperlinks und ”morphende” Formen erweitert wird, vermag sie nicht, die Komplexitäten der Netzwerktopologien einzufangen.

Obwohl das Netz ein weitverzweigtes und heterogenes Medium für die Kommunikation zwischen Menschen ist, ist es in erster Linie eine Maschinenumgebung aus Computern, die mit Computern verbunden sind und mit kaum vorstellbarer Geschwindigkeit große Mengen an Kontroll- und Koordinationsdaten austauschen. Um nur einen vagen Eindruck von dieser Maschinenkommunikation zu bekommen, schaue man sich die vollständige Streckeninformation an, die mit jeder E-mail-Botschaft mitgeschickt wird: eine lange Reihe von IP-Nummern, Zeit- und Datumsangaben und Informationen über Software und Verschlüsselungsprotokolle, die mit jedem Datenpaket über das Netz reisen. Einige neuere Kunstprojekte beschäftigen sich mit der Ästhetik dieser Maschinenumgebung. Ein Beispiel ist Web Stalker von I/O/D, der die Hyperlinks auf Webseiten absucht und den HTML-Code abbildet, noch während der Stalker die Seiten analysiert und zugleich die Hyperlinkstruktur der vernetzten Seiten in einer einfachen Grafik darstellt, um so einen überraschenden Blick auf die ”Unterseite” des WWW zu ermöglichen. Der Grad, in dem die techno-topologische Infrastruktur des Netzes mit – offener und verborgener – ökonomischer, politischer und symbolischer Macht aufgeladen ist, wird kritisch von Paul Garrins name.space-Projekt beleuchtet. Allerdings erscheinen solche Projekte denjenigen, die die Zahlen und Buchstaben nicht zu lesen wissen, um so esoterischer, je präziser sie im technischen Sinne werden.

Selbstverständlich ist das Netz auch eine Bildumgebung. Das World Wide Web ist sein Zeitschriftenkiosk, seine Kunstgalerie und sein Fotoalbum. Es lohnt, daran zu erinnern, daß das WWW ursprünglich zur Darstellung, Verbreitung und Verknüpfung von Texten und Bildern entworfen wurde, Aufgaben, die von den ersten Standard-WWW-Browsern erfüllt wurden. Klänge, bewegte Bilder und interaktive Funktionen wurden erst später hinzugefügt und benötigen noch immer eine Reihe mehr oder weniger standardisierter Software-Plug-Ins. Das Text-und-Bild-Erbe des WWW kann abgetan werden als das Online-Äquivalent zu 2D-Grafik und Printmedien. Aus der Perspektive der kommerziellen Entwickler, die ein großes Publikum im Auge haben, könnte dies die Funktion sein, für die sich das WWW am besten eignet. Es ist bedeutsam, daß das WWW ein simples Publikationsmedium ist, das vielen Leuten die Möglichkeit gibt, ihre Sachen zu präsentieren. Was aber, wenn nicht jeder ein aktiver Teilnehmer werden will, wenn nicht alle online gehen wollen?

Schließlich ist das Internet im Begriff, zunehmend auch zur Handlungsumgebung zu werden, zu einem Feld, das bestimmte Formen des Handelns unterstützt, die in einer Zeit des allgemeinen Niedergangs demokratischer Entscheidungs- und Kontrollstrukturen zumindest Möglichkeiten neuer Formen des Handelns in der Öffentlichkeit in Aussicht stellen. Das Projekt IO_Dencies von Knowbotic Research stellt einen Versuch dar, Möglichkeiten des Handelns in translokalen, vernetzten Umgebungen zu untersuchen. Es schafft eine Schnittstelle zwischen den Kommunikations- und den Maschinenumgebungen des Netzes und fragt, was die Topologie des Handelns in solchen hybriden und konnektiven Umgebungen sein könnte.

Diese Analyse des Internet ist natürlich in keiner Weise vollständig. Handel, Spielen, Glücksspiel, das Übermitteln von Texten, Klängen und Bildern – all dies sind prominente Funktionen des Netzes. Das WWW ist eine intermediale Umgebung, die den Zugang zu einigen dieser Funktionen bietet oder unterstützt. Was an der Netzkunst allerdings interessant ist, passiert gegenwärtig jenseits des Web. Auch die Entscheidung der Jury der Kategorie . Net des Prix Ars Electronica 98 deutet darauf hin, denn die drei Preise gingen durchwegs an Projekte, die nicht – oder nicht vorrangig – WWW-Projekte sind.

Das Erleben netzbasierter Kunst hängt eng mit Online-Präsenz und aktiver Teilnahme am kreativen Prozeß zusammen, egal ob dieser hauptsächlich in einer Maschine oder in einer vernetzten Gemeinschaft lokalisiert ist. In Abwandlung einer früheren These können wir sagen, daß es ein Schlüsselproblem der Netzkunst ist, daß es keinen Unterschied gibt zwischen KünstlerInnen und Publikum, zwischen Produktion und Rezeption. Man rezipiert dadurch, daß man TeilnehmerIn ist, man produziert dadurch, daß man rezipiert. Netzkunst ist online, und sie wird für die gemacht, die online sind.

Die Theorie der Netzwerkkreativität und, allgemeiner, der kreativen Verwendung digitaler Medien betont die Tatsache, daß diese Technologie allen BenutzerInnen von Computern die Gelegenheit gibt, ProduzentIn zu werden und am ”weltweiten Konzert” der Online-KünstlerInnen teilzunehmen. Selbst wenn digitale Medien diese Möglichkeit prinzipiell bieten, läßt sich nun feststellen, daß diese Netzwerkumgebungen vielleicht nur für diejenigen wirklich von Interesse sind, die tatsächlich auch ProduzentInnen sein wollen. Partizipation ist dann nicht nur Option, sondern Bedingung. Wenn dies stimmt, dann bedeutet es auch, daß die Brecht'sche Utopie einer Gemeinschaft der Medienproduzenten ein weiteres Mal fehlschlagen könnte, zum Teil, weil kommerzielle Interessen starke Uploading-Kanäle verhindern, zum Teil aber auch, weil ein Gutteil der erhofften ProduzentInnen die Bandbreiten auch dann nicht nutzen würden, wenn sie zur Verfügung stünden.

Dies ist keine sehr befriedigende Analyse, zumindest nicht aus der Perspektive einer kritischen kulturellen Praxis in und mit Hilfe digitaler Medien. Bedeutet sie, daß wir – on- und offline – verdammt sind zu glatten Schnittstellen und zu einer Interaktivität, die nur dann ”funktioniert”, wenn sie unterhaltsam ist? Und was würde es im Gegensatz dazu bedeuten, wenn Festivalpublika und andere online gingen, wenn sie ”online würden” in der Weise, wie viele Künstler es sind, die netzbasiert arbeiten? Oder besser noch: Was wäre, wenn Festivals dafür sorgten, daß die Online-Erfahrungen von TeilnehmerInnen und BesucherInnen zusammengebracht würden, so daß sie sich über die vielfältigen Punkte der Nähe und der Überlappung zwischen verschiedenen Online-Welten (Hacker, NGOs, Business-Netze usw.) treffen, streiten und kooperieren könnten? Wie würden Festival- und Ausstellungsräume aussehen, in denen das Publikum tatsächlich zuschauen, teilnehmen und handeln könnte?

Die Frage nach der Präsentation von Netzkunst und danach, wie Online-Präsenz und -Partizipation artikuliert werden können, kann somit auf zweierlei Weise gestellt werden. Zum einen hinsichtlich der Kopplung verschiedener Formen von Online-Erfahrungen, und zum anderen als Demonstration dessen, daß ”mediale Räume und reale Räume eine einzige, ständig ineinandergreifende und sich verändernde Topologie bilden” (Lisa Haskel). Für die kuratorische Praxis bedeutet dies, daß ein größerer Nachdruck auf die Schnittstellen gelegt werden muß und nicht allein auf die darstellenden oder kritischen Praktiken, die den Inhalt der Netzkunstprojekte bilden. Die Schittstelle, das Interface, ist zugleich ein Terrain und ein Werkzeug, in dem die Kräfte einer intermedialen Umgebung zusammenfließen und das als Handlungsfeld und als Feld der Subjektivierung entworfen werden kann. Präsenz und Partizipation könnten erschlossen werden durch die Entwicklung hybrider, vielfältiger und poröser Schnittstellen, die mediale und ”reale” Erfahrungsfelder überspannen, die verschiedene Publikumsgruppen einbeziehen und die Wege des ”Online-Werdens” eröffnen, die zugleich Wege des ”Öffentlich-Werdens” sind.

Dank an Lisa Haskel und Tapio Mäkelä für kritische Bemerkungen und Vorschläge.