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Eine Kunstgeschichte


'Wolfgang Temmel Wolfgang Temmel

1983 verfaßt der österreichische Künstler Wolfgang Temmel eine Kunstgeschichte. Dieses Werk ist ein Textkonzentrat, bestehend aus wenigen Zeilen, und stellt nichts anderes dar als die Beschreibung des Vorgangs des Schöpferischen – nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Es existiert die Behauptung, daß Kunst Energie in ihrer schönsten Form sei, und indem Temmel dieser Behauptung zustimmt bejaht er die Existenz der Kunst, da er von ihrer positiven Kraft überzeugt ist. Dabei ist es ohne Belang, daß Kunst und ihre verschiedenartigen Erscheinungsbilder in den vielfältigen Kulturen dieses Planeten in einem zum Teil völlig anderen sozialen Kontext stehen.

Die in einer einfachen Sprache gehaltene und reduzierte Beschreibung des künstlerischen Denkens und Handelns ist es, die diesen Text aus seinem kulturellen Kontext heraushebt und ihm allgemeine Gültigkeit verleiht – jenseits kultureller Grenzen.

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Dieser Text war, eingemeißelt in einer Marmortafel, der alleinige Inhalt einer Arbeit, die Temmel 1981 schuf (”Die Kunst ist für viele so etwas wie eine tote Fremdsprache”), und er trifft damit eine eindeutige, durchaus ironische Aussage über die Lesbarkeit und Verständlichkeit von Codes.

Eine Kunstgeschichte in alle möglichen Schriftsprachen zu übertragen, stellt nun einen weiteren Schritt dieser Arbeit dar und entwickelt sich zu einem Mammutprojekt, da es der (irrwitzige) Versuch der Machbarkeit des Unmöglichen ist: einerseits der Unmöglichkeit einer authentischen Übertragung eines Textes von einer Sprache in eine andere, andererseits existieren heute weltweit etwa 2000 Schriftsprachen…

Trotzdem oder gerade deshalb widmet sich Temmel seit 1983 diesem Projekt, das weit komplexer ist als jeder Fünfjahresplan.

1996 wurde es zum ersten Mal der Öffentlichkeit präsentiert – Eine Kunstgeschichte als work in progress …
KRIEG DER SPRACHEN

'Die Grenzen meiner Sprache' bedeuten die Grenzen meiner Welt.


(Wittgenstein)
Sprachen werden verschwinden – wie Pflanzen des Regenwaldes –, noch bevor sie entdeckt worden sind. Die Hegemonie einiger weniger Sprachen am Ende dieses Jahrtausends ist Kolonialismus pur, mit dem Unterschied, daß dieser Sprachkolonialismus an anderen Sprachen überhaupt kein Interesse hat, sich nicht an ihnen bereichern will oder sie als Bereicherung versteht, abgesehen von einigen wenigen adaptierten Begriffen, die jede unserer Hegemoniesprachen spicken, gleich einem exotischen Gewürz (und die Aussichten stehen für Englisch sehr günstig, daß es als Netzsprache und als einzige Sprache letztendlich übrigbleiben wird). Bei der Dominanz einiger weniger Sprachen, die die Welt beherrschen, steht Eine Kunstgeschichte als Kontrapunkt und taucht im WWW wie ein exotischer Fremdkörper auf.